Sehr geehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege, sehr geehrte Damen und Herren.
Ich freue mich, dass ich heute zu Ihnen zum Thema Fördernde Prozesspflege sprechen darf.
Bevor wir uns intensiver mit diesem Thema befassen können, möchte ich kurz auf drei Fragen eingehen, die mir zur Fördernden Prozesspflege immer wieder gestellt werden:
- Worum geht es bei der fördernden Prozesspflege und was ist das zentrale Interesse?
- Wo und wie wurde fördernde Prozesspflege gefördert und entwickelt?
- Wir sprechen vom Pflegemodell, sie sprechen vom Pflegesystem. Worum geht es dabei und was gehört dazu?
Lassen Sie mich mit dem zentralen Interesse beginnen:
Es geht um Fragen, wie pflegebedürftige Personen aber auch ihre mit- betroffenen Bezugspersonen im Pflegeprozess fördernd unterstützt, angeleitet, beraten und begleitet werden können, bei ihrem Bestreben, ihre Fähigkeiten bzw. ihre Restfähigkeiten zu erhalten, zu erlangen- oder wiederzuerlangen. Hierbei geht es jeweils um solche Fähigkeiten und Restfähigkeiten, die ihnen helfen (ohne oder auch mit Unterstützung Anderer) ihre Bedürfnisse zu befriedigen und mit ihren Einschränkungen in ihren Aktivitäten-, ihren Beziehungen und ihren Existentiellen Erfahrungen zurechtzukommen (verkürzt ABEDL genannt).
Und, es geht natürlich darum, wie insbesondere Pflegefachpersonen in der Begegnung und beim pflegerischen Handeln hierbei Unabhängigkeit und Wohlbefinden dieser Personen fördern können; und dies nicht nur – wie traditionell eher üblich – im Tun, sondern auch im Denken, im Wollen und Entscheiden und im Ausdruck von Gefühlen; und zwar so, wie dies für die diese Person möglich und von Bedeutung ist.
Fördernde Prozesspflege liefert hierzu konzeptuelle und empirische Grundlagen.
Sie sind das Ergebnis eines ständigen Austausches und einer aktiven Wechselbeziehung zwischen theoretischen Erkenntnissen und pflegepraktischen Erfahrungen, die beide wiederum mittels Forschung überprüft worden sind. Die Forschungs-und Entwicklungsarbeiten (zur Fördernden Prozesspflege) haben sich über einen Zeitraum von insgesamt 30 Jahren erstreckt (1982 -2012). Die Forschungs- und Entwicklungsprojekte sind zunächst in Akutkrankenhäusern (in England und Deutschland) durchgeführt worden; danach in stationären Langzeiteinrichtungen (vor allem der Altenhilfe) sowie in ambulanten Pflegezusammenhängen. Die Entwicklungsprozesse wurden jeweils mit Mitteln der Interventionsforschung und Methoden des reflektierenden Erfahrungslernens begleitet. In den Forschungsprozessen und den damit zusammenhängenden Basis- und Postinterventionserhebungen wurden vor allem Verfahren und Methoden der „Grounded Theory“ (in empirischen Daten gegründete Theorieentwicklung) angewandt. Quantitative Methoden wurden dort, wo sie die Validität und Reliabilität stützten, komplementär mit qualitativen Verfahren verknüpft. Die Vorgehensweisen und Schritte in diesen Prozessen haben sich (ähnlich wie von Corbin und Strauss 2004 beschrieben) nicht linerar vollzogen, sondern sie überschnitten sich gegenseitig, oft gleichzeitig und manche bedingten sich auch gegenseitig. Jedes Stadium in diesen sich wechselseitig beeinflussenden Prozessen und jede neue Erkenntnis hat zur Überprüfung, Modifizierung und Substantiierung der Inhalte des sich daraus entwickelnden konzeptuellen Systems und des Handlungssystems Fördernder Prozesspflege geführt.
Das konzeptuelle System und das Handlungssystem sind eng miteinander verknüpft. Sie bilden eine Einheit und beeinflussen sich gegenseitig.
