Flatten the next curve – Pflegerische Interventionen zur Prävention psychischer Folgestörungen nach kritischer Erkrankung im Zusammenhang mit COVID-19

31. Oktober 2020 | Covid19, Fachwissen | 0 Kommentare

Die Behandlung auf einer Intensivstation birgt ein hohes Risiko für psychische Folgestörungen auf Seiten der Betroffenen, der Angehörigen und der intensivmedizinischen Teams. Durch die Zunahme von kritischen Erkrankungen gewinnt dieses Thema an Bedeutung, was sich zuletzt während der COVID-19 Pandemie zeigte. Studien zu diesem Thema sind vielfältig, aber häufig von niedriger Evidenz. Dennoch können bereits erste Rückschlüsse für mögliche Handlungsempfehlungen getroffen werden.

Seit Dezember 2019 infizierten sich weltweit unzählige Menschen mit einem aggressiven Virus. Das Virus führt bei betroffenen Menschen häufig zu einer schweren Lungenkrankheit. Für den schweren Krankheitsverlauf wurde ein eigener Name geschaffen: Coronavirus disease 2019 (COVID-19) (World Health Organization, 2020). COVID-19-Patienten müssen deutlich häufiger und deutlich länger beatmet werden als Patienten mit ähnlichen virusbedingten Lungenkrankheiten, was die Patientenzahlen auf den Intensivstationen ansteigen lässt (Verity et al., 2020). Das Virus erscheint trotz der Fortschritte im weltweiten Gesundheitssystem, übermächtig. In Deutschland wird v.a. durch die Schaffung von zusätzlichen Intensiv- und Beatmungsplätzen in den Krankenhäusern versucht, den Folgen der Pandemie entgegenzuwirken.

Am Anfang war die Fledermaus

Das Virus wurde nach aktuellen Erkenntnissen von verzerrtem Fledermausfleisch auf den Menschen übertragen. Eine totbringe Mahlzeit, wenn man die steigende Zahl von kritischen Erkrankungen betrachtet (Lai, Shih, Ko, Tang, & Hsueh, 2020). Aber nicht alle Menschen, die direkt von COVID-19 betroffen sind, entwickeln eine schwere Krankheitssymptomatik. Und nicht alle, die eine schwere Symptomatik entwickeln, sterben (Hinweis: Da Zahlen bzw. Relationen hinsichtlich Infektionsraten und Sterblichkeit aufgrund unterschiedlicher Verzerrungen derzeit mit Vorsicht interpretiert werden müssen (Schrappe et al., 2020), wird hier auf die Nennung konkreter Zahlen verzichtet). Unter dem #flattenthecurve wurde während der COVID-19-Pandemie eine Strategie zur Eindämmung bekannt und im Internet stark verbreitet. Die Menschen waren durch staatliche Vorgaben angehalten, soziale Distanz einzuhalten, um den exponentiellen Anstieg von Neuinfektionen zu verlangsamen und so das Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu schützen. Zur Zeit der COVID-19-Pandemie war das Risiko für eine psychotraumatische Belastung besonders hoch, sodass es nach der Pandemie zu einem weiteren Anstieg von Patientenzahlen auf Grund einer psychischen Störung kommen kann. Nun stellt sich die Frage, welche Auswirkung die psychotraumatische Belastung haben kann und welche pflegerischen Interventionen empfohlen werden können, um dem möglichen Anstieg von psychischen Erkrankungen einzudämmen.

