Die Situation der Pflege in der Pandemie versus Anti-Corona-Demo in Wien

16. Januar 2021 | Politik | 0 Kommentare

Eigentlich war 2020 das Jahr der Pflege und Hebammen. Geplant waren hunderte Aktionen der Berufsverbände und OrganisatorInnen, um dieses Jahr zu einem besonderen zu machen. Es wurde auch besonders, nur nicht so, wie es sich die Pflegewelt erahnen konnte. Covid19 brachte die sowieso schon desolate Pflegewelt weit über ihre Grenzen. Sieht man den top aktuellen Bericht des International Council of Nurses, erkennt man die derzeitige Situation aller „Nurses“. Während in Japan 15% der Pflegekräfte ihre Arbeit niederlegten, weil sie einfach nicht mehr konnten, berichten andere Länder von Angstzuständen (49% Brasilien, 60% China, 80% Spanien), die einem schreiend in der Nacht erwachen lassen, Depressionen und Burnout. In diesen ganzen Berichten stehen unzählige Seiten über Angst, Depressionen, Burnout und beruflicher Stigmatisierung. Tausende Krankenpflegefachkräfte starben im Jahre 2020 an den Folgen von Covid19. Weltweit fehlen laut ICN & WHO schon jetzt fast 6 Millionen Pflegekräfte. Eine nochmalige Runde 2021 und/oder 2022 ist unvorstellbar. Mehr den je leisten Pflegefachkräfte Unvorstellbares, um kranke Menschen fachgerecht zu versorgen, in der Hoffnung, so vielen Menschen wie möglich lebend und gesund durch die Pandemie zu bringen. Viele isolieren sich zusätzlich in ihrer Privatzeit, um durch die berufsbedingte Exposition ihr privates Umfeld nicht zu gefährden. Zusammenfassend kann man sagen: Arbeiten weit über dem körperlichen & psychischen Limit inklusive einer sozialen Isolierung, die einer energetischen Regeneration nicht unbedingt förderlich ist. Doch man tut es fürs Geld und aus Berufsethos. Sieht man in die aktuellen Zeitungen scheint es aber so, dass nicht jeder der Gefährlichkeit des Virus zustimmt und es hier auch Protestbewegungen gibt, die mit den Worten „Einschränkungen für´s Wohl aller“ etwas anfangen können. Dieses Wochenende gab es in Wien eine Protestaktion und wir wollten als Magazin die Chance nutzen, deren Beweggründe zu verstehen um sich die Argumente der Querdenker neutral anzuhören. Vielleicht gab es ja Ängste, Beweggründe und Argumentationen, die wir als Pflegefachkräfte nicht verstehen oder im Fokus hatten. Dem wollten wir als Redaktion einfach auf den Grund gehen und fuhren nach Wien.

Links: Der tägliche Kampf im Gesundheitswesen (C) Günter Valda / Rechts: Der „Freiheitskampf“ der Coronagegner (C) Markus Golla

Da unsere Redaktion aus Niederösterreich kommt fuhren wir an den Rand von Wien, um in einem „Park & Ride“ zu parken. Um nicht aufzufallen tauschten wir die MNS-Maske mit einem dicken Schal der Nase und Mund bedeckte. Am Fahrkartenautomaten standen schon 20 Personen aus Linz, die synchron mit uns in Wien angekommen waren. Natürlich wurde die Umgebung gemustert, wer denn dazugehört und wer nicht. Einige Personen mit Mundnasenschutz versuchten an der Menge vorbeizugehen und wurden mit entsprechenden Kommentaren vorbeigelassen „Schön brav den Maulkorb tragen, wie es euer Herr auch aufgetragen hat.“, grölt einer der Anwesenden, während er einen Schluck aus seiner Bierdose nimmt. Ein anderer schreit einer Dame mit Maske nach „Erstick doch daran.“ Auffällig ist, dass die meisten der Personen tätowierte Tränen im Gesicht vorweisen. Ich versuche aber nicht schon im Vorfeld zu urteilen und steige brav in die U-Bahn. Hier kommt es zur ersten Kommunikation mit den Anwesenden. Es werden alkoholische Getränke verteilt und eine Dame erklärt allen Mitreisenden, was man tun muss um bei einem polizeilichen Zugriff nicht verhaftet zu werden. Mir rutscht der Schal unabsichtlich unter meine Nase, wohlwollend reicht man mir ein Bier in die Hand und fragt mich, ob das meine erste Coronademo ist. Ich nicke und schiebe meinen Schal wieder hoch. Weitere Instruktionen folgen. Einer der Gruppenmitglieder beginnt zu erzählen, dass wir alle richtig handeln. „Die Alten, die unser Land aufgebaut haben, sehen wie ihr Werk zerstört wird und verstehen die Welt nicht mehr. Wir werden ihr Erbe retten.“ bekomme ich gesagt. Ich erinnere mich an die alten Menschen im Pflegeheim, die ich über Weihnachten betreuen durfte. Keiner hat mir jemals gesagt, dass sie ihr Landeserbe in Gefahr sehen würden, sie waren eher damit beschäftigt, nicht krank zu werden oder um Luft zu ringen, wenn sie die Krankheit bereits hatten. Aber vielleicht war meine Wahrnehmung ja nur eine Ausnahme und die Mehrheit sieht es anders.

