Pflege Professionell: Sind Sie mit unserem Gesundheitssystem zufrieden?
Alexander Van der Bellen: Österreich hat im internationalen Vergleich ein gutes Gesundheitssystem, in dem ich mich gut aufgehoben fühle. Damit das so bleibt bzw. noch besser wird, wäre es sicherlich sinnvoll, die Primärversorgung zu stärken, auch um Krankenhäuser zu entlasten. Sehr wichtig sind alle Maßnahmen, die einen gerechten Zugang für alle zum Gesundheitssystem sichern, um einer Mehr-Klassenmedizin vorzubeugen. Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation sollten aus meiner Sicht ausgebaut werden.
Pflege Professionell: Welchen Beitrag könnten Sie als Bundespräsident zum Gesundheitswesen leisten?
Alexander Van der Bellen: Die gesellschaftliche Anerkennung der im Gesundheitswesen Beschäftigten ist mir wichtig und ich werde auf das Prinzip einer öffentlich finanzierten, solidarischen Gesundheitsversorgung pochen.
Pflege Professionell: Anhand der demografischen Entwicklung wird aus dem Gesundheitswesen ein wirtschaftliches „Fass hne Boden“. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Alexander Van der Bellen: Es ist eine erfreuliche Entwicklung, dass die Lebenserwartung in Österreich hoch ist und noch weiter ansteigt. Das „Fass ohne Boden“ möchte ich zurückweisen. Es nimmt zwar der Anteil der Personen über 65 in der Gesellschaft zu, aber diese Personengruppe ist gesünder als dies vor 20 oder 30 Jahren der Fall war. Im Gesundheitssystem ist aus Sicht von Experten grundsätzlich genug Geld vorhanden, es ist nur zwischen den einzelnen Versorgungsebenen nicht optimal verteilt. Das gemeinsame Ziel muss die Sicherstellung einer optimalen Krankenversorgung sein.
Pflege Professionell: Was würden Sie der Regierung zu diesem Thema mit auf den Weg geben?
Alexander Van der Bellen: Drei Punkte erscheinen mir zentral: Der gerechte Zugang für alle zu einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem, die Stärkung der Primärversorgung und die Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention.
Pflege Professionell: Worin sehen Sie die entscheidenden Hebel damit auch unsere Kinder und Kindeskinder noch ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem zur Verfügung haben?
Alexander Van der Bellen: Um ein gutes und solidarisch finanziertes Gesundheitssystem auch in Zukunft zu haben, braucht es in erster Linie ein politisches Bekenntnis der Parteien, dieses haben zu wollen. Und die Menschen werden sich dafür einsetzen, wenn sie das Gefühl haben, einen gerechten und egalitären Zugang zum Gesundheitssystem zu haben. Eine Mehr Klassen-Medizin wäre dieser Entwicklung nicht förderlich, sondern würde Privatisierungstendenzen befördern.
Pflege Professionell: Wie stehen Sie zu einer Privatisierung des Gesundheitssektors, um die Wirtschaftlichkeit zu erhalten?
Alexander Van der Bellen: Das solidarische Gesundheitssystem wird dann in Frage gestellt, wenn es trotz gleicher Krankenkassen-Beiträge zu viele Unterschiede in den Leistungen und im Zugang zum System gibt. Deshalb verlassen ja auch immer mehr Menschen, die es sich leisten können, das Kassen-System, um eine für sie optimale medizinische Versorgung zu erhalten. Es ist Aufgabe der Gesundheitspolitik, die kassenärztliche Versorgung so zu organisieren, dass sie für die Versicherten optimale Ergebnisse bringt.
Pflege Professionell: Welchen Einfluss würden Sie geltend machen damit unser Gesundheits- und Sozialsystem keine Spielwiese für Spekulanten und Geschäftemacher wird?
Alexander Van der Bellen: Zum Teil sind die Kompetenzen im Gesundheits- und Sozialsystem verfassungsrechtlich abgesichert, sodass die Regierungsparteien hier schon eine große Hürde nehmen müssten. Schlussendlich liegt die Verantwortung dafür aber bei der Bundesregierung, auf die ich ein wachsames Auge haben werde.
Pflege Professionell: Durch die Veränderungen und die Arbeitssituation werden Angestellte im sozial- und medizinischen Bereich immer unzufriedener. Menschen gehen in ihren Jobs an die Leistungsgrenze. Mittlerweile ist die Unzufriedenheit so groß, dass immer mehr ÄrztInnen und Pflegepersonen auf die Straße gehen und demonstrieren. Wie treten Sie dem entgegen?