Auswirkungen kritischer Erkrankungen auf die Betroffenen

Viele der intensivpflichtigen Betroffenen überleben die Erkrankung und müssen mit den Erinnerungen an diese kritische Erkrankung leben. Laut Tedstone und Tarrier (2007) haben besonders verstörenden und lückenhaften Erinnerungen, die in Folge einer intensivmedizinischen Behandlung auftreten, das Potential, eine posttraumatische Belastungsstörung auszulösen.   Seit 2013 ist bekannt, dass 35 % der Patienten, die eine kritische Erkrankung überlebt haben, drei Monate nach der Behandlung unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden (Bienvenu et al., 2013). Die genannte Prävalenz für eine posttraumatische Belastungsstörung bestätigte sich in einer späteren Metaanalyse (Parker et al., 2015). Außerdem wurden ähnliche Prävalenzen für das Auftreten einer Depression oder Angststörung nach einer intensivmedizinischen Behandlung nachgewiesen (Nikayin et al., 2016; Rabiee et al., 2016). Besonders die PTBS birgt im Zusammenhang mit einer kritischen Erkrankung eine erhöhtes Manifestationsrisiko für die Dauer über sechs Monaten nach der Behandlung auf einer Intensivstation (Parker et al., 2015). Aus der Forschung um die psychischen Folgestörungen nach kritischer Erkrankung ist bekannt, dass besonders Menschen mit einer psychischen Vorerkrankung und sozial schwächere Menschen einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, weil es an wirksamen Resilienz-Faktoren fehlt (Nikayin et al., 2016; Rabiee et al., 2016). Laut der Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (2017) gelten als eindeutigen Risikofaktoren auch Organ-Ersatzverfahren und hygienische Isolationsmaßnahmen. Diese wiederum nehmen in der aktuellen COVID-19 Pandemie ein besonderes Ausmaß an. Das Aufstellen von Schutzwänden um Supermarktkassen oder an anderen Arbeitsplätzen erweitert die hygienischen Isolationsmaßnahmen auf den Sozialraum außerhalb des Krankenhauses und prägt im Frühjahr 2020 das öffentliche Bild.

Auswirkungen auf die Angehörigen

Um die Zahl der Neuinfektionen zu reduzieren und bereits vorerkrankte Menschen zu schützen, wurde 2020 vor allem in Deutschland ein Besuchsverbot für Kranken- und Pflegeeinrichtungen eingeführt (Robert Koch-Institut, 2020). Das bundesweite Besuchsverbot in Kranken und Pflegeeinrichtungen hat neben dem gewünschten Effekt der Viruseindämmung auch einen traurigen Nebeneffekt: Angehörige können ihre geliebten Menschen in der schweren Krise nicht begleiten und im schlimmsten Fall auch nicht von ihnen Abschied nehmen. Durch die kritische Erkrankung sind auch Angehörige einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt. Eine Studie von Nagl-Cupal und Schnepp (2010) zeigt, dass die Rolle eines Angehörigen von kritisch kranken Menschen durch Unsicherheit und überwältigende Emotionen gekennzeichnet ist. Dies geht in der Folge auch für Angehörige mit einem erhöhten Risiko für eine psychische Folgestörung einher. 2012 konnte eine Studie von Schmitt & Azoulay zeigen, dass es bei 70% der Angehörigen zu akuten Symptomen der Angst kommen kann. 35% der Angehörigen zeigen außerdem Symptome der Depression. Diese Symptome treten deutlich häufiger auf, wenn es sich bei dem Angehörigen um den Ehepartner oder um hinterbliebene Familienmitglieder handelt. Bis zu 40% der hinterbliebenden Familienmitglieder zeigen ein Jahr nach dem Verlust generalisierte Angstzustände, eine schwere depressive Störung oder eine komplizierte Trauer (Schmitt & Azoulay, 2012).

Das Post Intensive Care Syndrome

Die Langzeitfolgen von kritischen Erkrankungen auf Betroffene und Angehörige kann als Post Intensive Care Syndrom (PICS) bezeichnet werden. Bei dem PICS handelt es sich um einen nicht-klassifizierten Symptomkomplex. Das PICS umfasst dabei Aspekte der physischen, kognitiven und emotionalen Gesundheit. Psychische Folgestörungen nach kritischen Erkrankungen können innerhalb dieses Syndroms der emotionalen Gesundheit zugeordnet werden. Das PICS enthält die Sparten „Angehörige“ und „Betroffene“ und kann somit dafür eingesetzt werden, Folgen der intensivmedizinischen Behandlung bei diesen Personengruppen gezielt zu beobachten (Needham et al., 2012).

