„Hilfe vor Ort“ in Griechenland ist keine Lösung. Humanitäre Hilfe nach dem Brand war dennoch notwendig.

10. Oktober 2020 | Politik | 0 Kommentare

Die katastrophalen Zustände, unter denen Flüchtlinge auf den griechischen Ägäis Inseln leben müssen, sind nicht erst seit dem Brand des Lagers in Moria auf der Insel Lesbos bekannt. Die Situation ist auch in den Lagern auf den anderen griechischen Inseln Samos, Chios, Leros und Kos katastrophal. In all diesen Lagern leben Kinder, Alte und Kranke ebenfalls unter katastrophalen und völlig würdelosen Bedingungen. Es besteht dringender Handlungsbedarf.  Es gibt hunderte dokumentierte Fälle von Personen, die aus medizinischen Gründen eigentlich rasch aus den völlig überfüllten Lagern evakuiert werden müssten.

Seit Jahren muss diese Art der „Unterbringung“ als schwere Menschenrechtsverletzung bezeichnet werden, die das gemeinsame EU-Recht verletzt. Für Griechenland gelten die gleichen Regeln wie für alle anderen EU Mitgliedsstaaten. Die Europäische Grundrechtecharta verlangt die uneingeschränkte Wahrung der Menschenwürde.

Diese Zustände sind jedoch keine Art Naturkatastrophe, die mit Katastrophenhilfe gelindert werden könnte. Es ist eine Art von Geiselhaft, die hier von der griechischen Regierung regelrecht inszeniert wird um durch das sichtbare Elend, in dem Flüchtlinge dort leben müssen, andere Menschen abzuschrecken sich ebenfalls auf den Weg nach Griechenland zu machen.

Neben dieser inhumanen Abschreckungspolitik, werden aber sogar Menschen, die sich bereits in Sicherheit auf dem griechischen Festland wähnten und in Flüchtlingscamps untergebracht waren, abermals in Gefahr gebracht. Sie werden bei Nacht und Nebel aus ihren Betten gezerrt und mit manövrierunfähigen Schlauchboten auf dem offenen Meer ausgesetzt. Dort werden sie ihrem Schicksal überlassen. (Das berichtet Samuel Schumacher mit Bezug auf die New York Times.)
Solche illegalen Zurückweisungen, genannt „Push-Backs“ sind kriminelle Handlungen und ein offener Bruch elementarer Menschenrechte. Sie häufen sich derzeit in einigen Ländern Europas.

Humanitäre Hilfe nach dem Brand war notwendig – ist aber keine Lösung

Das Lager Kara Tepe, in das mehr als 9.000 Menschen gedrängt wurden, ist ungeeignet als dauerhafte Lösung. Schutzsuchende können dort nicht angemessen versorgt werden. Es liegt nicht nur direkt am Meer – und ist somit extremen Wetterbedingungen ausgesetzt. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ berichtet, dass es dort keinen ausreichenden Zugang zu Wasser, Sanitäreinrichtungen, Nahrung und medizinischer Hilfe gibt. Mehrere Familien müssen sich ein Zelt teilen, in Großzelten müssen bis zu 200 Männer leben. „Es gibt bereits unzählige COVID-19-Infektionen; unter diesen Umständen ist es inakzeptabel dort tausende Menschen auf engstem Raum unterzubringen – damit wird das Lager de facto zu einer Corona-Brutstätte,“ ist Laura Leyser, die Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich, überzeugt.
‚Hilfe vor Ort‘, die im Bauen von neuen Lagern besteht, heißt nur: Ausbau und Verlängerung eines bereits seit langem unhaltbaren Zustands. Die österreichische Regierung sollte dazu keinen Beitrag leisten.

Die grauenhaften Lager auf den griechischen Inseln sind unter strengster Beobachtung der EU-Agenturen Frontex und EASO entstanden. Und es geschieht vor unseren Augen, in einem Mitgliedsland der EU. Der griechische Staat, die EU-Kommission und die europäischen Staats- und Regierungschefs sind seit vier Jahren nicht in der Lage und auch nicht gewillt diese Schande Europas zu beenden. Ganz offensichtlich sind die Zustände gewollt.

Deshalb lassen sich die menschenunwürdigen Verhältnisse auch nicht durch Hilfslieferungen verbessern. Wenngleich das Engagement der engagierten HelferInnen, die die aus ganz Europa nach Lesbos gekommen sind um zu helfen, bewundernswert ist: Doro Blancke, Ronny Kokert, Helga Longin, Georg Jachan, Andrea Kdolsky und ihrem Team, ist bewusst, dass ihre Hilfe nur den sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein darstellt. Sie wissen, dass sie die Situation der Menschen nicht nachhaltig verändern können und dass ihre Hilfe keine Lösung der katastrophalen Zustände bringen wird. Sie geben den Menschen ein bisschen Würde zurück und uns allen, die wir Geld gespendet haben, das Gefühl, wenigstens nicht völlig tatenlos zuschauen zu müssen, wenn Menschen mitten in Europa in Elendslagern angehalten werden. Das ist wichtig und gut, doch gegen den politischen Unwillen der EU Staatengemeinschaft anzukämpfen, ist eine Herkules Aufgabe geworden, die noch großer Anstrengungen der europäischen Zivilgesellschaft bedarf.

Denn schon im Oktober 2017 sagte der damalige Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans: „Die Migranten müssen trotz der Schwierigkeiten auf den Inseln bleiben, weil ihre Übersiedlung auf das Festland eine falsche Nachricht aussenden und eine neue Ankunftswelle auslösen würde.“ Die Lager sind also Teil eines europäischen Abschottungs- und Abschreckungskonzepts. Es ist nicht gewollt, dass Schutzsuchende, denen es noch gelingt, mit Booten bis zu den griechischen Inseln zu kommen, Zugang zu einem Asylverfahren in der EU erhalten.

Der kleinste gemeinsame Nenner in der europäischen Flüchtlingspolitik ist somit nicht mehr die Einhaltung fundamentaler Menschenrechte und die Verteidigung der Grundwerte, sondern Abschiebung und Abschottung.

Wo liegt der Ausweg?

Diese Lager sind Versuchslabore einer kranken und völlig unmenschlichen europäischen Asylpolitik. Die einzige Lösung kann nur sein, die Menschen jetzt zu evakuieren, und menschenwürdig in Flüchtlingsquartieren in europäischen Ländern unterzubringen. Europa muss zu einer Flüchtlingspolitik zurückfinden, die verfolgten Menschen solidarisch Schutz und Aufnahme gewährt.

Dazu gehören insbesondere,

  • ein effektiver Zugang zu einem fairen Asylverfahren innerhalb der Europäischen Union, das die internationalen und europäischen Menschenrechtsstandards garantiert.
  • eine gerechte Aufteilung der Verantwortung in der Europäischen Union. Nicht ein einziges Land in geographischer Randlage kann diese Aufgabe für den Rest Europas schultern.
  • eine Garantie für menschenwürdige Lebensbedingungen und Unterbringungsstandards in allen Flüchtlingsunterkünften auf europäischem Boden.
  • eine solidarische Haltung, die sicherstellt, dass die griechischen Inseln und Griechenland bei der Flüchtlingsaufnahme nicht länger im Stich gelassen werden.
  • die Schaffung legaler Einreisewege nach Europa, damit Flüchtlinge nicht länger ihr Leben auf dem Meer riskieren müssen.
  • Der massive Ausbau des Resettlement Programmes der UNO: 2019 haben die EU- und EFTA-Staaten gemeinsam nur 29.000 Menschen über dieses Programm aufgenommen. In den ersten 6 Monaten 2020 waren es überhaupt nur 4.400. – Resettlement ist derzeit die einzige Möglichkeit zur legalen Einreise für Geflüchtete.

Autor

  • Christoph Riedl

    Mag. Christoph Riedl ist Experte für Migration, Asyl, Integration und Menschenrechte der Diakonie Österreich. Seine wichtigsten Aufgaben sind die Vernetzung mit anderen Flüchtlingsorganisationen in Österreich und auf europäischer Ebene, sowie die Vermittlung der asyl- und integrationspolitischen Positionen der Diakonie. Seine Texte finden sich auf: https://blog.diakonie.at/autorin/christoph-riedl https://www.facebook.com/christoph.riedl.779