„Frau Bundesministerin, wohin geht die Reise?“

1. September 2015 | Demenz, Diabetes, Politik | 0 Kommentare

Der neue Entwurf des Gesundheits- und Krankenpflege Gesetzes hat in allen Medien für Furore gesorgt. Die Pressemitteilungen überschlagen sich und die Berufsgruppen sind im Aufruhr. Zeit mit der höchsten Person des österreichischen Gesundheitswesen zu sprechen… Frau Bundesministerin Dr.in Oberhauser, MAS.

Pflege Professionell: Die demographische Entwicklung bringt viele Herausforderungen, die schon jetzt unser Gesundheitssystem sehr belasten. Wo sehen sie künftig die größten Herausforderungen für die Gesundheitspolitik?

Bundesministerin Oberhauser: Die Menschen leben heutzutage länger als früher – und unser Ziel muss es sein, dass sie möglichst lange in guter Gesundheit leben. Natürlich steigt durch die demographische Entwicklung die Zahl der Menschen, die an chronischen Erkrankungen leiden oder an Erkrankungen, die im hohen Alter häufiger auftreten, wie beispielsweise Demenz. Wir müssen unser Gesundheitssystem fit halten für die Herausforderungen, die diese komplexen Krankheitsbilder mit sich bringen. Es braucht eine umfassende Betreuung und Koordination der Versorgung – das wollen wir unter anderem mit der Stärkung der Primärversorgung erreichen. Wir müssen auch eine nachhaltige, solidarische Finanzierung des öffentlichen Gesundheitssystems medizinischen Fortschritts allen Menschen, unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten, zugute kommen. Und nicht zuletzt ist es ganz wesentlich, den Fokus auf die Gesundheitsorientierung zu legen. Gesundheit muss in allen Politikfeldern gedacht werden, um die Entstehung von Krankheiten zu vermeiden und das Bewusstsein der Menschen für gesundheitsförderndes Verhalten zu stärken. Ich sage immer: Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist es meistens gesund. Unsere Aufgabe ist es, aus den gesunden Kindern, gesunde Erwachsene zu machen.

Pflege Professionell: Wie sollten sich die Berufsgruppen auf diese Herausforderungen vorbereiten?

Bundesministerin Oberhauser: Ich denke, dass auch heute schon sehr gute Arbeit geleistet wird. Durch die neuen Herausforderungen wird aber die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen an Bedeutung gewinnen. Die umfassende Betreuung komplexer Erkrankungen braucht Teamarbeit. Die Erwartungshaltung an die eigene berufliche Tätigkeit hat sich in dieser Hinsicht auch bei den Gesundheitsberufen verändert. Die Arbeit im Team wird als Bereicherung wahrgenommen, weil man sich dann mit anderen austauschen kann. Die Angehörigen der Gesundheitsberufe sind auch wichtige Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, wenn es um die Stärkung der Gesundheitsorientierung und der Gesundheitskompetenz der Menschen geht. Hier kommt ihnen eine ganz wichtige Rolle zu, denn sie sind bei Fragen oftmals die direkten Ansprechpartnerinnen und -partner der Patientinnen und Patienten.

Pflege Professionell: Wie haben sie selbst das Gesundheitssystem als Patientin erlebt?

Bundesministerin Oberhauser: Ich habe mich von Beginn an als Patientin im österreichischen Gesundheitssystem gut aufgehoben gefühlt. Das gilt sowohl für die Phase der ambulant durchgeführten Chemotherapie, als auch für die Zeit der stationären Behandlung vor, während und nach der OP. Ich wurde von einem wunderbaren, multiprofessionellen Team aus Anästhesie, Chirurgie, Diätologie, Gynäkologie, Intensivmedizin, Onkologie, Pflege und Physiotherapie betreut. Ohne die aufopfernde Pflege der Spitalsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter hätte ich diese schwierige Zeit in meinem Leben sicher nie so gut bewältigen können. Dafür bin ich sehr dankbar.

Pflege Professionell: Haben Sie durch diese Einblicke Erkenntnisse für ihre Arbeit erlangt bzw. sind dadurch neue Projekte für sie entstanden?

Bundesministerin Oberhauser: An meinen grundsätzlichen Plänen für das österreichische Gesundheitssystem hat meine persönliche Erfahrung als Patientin nichts geändert. Mein Ziel als Gesundheitsministerin ist es, das hervorragende österreichische Gesundheitssystem zu erhalten und weiter auszubauen. In Österreich darf nie die Kreditkarte darüber entscheiden, ob und wie jemand behandelt wird. Dafür werde ich mich auch in Zukunft mit aller Kraft einsetzen.

