Was tun mit den herausfordernden Patientinnen und Patienten? Wie viel Zeit kann ich denen zukommen lassen, die so viel mehr Zuwendung benötigen als andere? Wie viel Zeit kann ich anderen vorenthalten? Wie kann ich trotz knapper personeller Ressourcen das herausfordernde Verhalten hinnehmen und die Verursachenden in ihrer Autonomie schützen? Wie können psychisch Schwererkrankte angesichts fortschreitender Ökonomisierung das hohe Maß an Behandlung und Pflege erhalten, das sie brauchen?
Die Behandlung und Pflege herausfordernder Patientinnen und Patienten stellt insbesondere pflichtversorgende psychiatrische Krankenhäuser vor enorme Herausforderungen. Der Umgang mit herausforderndem Verhalten ist häufig Bestandteil eines ordnungsrechtlichen Sonderauftrags an psychiatrische Krankenhausbehandlung, der neben dem primären Behandlungsauftrag auch die gesetzliche Unterbringung zum Schutz der Betroffenen sowie Dritter vorsieht. Dieser Sonderauftrag sieht in erster Linie die vorübergehende Aufenthaltsbeschränkung zum Zwecke der Behandlung vor, in Ausnahmefällen aber auch die Durchführung noch eingriffsintensiverer Zwangsmaßnahmen. Jegliche Form des Freiheitsentzugs und jeder Eingriff in die körperliche und seelische Unversehrtheit stellen einen intensiven Eingriff in die Rechte der Betroffenen dar. Zurecht wurden in Rechtsprechung und Gesetzgebung zuletzt deutlich höhere grund- und menschenrechtliche Anforderungen an den Unterbringungsauftrag – und somit auch an die Behandlung und Pflege herausfordernder Patientinnen und Patienten – formuliert.
Gleichzeitig hat der Gesetzgeber auch für psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser die Entwicklung eines leistungsorientierten und pauschalierenden Entgeltsystems beauftragt (PsychEntgG). Erklärtes Ziel der Gesetzgebungsinitiative, deren Reformen sich noch bis heute in einem Umsetzungsprozess befinden, war die Finanzierung an der erbrachten Leistung zu orientieren und damit die Effizienz der Krankenhäuser zu steigern und nicht zuletzt auch den Wettbewerbsdruck zu erhöhen.[1] Entsprechende Anreize zeigen sich in der konkreten Ausgestaltung der Finanzierungsgrundlagen.
Es trifft so ein Finanzierungssystem, das eine hohe Leistungsmenge, effiziente Abläufe und schnelle Behandlungserfolge fordert und fördert, auf herausfordernde Patientinnen und Patienten, die genau dies nicht wünschen, Behandlungsmaßnahmen teilweise sogar ablehnen. Die Zielvorstellungen könnten unterschiedlicher nicht sein: Auf der einen Seite der sozialrechtliche Behandlungsauftrag, der schnelle Behandlungserfolge zu möglich geringen Kosten erwartet – auf der anderen Seite der ordnungsrechtliche Sonderauftrag, der die Wahrung größtmöglicher Selbstbestimmung vorsieht und zu diesen Gunsten auch herausforderndes Verhalten erträgt und längere Genesungszeiten akzeptiert.
Zunehmend stellt sich die Frage, ob sich Behandlung und Pflege herausfordernder Patientinnen und Patienten in einem System finanzieren lassen, während gleichzeitig dessen Zielvorstellungen so unterschiedlich sind. Gleichzeitig müssen die Anreize des Vergütungssystems vor der Frage bewertet werden, ob sie grund- und menschenrechtlich geforderten Umgang mit herausforderndem Verhalten begünstigen oder ihnen sogar – so deutet es sich an – entgegenwirken. Im Folgenden werden dafür die bestehenden Finanzierungsgrundlagen hinsichtlich ihrer Anreizwirkung beleuchtet und aktuelle Neuregelungsverfahren im Kontext des vorliegenden Zielkonflikts untersucht.
(Fehl-)Anreize des Finanzierungssystems
Herauszustellen ist zunächst ein deutlicher Mehraufwand für die Krankenhäuser im grund- und menschenrechtskonformen Umgang mit herausfordernden Patientinnen und Patienten. Zunächst müssen Einrichtung und Infrastruktur geeignet sein, um herausforderndem Verhalten mit möglichst geringer Eingriffsintensität begegnen zu können. Die hierfür dringend benötigten Investitionsmittel, etwa für Umbau-, Modernisierungs- oder Ausstattungsmaßnahmen, werden durch die Bundesländer nicht ausreichend finanziert. Ihrer Investitionsmittelfinanzierung kommen fast alle Länder nicht nach – jeder zweite Euro muss von Kliniken aus Eigenmitteln finanziert werden.[2] Auch der Anspruch an Qualifikation, Schulung und Supervision im Zusammenhang mit herausforderndem Verhalten steigt.
