Empathy and Compassion?! Validationsgespräche müssen weiterhin zugelassen werden!

24. September 2020 | Demenz, Gastkommentare | 0 Kommentare

Wir leben in einer herausfordernden Zeit. Einer ganz neuen Ära, wenn man so will. 2020 sich alles geändert. Die Pandemie hat nicht nur unser Leben auf den Kopf gestellt, sondern beeinflusst unsere Entscheidungen. Gerade in der Pflege und Betreuung. Doch, treffen wir diese Entscheidungen noch rational?! Auf Basis von Empathie und, oder Mittgefühl – oder treffen wir sie auch (!) auf Basis wissenschaftlicher Evidenz?

Täglich werden wir herausgefordert, Studien zu lesen und zu bewerten, die Nachrichten zu filtern und unser Vorwissen hinsichtlich Hygiene nicht zu vergessen.

Oftmals habe ich das Gefühl, gerade in der Pflege, wo schon in der Grundausbildung gelehrt wird, wie man sich und Andere vor Infektionen schützt, ist plötzlich vergessen, dass es nicht nur SARS-CoV-2 gibt! Ich selbst lehre in Hygiene die Basics – und zwar um gegen alle Möglichen Keime zu schützen! Händedesinfektion vor Kontakt (dem Angreifen!) und nach Kontakt mit dem Betroffenen schützt. Vor allen möglichen Mikroorganismen. Das wird oft derzeit wirklich vergessen.

Was würde denn passieren, wenn wir in der Pflege einfach auf Social Distancing bei allen Keimen umsteigen würden!?

Nein, wir müssen uns der Hygienemaßnahmen besinnen! Dann können wir auch bei COVID-19 Menschen weiterhin angreifen, denn dieser menschliche Kontakt ist zentral in der Pflege. Genauso zentral ist er in der Validation. Denn in dieser Methode wird verbal und nonverbal kommuniziert. Verankerte Berührungen sind gerade bei fortgeschrittener Demenz im Validationsgespräch wichtig.

Daher plädiere ich für einfache, aber wirksame Maßnahmen: Händedesinfektion vor und nach der Berührung.

Dadurch wird die verankerte Berührung möglich. Bei Bedarf kann im ersten Modul der Ausbildung in der Validation eine Hygieneschulung eingebaut werden um sicher zu gehen, dass alle TeilnehmerInnen diese Maßnahme verstehen und korrekt durchführen. 

Eine Maske ist natürlich nötig und es gibt genug Evidenz mittlerweile, die uns bestätigt, dass Validationsgespräche mit Maske problemlos funktionieren. Auch ich, als Autorin dieses Artikels, habe persönlich Evidenz dazu generiert. Ich habe in voller Schutzausrüstung (Haube, Brille, Maske, Schutzkittel und Handschuhe) Validationsgespräche erfolgreich geführt. Menschen (Kleinkinder sind hier die Ausnahme, das wissen wir aus der Sozialpsychologie) können Gefühle aus den Augen und Augenpartien gut ablesen. Daher ist ein solches Gespräch gut möglich. Empathie kann in der Tonlage dem Vokabular und auch der Mimik der Augenpartie erkannt werden. Die Art der Maske kann adaptiert werden, wenn es um höhere Sicherheit geht, spricht nichts dagegen, eine FFP2 ohne Filter als Anwender zu benützen. Dadurch kann auch gesungen werden.

Das Resultat der derzeitigen Isolation in der Pandemie ist eine allgemeine Zustandsverschlechterung sowie eine Verschlechterung der Lebensqualität von Menschen mit Demenz durch zu wenig Kommunikation.

Dem können wir mit der Validation erfolgreich entgegenwirken. Beispiele in diesem Artikel, welche das aufzeigen, finden Sie im Anschluss. Ich plädiere daher für ein rationales Denken, konzentrieren wir unsere Empathie nicht allein auf das Bild der COVID-19-Angst das wir haben, sondern empfinden wir Mittgefühl mit allen, die an Vergesslichkeit und Demenz leiden und durch die Pandemie auch an zu wenig Kontakt zu anderen Menschen.

Es ist äußerst wichtig, gerade jetzt, die Validationsausbildungen weiter zuzulassen, egal in welcher Form – und auch die Validationsgespräche weiterhin durchzuführen.

Stellen wir das nötige Hygienematerial zur Verfügung, führen wir Hygieneschulungen in der Validationsausbildung ein und achten wir alle gemeinsam darauf, dass Menschen mit Demenz in unserer Gesellschaft so unterstützt werden, wie sie es verdienen.

