Seit einigen Monaten haben wir in Österreich eine neue Regierung. Die mediale Berichterstattung liegt derzeit auf Inhalten wie Rauchen, der generellen Arbeitsmarktsituation und steuerlichen Veränderungen. Die Themen Pflege und Gesundheitswesen scheinen eher im Hintergrund zu liegen. Gibt es hier keine Konzepte? Ist die Pflege nicht reformbedürftig? Dies war ein Grund für Pflege Professionell Frau Bundesministerin Mag.a Beate Hartinger-Klein zu einem Interview einzuladen. Die Bundesministerin nahm sich hierfür viel Zeit und zeigte ab der ersten Minute, dass in Wahrheit schon jede Menge Projekte in den Startlöchern stehen….
Was ist Pflege für Sie? Wo fängt sie an, wo hört sie auf für Sie?
Die Pflege ist einer der wichtigsten Berufsgruppen. Sie ist nahe am Menschen und bekommt mit, was die Gesamtheit des Menschen ausmacht. Pflegepersonen können durch diese Nähe gezielter, den Patienten dort abholen, wo er sich situativ befindet. Dies geschieht mit all seinen Befindlichkeiten und medizinischen und pflegerischen Herausforderungen. Nur werden es immer weniger Pflegepersonen und immer mehr Patienten, die es zu betreuen gilt. Im Vergleich mit Nachbarländern geht es uns zwar noch sehr gut, aber auch hier kann man eine Verschlechterung erkennen. In Norddeutschland gibt es eingesetzte Personalschlüssel, bei denen eine Pflegeperson auf fast 60 Personen berechnet wird. Doch auch in Österreich verändert sich die Lage. Sieht man die Wartezeiten in Notfallambulanzen (immer wieder Wartezeiten von 4 bis 8 Stunden), erkennt man ganz klar einen Handlungsbedarf. In diesem Bereich gibt es unzählige Möglichkeiten um positive Schritte zu setzen, wobei ich ein besonderes Augenmerk auf die Prävention lege. Diese soll gestärkt werden. Wichtig ist mir auch die Qualitätssicherung in der Pflege. Gleichzeitig müssen aber auch die Gesundheitsberufe im Ansehen der Bevölkerung aufgewertet und attraktiver gestaltet werden. Rahmenbedingungen für ein modernes Pflegesystem in ganz Österreich sollen geschaffen werden, bei dem die Selbstbestimmung des Einzelnen im Vordergrund steht. Konkrete Maßnahmen werden noch im Rahmen eines Diskussionsprozesses auszuarbeiten sein. Eine Herausforderung im Zusammenhang mit den Ambulanzen ist, dass viele Patienten eine Ambulanz aufsuchen, obwohl sie mit ihrem medizinischen Problem oftmals dort nicht an der richtigen Adresse sind. Hier muss man Anreize schaffen, damit die Patienten nicht in die Notaufnahme strömen, wenn sie nicht wirklich ein Notfall sind. Das ist eine Herausforderung, der wir uns derzeit stellen.
Haben Sie hierzu schon Ideen?
Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum Beispiel ist die Notruf Gesundheitsnummer ein großes Thema. Dies gibt es momentan in drei Bundesländern pilotmäßig, in Niederösterreich, Vorarlberg und Wien. Es gibt unterschiedliche Erfahrungen dazu, aber über so etwas könnte man Patientenströme mehr in den Griff bekommen bzw. steuern, damit der Patient nicht gleich in die Ambulanz geht, sondern eben vielleicht bis zum nächsten Morgen andere Maßnahmen trifft. Wenn sich im Zuge der Manchester Triage herausstellt, dass es möglich ist, am nächsten Tag einen niedergelassenen Arzt zu konsultieren, sollte dies auch passieren.
Sind Ambulanzgebühren ein Thema?
Nein, das ist kein Thema. Inwieweit man andere Anreize bietet, muss man sich überlegen bzw. ist das Ländersache.