Hoher Personalaufwand entsteht vor allem in Vermeidung jeglicher Formen von Zwang, sei er räumlich, mechanisch oder medikamentös. Unterbringung gilt es nach neuerer Rechtslage möglichst in offenen Formen durchzusetzen. Möglich ist dies nur mit hohem personellen Einsatz. Die Vermeidung von mechanischem oder räumlichem Zwang gelingt regelmäßig nur durch die dauerhafte Bezugsbegleitung eines Patienten durch eine oder mehrere Fachkräfte (1:1-Betreuung). Im Falle der Verweigerung medikamentöser Behandlungsmaßnahmen trotz hochakuter Krankheitssymptomatik ist ein entsprechend hoher Sicherungsaufwand sowie ein Höchstmaß an personeller Zuwendung und Überzeugung zu leisten. Gelingen kann eine möglichst selbstbestimmte Behandlung und Unterbringung nur mit einer entsprechend hohen Personalausstattung und sofern das therapeutische Personal im Therapiesetting die Ressourcen erhält, sich einzelnen Patientinnen und Patienten entsprechend intensiv zu widmen.
Quantifiziert werden konnte dieser Mehraufwand in einer Untersuchung [3] von realen Kosten- und Erlösdaten, die der Autor mittels Kostenträgerrechnung (InEK-Kalkulationsdaten) eines psychiatrischen Krankenhauses tagesbezogen vergleichen konnte. Deutlich aufgezeigt werden konnte, dass die Behandlungstage, in denen medikamentöse Behandlungsmaßnahmen über längere Zeit verweigert wurden, wesentlich höhere Kosten für therapeutisches Personal verursacht haben als Behandlungstage der Vergleichsgruppe (Unterbringungsfälle, Akutaufnahmestation, HD: F20.0) ohne Medikationsverweigerung. Es zeigte sich, dass in den untersuchten Fällen gerade die Zeiten, in denen die Selbstbestimmung der Patienten gewahrt bleibt, einen deutlich quantifizierbaren Mehraufwand für die psychiatrischen Krankenhäuser verursachen.
Auf der Suche nach einer erlösmäßigen Berücksichtigung dieses Mehraufwands muss zunächst festgestellt werden, dass im Pauschalierenden Entgeltsystem in der Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) insbesondere fallbezogene Merkmale (Haupt- und Nebendiagnosen, Alter etc.) erlössteigernd wirken, die einen Mehraufwand im Tagesbezug nicht abbilden können. Lediglich die Merkmale der Intensivbehandlung und der erhöhte Betreuungsaufwand für 1:1-Betreuung vermögen es grundsätzlich, als Prozeduren verschlüsselt, einen entsprechenden Mehraufwand abzubilden.
Vergleicht man die Zusatzerlöse (ergänzende Tagesentgelte) für die genannten Prozeduren mit dem dahinterstehenden Aufwand für therapeutisches Personal, so stellt man schnell fest, dass man höchstens von einer Teilkompensation des Personalaufwands ausgehen kann. Die Beispielrechnung in Tabelle 1 vergleicht den notwendigen Personalaufwand für eine 24-stündige 1:1-Betreuung mit den Erlösen für die ergänzenden Tagesgelte, die den Aufwand vermeintlich abbilden sollen.
Personalaufwand | € | Erlös (PEPP) | € |
24h 1:1 Betreuung durch ex. Pflegekräfte:
(Bruttopersonalkosten: 62.800€, Nettojahresarbeitszeit: 1.565,49 Std.) |
962,77€ | Erh. Betreuungsaufw. (1:1) 18-24h: (Basisentgeltwert: 250€ *3,1237) | 780,93€ |
2h Fachärztl. Aufwand
(Anordnung, Beurteilung Erforderlichkeit, Motivation): (Bruttopersonalkosten: 120.000€, Nettojahresarbeitszeit: 1.666,64) |
144,00€ | Ggf. 3 Intensivmerkmale: (Basisentgeltwert: 250€ *0,1667) | 41,68€ |
Summe Zusatzaufwand Personal: | 1.106,77€ | Summe Zusatzerlös: | 821,61€ |
Tabelle 1: Vergleich des Personalaufwands für 24 Std. 1:1-Betreuung mit den Zusatzerlösen nach PEPP (Quelle: eigene Berechnung nach InEK, PEPP-Katalog 2019)
Der tagesbezogene Vergleich der Kosten der Untersuchungsgruppe mit den entsprechenden PEPP-Erlösen zeigt, dass in den Zeiten der Behandlungsverweigerung die hohen Kosten zum deutlichen Teil nicht durch Erlöse gedeckt sind. Die Erlöse steigen in den Zeiten zwar auch an (insb. durch ergänzende Tagesentgelte), die hohen Kosten werden allerdings nicht ausreichend kompensiert.