Zum konzeptuellen System gehören handlungsleitend
- die Konzepte mit ihren konzeptverbindenden Aussagen zu Person und Umgebung, zu Unabhängigkeit und Wohlbefinden, zu Aktivitäten, sozialen Beziehungen und Existentiellen Erfahrungen des Lebens überdies
- die Prinzipien Fördernder Prozesspflege:
Dynamische Ganzheitlichkeit
– Offenheit, Wechselwirksamkeit und Synergie;
Personenzentriertheit und Beziehungsbezogenheit,
– Entwicklungs- und Lebensprozessbezogenheit,
– Fähigkeits-und Förderungsorientiertheit,
– Sinn- und Kontextbezogenheit,
– Prioritätsorientiertheit.
Ich erwähne die Prinzipien, weil das Verstehen dieser Prinzipien von grundsätzlicher Bedeutung ist für das Verstehen und Anwenden der Schwerpunkte und Inhalte des konzeptuellen des Systems und des Handlungssystems.
Im Handlungssystem Fördernder Prozesspflege werden
- Modelle, Verfahren, Methoden und Instrumente in ihrer Anwendung im Pflegeprozess, im Management und in der Qualitätsentwicklung beschrieben;
- sowie Indikatoren und Muster defizitärer versus personenzentrierter-und fähigkeitsfördernder Pflegeprozesse. Diese sind entsprechenden Qualitätskategorien zugeordnet und dort erklärt.
Das Rahmenmodell ist das wichtigste Modell Fördernder Prozesspflege.
Es verbindet das konzeptuelle System mit dem Handlungssystem. Das dort definierte primäre pflegerische Interesse sowie die primären Ziele und Handlungsschwerpunkte sind dort begründet und erklärt. Sie finden sich in allen anderen Modellen wieder.
– Soweit der Überblick –
In meinen heutigen Ausführungen kann ich nur wenige Elemente der Fördernden Prozesspflege herausgreifen und diese auch nur in einigen Teilen beleuchten.
Dies möchte ich tun im Zusammenhang mit
- einigen Erkenntnissen zum Pflegeprozess
- einigen Erkenntnissen zu Aktivitäten Beziehungen, existentiellen Erfahrungen des Lebens und ihrer Anwendung im Pflegeprozess
- einigen Indikatoren und Mustern defizitärer Pflegeprozesse versus personenzentriert- und fähigkeitsfördernder Pflegeprozesse. Hierbei werde ich besonders die Kategorien Unsichtbarkeit versus Sichtbarkeit und Diskontinuität versus Kontinuität beleuchten.
- Und, ich möchte Sie auf einen kleinen Exkurs zu tätigkeitsorientierten versus personenzentrierten Anwendung von Pflegemaßnahmen und Methoden einladen.
Lassen Sie mich mit einigen Erkenntnissen zum Pflegeprozess beginnen.
Der Pflegeprozess wurde in drei Prozessebenen untersucht
I dem direkten Pflegeprozess, II der Dokumentation, und III der Pflegeorganisation
Pflegeorganisation mit ihren Ressourcen sowie Pflegedokumentation sind darauf hin untersucht worden, inwieweit diese Kontinuität und Qualität im direkten Pflegeprozess fördern oder behindern.
Hierbei wurden die jeweils vorhanden, personellen-, zeitlichen-, materiellen- und strukturellen Ressourcen mit-erfasst. Und es wurde erfasst, wie diese qualitativ und quantitativ zugeordnet wurden. Dies hat dazu geführt, dass im Zuge der Entwicklung hin zur Fördernden Prozesspflege in beinahe allen Einrichtungen die Organisation und die Zuordnung – vor allem der vorhandenen personellen Ressourcen – entsprechend angepasst wurden, damit erforderliche Veränderungen im direkten Pflegeprozess und in der Dokumentation wirksam werden konnten. Priorität hatte und hat bei der Erforschung, Entwicklung und Anwendung der Fördernden Prozesspflege aber der Pflegeprozess im direkten Pflegebereich, d. h. dort, wo Pflege passiert; denn nur hier können pflegebedürftige Personen und ihre mit-betroffenen Bezugspersonen Pflege in ihren Wirkungen erfahren; nur hier kann auch der Pflegebedarf, sowie die Wirkungen pflegerischen Handelns unmittelbar überprüft werden.
