Für die Geschichte der Pflege in Deutschland ist Hilde Steppe eine entscheidende Wegbereiterin gewesen. Sie hat einen konsequenten beruflichen Weg eingeschlagen, der sie von der engagierten Arbeit am Krankenbett über die Arbeit in der Fort-und Weiterbildung und in der Politik auf einen Lehrstuhl an einer Fachhochschule führte. So hat Steppe schon vor der Milleniumswende die Rolle einer Vordenkerin der professionellen Pflege gespielt.
Auch wenn das Buch „Die Vielfalt sehen, statt das Chaos zu befürchten …“ nur noch antiquarisch erhältlich ist, so lohnt sich die Lektüre. Schließlich lebt die Geschichte von Geschichten. Und Geschichten werden in dem Buch viel erzählt. Es sind Weggefährt_innen Hilde Steppes, die ein Bild der Krankenschwester und Pflegeforscherin vor den Augen entstehen lassen, die zu früh verstorben ist.
Die Herausgeber_innen des denkwürdigen Buchs machen schon früh klar, weshalb sie die Erinnerungsschrift an Hilde Steppe initiiert haben: „Heute, da Pflegewissenschaft und Pflegeforschung ihren Gegenstand immer intensiver untersuchen und ausdehnen, möchten wir an die Anfänge erinnern, an das Fundament, das Hilde Steppe mit anderen gelegt hat“ (S. 8). Die kritische Distanz zum eigenen Arbeitsfeld und die Fähigkeit, die Ergebnisse der Forschung gegen den Strich zu bürsten, sollten aus der Sicht der Herausgeber_innen nicht verloren gehen.
Es sind ganz unterschiedliche Zugänge zum Leben und Wirken Hilde Steppes, mit denen sich auch heutige Pflegende ein Bild machen können. Einerseits lassen die Herausgeber_innen die eigenen Texte Steppes sprechen. Andererseits zeichnen Interviews mit Zeitgenoss_innen die Wege eines diskursreichen Lebens.
In der wissenschaftlichen Arbeit hat sich Steppe einen Namen mit Forschungen zur Pflegegeschichte gemacht. Ihre Texte haben heute noch Aktualität, wenn sie beispielsweise Brücken von der Geschichte der Pflege im Nationalsozialismus zur Gegenwart zu schlagen versucht. Einzelne Sätze sprechen für sich: „Die Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten eines Berufs wie der Pflege führt zu grundsätzlichen Fragen des beruflichen Selbstverständnisses, nämlich danach, wann sich das Postulat der Humanität ins Gegenteil verkehrt und wo die berufsspezifische Verantwortung beginnt, dem entgegenzutreten. Die Antwort muss in meistens sehr schmerzlichen Prozessen immer wieder neu gefunden werden“ (S. 155).
Nicht nur als Leiterin des Pflege-Referats im hessischen Gesundheitsministerium hat Steppe in den 1990er Jahren viel für die eigene Berufsgruppe erreicht. In gewerkschaftlichen Strukturen hat sie nach den Berichten der Weggefährt_innen keinen Konflikt gescheut, um der eigenen Berufsgruppe Profil zu geben.
Unter anderem dokumentiert das Buch einen Vortrag zu „Perspektiven der professionellen Pflege“. Beim Lesen dieses Beitrags stellt sich die Frage, was Steppe heute sagen würde. Sie stellt unter anderem fest, dass die Pflege lange Zeit bewusst auf die Rolle der guten Mutter und Hausfrau festgelegt gewesen sei, „die im durchrationalisierten Krankenhausbetrieb für die menschliche Nähe zuständig war“ (S. 47). Sie wolle nun teilhaben an der Entscheidungskompetenz und ein gleichberechtigter Teil im gesamten Therapieprozess sein. Gleichzeitig sei Pflege geprägt „von der Grenzenlosigkeit und Unendlichkeit pflegerischer Zuständigkeit“ (S. 48).
Ihre Beschreibungen haben noch heute eine ungeahnte Gültigkeit. Es lohnt sich, das Buch in die Hand zu nehmen.
Hilde Steppe: „Die Vielfalt sehen, statt das Chaos zu befürchten“ – Ausgewählte Werke, Hans Huber Verlag, Bern 2003, ISBN 978-3-456-83919-7, 242 Seiten, Euro.