Es stellt sich die kontraintuitive Situation dar, dass gerade die herausfordernden Zeiten der Behandlungsverweigerung, in denen den menschen- und grundrechtlichen Erfordernissen der Wahrung der Patientenautonomie gefolgt wird, für die Krankenhäuser finanziell deutlich defizitär sind. Das finanzielle Defizit lässt sich – so zeigt es sich in den untersuchten Fällen mit hochkritischer Implikation – vor allem durch die Durchführung von Behandlungsmaßnahmen gegen den Willen des Patienten aufheben.
MDK-Prüfungen – systematische Benachteiligung herausfordernder Patient*innen
Verschärft werden die Fehlanreize des Vergütungssystems dadurch, dass Krankenkassen paradoxerweise die Behandlung chronisch oder Schwersterkrankter gegenüber den Krankenhäusern besonders häufig anzweifeln. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) vertritt in der Prüfung der Leistungspflicht eine entsprechend harte Linie gegenüber diesen hochaufwändigen Behandlungs- und Unterbringungsfällen. Sobald keine Behandlungsleistung (im sehr engen Sinne) erfolgen kann, wird eine Kostenübernahme nicht empfohlen. Ein Unterbringungsbeschluss, der das Krankenhaus ordnungsrechtlich zur Behandlung verpflichtet, stellt für den MDK keine Rechtfertigung einer Behandlungsbedürftigkeit dar. Im Gegenteil, Unterbringungsfälle werden wegen ihrer vermeintlich sozialen Indikation und überdurchschnittlich langen Verweildauer schwerpunktmäßig geprüft. Chronisch und Schwersterkrankten wird mit Hinweis auf die mangelnde positive Prognose jegliche Behandlung abseits einer medikamentösen Kriseninterventionsbehandlung aberkannt.
Aktuellen Gutachten des MDK zufolge ist bei Verweigerung von Medikation ohne Verzögerung ein gerichtliches Genehmigungsverfahren zur zwangsweisen Behandlung einzuleiten, ansonsten mangele es an einer hinreichend günstigen Prognose zur Verbesserung der Symptomatik – sprich ein Fall für andere Kostenträger. In anderen dem Autor vorliegenden Gutachten wird auch aus Gründen ebendieser Prognose die Notwendigkeit formuliert, Behandlungserfolge (z.B. Abstinenz oder medikamentöse Therapie bei bekanntermaßen häufig abgängigen Patienten) unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen zu sichern.
Die gegensätzlichen Anreize des Vergütungssystems verschärfen sich durch die mittels MDK effektiv durchgesetzten grundsätzlichen Zweifel an einer Leistungspflicht durch die Krankenkassen. Der Sonderauftrag psychiatrischer Krankenhäuser wird immer mehr zum finanziellen Risiko dieser Krankenhäuser. Eine Entwicklung, die einer konsequenten Umsetzung der menschen- und grundrechtlich geforderten Veränderungen und guter Behandlung und Pflege herausfordernder Patientinnen und Patienten zunächst einmal entgegensteht.
Das MDK-Reformgesetz, das Mitte November 2019 im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde, verspricht „bessere und unabhängigere Prüfungen“. Umgesetzt werden sollte dies im Wesentlichen über eine Verselbstständigung des Medizinischen Dienstes als eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts auf der einen Seite und eine ergebnisabhängige Begrenzung der Prüfquote auf der anderen Seite. Eine wirkliche Unabhängigkeit scheint zweifelhaft, haben die Krankenkassen doch weiterhin Vorschlagsrecht für 16 der 21 stimmberechtigten Mitglieder der neu zu besetzenden Verwaltungsratssitze. Dies entspricht einer Zweidrittelmehrheit, die auch für Grundsatzentscheidungen keinen Konsens braucht. Die Leistungserbringer werden lediglich mit zwei Vertretern ohne Stimmrecht repräsentiert. Die ergebnisabhängige Regelung der Prüfquoten vermag zwar unter Umständen eine gewisse Begrenzung der Prüffälle zu bewirken, verschärft wird das Prüfgeschehen aber gleichzeitig durch die Regelung von Strafzahlungen, die über einen Strafaufschlag die Rückzahlungsbeträge deutlich erhöhen. Insgesamt ist zu erwarten, dass sich der Wettbewerb der Krankenkassen um die höchsten Einsparungen aus dem MDK-Verfahren noch verschärft. Zusätzliche Ressourcen werden auf Kostenträgerseite in die Suche nach den aussichtsreichsten Fallkonstellationen investiert. Treffen wird es damit weiterhin – verschärft um zusätzliche Strafzahlungen – die chronisch und Schwersterkrankten, deren Behandlung und Pflege im MDK-Verfahren nur so begrenzt Anerkennung findet.