Die Untersuchungen im direkten Pflegeprozess fokussierten
- pflegebedürftige Personen und ihre mit-betroffenen persönlichen Bezugspersonen mit ihren Sichtweisen, ihren Fähigkeiten, Einschränkungen und Ressourcen und ihren Prioritäten, d. h. das, was für sie wichtig war;
- sowie Pflegefachpersonen und Pflegehilfspersonen mit ihren Sichtweisen, ihrem Wissen und Können, ihren Prioritäten und wie diese in ihren Handlungen und Interaktionen bei den pflegebedürftigen Personen und ihren mit-betroffenen Bezugspersonen sichtbar wurden.
Bevor ich darauf weiter eingehe, lassen Sie uns einige Erkenntnisse zu Aktivitäten, Beziehungen und existentiellen Erfahrungen des Lebens und zu ihrer Anwendung betrachten. Dies möchte ich auch im Zusammenhang tun mit den Kategorien Unsichtbarkeit versus Sichtbarkeit und den Kategorien Diskontinuität versus Kontinuität.
Zunächst ein kurzer Rückblick:
Sowohl in meiner Forschung in England (1982-1984) als auch in der 1993 erstmals veröffentlichten Studie (zum Pflegeprozess Beispiel an Apoplexie- erkrankter Menschen) in Deutschland habe ich mich zunächst an die Aktivitäten des Lebens nach Roper et.al. (1980) angelehnt, da in beiden Krankenhäusern mit diesen Strukturierungen gearbeitet wurde.
Bereits meine 1984 in England abgeschlossene Studie zeigt aber:
- dass die ausschließliche Orientierung an den Aktivitäten des Lebens im Pflegeprozess dazu führen kann, dass existentielle Erfahrungen, welche Menschen im Zusammenhang mit ihren Lebensaktivitäten machen unsichtbar bleiben, ebenso, wie die Bedeutung von Beziehung.
- Und es hat sich gezeigt: „Wenn im Pflegeprozess vorrangig nur Probleme fokussiert werden, bleiben Fähigkeiten, Restfähigkeiten, Bedürfnisse und Gewohnheiten der pflegebedürftigen Personen (und ihrer mit-betroffen Bezugspersonen) ebenfalls weitgehend unsichtbar.“
Unsichtbarkeit ist eine Kategorie defizitärer Pflegeprozesse.
Darunter ist alles zugeordnet, was nicht oder nur oberflächlich, d. h. vage erkannt und berücksichtigt wird.
- Dies betrifft auch das Beachten von Aktivitäten des Lebens, Beziehungen und existentiellen Erfahrungen betroffener– und mit-betroffener Menschen.
Dabei hat sich gezeigt:
Die bloße Benennung der sogenannten ABEDLs reicht nicht aus.
Um diese sichtbar und im Pflegeprozess anwendbar zu machen, mussten die ABEDLs in weiteren Forschungsprozessen konkretisiert und inhaltlich substantiiert werden.
Die damit zusammenhängenden Einzelfall -Erhebungen und Gesamtfallanalysen haben schließlich zu einer solchen Klärung und Substantiierung der ABEDL bezogenen Konzepte, Kategorien und ihrer Inhalte geführt.