Auswirkungen auf die nächsten Generationen

Besonders die italienischen Medien berichteten während der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 von schlimmsten Zuständen in den örtlichen Krankenhäusern. Dass derlei Zustände gravierende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit folgender Generationen haben kann, ist schmerzlicher Weise seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 bekannt. 2005 zeigte eine amerikanische Studie (Yehuda et al., 2005), dass Frauen, die in der Zeit während und nach den Terroranschlägen vom 11. September in New Yorker Krankenhäusern Hilfe suchten, hohe Stresszeichen und erste PTBS-Symptome entwickelten. Diese Symptome übertrugen sich auf das ungeborene Kind. Die Säuglinge waren kurz nach der Geburt kleiner als der alterstypische Durchschnitt und sie reagierten bereits verstörter und schreckhafter auf Umweltreize. Nach der Geburt konnten bei der Mutter und dem Neugeborenen identische Genveränderungen festgestellt werden, die laut einer ersten Hypothese im Zusammenhang mit einem chronisch niedrigen Cortisol-Spiegel und der Anfälligkeit für psychische Störungen stehen sollen. Das überlastete Gesundheitssystem und ein anhaltendes Klima der Angst gelten als Hauptauslösefaktor (Yehuda et al., 2005). Ähnliche Effekte sind für die Entwicklung einer Depression nach einem familiären Psychotrauma über mehrere Generationen hinweg bekannt (Nestler, 2014). Im Hinblick auf COVID-19 könnte solch ein familiäres Psychotrauma evtl. durch den plötzlichen Verlust eines Familienmitgliedes verursacht werden. Inwiefern die dargestellten Auswirkungen der Terroranschläge in New York und die genannten Studienergebnisse auf die Ausnahmesituation während der COVID-19 Pandemie zu übertragen sind, ist derzeit noch ungeklärt. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die Pandemie auch Auswirkungen auf die emotionale Gesundheit der folgenden Generationen haben wird.

Auswirkungen auf das Pflegepersonal

In mehreren internationalen Studien konnte gezeigt werden, dass intensivmedizinische Behandlungsteams einem verstärkten Burn-out-Risiko ausgesetzt sind und besonders häufig unter emotionaler Erschöpfung und sinkender Leistungsfähigkeit leiden (Bakker, Le Blanc, & Schaufeli, 2005; Chuang, Tseng, Lin, Lin & Chen, 2016). Das permanente Arbeiten im Grenzbereich zwischen Leben und Tod konfrontiert die Behandlungsteams mit ihren eigenen emotionalen Grenzen. Das Burn-out-Risiko ist besonders hoch, wenn die Arbeitslast bei gleichzeitig sinkenden Personal- und Zeitressourcen steigt (Bakker, Le Blanc, & Schaufeli, 2005). Besonders anfällig sind Berufseinsteiger und Fachkräfte, die häufig mit dem Tod von Patienten konfrontiert sind oder die an Entscheidungen über den Verzicht auf eine lebenserhaltende Therapie beteiligt waren (Chuang, Tseng, Lin, Lin & Chen, 2016). Die Entscheidung über lebenserhaltenden Maßnahmen und der Umgang mit dem Tod von Patienten, traten bei der COVID-19 Pandemie vermehrt auf. Aus einer chinesischen Studie mit medizinischem Personal aus einem Krankenhaus in Wuhan geht hervor, dass kurz nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie rund die Hälfte aller Mitarbeiter (n=1257) psychische Auffälligkeiten (50,4% Depression, 44,6% Angst, 34% Schlafstörungen, 71,5% Disstress) aufwies (Lai et al., 2020).

Maßnahmen gegen psychische Folgestörungen

Sowohl die intensivmedizinische als auch die psychiatrische Versorgung können geeignete Werkzeuge anwenden, um die mentale Gesundheit zu erhalten. Es existieren evidenzbasierte Interventionen, um den drohenden Anstieg psychischer Folgestörungen entgegenzuwirken.

