Mit dem Kalender „The Golden Age“ will das Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser ein neues Bild des Alters vermitteln. Der Kalender soll zeigen, dass das Altwerden und die mögliche zunehmende Gebrechlichkeit kein Grund sind, an Lebendigkeit und Farbe im Leben Verluste erleiden zu müssen. Was das ganze Projekt sympathisch macht: Die Idee kam den Reihen der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Make-up-Artistin Denise Goban und die Fotografin Sarah Bruckner haben das Vorzeige-Projekt entwickelt und vollzogen. Christoph Müller hat mit ihnen über den ungewöhnlichen Kalender gesprochen.
Denise Goban
Christoph Müller Zuerst einmal sage ich herzlichen Glückwunsch zu diesem beeindruckenden Kalender. Ich bin überwältigt davon, dass Sie die Models in Szene gesetzt haben. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Denise Goban Lieber Herr Müller, vielen lieben Dank für Ihr Lob. Bezüglich der Idee kam es vor über einem Jahr zu einem Gespräch zwischen Mag.a Madlena Komitova, Abteilungsleitung der Wiener PensionistInnenenklubs, und mir. Sie fragte mich, ob ich ein paar coole Ideen hätte, SeniorInnen zu verwandeln. Das Thema war zu diesem Zeitpunkt noch unklar.
Da ich neben meinem Hauptberuf eine Ausbildung als Make-up-Artistin gestartet habe, war dies die perfekte Herausforderung für mich. Ich musste nicht lange darüber nachdenken und fing an, Ideen zu sammeln und die entsprechenden Looks zu kreieren. Schon bald darauf kam es zum ersten Treffen zwischen der Fotografin SarahBruckner und mir. Wir überlegten uns, wie wir ein gemeinsames Projekt daraus machen könnten.
Sarah Bruckner Die Idee ist bei einem Mitarbeitergespräch mit Mag.a Madlena Komitova entstanden. Nachdem ich meine Ausbildung zur Fotografin kurz zuvor abgeschlossen hatte und nach neuen Herausforderungen innerhalb des Unternehmens gesucht habe, zeigte ich Madlena meine bisherigen fotografischen Arbeiten. Darunter einige Fotos zum Thema Bodypainting. Ich fragte sie, ob es nicht eine gute Idee wäre, mit unseren Senior*innen einen Bodypainting-Kalender zu gestalten.
Die Idee schien ihr zu gefallen. So vermittelte sie mich prompt an Denise Goban, die gerade dabei war, ihre Ausbildung zur Make-up-Artistin abzuschießen. Der Projektleiter Paul Alteneder war bald gefunden und er hat Denise und meine kreativen Ideen schließlich in umsetzbare Bahnen gelenkt.
Christoph Müller Wo nehmen Sie die Freiheit und den Mut her, das Alter und die wachsende Bedürftigkeit mit einem goldenen Lebensalter zu verbinden?
Denise Goban Für mich bekommt diese Generation den höchsten Respekt, da ihnen niemand ihre Lebenserfahrung und Weisheit nehmen kann. Im Gegenteil, wir könnten noch einiges von Ihnen lernen. Viele dieser Menschen hatten noch selbst den Krieg erlebt oder waren an der Nachkriegszeit beteiligt. Gerade diese Generation sollte im Vordergrund stehen. Sie zeigen der jüngeren Generation, das Leben zu schätzen. Ich konnte selbst von unseren Bewohner*innen schon sehr viel profitieren. Deshalb ist es für mich eine riesige Freude und auch ein großes Anliegen, Senior*innen die Chance zu geben, in eine andere Welt tauchen zu können und ihnen das Gefühl zu geben, wichtig zu sein.
Sarah Bruckner Eine positive Einstellung gegenüber dem Älterwerden ist eine Grundhaltung, die man in unserer Branche mitbringen und auch leben muss. Jede Lebensphase birgt ihre schönen Seiten. So haben wir versucht, durch unseren Kalender genau auf diese schönen Aspekte des Älterwerdens aufmerksam zu machen. Ziel ist es, diese Haltung nach außen zu tragen. Denn Fakt ist: Unsere Gesellschaft ist einem steten demografischen Wandel unterzogen. Wir werden immer älter und auch unsere Seniorinnen und Senioren sind oftmals noch sehr aktiv und wollen demonstrieren, dass man auch in einer fortgeschrittenen Lebensphase noch attraktiv, fit und schön sein kann.