ABEDL bezogene Konzepte und Kategorien
Die zentrale Aussage zu diesen Konzepten und Konzeptverbindungen ist:
Der Mensch benötigt eigene Fähigkeiten und er benötigt Ressourcen aus seiner Umgebung, um als Person
I seine Aktivitäten des Lebens realisieren und dabei mit existentiellen Erfahrungen umgehen zu können;
II seine sozialen Beziehungen sichern und gestalten zu können und dabei mit existentiellen Erfahrungen umgehen zu können;
III mit existentiellen Erfahrungen des Lebens umgehen und sich dabei entwickeln zu können;
IV Seine sozialen Bereiche sichern und gestalten zu können und dabei mit existentiellen Erfahrungen umgehen zu können.>
Das vierte Konzept ist von besonderer Relevanz für soziale Dienste. Die ersten drei Konzepte mit ihren jeweils zugeordneten Kategorien und Inhalten sind von unmittelbarer Bedeutung für den Pflegeprozess. Die in den Gesamtfallanalysen ermittelten Phänomene sind hierbei den jeweiligen Kategorien der Konzepte zugeordnet worden. So enthält zum Beispiel die Kategorie <Als Person kommunizieren können> spezifische Inhalte zum Erfassen von Fähigkeiten, Einschränkungen und Restfähigkeiten im Zusammenhang mit
- Bewusstsein
- Denken, Wollen, Entscheiden und verantworten können
- Gefühle zum Ausdruck bringen können
- sich konzentrieren können
- sich orientieren
- wirklichkeitsbezogen wahrnehmen können
- sein Körperbild und Körperchema wahrnehmen
- Sehen und erkennen (einschließlich Gesichtsfeld)
- Hören und verstehen
- Lesen und verstehen
- Riechen und schmecken
- Tasten und fühlen
- sich mitteilen und sich verständlich machen können (verbal und nonverbal durch Gestik und Mimik
- Sich durch Berührung selbst wahrnehmen und mit anderen kommunizieren können (sich selbst berühren können, andere berühren, von anderen berührt werden können).
Diese ABEDL – Kategorie mit ihren spezifischen Inhalten ist – wie alle anderen Kategorien mit ihren Inhalten – wohl von grundsätzlicher Bedeutung im Lebensprozess von uns Menschen. Sie sind aber selbstverständlich nicht bei allen pflegebedürftigen Personen und auch nicht in jeder Pflegesituation relevant. Dennoch es hat sich gezeigt, sie können den Blick weiten und Orientierung geben.
Dabei kann das entsprechend entwickelte Assessment-und Diagnoseinstrument in den Händen kompetenter Pflegefachpersonen ein reliables Hilfsmittel sein für personenzentrierte und an die jeweilige Situation angepasste Assessment- und Diagnoseprozesse;
Assessment und Diagnosen sind die Grundlage für die Effektivität des gesamten Pflegeprozesses.
< Wenn Assessment und Diagnosen fehlen, unzutreffend oder oberflächlich, d. h. vage sind, ist nicht mehr zu beurteilen, ob Maßnahmen und Ziele dem Bedarf der betroffenen (ihrer mit-betroffenen Person) entsprechen; Maßnahmen und Ziele können dann nur zufällig richtig oder falsch sein. Darüber hinaus können solche Maßnahmen die betroffene Person unter Umständen sogar gefährden> (Krohwinkel 1993, 2007/2008, 2013).
Eine weitere Erkenntnis erscheint mir in diesem Zusammenhang wichtig:
Diese betrifft die ABEDL – Kategorien mit ihren Inhalten „Kommunizieren, sich bewegen und vitale Funktionen aufrecht erhalten“. Diese beeinflussen sich nicht nur wechselseitig, sondern Fähigkeiten und Einschränkungen beim Kommunizieren beim Bewegen oder den vitalen Funktionen wirken sich signifikant häufig (verursachend oder mit-verursachend) aus, auf Fähigkeiten und Einschränkungen in anderen Aktivitäten des Lebens.
Darüber hinaus können sie Einfluss nehmen auf soziale Kontakte und Beziehungen und Einschränkungen in diesen ABEDLs gehen häufig einher mit existentiell belastenden Erfahrungen.
Welche Relevanz hat dies für Assessment und Diagnostik im Pflegeprozess?
Dies bedeutet: Wenn in diesen ABEDL – Kategorien, Einschränkungen (mit ihren Ursachen und Einflussfaktoren, z. B. Erkrankungen) erkannt – und diesen Einschränkungen konkret Restfähigkeiten zugeordnet werden, können hieraus plausibel (schlüssig) auch Fähigkeiten und Einschränkungen in anderen (für die jeweils betroffene Person) relevanten ABEDLs abgeleitet werden.
Lassen sie uns zurückkommen zu den Kategorien Unsichtbarkeit versus Sichtbarkeit und Diskontinuität versus Kontinuität:
Bei den Entwicklungen zur Fördernden Prozesspflege ging und geht es immer darum, von der Unsichtbarkeit hin zu mehr Sichtbarkeit; und von der Diskontinuität zu mehr Kontinuität im Pflegeprozess zu kommen.