Zurück zur Pflege. Die Krankenpflegeschulen werden immer leerer. Die Akademisierung wird, allein schon durch die immer kleiner werdende Geburtenrate, den Bedarf an Pflegepersonen nicht decken können. Zusätzlich werden die Assistenzberufe immer weniger angestrebt. Einige Bundesländer schaffen nur mit Mühe und Not einen Klassenstart in diesem Herbst. Dies schürt auch die Ängste der Lehrer, die um ihren Arbeitsplatz bangen. Gibt es hierzu ein Konzept, z.B.: Ausbildungszentren oder Anpassung der Durchgängigkeit?
Da gebe ich Ihnen ganz recht. Ich habe dies schon einmal mit Frau Frohner diskutiert. Ich habe Sie auch für weitere Diskussionen eingeladen, damit wir über genau diese Themen sprechen können. Prinzipiell ist die Ausbildung Ländersache, das macht das Thema nicht einfacher. Mir ist die Sicherung der Qualität in der Versorgung besonders wichtig. Ich beobachte schon seit über 30 Jahren die Veränderungen im Gesundheitswesen. Leider muss man sagen, dass die Akademisierung in einigen Bereichen nicht unbedingt der richtige Schritt war, dies ist aber meine persönliche Wahrnehmung. Natürlich braucht man die Akademisierung um die Augenhöhe mit den Ärzten und anderen akademischen Berufen zu finden. Wir brauchen aber noch mehr Leute, die direkt am Patienten arbeiten und nicht nur die Pflege organisieren bzw. die Station führen. Natürlich ist eine solche Führungsrolle auch nicht einfach, denn ein Dienstplan ist oft eine Herausforderung. Und es ist durchaus verständlich, dass jemand, der ein Studium auf einer Universität oder FH absolviert hat, seine erworbenes Wissen entsprechend einsetzen möchte.
Der Beruf „Pflegefachassistenz“ wird von vielen Direktionen gar nicht gewünscht, die Ausbildung selbst kommt nicht wirklich in die Gänge.
Ich war schon in zwei Bundesländern unterwegs und dort wurde genau diese Problematik an mich herangetragen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man für die Ausbildung „Pflegefachassistenz“ über eine Art berufsbildende Schule abwickelt, wie es auch in anderen Bereich gemacht wird, um mehr Anreize zu bieten.
So wie eine 5-jährige Ausbildung mit Matura?
Ja, genau. Ich muss Anreize für die Jugendlichen schaffen, nicht nur bei den Medizinstudenten, sondern gerade im Pflegebereich, der mir sehr wichtiger. Pflegekräfte sind für mich eine der wichtigsten Berufsgruppen, weil sie näher beim Patienten und somit Menschen sind, als die meisten anderen Berufe.
Wir steuern trotz allem einem demografischen pflegerischen/ medizinischen „Supergau“ zu. Hier gibt es viele Ansätze, Handlungsoptionen und Ideen.
Was für mich faszinierend ist, dass es in den Bundesländern schon unterschiedliche Projekte gibt. Ich war erst in Kärnten, wo es einen alternativen Lebensraum gibt. Das sind sehr wohl Modelle, die für mich teilweise Best-Practice sind. In anderen Bundesländern existieren betriebliche Gesundheitsförderungen. Dies fällt zwar in einen anderen Bereich, aber es gibt schon überall Best-Practice-Modelle. Es gilt genau hinzuschauen, wo passt etwas und wer hat welche innovativen Ideen. Natürlich kann man nicht alle Dinge und Aktionen über einen Kamm scheren. Hier hängt viel von den geografischen und epidemiologischen Bedingungen ab. Was in einem Bundesland funktioniert, muss nicht zwingend woanders passen.
Im Regierungsprogramm gibt es den Satz „Den niederschwelligen Zugang zu der Gesundheitsversorgung sicherzustellen…“ Was meinen Sie damit?
Eine wohnortnahe inter- und multidisziplinäre Versorgung ist mir ein wichtiges Anliegen. Dazu sollen Primärversorgungseinheiten mit längeren Öffnungszeiten installiert werden. Deren Aufbau ist vor allem in den ländlichen Regionen von großer Bedeutung. Der Hausarzt sollte immer der erste Ansprechpartner sein. Er ist eine wichtige Anlaufstelle und genießt das Vertrauen der Region, für die er zuständig ist. Die Bevölkerung baut darauf. Es ist besonders wichtig, das soziale Umfeld eines Patienten / Bürgers zu kennen. Im niederschwelligen Zugang kann das der Arzt viel leichter. Dies ist im Gesundheitswesen besonders wichtig.