Christoph Müller In der gegenwärtigen Gesellschaft herrscht nicht nur ein Jugendwahn. Gleichzeitig wollen die zeitgenössischen Menschen ihre Körper optimieren. Hat der Kalender eine gesellschaftliche, vielleicht sogar politische Botschaft?
Denise Goban Jeder will alt werden, aber niemand will alt sein. Viele erwachsene Frauen quälen sich wie Teenager*innen mit ihrem Aussehen herum. Ich denke mir, ein Großteil der Menschen hat Angst, sich dem Alter zu stellen und dem Neuen, sprich dem Älterwerden, eine Chance zu geben. An der Vergangenheit wird festgehalten, da man laut unserer Gesellschaft nicht mehr zu dem perfekten Schönheitsideal gehört.
Nur stellt sich mir die Frage: Was ist das perfekte Schönheitsideal? Wie kann uns die Gesellschaft vorleben, wie das perfekte Ideal aussehen soll? Schon auf der Suche nach Senior*innen-Models oder Fotoshootings mit Senior*innen im Netz kam es zu keinen Ergebnissen. Dies zeigte mir, dass diese Generation wenig bis gar nicht etabliert ist und der Stellenwert unserer Gesellschaft woanders liegt. Traurig aber wahr … Ich denke, wir haben mit diesem Projekt einen guten Gegenpol gesetzt und durften einige Menschen glücklich machen und haben Ihnen ein unvergessliches Erlebnis bereitet.
Sarah Bruckner Absolut! Gerade in den letzten Jahrzehnten hat sich in unserer westlichen Gesellschaft ein Bild von Schönheit und Ästhetik etabliert, das es in unseren Augen stark zu hinterfragen gilt. Die Jugend galt lange Zeit als die einzige Lebensphase, in der ein Mensch – vor allem in Hinblick auf das gesellschaftspolitische Bild der Frau – attraktiv, anziehend und begehrenswert sein kann. Mittlerweile sind wir voll und ganz daran gewöhnt, dass sich visuelle Medien und Werbung am Bild junger Menschen orientieren.
Die Ikonen des menschlichen Abbildes tragen vermehrt mannequinartige Charakterzüge. Vor allem das ideale Abbild der Frau hat eine sportliche, burschikose Figur ohne allzu starke feminine Rundungen und besitzt einen Teint ohne jegliche Poren, Fältchen oder sonstige Stigmata eines erfüllten Lebens. Auch das Bild des idealen Mannes wirkt entweder androgyn oder stellt einen überzeichneten, wohltrainierten, aber möglichst haarlosen Körper dar. Die Realität wird bei visuellen Darstellungen geradezu strategisch ausgespart. Viele Jahre lang wurde den Konsument*innen somit suggeriert, den Zustand eines jugendlichen Aussehens so lange wie möglich zu konservieren und einen möglichst unverbrauchten Lifestyle, fern jeglicher Realität, wahren zu müssen.
Mittlerweile beginnt sich dieses extreme Schönheitsbild und dieser zwanghafte Jugendwahn wieder ein wenig zu relativieren. Minderjährige Magermodels gehören bereits zu einem Großteil wieder der Vergangenheit an. In Werbung und Medienlandschaft sind nun vereinzelt auch „echte“ Erwachsene zu sehen. Das Idealbild des Menschen geht von einer makellosen Erscheinung über zu einem aktiven und gesunden Lifestyle. Ernährung, Bewegung und Gesundheitsthemen stehen nun verstärkt im Fokus der medialen Aufmerksamkeit.
Auch wir wollen mit unserem Senior*innen-Kalender dieser durch die Medienlandschaft propagierten Derealisierung der Wirklichkeit ein Stück weit entgegenwirken. So sind die Fotos in unserem Kalender entgegen der gängigen Praxis keiner digitalen Beauty-Retusche unterzogen. Sämtliche Fältchen und sichtbare Spuren des Lebens sind bei uns absolut erwünscht! Zudem haben wir auch ausschließlich Personen aus dem alltäglichen Leben gecastet und nicht auf professionelle Modelle zurückgegriffen – es geht darum, das LEBEN zu zeigen! Echtheit anstelle von Oberflächenästhetisierung!
Christoph Müller Soweit ich weiß, begegnen Ihnen die alten Menschen auch in der täglichen Arbeit. Was war anders, als sie nun die Visagistinnen- und Kamera-Arbeit mit den alten Menschen gemacht haben?
