Man hat sich daran gewöhnt, dass die Hilfskräfte der ÄrztInnen in den Krankenhäusern Pflegekräfte sind. Seit Jahrzehnten war dies so, doch nun werden Pflegekräfte seit 2008 an Fachhochschulen ausgebildet und damit wächst auch das Selbstbewusstsein über die eigenen Fähigkeiten in der Pflege. Schon seit der Novellierung des GUKG 1997 wurden den Pflegekräften deutlich mehr Kompetenzen zugestanden, als diese im sklerotisierten stationären und mobilen Bereich letztendlich ausüben durften. Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass diplomierte Pflegekräfte längst alle jene Kompetenzen übernehmen dürfen, die unlängst gerade noch Turnusärzte ausübten. Diese wiederum wittern Morgenluft und gehen wegen besserer Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten nach Deutschland, in die Schweiz oder nach Skandinavien.
In Österreich zeichnet sich hingegen nicht nur ein Engpass bei ÄrztInnen, sondern vor allem bei diplomierten Pflegekräften ab. Zwar glaubte bereits die Vorgängerregierung, dass man immer noch genügend Personal aus dem Osten lukrieren könne, weil ein österreichisches Gehalt in der Pflege für Slowaken, Rumänen und Ungarn immer noch erstrebenswert ist. Für die Qualität in der Pflege und die langfristigen Herausforderungen im Pflegebereich sind zu viele Zuwandererarbeitskräfte laut der internationalen Empfehlungen des International Council of Nurses (ICN) nicht von Vorteil (siehe ethical recruitment ICN http://www.chpa.co/Documents/ICNEthicalNurseRecruitment.pdf). Überhaupt sind nationale Regierungen aufgerufen, eine nachhaltige Entwicklung bezüglich ausreichend inländischem Personal sicherzustellen, um Qualität und Professionalität langfristig zu gewährleisten.
Der OECD-Bericht 2017 stellt für Österreichs Ärztedichte ein außergewöhnlich gutes Zeugnis aus. So liegt Österreich bei der Ärzteversorgung nach Griechenland (6,3) an zweiter Stelle (5,1) mit einer Zahl weit über dem Durchschnitt von 3,4 pro tausend Einwohner. Vergleicht man hingegen die Stellung von Pflegepersonal in der Gesundheitsversorgung, so sieht das Bild ganz anders aus. Hierbei befindet sich Österreich unter dem Durchschnitt von 9 (pro tausend), hinter Russland und Slowenien.[1] In einem Bericht des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger wird deutlich von Organisations- und Strukturschwächen gesprochen[2]. Eine dieser Schwächen ist bestimmt die unzureichende Gesetzeslage, in der zum Beispiel das Pflegepersonal im GuKG die Freiberuflichkeit zugesichert wird. Es gibt klar definierte Bereiche, die das Pflegepersonal zur Entlastung der Ärzte und auch der Spitalsambulanzen freiberuflich übernehmen könnte. Allerdings hat man im ASVG §135 die Pflege als eigenständige Berufsgruppe unter den Gesundheitsberufen nicht erwähnt, obwohl Physiotherpeuten, Logopäden und Ergotherapeuten mit einer genauso langen Ausbildung (auf einer Fachhochschule) ebenfalls freiberuflich tätig sein dürfen.
Derzeit stellt sich überhaupt die Frage, wie die Regierung die zukünftig anfallenden Pflegekosten stemmen wird? Aus welchem Topf wird die Pflege finanziert werden? Um welchen Betrag geht es dabei? Was bedeutet das für die Gehaltsforderungen der topqualifizierten österreichischen Pflegekräfte? Warum müssen ausländische Pflegekräfte in Österreich kein Sprachdiplom auf Level C1 vorweisen, wie in allen angloamerikanischen Ländern auch?