Pflege Professionell: Vieles könnte durch die Entwicklung von Präventionsprogrammen verbessert werden. Warum wird hier von den Versicherungsträgern eher in die Therapie Geld gesteckt als in die Prävention?

Bundesministerin Oberhauser: Das kann man so nicht sagen, denn es wäre ja fatal, bei der kurativen Medizin einzusparen, um mehr Geld für die Prävention zur Verfügung zu haben. Die Menschen sind ja dann trotzdem noch krank und werden dadurch nicht von einem Schlag auf den anderen gesund. Und wie schon gesagt, jeder Mensch in Österreich hat das Recht auf die bestmögliche Behandlung im Krankheitsfall. Das heißt also, der Wandel von der kurativen zur präventiven Medizin – sofern das überhaupt gänzlich möglich ist, denn manche Krankheiten sind auch durch Prävention nicht zu verhindern – muss sich langsam vollziehen. Und hier ist die Sozialversicherung – gemeinsam mit Bund und Ländern
– wirklich bemüht, Präventions- und Vorsorgeprogramme auszubauen. Um nur einige Beispiele zu nennen: die Jugendlichenuntersuchung, neben der klassischen Vorsorgeuntersuchung, das Brustkrebsfrüherkennungsprogramm, das Disease-Management-Diabetes oder aber auch die vielen gemeinsamen Aktivitäten im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung. Wir haben in dieser Hinsicht auch verschiedene Aktivitäten im Rahmen der Gesundheitsreform gesetzt. So wurde beispielsweise eine gemeinsame Gesundheitsförderungsstrategie von Bund, Ländern und Sozialversicherung beschlossen, in der wir uns auf gemeinsame Grundsätze und Schwerpunkte verständigt haben. Die Rahmen-Gesundheitsziele stellen dafür eine wesentliche Basis dar. Generell ist die Stärkung der Gesundheitsförderung auch ein ganz wesentlicher Aspekt bei den Bestrebungen zum Ausbau der Primärversorgung.

Pflege Professionell: Was halten Sie von QALY‘s (quality adjusted life years) als Steuerungsinstrument für solidarisch finanzierte Gesundheitsausgaben?

Bundesministerin Oberhauser: Grundsätzlich können solche Indikatoren einen Beitrag leisten, wenn es darum geht, beispielsweise die Effektivität einer konkreten neuen Therapie zu bewerten. Ich sehe das aber auch kritisch. Wenn die Gesundheit der Menschen betroffen ist, dann ist man sehr oft mit ethischen Fragen und Werthaltungen konfrontiert und das kann ein Indikator sicher nicht abbilden. Gesundheitspolitische Entscheidungen brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte.

Pflege Professionell: In Moment ist eine neue GuKG Novelle in Begutachtung. Was sind ihrer Meinung nach die wichtigsten Eckpfeiler?

Bundesministerin Oberhauser: Hauptziel der Reform ist die Gewährleistung einer optimalen und bedarfsorientierten Versorgungssituation. Dazu werden die Berufsbilder an praxisgerechte Standards und die Anforderungen an das heutige System angepasst. Kurz: Jede/r soll dafür eingesetzt werden, wofür sie/er ausgebildet wurde. Ein leichter Berufszugang zu allen drei Berufsbildern, nämlich Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz und gehobener Dienst ist ein weiteres wichtiges Anliegen. Und schließlich wollen wir eine leichte Durchlässigkeit zwischen den drei Berufsbildern gewährleisten, so dass keine Bildungssackgassen entstehen und berufliche Weiterbildung gefördert wird. Die Verteilung der Tätigkeiten in der Pflege soll verbessert werden. Derzeit ist die Ausbildung der Pflegehilfe nicht nur auf die Arbeit mit Patientinnen und Patienten ausgerichtet und die Pflegehelferinnen und -helfer sind in der Praxis mit administrativen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten überfrachtet. Gleichzeitig übernehmen Angehörige des gehobenen Dienstes Tätigkeiten, die nicht ihrer hohen Qualifikation nach einer dreijährigen Ausbildung entsprechen. Da die meisten, auf Länderebene geregelten Sozialbetreuungsberufe aber die einjährige Ausbildung zur Pflegehilfe – künftig Pflegeassistenz – inkludieren, ist es sinnvoll, diese Ausbildungsdauer beizubehalten. Daher stellt sich die Einführung einer Zwischenstufe – die Pflegefachassistenz – als praktikable Lösung dar.