Und dies erfolgt im Netzwerk mit den PHCs?
PHCs sind wichtig. Nicht umsonst war es auch Plan der vorhergehenden Regierung diese Zentren zu bauen. Ich glaube aber, dass es besonders wichtig ist, dies im regionalen Kontext zu betrachten. In Oberösterreich gibt es, zum Beispiel zwei wirklich gut funktionierende PHCs, eines in Enns und eines in Haslach. Man muss besonders darauf achten, dass es nicht nur Gruppenpraxen, sondern wirkliche PHCs sind. Es gibt aber auch genügend andere Projekte, in denen Gesundheitsnetze gut eingebunden sind. In der Oststeiermark gibt es beispielweise das Styrianet. Hierbei wurden Ärzte und anderen Gesundheitsberufe wirklich gut vernetzt. Generell ist es überhaupt ein Thema für junge Ärzte. Ich habe mich auch sehr viel damit beschäftigt, was die Generation Y möchte, was sind die Herausforderungen von jungen Menschen und was will unser Ärztenachwuchs. Keiner möchte irgendwo alleine sitzen, alle arbeiten gern mit anderen Menschen im Netzwerk. Ein PHC würde hierzu den passenden Rahmen schaffen.
Da ist die Ärztekammer vermutlich nicht so erfreut darüber…
Nein, nicht wirklich, aber die Ärztekammer sieht das mittlerweile auch so, dass die Netzwerksituation für alle eine praktikable Möglichkeit ist.
In vielen Ländern gibt es sie bereits: Die Community Nurse. In Österreich würde es wahrscheinlich Gemeindeschwester oder „Grätzl-Schwester“ heißen. Wäre das für Sie ein Konzept, dass die Pflege noch mehr extramural betreut?
Ja, absolut. Ich finde das eine sehr gute Lösung. Ich bin davon überzeugt, dass im Gesundheitssystem oder aus Sicht der Gesundheitsversorgung, die Pflege mehr machen können sollte, sonst werden wir die Versorgung nicht mehr sicherstellen können. In der Vergangenheit ist zum Beispiel einmal das „Rote Kreuz“ mit dem Anliegen an mich herangetreten, dass die Krankenschwester Blutabnehmen darf, selbstverständlich unter der Aufsicht des Arztes. Mittlerweile geht man in diesem Bereich schon andere Wege. Man sieht, dass zu wenig Ärzte da sind und deshalb muss oder darf die Pflege mehr machen.
Seit dem neuen Gesetz dürfen Pflegepersonen „Weiterverschreibungen von bestimmten Produkten“ durchführen. Könnte dieser Paragraph erweitert werden? Z.B. bei bestimmten Medikamenten?
Nein, das kann ich mir für Medikamente nicht vorstellen, aber im Bereich Inkontinenz oder Wundversorgung sehr wohl.
Es würde die Situation oft wesentlich vereinfachen, wenn auch die Erstanordnung durch Pflegepersonal erfolgen würde. Benötigt es da wirklich einen Arzt als anordnende Person?
Das ist eine schwierige Frage. Ich würde schon sagen, dass hier eine ärztliche Aufsicht oder Erstverordnung notwendig ist, natürlich gemeinsam mit der Pflege. Natürlich verfügt die Pflege in manchen Bereichen Sepzialwissen, das werden auch viele Ärzte sagen. Die medizinische Aufsicht hat aber der Arzt, da sollte sich nichts ändern.
Im Neuen GuKG spricht man auch von erweiterten Kompetenzbereichen „Stufe 1 & 2“….
Das muss man schon mit Vorsicht betrachten. Die Medizin ist die Medizin und das soll auch so bleiben.
Welchen Fokus haben Sie beim Mutter-Kind-Pass?