Obwohl es aus gesundheitsökonomischer Sicht durchaus zu begrüßen wäre, dass freiberuflich tätige Pflegekräfte ihre Leistungen (sämtliche Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege sowie der Beratung, Prävention und Gesundheitsförderung) zu einem annehmbaren Kassentarif (ca.80€/h) verrechnen können, ist die Berufsgruppe der DGKP von der Möglichkeit der Direktverrechnung mit den Sozialversicherungsträgern ausgenommen. Bei der Verrechnung wird immer nur der geringer bewertete Hauskrankenpflege-Tarif angegeben, die Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege sind höher bewertet, werden aber nirgends offiziell ausgezeichnet. Infusionstherapien werden gerne in Arztpraxen bzw Gesundheitszentren durchgeführt, weil sie dort Geld bringen. Bei der zunehmenden Immobilität und gleichzeitigen Wunsch der Betroffenen wäre es durchaus zielführend, Infusionstherapien wie Wundversorgung den hochqualifiziertem Pflegepersonal der extramuralen Pflege zu überlassen und diese auch dafür entsprechend zu honorieren. Voraussetzung dafür sind allerdings Hausbesuche der Hausärzte, die nur rudimentär stattfinden, weil sie auch für Hausärzte zu gering dotiert sind. Doch hochqualifizierte ambulanten Pflege kann nur unter der Voraussetzung von regelmäßigen Hausbesuchen eines Hausarztes stattfinden.
Warum können diplomierte Pflegekräfte die MHKP-Leistungen nicht direkt – und zwar in Kooperation mit den ÄrztInnen freiberuflich verrechnen und warum müssen dabei verwaltungsaufwändige Institutionen wie Sozialversicherungsträger oder auch die operativen Tätigkeiten einschlägiger gemeinnütziger Einrichtungen finanziert werden, wo doch die Flexibilität und die individuelle pflegerische Leistung von diplomiertem Fachpersonal direkt an der betroffenen Person erbracht letztlich viel günstiger käme? Länder wie Schweden, die Schweiz oder auch Frankreich haben damit durchaus Ihre Erfahrung und sogar aus der WGKK ist bekannt, dass der ökonomische Nutzen einer Direktverrechnung mit freiberuflich tätigen Pflegekräften weitaus sinnvoller wäre. Auch das niederländische Buurtzorg-Modell wird immer wieder als Beispiel für hochqualifizierte Pflege erwähnt. Obendrein würde dies die ökonomische Ausrichtung von Gesundheitsdienstleistungen erhöhen, die in der Gesundheitsreform 2015 angestrebte Aufwertung der ambulanten Pflege würde endlich stattfinden ohne damit den noch viel teureren institutionellen Sektor (Krankenhäuser, stationäre Langzeitpflege) zu belasten.
Damit dem Gesetz Genüge getan wird, sind zuallererst die Hausärzte in die Pflicht zu nehmen, sowohl was ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit diplomiertem Pflegepersonal als auch die entsprechende Bürokratie betrifft. Bis heute ist es so, dass DGKP die Verordnungsscheine für die Therapien selbst ausfüllen und der Arzt in der Regel Stempel und Unterschrift setzt. Bei den neuen Anforderungen der Sozialversicherungsträger, was auf einem korrekt ausgefüllten Verordnungsschein stehen muss, damit die Leistung abgerechnet und erbracht werden kann, sind sowohl die Ärzte in Krankenhäusern als auch Hausärzte nachzuschulen, denn mit der Bezeichnung „Verbandswechsel3x wöchentlich“ kann keine Leistung erbracht werden.