Alexander Van der Bellen: Eines vorweg: Der Bundespräsident ist nicht der Ersatz-Gesundheitsminister in der Hofburg. Ich bin der Überzeugung, dass eine gute Krankenversorgung vor allem auf ein sehr gut ausgebildetes und zufriedenes Gesundheitspersonal angewiesen ist. Die hohe psychische und physische Belastung der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe, der Ärzte und Ärztinnen, der medizinisch-technischen Dienste sowie aller anderen Gesundheitsberufe hat zur Folge, dass die Verweildauer in den Gesundheit berufen immer kürzer wird und sich Resignation einstellt, was ich nachvollziehen kann.
Pflege Professionell: Die Kranken- und Altenpflege ist schon seit Jahrzehnten multikulturell aufgestellt. (Fast die Hälfte der Pflegepersonen haben einen Migrationshintergrund) Welche Chancen sehen Sie hierbei fürs Gesundheitswesen?
Alexander Van der Bellen: Die Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsdienstleistungen wird auch von Menschen mit Migrationshintergrund in den nächsten Jahren zunehmen. Pflege- und Betreuungskräfte, die selber Migrationshintergrund haben, sind daher eine sehr wichtige Ressource. Sie bringen neben der deutschen Sprache noch andere Sprachen mit in ihren Beruf ein und sind zudem Wissenslieferanten im Umgang mit unterschiedlichen Kulturen.
Pflege Professionell: Die Pflege wird noch immer unterbezahlt. Obwohl die meisten Menschen in diesem Job schwere Schichtdienste mit hoher Belastung machen, zählt dieser Beruf noch immer als unterbezahlter „Frauenberuf“. Wie könnte man dies ändern?
Alexander Van der Bellen: Österreich braucht auch in den nächsten Jahren ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte, die trotz enormer Herausforderungen gerne in Gesundheits- und Pflegeberufen arbeiten und auch nach mehreren Jahren noch motiviert und körperlich leistungsfähig sind. Das wird die Gesundheitspolitik der Zukunft leisten müssen.
Pflege Professionell: Wo sehen Sie die österreichische Pflege in fünf Jahren?
Alexander Van der Bellen: Pflege wird in Österreich zum überwiegenden Teil informell und innerhalb der Familie (vor allem von Frauen) erbracht. Der Trend, dass sich pflegende Angehörige professionelle Unterstützung holen, wird weiter zunehmen. Die Nachfrage an Pflegediensten wird also weiter steigen. Zum einen bedeutet das Investitionen in den Ausbau von Pflege- und Betreuungskosten, auf der anderen Seite entstehen dadurch neue Arbeitsplätze im Bereich der Gesundheits und Sozialberufe. Und das ist eine gute Nachricht.
Pflege Professionell: Eine Therapie stiftet evidenzbasiert nicht den erwarteten Nutzen. Zum Beispiel eine Chemotherapie mit weniger als drei Monate Lebensverlängerung. Was halten Sie in solchen Fällen von nutzabhängigen Selbstbeteiligung durch die Versicherten selbst?
Alexander Van der Bellen: Die Krankenbehandlung darf nicht zu einer Frage der persönlichen finanziellen Verhältnisse werden.
Pflege Professionell: Die Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich ist in vielen Bereichen sehr erfolgreich, die Überlebensrate in Österreich zum Beispiel bei kindlichen Krebserkrankungen ist bei über 85%, was international einen Topplatz einräumt und für die großartige Leistung unserer Health Professionals aber auch für unser Gesundheitssystem! Kinder und Jugendliche in Österreich haben aber noch immer sehr eingeschränkte Möglichkeiten, eine adäquate Rehabilitation und Nachbetreuung zu bekommen. Wie stehen Sie persönlich zu diesem wichtigen Thema, sehen Sie Handlungsbedarf?
Alexander Van der Bellen: Das Regierungsprogramm der amtierenden Bundesregierung enthält die Zusage im Bereich der Kinder- und Jugendrehabilitation entsprechende Kapazitäten zu schaffen. Meines Wissens läuft gerade das Ausschreibungsverfahren, sodass hoffentlich bis Jahresende konkrete Fakten und ein Zeitplan für die Umsetzung am Tisch liegen.
Pflege Professionell: Wollen Sie den Menschen in Gesundheitsberufen noch ein paar Worte zukommen
lassen?
Alexander Van der Bellen: Ich bedanke mich bei allen Menschen, die einen Gesundheitsberuf ausüben, dass sie für die Patientinnen und Patienten vorbehaltlos da sind, obwohl sie im Berufsalltag mit zum Teil sehr schwierigen Arbeitsbedingungen konfrontiert sind. Ich habe mich sehr gefreut zu hören, dass es mittlerweile eine eigene Plattform bestehend aus Ärzten, Ärztinnen und in Pflegeberufen Aktiven gibt, die mich unterstützt. Vielen Dank!
Das Interview wurde zuerst in der Ausgabe Pflege Professionell 4/2016 publiziert.