Der Mutter-Kind-Pass wurde 1974 eingeführt und ist seitdem mehrfach überarbeitet worden. Im Grundsatz hat er sich aber bewährt. Hier gibt es aber noch eine Menge Optionen zur Erweiterung, vor allem auf zwei Ebenen. Aus diesem Grund wird der Mutter-Kind-Pass derzeit evaluiert. Es sollen dadurch neue Leistungen, wie beispielsweise die Zahnprophilaxe, dazukommen. Ein zweiter Schritt ist die Ausweitung auf 18 Jahre, ich bezeichne ihn jetzt mal als „Jugendpass“, wir haben hier noch keinen genauen Namen. Vorsorgeuntersuchungen müssen schon bei den Jüngsten begonnen werden und sollten sich bis ins Erwachsenenalter ziehen. Es gibt schon sehr viele adipöse Jugendliche. Diese Tendenzen sollten rechtzeitig erkannt werden. Der Jugendliche sollte lernen auf seine Gesundheit zu achten und regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen zu machen. Dies schließt die Mundhygiene beim Zahnarzt ein. Dass Eltern Einfluss auf die Haltung ihre Kinder nehmen, dies aber auch umgekehrt der Fall sein kann, zeigt sich beispielsweise beim Thema „Rauchen“. Wenn einem das eigene Kind oft genug sagt, dass „Rauchen böse ist“ und dass es weniger „g´scheit“ ist, erzielt das auch seine Wirkung. Das hat auch schon bei anderen Themen gut funktioniert.
Sie streben einen Ausbau der Kindermedizin an. Wie kann man sich das vorstellen?
Vor dem Hintergrund, dass es zu wenig Kinderfacharztstellen gibt, ist auf der einen Seite die Sozialversicherung gefordert, auf der anderen Seite haben wir zu wenig Kinderfachärzte – auch das ist ein Thema. Hier muss man auf jeden Fall Anreize schaffen. Wenn wir über Kindermedizin sprechen, müssen wir uns auch über Medikamente unterhalten. Es ist besonders darauf zu achten, dass hier die Kinderdosis gegeben wird. Da gibt es leider noch kaum Studien darüber. Wir brauchen hier unbedingt Empfehlungen, denn ein Kind braucht eine andere Dosis als ein Erwachsener. Natürlich ist in diesem Punkt auch die Pharmaindustrie gefordert. Gesamt gesehen hängt bei dieser Thematik viel zusammen.
Warum sind Ihrer Meinung nach Kinderärzte Mangelware?
Vielleicht weil die Anreize der Honorierung nicht so gut sind?
Was genau ist mit dem Gesundheitsbonus bei den SV gemeint?
Der Gesundheitsbonus soll im Sinne der Prävention die Eigenverantwortung der Patienten stärken. Die SVA hat beispielsweise vor mehreren Jahren ein System eingeführt, bei dem der Selbstbehalt um die Hälfte reduziert wird, sofern im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung gewisse Gesundheitsziele (z.B. Gewichtskontrolle) erreicht werden.
Ein weiterer Punkt im Regierungsprogramm ist der sogenannte „Facharzt für Allgemeinmedizin“…
Den Facharzt für Allgemeinmedizin gibt es beispielsweise in Deutschland. Die Ausbildung beinhaltet dort eine stationäre Basisweiterbildung in der Inneren Medizin und eine Weiterbildung in der ambulanten hausärztlichen Versorgung. Ob dieses Modell auch für Österreich geeignet ist, muss noch geprüft werden, ebenso wie die hierfür notwendigen Voraussetzungen und Qualifikationen. Diese Diskussion im Medizinstudium gibt es schon sehr lange. Hierbei geht es um die Gleichstellung mit den Fachärzten. Man muss nur aufpassen, dass sich die Ausbildung durch diese Idee nicht verlängert. Ein Aspekt, der mir hierbei persönlich wichtig ist, ist die Lehrpraxenfinanzierung. Dies muss unbedingt geregelt sein. Mitte Februar gab es zu diesem Thema eine eigene Pressekonferenz. Der zukünftige Allgemeinarzt soll nicht nur im Spital lernen, wo es auch sehr viel um die Institutionsabläufe geht, sondern auch in einer Arztpraxis eine gewisse „Lehre“ erhalten, daher auch der Begriff „Lehrpraxis“. Ich glaube, dass dieser Punkt sehr wichtig ist. Meiner Meinung nach steigert dies die Effizienz zwischen intra- und extramuralen Bereich.