Immer wird davon gesprochen, dass das Gut „Gesundheit“ effizient und effektiv erbracht werden soll. Gesundheitsökonomen auf Fachhochschulen unterrichten genau diesen Wortlaut, ohne fundierte Kenntnis von den derzeitigen praktischen Verhältnissen in der mobilen Pflege in Österreich zu haben. Im gleichen Atemzug spricht man den topqualifizierten österreichischen Pflegekräften genau jenen ökonomischen Verstand ab, der ihnen in der Selbständigkeit vielleicht zu einem höheren Einkommen verhelfen würde als in den sklavenartigen Anstellungsbedingungen durch den miserabel ausgehandelten SWÖ-Kollektivvertrag. Kein Arzt lässt sich die Wegzeiten so honorieren, wie bei diplomiertem Fachpersonal im Angestelltenverhältnis. Oder machen die Hausärzte genau aus diesen Gründen keine Hausbesuche? Weil diese aus professioneller Sicht vollkommen unterbezahlt sind? Die Vereine, die Hauskrankenpflege anbieten, verrechnen genau 15 Minuten, sollte die Wegzeit länger dauern, was im Großraum Wien durchaus üblich ist, weil Beschäftigte in der Hauskrankenpflege mitunter quer durch alle Bezirke fahren müssen, geht dies zu Lasten des Angestellten bzw der Betriebe. Jeder Installateur oder Monteur verrechnet anständige Wegzeiten und erhält eine Stundenpauschale von mindestens 100€. Aber in der Gesundheit spart man genau an denen, die alles Wissen über die Rund- um Versorgung von Gesundheitsförderung und Prävention haben und dies auch weitergeben könnten, wenn man sie denn nur ließe und dafür auch rechtmäßig bezahlte.
Für angestellte Arbeitskräfte gilt in Österreich so etwas wie ein ArbeitnehmerInnenschutzgesetz. Doch in den privaten Wohnungen, die die Arbeitsplätze der Beschäftigten in der mobilen Pflege sind, gilt dieses ArbeitnehmerInnenschutzgesetz nicht im herkömmlichen Sinn. Geschweige denn, dass ein Arbeitsinspektorat Zutritt hätte. Und es gibt auch in Wien Wohnungen, in Häusern, in denen Ratten Schimmel und sonstige Gefahrenquellen vorherrschend sind. Doch darüber darf nicht gesprochen werden. Pflegeleitungen sehen diese Missstände nicht, und die vielen nicht gut Deutsch sprechenden MitarbeiterInnen wissen nicht, dass es Gesetze gibt, die eingehalten werden sollten.
Das Berufsprofil von diplomierten Pflegepersonen umfasst unter den multiprofessionellen Kompetenzen genau jene wie Gesundheitsberatung, Gesundheitsförderung, Informations – und Wissenstransfer, interprofessionelle Vernetzung sowie das Aufnahme- und Entlassungsmanagement, um nur einige zu nennen. Für all die im Gesetz festgeschriebenen Tätigkeiten sowie für die gesamte Durchführung des Pflegeprozesses gibt es keine finanzielle Dotierung, da nur direkt am Patienten erbrachte körpernahe Leistungen verrechnet werden. Unnötig zu erwähnen, dass die genannten Bereiche in den meisten Krankenhäusern nicht von diplomierten Pflegepersonen ausgeübt werden, weil ein international zu hoch angesetzter Stab an Ärzten immer noch den Ton angibt und Pflegepersonen als Hilfspersonal erachtet werden.
Es scheint so, dass nur Ökonomen über Kosten-Nutzen von Strukturen, Prozessen und Ergebnissen sprechen dürften, ohne die eigentlichen ExpertInnen zu Rate zu ziehen, die die Inhalte liefern. Das gesamt gesellschaftliche Gefüge ist kurz vor dem Zusammenbruch, weil man sich immer noch auf ökonomische Ziffern und Zahlen verlässt, ohne ethische Aspekte und Inhalte zu berücksichtigen und die Beziehungen zwischen den Zahlen interdisziplinär denkt und versteht.
Wer übernimmt in Zukunft die Verantwortung für die nicht adäquate Versorgung der alternden Bevölkerung in ganz Europa, die sich jetzt bereits abzeichnet, weil Pflegepersonal allerorts fehlt. EntscheidungsträgerInnen sind dringendst aufgerufen, Maßnahmen zu ergreifen, um das hochqualifizierte Pflegepersonal in allen EU-Ländern zu stärken und entsprechend zu dotieren, um Wirtschaftsmigration einzudämmen und drohenden nationalen Versorgungsmängeln – nicht zuletzt im Pflegebereich – entgegen zu wirken.
[1] Health at a glance 2017, https://www.nachrichten.at/storage/med/download/287235_8117301e.pdf
[2] Nur ein semantischer Unterschied: http://www.hauptverband.at/cdscontent/load?contentid=10008.619818&version=1432290776