Nachfolge der PsychPV – G-BA Mindestpersonalausstattungs-Richtlinie
Zu diskutieren bleibt, ob aktuelle Neuregelungsverfahren in der Psychiatriefinanzierung geeignet sind, die Fehlanreizstrukturen zu überwinden, Behandlung und Pflege herausfordernder Patienten zu ermöglichen und ausreichend zu refinanzieren. Seit das Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) die reine Leistungsorientierung in der Budgetfindung abwenden konnte, bestimmt die personelle Ausstattung von psychiatrischen Krankenhäusern weiter einen wesentlichen Teil der zu verhandelnden Budgets. Um so wichtiger erscheint nun die Systematik der Personalmittelrefinanzierung, die ab dem 2020 eine Neuregelung findet.
Die Psychiatriepersonalverordnung (PsychPV), die im Jahr 1991 primär als Instrument der Personalbemessung zur Budgetfindung beschlossen wurde, vermochte es nicht mehr die steigenden Anforderungen an die psychiatrische Krankenhausbehandlung abzubilden. Die Höhe des vorgesehenen Personals erscheint nicht mehr ausreichend und zeitgemäß. Auch die Verbindlichkeit ihrer Regelung als Bemessungsinstrument ist begrenzt.
Die Erwartungen galten zuletzt der Richtlinie über die Mindestpersonalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL), die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 23.09.2019 beschlossen hat. Die Richtlinie dient zunächst ausdrücklich nicht mehr der Bemessung von zur leitlinienorientierten Behandlung benötigtem Personal, sondern nur noch der Definition einer Mindestpersonalmenge, unter der eine Krankenhausbehandlung nicht mehr den qualitativen Mindestanforderungen entspricht. Die Erfahrungen aus den Budgetverhandlungen auf Ortsebene lassen befürchten, dass ohne eine Personalbemessung, die den zusätzlichen Personalbedarf objektiviert, die Untergrenze mangels darüber hinausgehender Refinanzierungsansprüche gleichzeitig als Obergrenze wirkt.
Die Mindestpersonalvorgaben sehen im Vergleich zur PsychPV eine gewisse Erhöhung der Minutenwerte (je Pat. pro Woche) vor, die sich je nach Schwerpunkt der Einrichtung über alle Berufsgruppen zwischen 3 und 5 Prozent bewegt. Erhöhung erfährt insbesondere die Berufsgruppe der Psychologinnen und Psychologen, aber auch die Pflege wird in den Intensivkategorien (Einstufung: Intensivbehandlung) leicht erhöht (10%). Der Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie wird über alle Bereiche erhört (5%). Hieraus ergibt sich eine leichte Erhöhung des zu finanzierenden therapeutischen Personals. Ob es ausreicht, um den deutlich gestiegenen Anforderungen an Behandlung und Pflege gerecht zu werden, muss kritisch hinterfragt bleiben.
Die Richtlinie sieht eine höhere Verbindlichkeit über den tatsächlichen Personaleinsatz vor, schafft diese Verbindlichkeit nur über starre und antiquierte Strukturvorgaben sowie einen unangemessen hohen Bürokratie- und Dokumentationsaufwand einzufordern. So gilt die sanktionsbehaftete Nachweispflicht zwar auf den ersten Blick nur im Quartals- und Einrichtungsbezug. In der konkreten Ausgestaltung zeigt sich die einzelne Station als der einzige Bezugsrahmen im Nachweis. Nur auf einer Station eingesetztes Personal wird im Nachweis berücksichtigt und lässt sich nur über die Summe der Stationen im Einrichtungsbezug abbilden.
