Nun ist es endlich soweit. Die Politik hat das „MEGAthema“ der Pflege endlich entdeckt. Eine Fülle an Aufgaben warten auf nachhaltige Lösungen. Betroffen sind hierbei nicht nur Pflegefachkräfte, die im GuKG 2016 beschrieben werden, sondern auch nahezu 1 Million pflegende Angehörige in Österreich und mehr als 460.000 Pflegegeldbezieher/innen. Dies alles im Angesicht der mittlerweile bekannten demografischen Entwicklung und der Zunahme der multimorbid, hochaltrigen Menschen, also der Generation 80 plus, die im Jahre 2050 mehr als eine Million Mitbürger/innen stellen werden. Gleichzeitig steigt mit der genannten Bevölkerungsentwicklung die Pflegebedürftigkeit stark an.
Viel ist zu tun und es bleibt zu hoffen, dass sich die nächste Bundesregierung zu darstellbaren Taten durchringen kann. Den Fokus auf die Ankündigungen von Absichtserklärungen und auf die Frage der Finanzierung der Pflege zu lenken ist zu wenig.
Der Beitrag konzentriert sich primär auf die Herausforderungen im Langzeitpflegesektor und den mobilen Diensten.
Pflegeprävalenz nach Alter (Pflegegeldbezieher/Innen Ende 2018)
Versorgungslandschaft in Österreich
Ein immer wiederkehrendes Erstaunen bei vielen Meinungsmachern und Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen vollzieht sich durch die Vorstellung der aktuellen Versorgungslandschaft in Österreich. Denn die pflegenden Angehörigen gemeinsam mit den mobilen Diensten werden meist übersehen. Alleine diese beiden Gruppen machen jedoch beinahe drei Viertel der Pflege und Betreuung aller Pflegegeldbezieher/innen aus. Der Rest verteilt sich auf die 24 h Betreuung, auf Tageszentren und mit 18% auf die stationäre Langzeitpflege.
Selten harmoniert eine ökonomisch sinnvolle Maßnahme, nämlich die Forcierung bzw. der Ausbau der mobilen Dienste, so deutlich mit dem klaren Wunsch der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, möglichst lange selbstbestimmt zuhause wohnen zu können.
Da fragt man sich doch, warum nicht schon früher die Förderung von gut leistbaren Dienstleistungen aus dem breiten Portfolio der Träger von mobilen Diensten von politischer Seite erkannt und ausreichend unterstützt wurde?!
Noch dazu ist das Angebot der mobilen Dienste um ein Vielfaches günstiger als die stationäre Versorgung und Betreuung von älteren Menschen. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass auch in den Pflegeheimen hochprofessionelle Arbeit geleistet wird! Dieser Artikel ist sicherlich kein Versuch ein auseinanderdriften von Pflegesettings zu betreiben. Klar ist aber auch, dass die mobilen Dienste nicht nur für den hilfesuchenden Pflegebedürftigen günstiger angeboten werden müssen, sondern es bedarf auch einer massiven Unterstützung von pflegenden Angehörigen, die gegenwärtig zur schweigenden Mehrheit in der Versorgungslandschaft zählen.
Der Wunsch der breiten Bevölkerung, nämlich trotz Alter und Krankheit so lange wie möglich zu Hause bleiben zu können, ist evident und darf nicht fortlaufend ignoriert werden. Noch dazu finden sich quantitativ die meisten Pflegegeldbezieher/innen in den ersten drei Stufen wieder. In diesem Zusammenhang sei die Eintrittshürde der Pflegestufe 4 zur Aufnahme in Langzeitpflegeeinrichtungen kurz erwähnt, die in diesem Kontext nicht übersehen werden soll.
Für alle Pflegegeldbezieher/innen gilt leider, dass ein massiver Kaufkraftverlust zu beklagen ist. Das bestehende Pflegegeld müsste um etwa ein Drittel erhöht werden, um einen Ausgleich des Wertverlustes seit 1993 darzustellen. Eine Ungerechtigkeit, die bisweilen noch wenig in politischen Diskussionen angezeigt wurde. Auf alle Fälle ist der Wertverlust des Pflegegeldes ein Indikator dafür wie wir als Gesellschaft und als verantwortungsbewusste politische Würdenträger mit unserer älteren Bevölkerung umgehen, wenn das Lebensrisiko der Pflegebedürftigkeit eintritt.