Mittlerweile gibt es auch immer mehr Privatuniversitäten im Medizinbereich. Viele Akademiker finden diese Entwicklung suboptimal. Wie sehen Sie das?
Private Universitäten für Medizin gibt es ja auch bereits in Österreich. Ich hatte vor einigen Tagen den Rektor der Medizinuni Wien als Gast. Hier haben wir genau über diesen Punkt gesprochen. Das sind einfach neue Herausforderungen. Ich würde sagen, für beide. Ein gewisser Wettbewerb schadet in der Wissenschaft nicht, aber man muss auch sicherstellen, dass die Qualitätsstandards vorhanden sind und eingehalten werden.
International sind diese medizinischen Hoch- und Privatschulen immer populärer. Die alten Institutionsarten scheinen passé.
Das stimmt absolut und mir tut es immer leid. Die medizinische Schule hatte früher einen Stellenwert, jetzt ist es leider nicht mehr so.
Nächster Punkt im Programm sind die Disease Management Programme. Welche DMPs sollen ausgebaut werden, welche sind noch angedacht?
Die Stärkung der integrierten Versorgung bei chronischen Krankheiten ist im Regierungsprogramm verankert. Es gibt so viele internationale Studien, die zeigen das DMPs (Disease Management Programme) sinnvoll sind und die aufzeigen, wo diese Programme sinnvoll einzusetzen sind. Gerade die DP-Tests sind in erster Linie bei Diabetes, Herzinsuffizienz, anderen koronaren Erkrankungen oder Lungenerkrankungen wie COPD einzusetzen. Dies sind die klassischen DMPs, welche sinnvoll sind. Bei anderen Erkrankungen macht dies weniger Sinn, dies sieht man auch in den internationalen Forschungen und Bestrebungen.
Qualität in der Langzeitpflege – Wie möchten Sie die Finanzierung der Langzeitpflege und Langzeitbetreuung sicherstellen, damit österreichweit, extra- und intramural, die gleiche sehr gute Qualität gewährleistet ist?
Langzeitpflege stellt einen wichtigen Bereich für rund 450.000 Bezieher von Pflegegeld dar. Im Wesentlichen handelt es sich bei der Finanzierung aber um eine Aufgabe der Länder. Mir ist wichtig, dass eine flächendeckende und bedarfsorientierte Pflege sichergestellt wird, bei der die Bedürfnisse und Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen sowie deren Angehörigen auf jeden Fall im Vordergrund steht. Damit auch die Qualität in der häuslichen Pflege gesichert wird, erfolgen jährlich rund 20.000 Hausbesuche durch diplomierte Pflegefachkräfte bei Bezieher/-innen von Pflegegeld mit dem Ziel Informationen, Beratung und Pflegetipps zu geben.
Im Regierungsprogramm steht auch „Case-Management als Lösungsweg mit Lotsenfunktion“. Was kann man sich darunter vorstellen?
Das Casemanagement ist vor allem in der Langzeitpflege ein wichtiges Instrument. Die Zuständigkeit liegt bei den Ländern, es kann aber aus Mitteln des Pflegefonds gefördert werden. Dies wäre für mich auch ein Part einer „Gemeindeschwester“, wenn sie so wollen. Sie könnte eine gewisse Lotsenfunktion übernehmen. Was hier gemeint ist, ist das Telefon-Triage-System.
Könnten sie sich vorstellen, dass diese Gemeindeschwester eine eigene Ordination hat?
Nein, das stelle ich mir anders vor. Für mich steht hier die interdisziplinäre Zusammenarbeit in PHCs im Vordergrund. Hier könnten alle im Netzwerk zusammenarbeiten. Mit „alle“ meine ich nicht nur die Pflege, sondern wirklich alle Gesundheitsberufe, also auch die Logo- und Ergotherapeuten, Hebammen etc.