Nicht-pharmakologische Interventionen

Aus einer italienischen Studie aus dem Jahr 2011 geht hervor, dass eine am Krankenbett durchgeführte psychologische Betreuung das Risiko für psychische Folgestörungen reduziert. In der Studie betreuten festangestellte klinische Psychologen kritisch kranke Menschen und speziell ausgebildete Pflegefachkräfte übernahmen die Nachbetreuung. In der Interventionsgruppe sank der Depression- und Angstwert im poststationären Verlauf von zwölf Monaten, aber nicht signifikant. Das PTBS-Risiko hingegen war in der Interventionsgruppe nach zwölf Monaten signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe. Gleichzeitig war die Zahl der gegebenen Psychopharmaka in der Interventionsgruppe signifikant reduziert. In der Kontrollgruppe benötigten 41,7 % der Studienteilnehmer eine zusätzliche Gabe von Benzodiazepinen, in der Interventionsgruppe nur 8,1 % (Peris et al., 2011). Nicht-pharmakologische Maßnahmen zur Angstreduzierung, wie die Musiktherapie und alternative Entspannungsmethoden, haben während der Behandlung einen ähnlich positiven Effekt. In einer Studie von 2004 konnte bereits gezeigt werden, dass 30 Minuten Musiktherapie einen ähnlicher Effekt erzielt wie die orale Gabe von 10 mg Diazepam (Cardozo, 2004). Der Studie von Papathanassoglou et al. zufolge wird der Effekt verstärkt, wenn die Musiktherapie mit alternativen Entspannungsmethoden (z.B. Immaginationsübungen, Aromatherapie und Massagen mit mittlerem Druck) kombiniert wird. (Papathanassoglou et al., 2018). Neben der psychologischen Betreuung und den alternativen Entspannungsmethoden ist auch die Kommunikation für kritisch kranke Menschen von Bedeutung. In einer Studie aus dem Jahr 2005 konnte gezeigt werden, dass intensivmedizinische Pflegefachpersonen mit sedierten Patienten weniger und nur unzureichend kommunizieren, was zu einem erhöhten Stress- und Angsterleben der Patienten führt. Die Kommunikation erfolgt häufig nur als interaktiver Prozess, in dem das Pflegefachpersonal die eigene Arbeit kommentiert, aber die Kommunikation nicht nutzt, um Informationen oder Unterstützung zu geben. Das Pflegepersonal geht vielfach davon aus, dass der beatmete oder sedierte Patient ein nur geringes Kommunikationsbedürfnis hat. Deshalb liegt der Fokus der intensivpflegerischen Tätigkeit häufig auf technischen/maschinellen Arbeitsschritten (Alasad & Ahmad, 2005). In einer Studie von 2006 erklärten 18 von 28 Patienten, dass die Frustration steigt, wenn sie während einer Beatmung ihre Bedürfnisse nicht klar äußern können. 20 von 28 Patienten gaben an, dass ihnen ein geduldiger Einsatz einer Kommunikationstafel geholfen hat, Frustrationen bei bestehender Beatmung zu vermindern. Auf der Kommunikationstafel wurden mithilfe von Piktogrammen der Zustand (z. B. ich bin hungrig, müde, ängstlich) und die Bedürfnisse (z. B. ich wünsche Essen, Ruhe, Medikamente) ermittelt (Patak et al., 2006).

Pharmakologische Interventionen

Besonders die Gabe von Benzodiazepinen während der intensivmedizinischen Behandlung kann sich negativ auf die Entwicklung einer psychischen Folgestörung auswirken. Benzodiazepine führen bei kritisch kranken Patienten zu lückenhaften und verstörenden Erinnerungen. Dies kann sich später in Flashbacks äußern und zu einer posttraumatischen Belastungsstörung manifestieren (Kok, Slooter, Hillegers, van Dijk, & Veldhuijzen, 2018). Eine besonders protektive Wirkung haben hingegen Glucocorticoide. Bereits 2002 konnte gezeigt werden, dass bei kritischen kranken Patienten unter der Gabe von Glucocorticoiden eine verbesserte Gedächtnisleistung erzielt werden kann und es weniger lückenhafte und emotionale Erinnerungslücken gibt. Was die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung verhindert (Schelling, 2002). In einer placebokontrollierten, doppelblinden Studie (n=64) wurde bereits der Effekt einer 10-tägigen niedrig dosierten Glucocorticoidtherapie bei traumatischen Verletzungsopfern untersucht. In der Gruppe der Glucocorticoidtherapie (zweimal täglich 10 mg) lag die Prävalenz für eine PTBS nach einem Monat bei 8% und nach 3 Monaten bei 0%. Im Vergleich lag die PTBS Prävalenz in der Placebogruppe bei 11% nach einem Monat und 14 % nach 3 Monaten. Der allgemeine Übertrag auf kritisch kranke Menschen darf nur unter Vorbehalt erfolgen, weil eine Glucocorticoidtherapie aufgrund anderer Behandlungsverfahren oder Grundleiden kontraindiziert sein kann (Delahanty et al 2013).