Pflegereform rasch aber weitsichtig umsetzen
Für mich persönlich zählt die Nachhaltigkeit der pflegepolitischen Entscheidungen mehr, als die bloße Geschwindigkeit. Mit raschen Entscheidungen, die sich im Nachhinein als nicht sehr brauchbar erwiesen haben, hat wohl jeder gelernte Österreicher so seine Erfahrungen. Leider muss im politischen Alltag die Problemstellung immer bereits fünf vor zwölf anzeigen, damit endlich ein Beginn der Thematisierung von Lösungsansätzen erfolgt.
Viel zu lange wurde gezögert und abgewartet, obwohl die Herausforderungen rund um die Pflege, und hier speziell im Langzeitpflegesektor, seit vielen Jahren bekannt sind. Wie vor kurzem medial berichtet fehlen laut WIFO bis zum Jahr 2030 in Österreich 24.000 zusätzliche Pflegefachkräfte und davon 15.000 alleine im Langzeitpflegesetting. Wie bekannt benötigen Menschen die sich heute für eine Pflegeausbildung entscheiden einen dementsprechenden zeitlichen Vorlauf (je nach Qualifikationsniveau) und am besten noch etwas praktische Erfahrung um zielgerichtet und erfolgreich im Beruf bestehen zu können. Es ist also höchste Zeit sich um den Nachwuchs aktiv zu bemühen.
Dazu passend ist die Erhebung des Personalbedarfs in allen Pflegesettings die vom BMASGK in Auftrag gegeben wurde, selbstverständlich zu begrüßen, um überhaupt zu wissen von welchem Grad an Personalmangel man ausgehen muss. Mir scheint es auch von besonderer Bedeutung hier klar zu betonen, dass es ein MEHR an Pflege Professionisten bedarf. Die pflegefachlichen Herausforderungen und die Komplexität der jeweiligen zu Pflegenden steigen in allen Pflegesettings. Dieser Umstand muss den politisch Verantwortlichen klar werden. Wir leben in einer rasch alternden Gesellschaft, in der leider die gesunden Lebensjahre im europaweiten Vergleich nicht zum Besten bestellt sind und Polypharmazie, vielfach chronische Erkrankungen und vieles mehr zur sichtbaren Realität im Alter zählen.
Die Gesellschaft und die Pflegelandschaft selbst ist gegenwärtig nicht auf den Grad der Multimorbidität vorbereitet, der uns in naher Zukunft erwartet. Hier braucht es Pflegeprofis die genau wissen was sie tun und was sie lassen müssen, d.h. wo der richtige Ansprechpartner zu finden ist und wie die Prioritäten zu setzen sind. Nicht die Pflege nach der Stoppuhr, die mangels Ressourcen und der Setzung von falschen Schwerpunkten weit verbreitet ist, kann hier die Zukunftsansage sein. Es bedarf einer konsequenten Orientierung nach der Ergebnisqualität in Pflege und Betreuung. Genauso muss eine überbordende Bürokratie und die strukturelle Behinderung von Pflege beseitigt werden. Lasst die Pflegeprofis arbeiten und sorgt für die rasche Umsetzung der Möglichkeiten, die im neuen Berufsrecht (GuKG 2016) geschaffen wurden, wäre ein Appell an die Politik und an die Träger!
Mehr finanzielle Ausstattung in der Langzeitpflege unumgänglich
„Die Ausgaben für die Langzeitpflege im europäischen Vergleich sind als unterdurchschnittlich zu bewerten. Ein Blick über die Grenzen verdeutlicht, dass die Gesamtausgaben für Pflege und Betreuung hierzulande – ebenso wie der Versorgungsgrad mit professionellen Pflegediensten – im Vergleich zu den übrigen west- und nordeuropäischen Ländern deutlich unterdurchschnittlich sind: So belaufen sich nach Berechnungen der OECD die privaten plus öffentlichen Gesamtausgaben in Österreich auf etwa 1,5% des Bruttoinlandprodukts, in den skandinavischen Ländern sind es bis zu 3,5%.“ Quelle: Aktuelle und künftige Versorgungsfunktion der mobilen Pflege- und Betreuungsdienste in Österreich. Ulrike Amira-Mühlberger, Matthias Fargo, 2018.