Dabei sind psychiatrische Krankenhäuser mehr als die Summe ihrer Stationen. Auch zur Behandlung und Pflege herausfordernder Patientinnen und Patienten braucht es mehr als einen rein stationszentrierten Behandlungsansatz. Es ist zu befürchten, dass die knappen Personalressourcen, um der strengen und kleingliedrigen Nachweispflicht Genüge zu tun, überwiegend den Stationen zugeordnet werden. Patientenzentrierter Behandlung, die sich bewusst aus der Sektorentrennung löst, könnte damit systematisch das benötigte Personal entzogen werden. Damit wäre Behandlung auf der Station möglicherweise erstarkt, allerdings zu Lasten der Behandlung, die sich auf den Wohnort und die Bedürfnisse des einzelnen Patienten bezieht. Weitere Personalressourcen fallen den überbordenden Dokumentationspflichten zum Opfer, die einem universellen Grundmisstrauen gegenüber den Krankenhäusern entspringt (stationsweiser Nachweis, Nachweis aller erbrachten Tätigkeiten, zweiwöchige Stichtagserhebungen etc.).
Statt die pflichtversorgenden Krankenhäuser in ihrem Sonderauftrag zu bestärken, wird die jederzeitige Aufnahmeverpflichtung angesichts der zu befürchtenden Sanktionen zum unkalkulierbaren wirtschaftlichen Risiko. Der „Wegfall von Vergütungsanspruch“ (§13 Abs. 3 PPP-RL) sowie das Quasi-Behandlungsverbot bei Nichterfüllung (§2 Abs. 2 PPP-RL) drohen zur existenziellen Gefahr für Krankenhäuser und zu einer unverantwortlichen Gefährdung des Versorgungsauftrags zu werden. Sollte die Sanktionsvereinbarung in der Härte getroffen werden, wären Krankenhäuser unter Umständen gezwungen, Stationen zu schließen oder Aufnahmen abzulehnen. Insgesamt scheinen Misstrauen und Regulierungsbedürfnis der handelnden Akteure im G-BA größer zu sein, als der Wunsch die Behandlung und Pflege insbesondere herausfordernder Patientinnen und Patienten zu verbessern. Statt personeller Verbesserung für pflichtversorgende Krankenhäusern mit rechtssicheren Refinanzierungsansprüchen schafft die Richtlinie einen Rückbezug auf die Station als Ort der Behandlung – bei gleichzeitiger Gefahr von Versorgungsdefiziten.
Wer kann den Zielkonflikt nun lösen?
So ist weiterhin kein Handlungsimpuls zu erkennen, pflichtversorgende Krankenhäuser in der Umsetzung ihres Sonderauftrags angesichts der steigenden Anforderungen finanziell zu bestärken. Im Gegenteil steigt die finanzielle Benachteiligung der Behandlung und Pflege herausfordernder Patientinnen und Patienten – sie wird vermehrt zum existenziellen Risiko für psychiatrische Krankenhäuser.
Problematisch erscheint das fehlende Bewusstsein über den finanzierungsrelevanten Einfluss auch sozialrechtsferner Gesetzgebung. Die Frage der Finanzierbarkeit wird in der Diskussion um grund- und menschenrechtliche Anforderungen an psychiatrische Krankenhausbehandlung scheinbar gänzlich ausgeblendet. Krankenhäuser müssen dringend befähigt werden, die menschen- und grundrechtlichen Anforderungen an Behandlung und Pflege umzusetzen. Für die notwendige Infrastruktur bedarf es unbürokratischer Investitionsfördermittel, etwa über eine an diesen Zweck gebundene Investitionspauschale.
Überfällig erscheint, dass die Krankenhäuser mit dem finanziellen Risiko steigender menschen- und grundrechtlicher Anforderungen an den Sonderauftrag psychiatrischer Krankenhausbehandlung nicht allein gelassen werden. Hierbei kann sich der Gesetzgeber offensichtlich nicht, wie sonst in Finanzierungsfragen im Gesundheitswesen, allein auf den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) verlassen, in dem andere Ziele verfolgt werden. Gemeinsames Ziel muss es sein, die Behandlung und Pflege herausfordernder Patientinnen und Patienten finanziell nicht zu benachteiligen, sondern Krankenhäuser darin bestmöglich zu befähigen und zu befördern.
[1] Vgl. zu den Zielen: BT-Drs. 17/8986, S. 25.
[2] Vgl. z.B. DKI (2018): Krankenhausbarometer 2018
[3] Untersuchungsergebnisse und Methodik zu finden in : Krüger (2019): Finanzierungsrelevante Auswirkungen der jüngeren Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Zwangsmaßnahmen auf die psychiatrische Krankenhausbehandlung, Recht & Psychiatrie 4/2019.