Emotionale Nachsorge

Als zusätzliche nicht-pharmakologische Lösung hat sich besonders in der Nachsorge das Führen von Intensivtagebüchern erwiesen. In dem Intensiv-Tagebuch werden während der intensivmedizinischen Behandlung persönliche Einträge über den Zustand und die Behandlung des kritisch kranken Menschen gemacht. Diese Einträge können durch persönliche Wünsche und Fotos ergänzt werden. Das Intensiv-Tagebuch kann später von den Patienten genutzt werden, um den Ablauf der Behandlung zu verstehen und über lückenhafte Erinnerungen zu sprechen (Nydahl, Fischill, Deffner, Neudeck, & Heindl, 2019). Außerdem konnte in einer kontrollierten Studie gezeigt werden, dass ein Intensiv-Tagebuch auch die psychische Belastung von Angehörigen reduziert. Angehörige, die ein Intensivtagebuch für den kritisch kranken Menschen geführt haben, zeigen 26,3% niedrigere Werte für posttraumatischen Stress als Angehörige aus der Kontrollgruppe (Nielsen et al., 2019). In Ermangelung an standardisierten und wirksamen Rehabilitationsprogrammen für das Leben nach der intensivmedizinischen Behandlung sind weitere Empfehlungen für die Nachsorge schwierig (Jensen et al., 2015). Es ist aber bekannt, dass sich eine Fehl- und Unterversorgung in der Nachsorge von Überlebenden einer kritischen Erkrankung durch regelmäßiges Aufsuchen und niederschwellige Vermittlung von Hilfe vermeiden lässt und sich so das psychische Befinden der Betroffenen verbessert (Schandl et al., 2011). Hier empfiehlt es sich, den Nachsorgebedarf anhand von geeigneten Assessement-Instrumenten zu ermitteln und durch entsprechende Ambulanzen oder Nachsorgeteams zu gewährleisten. Die Nachsorge wird auch mit Hinblick auf das Risiko einer transgenerationalen Weitergabe des Psychotraumas an Bedeutung gewinnen.

Fazit und Ausblick

Die Behandlung auf einer Intensivstation ist mit einem hohen Risiko für eine psychische Folgestörung verbunden. Angehörige und die Behandlungsteams sind genauso betroffen wie die kritisch kranken Patienten selbst. Das Risiko kann über mehrere Generationen hinweg bestehen bleiben und stellt das Gesundheitssystem vor eine große Herausforderung. Pandemien, wie z.B. die COVID-19-Pandemie, können dieses Risiko verstärken. Es empfiehlt sich, betroffene Patienten, deren Angehörige und die Behandlungsteams besonders zu unterstützen, um dem drohenden Anstieg von psychischen Erkrankung entgegen zu wirken. Für die Risikominimierung von psychischen Folgeschäden der Patienten und der Angehörigen sind im pflegerischen Rahmen eine klare, zugewandte Kommunikation und das Schaffen von Sicherheit und Transparenz von zentraler Bedeutung. Längerfristige Transparenz kann durch das Führen eines Intensiv-Tagebuchs, das Erinnerungslücken entgegenwirkt, hergestellt werden. Pharmakologische Interventionen können unterstützen, einen hohen Stellenwert nimmt aber auch die organisierte Nachbetreuung bei betroffenen Patienten zur Risikominimierung ein. Wie die Behandlungsteams unterstützt werden können, muss in weiterführenden Studien untersucht werden.

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Autor:in

  • Marvin Kaiser

    . A. Psychiatrische Pflege / Psychische Gesundheit, Gesundheits-und Krankenpfleger, stellvertretende Stationsleitung im LVR-Klinikum Düren, aktuell Stabstelle für Pflegeentwicklung, freiberufliche Referententätigkeit an Krankenpflegeschulen und Weiterbildungseinrichtungen, marvin.kaiser@lvr.de