Denise Goban Ich habe schon seit einigen Jahren mit Senior*innen zu tun. Trotz alledem war es für mich ein besonderes Projekt. Dies war eine komplett neue Situation, da man doch direkten Körperkontakt hatte und volles Vertrauen von beiden Seiten vorausgesetzt wurde, um ein angenehmes Arbeiten und schlussendlich ein tolles Endresultat erzielen zu können.
Sarah Bruckner Für mich gab es keinen allzu großen Unterschied, verglichen mit meiner tagtäglichen Tätigkeit als Fotografin für das Kuratorium Wiener Pensionist*innen-Wohnhäuser. Ich bin es gewohnt, Senior*innen vor der Linse zu haben und mit nicht-professionellen Modellen zu arbeiten. Allerdings habe ich die Stimmung im Studio und vor allem die Gespräche mit unseren Senior*innen während der Shootings sehr genossen. Man lernt einander während eines solchen Projektes näher kennen.
Christoph Müller Das Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser hat Ihnen freie Hand bei der Gestaltung des Kalenders gelassen. Bei der Arbeit vor der Kamera haben Sie die „Ü 60 Foto-Modelle“ bestimmen lassen, wie sie sich in Szene setzen. Glauben Sie, dass die individuelle Gestaltung bei den Betrachterinnen und Betrachtern gesehen wird?
Denise Goban Schon im Erstgespräch mit unseren freiwilligen Senior*innen wurde genau über den Ablauf gesprochen. Bezüglich der Farbauswahl, des Kalendermonats und dergleichen hatten unsere Kandidat*innen natürlich ein Mitspracherecht. So konnten Sie sich gut darauf vorbereiten. Wir nahmen ihnen alle Unsicherheiten.
Meines Erachtens gab die individuelle Vorbereitungsphase allen Teilnehmer*innen die Sicherheit und den Mut, sich auf das Shooting einzulassen. Dies verlieh den Bildern einen harmonischen Ausdruck. Ich möchte auch betonen, dass alle Kandidat*innen das erste Mal an einem professionellen Fotoshooting teilnahmen. Sie waren derartig überwältigt über die Verwandlungsfähigkeit durch Make-up und Licht.
Sarah Bruckner Dessen bin ich überzeugt! Jemandem unbekleidet gegenüberzustehen oder gar in einem Studio fotografiert zu werden, setzt ein gewisses Vertrauen gegenüber der Make-up-Artistin und freilich auch der Fotografin voraus. Besonders bei nicht-professionellen Modellen ist es notwendig, dass diese sich vor der Kamera möglichst wohl fühlen, um gute Bilder produzieren zu können. Durch die Miteinbeziehung der Senior*innen in die Planung „ihres“ Fotos wird dies zu einem größeren Teil möglich.
Christoph Müller Welche Ideen haben Sie, um möglicherweise in den kommenden Jahren die alten Menschen vor das Kamera-Objektiv zu locken?
Denise Goban Aufgrund unserer Kalenderpräsentation mit eigener Vernissage im WUK Kulturzentrum hat unser Projekt in ganz Wien großen Anklang gefunden. Darauf sind wir sehr stolz. Auch der Kalenderverkauf beweist, dass wir viele Leute begeistern konnten. Die Nachfrage für einen weiteren Kalender ist sehr groß. Wir durften schon viele Anmeldungen von Menschen, die sich als Model zur Verfügung stellen würden, entgegennehmen.
Sarah Bruckner Durch die Kalenderpräsentation und Vernissage haben wir bereits Werbung für den nächsten Kalender gemacht. Viele Senior*innen waren begeistert von den Bildern und haben sich sogleich für weitere Projekte gemeldet. Zudem wird wieder in unseren Häusern und Klubs geworben bzw. sind weitere Castings geplant. Die konkreten Ideen für die kommenden Jahre sind aber freilich noch unter Verschluss.
Der Kalender „Golden Age“ ist in den Marktplätzen der 30 Häuser zum Leben (www.kwp.at) sowie in den 150 PensionistInnenklubs der Stadt Wien (www.pensionistenklubs.at) in zwei Formaten (A4: € 6,90, A2 € 29,90) erhältlich. Infos und Anfragen bitte über die Klub-Hotline 01 313 99 – 170112 oder gf-pk@kwp.at