Und in den Regionen ohne PHCs?
Hier gilt es, ein Netzwerk zu schaffen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Telemedizin. Die Digitalisierung bietet uns neue und viele Möglichkeiten, die Versorgung in schwächeren Regionen zu sichern. Auch im Pflegebereich könnte man mit diesem Werkzeug viel etablieren.
„Pflegende Angehörige“, wie werden Sie diese Gruppe unterstützen?
Personen, die einen Angehörigen pflegen, haben Respekt und Anerkennung verdient. Ich schätze die Arbeit, die von den Pflegenden tagtäglich geleistet wird. Daher ist es mir auch wichtig, dass diese entlastet werden. Einerseits erhalten pflegende Angehörige im Rahmen der ,,Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege‘‘ im Zuge von Hausbesuchen durch diplomierte Pflegefachkräfte aktuelle Informationen und Tipps für die Pflege. Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, den Angehörigen in dieser psychisch belastenden Situation eine psychologische Unterstützung anzubieten. Zukünftig sollen auch die Angebote zur Erholung, aber auch Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit für pflegende Angehörige ausgebaut werden. Die pflegenden Angehörigen haben noch weitere Herausforderungen zu meistern. Da ist zum Beispiel der berufliche Kontext, wie sie ihren Lebensalltag und den der zu Pflegenden arrangieren. Damit sich diese vulnerable Gruppe eine Auszeit nehmen kann, müssen neue Möglichkeiten geschaffen werden. Ein weiterer Punkt ist die Informationsmöglichkeit. Dies fängt bei den Patientenrechten an und geht über die Informationen, wo ich welche Unterstützung erhalten kann. Nur so können pflegende Angehörige Kraft sammeln und dann wirklich ihre Liebsten unterstützen.
In der Wahl wurde der Pflegeregress abgeschafft. Für mich ist das sehr interessant, da ich dahinter keine Finanzierungskonzepte erkennen konnte. Was sagen Sie als Controllerin zu solchen „Wahlgeschenken“?
Ich gebe Ihnen recht, für mich ist das auch sehr interessant. Es wurde gesetzlich sehr schnell oder zu schnell geregelt. Bei diesem Punkt haben wir die Herausforderung, dass die Länder uns eigentlich nicht sagen „Wie viel macht es denn aus“. Der Finanzminister und ich warten hier auf die konkreten Berechnungen der Mehrkosten seitens der Länder Zahlen. Menschen wollen lieber zu Hause gepflegt und betreut werden. In diesem Bereich arbeiten immer weniger Menschen, da die Berufe immer unattraktiver werden. Auch wenn die 24 Stunden Betreuung nicht zur Pflegeprofession gehört, ist sie ein wichtiger Bestandteil in unserem Gesundheitswesen. Wie sehen sie das?
Auch die Betreuung nimmt eine wichtige Rolle war. Es ist nicht die klassische Pflege im engeren Sinn, aber es ist eine Betreuung, die wirklich notwendig ist.
Gibt es Ideen zum Thema 24-Stunden-Betreuung?
Ja, zu diesem Thema arbeiten wir schon mit der Wirtschaftskammer zusammen. Wir wollen für die Agenturen Qualitätsstandards und Gütesiegel, die gemeinsam erarbeitet werden. Auch die Wirtschaftsministerin befürwortet dieses Unterfangen. Als erster Punkt stehen die Agenturen im Fokus, in weiterer Folge möchten wir die BetreuerInnen unterstützen. Gerade die Kommunikation steht hier als oberstes Ziel, welche durch Deutschkurse verbessert werden soll. Die Wirtschaftskammer ist bei diesem Punkt schon sehr initiativ, z.B. gibt es in der Slowakei bereits Deutschkurse vor Ort, die Betreuungspersonen angeboten werden.
Was sind Ihre nächsten Pläne für das Gesundheitswesen?