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Erfahrungsberichte aus der Validation wie hier angefügt, sollen einen kleinen Einblick in die Wichtigkeit der Weiterführung von Validationsgesprächen auch während der Pandemie geben:

1. Bericht Validation im Pflegealltag / Validationsanwenderin im Pflegeheim

Der Spagat zwischen Hygiene Maßnahmen und Empathie  – Autorin: Sarka Lahner, Validationsmasterin

Ich arbeite seit 7 Jahren selbständig als Validationstrainerin und leite Kurse und Ausbildungen. Mit dem Beginn der Coronakrise war das Unterrichten nicht mehr möglich und da ich ein großes Bedürfnis hatte etwas zu tun, habe ich mich im Pflegeheim gemeldet und begonnen wieder als Pflegeperson zu arbeiten. Am Anfang noch ohne Mundnasenschutz, aber bald war alles ganz anders. Angehörige und externe Besucher sowie Dienstleister  dürften nicht mehr kommen und wir waren auf uns alleine gestellt. Die Tatsache, dass ich eine Validationsanwenderin bin, hat mir von Anfang an geholfen, weil ich kommunizieren kann, ohne den Menschen zu kennen.  Meine empathische, wertschätzende und nicht wertende  Haltung  ermöglicht mir Vertrauen aufzubauen und mit dem alten verwirrten Menschen gut in Kontakt zu treten.  Ich habe festgestellt, dass dies auch mit der Maske gut möglich ist.  

Frau S. befindet sich  zwischen Phase 1-2. Sie ist mobil, aktiv und ihr größtes Bedürfnis ist zu arbeiten /nützlich sein /für andere Sorgen. Sie ruht sich nie aus, hilft anderen und erst wenn sie nicht mehr gehen kann, setzt sie sich nieder. Sie saß im Aufenthaltsraum am Tisch, zusammen mit anderen Bewohnern/innen. Ich habe mich zu ihr gesetzt mit einem ca. 1m Abstand. Sie hat meine Hand genommen und hat mein Tattoo(ein Unendlichkeitszeichen, Feder und die Aufschrift „Carpe diem“) am Unterarm studiert. Sie sagte: “was ist das? Ist das eine Schnecke?“ Ich erklärte ihr was da drauf ist und das „Carpe diem“ auf Deutsch „lebe den Tag“ bedeutet.  Inzwischen haben auch weitere zwei Damen mitgeredet. Wir haben gemeinsam über den Spruch und über das Leben gesprochen. Es erinnerte mich an eine  Validationsgruppe.  Frau S streichelte meinen Unterarm und  sagte zum Schluss.: „das gefällt mir, das ergibt Sinn!“ Danach war ich mehrere Wochen nicht in diesem Wohnbereich und als ich im Mai wiederkam, begegnete ich auch wieder Frau S. Sie schaute mich an und sagte: „Ich weiß, dass ich dich kenne. Ich weiß aber nicht wer du bist und wie du ausschaust. Du hast das Fetzerl vor dem Mund, aber immer wenn ich dich sehe, muss ich an Schnecken denken.“ Ich war zuerst erstaunt und verstand nicht was sie meinte. Erst später erinnerte ich mich an unsere letzte Begegnung und war berührt.

Sie hat sich mich erkannt! Es ist egal wer wir sind, wie wir heißen und wie wir aussehen. Alte desorientierte Menschen erkennen uns, wenn wir empathisch sind und erinnern sich trotz schlechtem Kurzzeitgedächtnis an Situationen, die mit einem gutem Gefühl verbunden wurden. Ich habe eine Beziehung aufgebaut, sie vertraut mir und hat sich gefreut mich wieder zu sehen.

Wieder sind paar Wochen vergangen und ich sah Frau S. wieder. Ich setzte mich seitlich zu ihr,  berührte ihre Schulter und schaute ihr in die Augen. Sie erwiderte meinen Blickkontakt und sagte: „wenn du bei mir bist, fühle ich mich geborgen.“ 

Verbale Kommunikation ist meistens gut möglich. Menschen in Phase 1-2 kann man gut mit größerem Abstand und ohne Berührungen im Gesicht erreichen. Orientierte Menschen verstehen, warum kein  Besuch kommen darf und warum Küssen und Nähe nicht erlaubt ist. Schwierig wird es bei Menschen die schlecht hören und /oder sehen und bei  alten desorientierten  Menschen, die Berührungen brauchen und von sich aus einfordern.