Gesamtausgaben für stationäre und häusliche Pflege im europäischen Vergleich
Ja zu Imagekampagnen für die Pflege – aber nicht ausschließlich!
Imagekampagnen zu starten ist ja ein lobenswertes Unterfangen, aber viel wichtiger sind wohl folgende Punkte für eine gelungene, nachhaltige Pflegereform:
- Gleiche Bezahlung in allen Pflegesettings, bei gleicher Ausbildung
- Für regelmäßige Supervision, Fallbesprechungen, Teamentwicklungen, ethische Fallbegleitung sorgen
- Keine Pflege nach der Stoppuhr – Zeitressourcen schaffen
- Möglichst hoher Grad an Dienstplanstabilität, um auch seine Freizeit planen zu können
- Bundeseinheitliche Qualitätsstandards für eine optimale Pflege
- Mobile Dienste und stationäre Langzeitpflegeeinrichtungen mit ausreichend Finanzmittel versorgen, um den Trägern auch Spielraum zur Umsetzung optimaler Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Einen maßgeschneiderten, individuellen Dienstleistungsmix anbieten
- Prävention und Gesundheitsförderung mehr Gewicht verleihen, vorbeugende Pflegeberatungsgespräche zu Hause anbieten (Hier könnte man sich viel Leid und Kosten ersparen – also eine „Win-Win“ Situationen etablieren)
- Die Attraktivierung der Pflege als Beruf stärken, im speziellen für den Langzeitpflegesektor, wo der Bedarf in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen wird
- Wiedereinsteiger/innen für den Beruf begeistern und finanziell ermöglichen
- Für ein multidisziplinäres Miteinander auf Augenhöhe sorgen (das endet nicht bei der Auswahl von Expertinnen und Experten aus allen Pflegesettings in politischen Beratungsgremien!)
- Keine Kostenverteilung zwischen Gesundheitswesen und Sozialhilfelogik – kein unwürdiges Spiel weiter kultivieren – hin zur Kostentransparenz, im Sinne einer verantwortungsbewussten Politik und eine Finanzierung aus einer Hand
- Jährliche Valorisierung des Pflegegeldes, um Gerechtigkeit auch für die Pflegebedürftigen zu erwirken
- Die tatsächliche Entlastung von pflegenden Angehörigen umsetzen, die auch in ihrer Quantität in Zukunft nicht mehr werden. Beratung, fachliche Begleitung und Schulungen, Kurzzeitpflegeangebote, Tageszentren ausbauen und finanziell leistbar gestalten
- Den Pflegeberuf als sinnvolle Arbeit mit Jobgarantie, tollen Erfahrungen mit Zukunft unterstreichen. Die Vielfalt der Möglichkeiten aufzeigen und für durchgängige Karrieremodelle sorgen, …
Mein Beitrag soll als Anstoß zu einer fundierten Pflegereform dienen und Optionen aufzeigen, die von Bedeutung für alle Beteiligten sind. Die konzentrierte Aufmerksamkeit auf die Kostenfrage im Kontext Pflege alleine erbringt noch keine nachhaltigen Lösungen. Wenn jedoch das Augenmerk darauf gelegt wird so soll der hohe volkswirtschaftliche Multiplikator von Investitionen in die Pflege im Sinne der darstellbaren Wertschöpfungsketten nicht zur Gänze übersehen werden. Genau so wenig wie das hinlänglich bekannte Einsparungspotential im österreichischen Gesundheitswesen, ohne Qualitätsverlust, dass laut Bundesrechnungshof mehrere Milliarden Euro beträgt. Das Argument der klammen Kassen kann nicht gelten, wenn einerseits vorhandene Ressourcen nicht erkannt werden und andererseits sinnvolle strukturelle Maßnahmen nicht zur Umsetzung kommen. Die bestehende Kompetenzzersplitterung, ein ineffizienter Mitteleinsatz, zu geringes Engagement bei Präventivmaßnahmen, … sind nur einige Baustellen, die wohl näher zu beleuchten sind. Aber ich denke da bedarf es noch weitere konstruktive Betrachtungen, …