Der erste Punkt, der sich gerade in Umsetzung befindet, ist die Notfallsicherung. Hier haben wir große Herausforderungen. Im Fokus sind hier derzeit die Ärzte im Spitalsraum. Sie brauchen einfach mehr Spielraum und müssen auch die Option haben, im Notdienst fahren zu können. Dies ist nicht nur in Wien, sondern ein österreichweites Thema. Die Spitalsärzte wollen das, aber die Ärztekammer sieht das in manchen Dingen etwas anders. Es ist wie so oft, dass die Ärzte das anders sehen als die Ärztekammer. Die Notfallsicherung ist ein wichtiger Bestandteil in der Versorgung und wir müssen uns diesen Bereich noch weiter ansehen. Das Wichtigste ist, die Gesundheitsversorgung zu sichern und die Wartezeiten zu reduzieren. Wir wollen den „Spitalskompass“ und „kliniksuche.at“ zusammenfassen, um mehr Transparenz für den Patienten zu schaffen. Ich sehe dies als einer meiner wichtigsten Herausforderungen. Der Bürger bzw. der Patient soll spüren, dass er in unserem Gesundheitssystem sicher ist. Dass er, wenn er etwas braucht, auch entsprechend medizinisch und pflegerisch versorgt ist.
Nun würde mich noch ein wenig, die Person „Mag. Hartinger-Klein“ interessieren. Sie wurden von der „Controllerin“ zur „Bundesministerin für Gesundheit und Soziales“. Wie kommt eine Controllerin auf einen solchen Wechsel?
Weil sie etwas verändern will.
Was hat Sie dazu bewogen, ins Gesundheitswesen zu gehen?
Ich habe Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert. Eigentlich hatte ich auch gar nicht vor, im Gesundheitswesen zu landen. Man kann auch sagen, es war eher ein Zufall, doch gibt es im Leben wirklich solche „Zufälle“? Mein Weg führte mich in die steirische Krankenanstalten GesmbH. Hier wurde ich Leiterin der internen Revision. Aus dieser Zeit habe ich viel Erfahrungen für weitere Herausforderungen mitgenommen. Für mich war aber schon viel früher klar, dass ich mehr wollte, als reines Finanzcontrolling. Fragen wie „Wie kann ich sehen, dass die Dinge beim Menschen ankommen?“, „Wie kann man die Primare unterstützen?“, „Wie kann man die Pflege unterstützen?“ waren für mich stets essenziell. Es geht nicht nur um Finanzcontrolling, sondern um den Menschen an sich. Das ist das, was ich gerne mache und sich komplett durch meinen Lebenslauf zieht. Ich begleitete diese Thematik schon an so vielen verschiedenen Stellen. Durch diese Reise in der Gesundheitslandschaft kenne ich sämtliche Systempartner sehr gut und weiß dadurch auch, wo man wirklich ansetzen kann.
Ihr Gatte ist ein bekannter Pflegeethiker, der auch in diversen Einrichtungen unterrichtet. Gibt es bei Ihnen dadurch regelmäßig Diskussionen über Pflegethemen?
Ja natürlich, schließlich sind das Themen, die bewegen. Wir führen darüber intensive Diskussionen. Mein Mann kann philosophieren und ich bin die Maßgebliche (lacht). Es geht nicht, Diskussionen außen vor zu lassen. Dazu sind wir beide in unseren Bereichen viel zu engagiert, da würde ein „Stillschweigen“ gar nicht funktionieren.
Bisher haben Sie noch keine Interviews gegeben. Sie haben mich heute wirklich sehr überrascht.
Sie sehen, auch wenn ich noch keine Interviews im Gesundheitsbereich gegeben habe, habe ich schon einige Maßnahmen gesetzt.
Was wollen Sie unseren Pflegepersonen in Österreich noch mit auf den Weg geben?
Ohne Pflege geht gar nichts.
Und der Ärzteschaft?
Wertschätzung ist ein Thema, das allen entgegengebracht werden muss.
Ich danke wirklich allen Gesundheitsberufen sehr, dass sie am Patienten arbeiten und dem Patienten dienen, weil dies eine absolute Herausforderung ist. Ich beneide wirklich niemanden um diese Aufgabe und möchte wirklich meine Hochachtung aussprechen. – Bundesministerin Mag.a Hartinger-Klein