Frau E. spricht kaum. Sie ist mobil, wandert umher und sucht immer wieder engen Körperkontakt. Man kann ihr nicht erklären, dass ich es nicht darf, dass es Corona gibt und dass ich Abstand halten muss. Sie befindet sich in Phase 3. Sie sucht ihre Kinder. Ich kann sie nicht wegstoßen wenn sie auf mich zugeht und mein Gesicht  berührt und mich auf die Wange küsst. Sie will für mich sorgen und ich bin möglicherweise ein Symbol für ein Kind. Sie schaut mich  erwartungsvoll an, sie  möchte mir Liebe geben und ich bin hin und her gerissen zwischen Hygiene Maßnahmen und Vorschriften und meinem Dasein als Anwenderin. Ich muss mich schnell entscheiden. Ich lasse die Nähe zu, halte wenigstens die Luft an und berühre sie sanft im Nacken. Die verankerte Kinderberührung tut ihr gut und sie entspannt sich. Ich wasche und desinfiziere mir wieder meine Hände und bereue meine Entscheidung für die Nähe nicht. Die Nähe und das gegenseitige Berühren war in diesem Moment das  wichtigste für Frau E. Wenn ich Menschen anziehe, mobilisiere und weitere Pflegetätigkeiten mache, kann ich auch nicht immer den vorgeschriebenen Abstand einhalten. Wenn ich Essen eingebe, muss ich auch auf gleiche Ebene kommen und der Abstand ist auch geringer als erlaubt. Mir ist bewusst, dass ich manchmal die Sicherheitsmaßnahmen nicht einhalten kann, aber es gibt für mich Ausnahmen und ich wasche mir dann wieder die Hände und wechsle mein Mundnasenschutz.  

Frau G.ist in Phase 2-3. Sie sitzt im Rollstuhl und weint verzweifelt. Ich kann sie nicht anders als durch Nähe und Berührung erreichen. Ich wasche und desinfiziere mir die Hände, berühre sie zuerst am Arm, spreche mit der gleichen Emotion in meiner Stimme ihre Verzweiflung an. Sie schaut mich an und ich mache die verankerte Mutterberührung und summe leise hinter der Maske „kommt ein Vogel geflogen“..  Es ist schwer für mich. Normalerweise würde ich noch viel näher gehen, ich würde meine Stirn an ihre Stirn legen, will sie aber nicht gefährden. Ich versuche ihr nicht ins Gesicht zu atmen ,aber gleichzeitig bin ich kalibriert und auf ihr Atem eingestellt. Ich weiß, dass ich zu nah bin, aber als sie tief durchatmet und  sanft lächelt, weiß ich dass es richtig war. Diese 2 Minuten waren das wichtigste, was sie gebraucht hat.

In der Validation lernt man den richtigen Abstand zu erspüren. Ich zentriere mich und versuche es immer wieder. Davon hängt vieles ab. Es heißt nicht umso näher umso besser. Es hängt davon ab was der alte Mensch braucht.

Gemeinsam Singen und Lachen geht auch mit viel Abstand. Gemeinsame Gespräche am Tisch angelehnt an eine Validationsgruppe auch

Ich kann auch mit meinem Blick berühren und trotz Mundnasenschutz Emotionen und Gesichtsausdruck meines Gegenübers spiegeln. Mit Visier geht es noch besser und man merkt, dass es auch für die BewohnerInnen angenehmer ist. Meine Empathie, meine Erfahrungen und Kompetenzen als Validationsanwenderin helfen mir im Pflegealltag und daran hat sich auch unter derzeitigen  erschwerten Umständen nichts geändert. Mir fehlen immer wieder gezielte Berührungen und Nähe. Ich bin mir meiner Verantwortung gegenüber den alten Menschen bewusst. Ich riskiere nicht unnötig, weiche aber nicht aus, wenn ein alter Mensch meine Nähe sucht. Ich finde, dass man auch in diesen Zeiten sehr viel Normalität bieten kann. Frau S hatte Recht! „Carpe Diem“ ergibt wirklich Sinn … Wir sollen den Tag leben! Es könnte der letzte Tag im Leben jedes Menschen sein.

Das Erfolgsrezept für eine gute und erfolgreiche Begleitung ist für mich : Validation, Humor, Teamarbeit, Fachlichkeit und mein gesunder Hausverstand.

2. Ergänzung dazu von Autorin und Validationsmasterin Petra Fercher

Warum wir ValidationslehrerInnen, unter Einhaltung der jeweiligen Hygienemaßnahmen in die Pflegeeinrichtungen kommen sollten:

Das tolle am Beitrag von Sarka Lahner ist, er ist die Basis für meinen Beitrag, warum ich vertrete, dass wir ValidationslehrerInnen und Anwender auch in Zeiten von Corona in die Pflegeeinrichtungen kommen sollten. Sarkabeschreibt sehr schön, wie es in der Praxis aussieht, jedoch muss uns dabei klar sein, dass Sarka seit vielen Jahren Validationsanwenderin und auch Lehrerin ist. Für sie ist völlig klar, wie sie nicht nur in der Pflege tut, sondern sie setzt die Methode Validation zum Kommunizieren und aufbauen von Vertrauen, empathisch, gut gelernt und praktiziert ein.