Neben Unsichtbarkeit ist Diskontinuität eine weitere Kategorie defizitärer Pflege.
Von Diskontinuität sprechen wir, wenn durch Wechsel von Pflegepersonen pflegebedürftige Personen unterschiedliche Pflege erhalten.
Zwar gibt es bei vorherrschender Diskontinuität in der Regel immer auch einzelne Pflegefachpersonen, die sich bei der Durchführung von Maßnahmen personenzentriert und fördernd verhalten. Positive Auswirkungen solch fördernder Verhaltensweisen werden aber bei vorherrschender Diskontinuität wieder nivelliert. Zudem beeinträchtigt Diskontinuität den Aufbau pflegerischer Beziehung; denn auch im Pflegeprozess entsteht Beziehung doch nicht durch häufig wechselnde Kontakte, sondern durch die Qualität und Kontinuität solcher Kontakte.
Zudem trägt Diskontinuität erheblich zu existentiell belastenden Erfahrungen bei; belastende Erfahrungen, wie Orientierungslosigkeit und Ungewissheit; denn bei Diskontinuität wissen pflegebedürftige Personen und ihre mit-betroffenen Angehörigen in der Regel zwar, dass jemand kommt, aber nicht wer kommt und wie dann mit ihnen umgegangen wird.
Diskontinuität und Kontinuität haben drei Dimensionen
- die zeitliche Dimension:
diese Dimension bezieht sich darauf, wann jemand kommt;
- die personale Dimension:
in dieser Dimension wird erfasst, wer kommt;
- die inhaltliche Dimension:
diese Dimension beschreibt, wie die pflegenden Personen in vergleichbaren Situationen, und unveränderten Bedürfnissen, Fähigkeiten und Problemen der pflegebedürftigen Person handeln.
Hierbei zeigen die Untersuchungsergebnisse deutliche Zusammenhänge zwischen der personale und der inhaltlichen Dimension. Dies bedeutet, umso größer das Ausmaß von Kontinuität im direkten Pflegeprozess ist, umso geringer ist die Gefahr, dass betroffene Personen (ihre mit-betroffenen Bezugspersonen) unterschiedliche Pflege erhalten.
Dabei sind Kontinuität, Sichtbarkeit, Qualität und ihre Wirkungen auch wiederum am ehesten im direkten Pflegeprozess beobachtbar, erfahrbar und nachweisbar.
Kontinuität hat sich hierbei als Schlüsselkategorie für eine gezielte Entwicklung hin zur personenzentrierten und situationseinbeziehenden Förderung gezeigt.
Dabei beeinflusst Kontinuität fundamental nicht nur das Ermöglichen pflegerischer Beziehung, sondern auch die Effektivität von Beobachtung und Handlung, dies auch bei der pflegerischen Mitwirkung in medizinischen Diagnose-und Therapieprozessen.
Zudem ermöglicht Kontinuität eine personenzentrierte Abstimmung und Koordination zwischen den pflegenden- und den anderen in die Behandlung und Betreuung einbezogenen Berufsgruppen.
Hierbei hat sich die Einführung des Organisationssystems der Bezugspersonenpflege (eine modifizierte – und erweiterte Form des‘ Primary-Nursing-Systems) als wesentlich für die Entwicklung von Sichtbarkeit, Kontinuität und Qualität erwiesen (vgl. Krohwinkel, 1993, 1998, 2013).
Lassen uns abschließend noch einige Erkenntnisse zur Bedeutung tätigkeits- versus personenzentrierter Anwendung pflegerischer Maßnahmen und zur berufsspezifischen Anwendung fördernder Methoden miteinander teilen:
Zusammenhängend mit überlieferten mechanistischen Sichtweisen von beruflicher Pflege, werden Pflegemaßahmen zum Teil immer noch (bzw. auch wieder neu) der sogenannten Grundpflege bzw. der sogenannten Behandlungspflege zugeordnet. Dabei werden die Maßnahmen der sogenannten Grundpflege traditionell als einfache Tätigkeiten angesehen, die jeder, der in der Pflegepraxis tätig ist, durchführen kann.
Diese Sichtweise aber hält einer Überprüfung nicht stand;
denn, ob eine Maßnahme und die damit zusammenhängende Tätigkeit einfach oder anspruchsvoll ist, hängt nicht von der jeweiligen Maßnahme ab, sondern dies hängt ab von der Komplexität der Bedarfssituation einer pflegebedürftigen Person.
So können auch Maßnahmen wie die zur Körperpflege zur Mundpflege, zum Essen und Trinken einfach sein, aber sie können auch so komplex und anspruchsvoll sein, dass sie ausschließlich von entsprechend qualifizierten Pflegefachpersonen durchgeführt werden sollten.
Auch bei solchen Maßnahmen finden Konzepte, Theorien, Methoden und Instrumente aus verschiedenen Wissensbereichen der Pflege, aber auch aus anderen Wissensgebieten ihre berufsspezifische Anwendung.
Dies möchte ich an einem Beispiel deutlich machen:
In der bereits erwähnten Studie zur Erfassung und Entwicklung Fördernder Prozesspflege am Beispiel von an Apoplexie erkrankter Menschen arbeiteten Physiotherapeutinnen, Logopäden und Pflegefachpersonen jeweils bei der Förderung von Unabhängigkeit und Wohlbefinden dieser betroffenen (und ihrer mit-betroffenen) Personen zusammen. Dabei stimmten sie ihr schwerpunktmäßiges Vorgehen eng miteinander und mit der betroffenen Person ab. Die Logopädinnen und Physiotherapeuten fokussierten dabei berufsspezifisch vorrangig die Kommunikationsprobleme bzw. die Mobilitätsprobleme der betroffenen Menschen. Die Logopädinnen führten ihre Maßnahmen in den Akutkrankenhäusern in der Regel ein bis zweimal wöchentlich durch; die Physiotherapeutinnen taten dies ein bis zweimal täglich pro Patient.
Die Pflegefachpersonen förderten bei entsprechenden Bedarfen ebenfalls die Kommunikationsfähigkeiten und Bewegungsfähigkeiten der betroffenen Personen.
Sie taten dies berufsspezifisch, indem sie die entsprechenden Methoden kontinuierlich in die jeweils erforderlichen Pflegemaßnahmen der betroffenen Personen integrierten (bei der Körperpflege, der Mundpflege, beim An – und Auskleiden, beim Essen und Trinken beim Ausscheiden, sowie Bei der damit verbundenen Mobilisation innerhalb und außerhalb des Bettes. Die Pflegefachpersonen taten dies personenzentriert durchschnittlich 21mal pro Tag. Nun wissen wir aus der neurologischen Forschung, dass <umso gezielter und kontinuierlicher solche Förderung geschieht, umso größer ist die Chance neuer nervaler Innervation>.
In der genannten Studie zur Fördernden Prozesspflege konnte somit – nicht ausschließlich, aber in Deutschland erstmalig – der pflegespezifische Beitrag solch integrativer Förderung und ihre synergetische Wirkung exemplarisch nachgewiesen werden.
Ein Phänomen sei noch erwähnt:
Die pflegebedürftigen Personen (und ihre mit- betroffenen Bezugspersonen) nahmen die integrale Dimension der pflegerischen Förderung zunächst nicht wahr. Erst als die Pflegefachpersonen für sie nachvollziehbar machten, wie sie die fördernden Methoden zur Kommunikation und Bewegung in die jeweiligen Pflegemaßnahmen integrierten und mit welchem Ziel sie das taten, wurde dies auch den betroffenen (mit-betroffenen) Personen bewusst ; das heißt , es wurde für sie sichtbar.
Ich komme zum Schluss: Das konzeptuell und handlungsorientiert integrierte System Fördernde Prozesspflege kann eine Grundlage zur Entwicklung personenzentrierter Professionalität sein. Und, es ist ein Fundament, auf dem PflegewissenschaftlerInnen und ihre in der Praxis tätigen KollegInnen neue Erkenntnisse und Erfahrungen aufbauen, und den Korpus pflegerischen Wissens substantiieren und erweitern können.
Literaturempfehlung:
Monika Krohwinkel Fördernde Prozesspflege mit integrierten ABEDls – Forschung, Theorie und Praxis, Huber/Hogrefe (2013), Bern