Es sind Schlagzeilen, die mich immer wieder erschrecken. „Junger Mann stirbt nach Medikamentenverwechslung in Bielefelder Klinik“, titelte Spiegel Online in dieser Woche. Inzwischen wird die Meldung verbreitet, dass der Verstorbene ein Medikament seines Mitpatienten eingenommen hat. Die Verantwortlichen in der Bielefelder Klinik werden mit den Ermittlungsbehörden viel Mühe aufbringen, um die Umstände dieses tragischen Todes aufzuklären.
Mich bewegen solche Meldungen, weil mir immer wieder bewusst wird, wie leichtfertig im Alltag mit Medikamenten umgegangen wird. Dabei wäre der Umgang mit Medikamenten eine Gelegenheit, um die Fachlichkeit professioneller Pflege zu unterstreichen und um auf die Notwendigkeit ausreichender Personalressourcen aufmerksam zu machen.
Hand aufs Herz – in den meisten stationären Settings werden die Medikamente im Nachtdienst gestellt bzw. vorbereitet. Die Kolleginnen und Kollegen sind in den Nachtstunden oft müde, ihnen mangelt es an Konzentration. Dadurch kommt es natürlich eher zu Fehlern. Dazu kommt die Ablenkung durch Patientinnen und Patienten, die den Kontakt in den Nachtstunden suchen, oder durch Rufsignale aus den Patientenzimmern. Unterbrechungen sind ganz normal während des Stellens von Medikamenten.
Dazu kommt, dass die Kolleginnen und Kollegen zum Ende des Nachtdienstes häufig die Tropfen stellen. Sie wollen den Pflegenden im Frühdienst die Arbeit erleichtern. Der Gedanke an die Erleichterung führt dann zur Nachlässigkeit bei der Kontrolle der Medikamente, bevor sie an die Patientinnen und Patienten verabreicht bzw. abgegeben werden. Vieles wird dadurch einfacher, was die Komplexität der täglichen Arbeit reduziert.
Menschlich ist dies alles nachvollziehbar. Es wäre töricht, Bösartigkeit zu unterstellen. Am Umgang mit Medikamenten zeigt sich, dass weder das Stellen noch das Kontrollieren und das Verabreichen als beiläufige Tätigkeit verstanden und getan werden kann. Die Konsequenzen eines möglicherweise leichtfertigen Verhaltens sind einfach zu weitreichend. Menschenleben stehen zur Disposition. Dies zeigt unter anderem das tragische Ereignis von Bielefeld, das beileibe nicht selten geschieht.
Was passiert nach einem solchen Zwischenfall? In dem jeweiligen Setting wird nach Verantwortlichen gesucht. Oder anders formuliert: Ein Schuldiger wird gefunden. Ihr oder ihm drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen, die in die Einrichtung hinein Signalwirkung haben. In Bielefeld werden die Verantwortlichen auf jeden Fall strafrechtliche Folgen erwarten. So wird aus einer tüchtigen Kollegin oder einem gutmütigen Kollegen ganz zügig eine Totschlägerin oder ein Totschläger.
Es ist sicher so, dass Krankenhäuser und Pflegeheime billigend in Kauf nehmen, wenn immer mal wieder Fehler im Umgang mit Medikamenten passieren. Die Gutmütigkeit und Trotteligkeit Pflegender sorgt schließlich dafür, dass nicht noch weiter finanzielle Ressourcen für angemessene personelle Ausstattung aufgefressen werden. Medien neigen zwar dazu, kurzfristig solche Ereignisse zu skandalisieren. Doch die Flüchtigkeit der Gegenwart lässt die Skandale schnell in Vergessenheit geraten. Und politisch Verantwortliche, die Gesundheitspolitik gestalten, bleiben tatenlos.
Für Pflegende ist die gesamte Situation unbefriedigend. Innerhalb der Einrichtungen, innerhalb des Systems ändert sich nichts. Deshalb wird pragmatisch so weiter gearbeitet wie es über Jahre und Jahrzehnte geschieht. Es wird nicht über das wirklich notwendende Qualitätsmanagement nachgedacht, das beispielsweise die Medikamentenversorgung verändern würde. Es gibt ja Esel auf dem Acker, die bereitwillig die Lasten tragen. Sie meckern schon einmal. Mehr aber auch nicht. Steht auf, Kolleginnen und Kollegen, es geht um unsere Köpfe.