Österreich ist ein Land, indem die Methode Validation nach Naomi Feil auch als gelindere Maßnahme anerkannt ist und seit den 80er Jahren konstant geschult, geübt und praktiziert wird. Seit dem Lock down in den Pflegeeinrichtungen und auch noch nach dem lockern der Maßnahmen, wird Validation weder geschult, gelehrt oder in der direkten Praxis begleitet. Vieles wurde vorerst gestoppt. Eine Kollegin hatte mühsam eine Sondergenehmigung erwirkt, manche versuchen sich in online zoom Meetings, wobei wir erfahrenen LehrerInnenbeinahe alle der Meinung sind, dass dies in größerem Umfang und auf Dauer alleine, der Methode Validation nicht entspricht. Nur wenn wir wieder in die Einrichtungen direkt kommen dürfen und das gilt auch für alle Anwender und Gruppenleiter, werden wir für die Pflegenden und Betreuenden und vor allem dem alten Menschen, unsere wertvolle Unterstützung in der tägliche Praxis und im Leben der alten Menschen einbringen können. Vielleicht wird nicht alles was wir lehren und lernen können möglich sein, aber wir brauchen uns im direkten Kontakt, damit Wissen und Praxis zueinander finden.

3. Brief/ Bericht einer Validationsmasterin – Autorin Hildegard Nachum

Heute erreichte mich ein Anruf von einer Pflegeassistentin, die bei mir voriges Jahr eine Validationsausbildung abgeschlossen hat. Marlene, so nenne ich sie jetzt, erzählt mir folgendes.

Die Bewohner*innen sind natürlich in einer Extremsituation, isoliert von den Angehörigen und auch die Alltagskontakte im Seniorenheim sind reduziert. Der Sohn einer Bewohnerin, ich nenne sie jetzt Frau König, über 80 Jahre alt, ist vorige Woche am Corona Virus mit 61 Jahren (ohne Vorerkrankungen) verstorben. Bis zu Ausbruch dieser Krise, kam der Sohn, ich nenne ihn jetzt Fredi, jeden Tag. Jahraus- Jahrein. Er übernahm jeden Abend die Abendtoilette und servierte ihr das Abendessen. Am Sonntag, Punkt 12, holte er seine Mutter ab. Familienbesuche standen am Programm und am Abend brachte er seine Mutter wieder ins Heim. Jahraus- Jahrein.  Als er seine Mutter, auf Grund des Besuchsverbotes, nicht mehr besuchen durfte, hielt er mit ihr über ein Tablet Skype Gespräche ab. Jetzt ist er tot. Die Bewohnerin weiß es auf einer bestimmten Bewusstseinsebene, dass er nicht mehr kommen wird. Sie sucht ihn und schreit nach ihm. Stellen wir uns einmal vor, wie schlimm diese Verzweiflung einer Mutter sein muss. Manche Kolleg*innen sind überfordert, erzählen ihr immer wieder, dass ihr Sohn tot ist. Und Melanie, begegnet ihr und ihrem Schmerz in einer validierenden Grundhaltung. Sie beschwichtigt nicht, lügt nicht, lenkt nicht ab, sondern führt die Gespräche bei den Alltagssituationen, wie Körperpflege, Essen servieren, Abendtoilette, in einer Haltung, die dem Gegenüber es ermöglicht, seinen Schmerz zu leben.

Ich weiß, die Zeiten sind schwierig. Aber ich weiß, dass gerade JETZT die Validation in den Begegnungen mit dem alten Menschen, der in einer Extremsituation ist, da manche diese Veränderungen kognitiv nicht „verstehen“ können, so wichtig ist.

In diesen Situation „Extra Gespräche“ in Validation anzubieten, bei der täglichen Körperpflege, in allen Begegnungen, diese Kommunikationsmethode anzuwenden, kann dazu beitragen, dem alten Menschen Sicherheit und Schutz zu geben. Verankerte Berührungen sind angesichts der Corona Krise kein Thema. Praktikant*innen werden von uns instruiert, Abstand zum Bewohner/zur Bewohnerin zu wahren. Doch können die Validationsgespräche weiterhin geführt werden und sind jetzt in diesen Zeiten so wichtig.

Auch mit Nasen Mund Schutz findet Kommunikation statt!

Nicht resignieren! Sondern neue Wege zusammen gehen! Schauen wir, dass wir gemeinsam diese Herausforderung meistern! Und ich bitte Sie, dass die Validation weiterhin in Ihrem Heim ihren Platz hat. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien Gesundheit und Lebensfreude!

 

Autor

  • Karin Eder

    Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Advanced Practice Nurse, akademische Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege, Demenzberaterin, Direktorin im Haus Hetzendorf, Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser