Es ist kaum zu glauben. Wenn Menschen herausforderndes Verhalten zeigen, dann wird dies in der Regel pathologisch gedeutet. Das Buch „Herausforderndes Verhalten vermeiden“ fällt da aus dem Rahmen. Denn über das Verhalten, das sich der sozialen Anpassung entzieht, nähert sich der Psychologe Hejlskov dem Phänomen. Ihm ist es im Vergleich zu vielen anderen Veröffentlichungen zu auffälligem Verhalten gelungen, das Ganze positiv zu deuten. Hejlskov versteht Verhalten als etwas, das es zu verstehen und womit es umzugehen gilt. Gleichzeitig betont er einen weiteren wichtigen Aspekt: „Herausforderndes Verhalten ist ein Verhalten, das den Menschen um die betreffende Person Probleme bereitet“ (S. 17).
Sein Buch kann die Funktion eines Leuchtturms übernehmen, der Schiffen auf See in allen Lagen Orientierung gibt. Hejlskovs Buch tut dies auch. Er hat ein Vertrauen in die Menschen. So betont er, dass Menschen, die sich richtig verhalten könnten, dies auch tun würden (S. 279). Es sei nicht richtig, die Verantwortung auf die Betroffenen abzuwälzen, „indem wir sie für störrisch, unmotiviert oder böswillig erklären“ (S. 279). Er gibt den Praktikern im Umgang mit herausforderndem Verhalten einen entscheidenden Rat: „Was wir tun können, ist, das Umfeld des Betreffenden und unseren Umgang mit ihm zu verändern. Wir müssen herausfinden, wo er in Situationen an seine Grenzen stößt und sich daraufhin herausfordernd verhält, dann können wir die Bedingungen ändern“ (S. 279).
Der Praktiker im psychosozialen Arbeitsfeld neigt schnell dazu, Hejlskovs Vorstellungen als Geschwätz abzutun. Dies wird Hejlskov nicht gerecht. Aus einem großen Erfahrungsschatz untermauert er seine reflektierten Erfahrungen mit unzähligen Fallbeispielen. Dabei wird deutlich, dass er viele Situationen selbst erlebt, reflektiert und zahlreiche Alternativhandlungen erprobt hat.
Unter anderem rät Hejlskov, die Demonstration von Stärke zu vermeiden. Dies fällt sicher Menschen schwer, die für sich noch nicht verinnerlicht haben, dass statt Menschen Situationen zu beherrschen sind. Es wird deutlich, dass vor allem Körpersprache eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Interaktion mit ganz unterschiedlich belasteten Menschen spielt. Hejlskov macht klar, dass Mimik und Gestik in der Interaktion wichtig sind. Blickkontakt werde in einer Konfliktsituation nicht dazu beitragen, das Gegenüber zu beruhigen. Blickkontakt werde Gefühle nur verstärken (S. 253).
Hejlskov kommt nicht als Missionar daher. Vielmehr ist es sein Ziel, die Menschen im psychosozialen Arbeitsfeld von seinem Denken und Fühlen zu überzeugen. Nicht ohne Grund schreibt er über „realistische Anforderungen“. Ansprüche an Menschen mit den verschiedenen Handicaps müssten sich daran ausrichten, „was sie in der aktuellen Situation voraussichtlich zu leisten imstande sind“ (S. 139). Wörtlich: „Wenn wir die Ansicht vertreten, dass Menschen, die sich richtig verhalten können, das auch tun, müssen sich unsere Anforderungen innerhalb der Grenzen der Fähigkeiten … bewegen“ (S. 139).
Hejlskov darf sich den Verdienst auf die Fahnen schreiben, dass er einen Blickwechsel auf herausforderndes Verhalten mit seinem Buch eingeläutet hat. In dieser Deutlichkeit hat bislang keine Publikation im deutschen Sprachraum eine Antwort auf herausforderndes Verhalten zu geben versucht. So darf das Buch „Herausforderndes Verhalten vermeiden“ sicher als Startblock für eine tiefgehende und nachhaltige Auseinandersetzung mit dem Phänomen verstanden werden. Wenn in den zahlreichen Praxisfeldern seine Ideen angepasst werden, so werden sicher noch viele Meilensteine am Wegesrand stehen.
Bo Hejlskov Elven: Herausforderndes Verhalten vermeiden – Menschen mit Autismus und psychischen oder geistigen Einschränkungen positives Verhalten ermöglichen, dgvt-Verlag, Tübingen 2017 (2. Auflage), ISBN 978-3-87159-237-9, 288 Seiten, 20 Euro.