Pflege Professionell: In Die neuen Ausbildungsinhalte der Pflege beinhaltet eine wissenschaftliche Grundausbildung, die mit einem universitären Studium erweitert werden kann. Diese Option gibt es schon seit zehn Jahren. Dennoch gibt es noch immer keine zentrale Stelle die sich in Österreich wissenschaftlich um Pflegefragen kümmert. Eine solche Institution würde die Kosten der Häuser senken und einen Qualitätsvorsprung erarbeiten. Warum ist eine solche Stelle noch nicht eingerichtet worden?

Bundesministerin Oberhauser: Hauptziel Die Verlagerung der Ausbildungen in den tertiären Bereich soll eben gerade zu einer verstärkten Forschungsorientierung beitragen. Auch die Errichtung pflegewissenschaftlicher Institute an den Universitäten, die Forschung betreiben, ist ein wichtiger Schritt. Grundsätzlich fällt Forschung aber nicht in mein Ressort, sondern in die Zuständigkeit des Wissenschaftsministers. An uns liegt es, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Ausbildung zu schaffen – und das tun wir mit der GuKG-Novelle.

Pflege Professionell: Der demographische Wandel erfordert ein schnelles Umdenken. Der Entwurf der Novellierung sieht eine bestehende Übergangsfrist bis voraussichtlich 2024 vor. Warum wird die tertiäre Pflegeausbildung nicht stärker vorangetrieben?

Bundesministerin Oberhauser: 2024 ist zur Diskussion gestellt. Mir persönlich wäre eine kürzere Übergangsfrist auch lieber, doch nachdem ja auch noch weitere FH-Studienplätze geschaffen werden müssen, braucht man dafür auch Zeit. Es ist besser, der Übergang funktioniert reibungslos, als wir legen eine zu kurze Übergangszeit vor und die beteiligten Institutionen haben nicht genug Zeit, sich entsprechend vorzubereiten.

Pflege Professionell: Laut einiger Aussagen hatte die Ärztekammer ein großes Mitspracherecht beim neuen GUKG. Dies ist aber die Gesetzgebung für eine vollkommen andere Berufsgruppe. Warum haben Ärzte (Ärztekammer) noch immer so viel Mitsprachrecht beim GuKG?

Bundesministerin Oberhauser: Ich kann das so nicht bestätigen. Natürlich haben wir auch mit der Ärztekammer Gespräche geführt, da diese ja eng mit Gesundheits- und KrankenpflegerInnen zusammenarbeiten und Erfahrungen aus der Praxis teilen können. Wir haben aber auch mit allen anderen Beteiligten zahlreiche Gespräche geführt. Ich denke, das war durchaus ein ausgeglichener Diskussionsprozess. Ein zu großes Mitspracherecht der Ärztinnen und Ärzte sehe ich nicht.

Pflege Professionell: Von der Ärztekammer zur Pflegekammer. Die zentralen Ziele einer beruflichen Interessenvertretung sind der Schutz der Bevölkerung vor Fehlern, die Qualitätssicherung und die Beratung der Politik. Was halten Sie von der Einrichtung einer Pflegekammer?

Bundesministerin Oberhauser: Angestellte Pflegekräfte haben mit der Arbeiterkammer eine berufliche Interessensvertretung. Eine große Bedeutung kommt natürlich auch den freiwilligen Interessensvertretungen zu. Die Einführung einer Pflegekammer allein, wird nicht zur Erreichung der von Ihnen genannten Ziele ausreichen. In meine Zuständigkeit als Gesundheitsministerin fällt die Sicherstellung eines bedarfsorientierten und ausgewogenen Berufsrechts in der Pflege.

Pflege Professionell: Was würden sie sich in Zukunft von der Berufsgruppe der Pflege wünschen?

Bundesministerin Oberhauser: In Bezug auf die Ausbildungsreform wünsch ich mir von der Berufsgruppe der Pflege, dass sie ohne Befürchtungen offen auf die Reform zugeht und Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten so gut wie möglich nützt.

Autor: Markus Golla, BScN
Titel: „Frau Bundesministerin, wohin geht die Reise?“
Ausgabe: Pflege Professionell 01/2015
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Autor

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)