Links: Freiheit auf der Covidstation (C) Günter Valda / Rechts: Freiheit auf der Corona-Demonstration in Wien (C) Markus Golla

Am Museumsquartier angekommen, bewege ich mich mit meiner „gefundenen Gruppe“ mit. Von Weitem hört man schon Jubel und Pfeifen. Viele Menschen waren nicht wirklich anwesend, also konnte ich nahe an die erste Bühnendarbietung kommen. Zuerst sprachen zwei Deutsche, die über die Berliner Demonstrationen berichteteten. Angeblich wurden hier die Wasserwerfer mit Benzin gefüllt, anstatt mit Wasser, um die anwesenden Kinder (und andere Menschen) nachhaltig zu schädigen. Ich erinnere mich nicht, Artikel darüber gelesen zu haben. Die Menge grölt und pfeift empört. Er spricht über Deutschland und deren deutsche Rechte. Am Ende der Ansprache meint er nur „Das selbe gilt für euch in Österreich“. Die zweite Ansprache ist primär eine Ansprache gegen Frau Merkel. Es kommt eine Ansprache eines deutschen Politikers, der seine Ansprache mit den Worten beginnt:“ Hallo Österreich, meine Parteizugehörigkeit ist uninteressant, denn ich bin hier als Mensch und wenn sie mich beschimpfen wollen, nennen sie mich einfach Politiker, denn ich schäme mich für diese Bezeichnung.“ Die Menge grölt erneut und winkt mit den österreichischen Fahnen. Irgendwie warte ich noch immer auf den Zusammenhang mit Corona. Da beginnt der Herr der AfD mit seinen ersten Phrasen um sich zu werfen: „Die Nebenwirkungen der Impfungen sind schlimmer als die der Krankheit. Wir wissen das!“ Wieder jubelt die Menge. Ich drehe mich zu einem der Demonstranten und schaue ihn fragend an. „Aber in den Medien habe ich viele Berichte gelesen, dass schon viele Pflegekräfte geimpft sind und die berichten etwas anderes.“, meine ich zu ihm. „Die Lügen doch alle, sitzen da in ihren Krankenhäusern rum und wollen nur mehr Geld für die deppate Hac´n.“, bekomme ich als Antwort. Bevor ich etwas antworten kann, gibt es auf der „Bühne“ bereits die nächste Ansage:“ Wenn FFP3 Masken zu 99% schützen, gebt doch den Alten die Maske und lasst den Rest der Bevölkerung in Ruhe“. Ich drehe mich wieder zu meinem Stehnachbar und frage „Aber es trifft doch auch Jüngere?“. Die Antwort wurde schon grantiger „Alles Lügen, das erzählen sie uns, um den totalitären Staat zu generieren.“ Ich beschließe meinen Stehplatz zu wechseln, um auch andere Meinungen zu hören. In der Zwischenzeit wird ein Transparent aufgespannt „Kurz muss weg“. Der AfD Politiker schreit ins Mikrophon „Uns sehen im Livestream nun Millionen und während in Österreich Kurz weg muss, brauchen sie für Deutschland nur das erste Wort durch Merkel ersetzen.“ Er beginnt mit Mikrophon einzustimmen „Merkel muss weg. Merkel muss weg“. Die österreichische Demonstranten stimmen mit ein und winken mit der österreichischen Fahne. Ich habe noch immer nicht verstanden, worum es hier wirklich geht. Also frage ich eine Demonstrantin, die sich mit einer Regenbogenfahne umhüllt:“ Warum bist eigentlich du da?“. Sie antwortet „Für die Freiheit und Liebe der LQBT-Szene.“ Ich antworte ihr:“ Ich dachte es geht um den Coronawahnsinn.“ „Nein es geht um viel mehr,“ erwidert sie:“ Die Reichen wollen uns alles nehmen und wir in der LQBT Szene bleiben dann übrig.“ Ich beschließe weiter durch die Menge zu wandern, höre den Leuten zu. Doch um Covid, Covidmaßnahmen oder Ähnlichem geht es hier nicht. Die meisten tragen auch keine Masken, halten Abstände nur bedingt bis gar nicht ein, nehmen aber lachend die Szenerie mit dem Handy auf, teilen sich Getränke und Zigaretten und feiern. Natürlich höre ich Sätze gegen Bill Gates, dass Kennedy Jr. auch gesagt hat, dass alles nur von den Reichen kommt und man hier wieder für Recht und Ordnung durch das Volk sorgen werde.

Links: Arbeit über dem Limit (C) Günter Valda / Rechts: Einschränkungen gibt es nur für die anderen (C) Markus Golla

Ich versuche, dass in Einklang mit dem Erlebten auf den Covidstationen zu bringen, finde aber keinen Nenner. Diskussionen wollen die Menschen hier nicht, sie wollen das Recht des Volkes feiern und winken fröhlich mit österreichischen Fahnen den grinsenden deutschen Sprechern. Irgendwie macht mich die Szenerie wütend. Pflegefachkräfte versuchen täglich die Situation zu kompensieren, damit wir diese Pandemie zu Ende bringen. Eigene Ängste vor Ansteckungen, zur Impfung und die berufliche zusätzliche Überlastung werden von vielen runtergeschluckt, um auf ein Ende und eine Lösung zu hoffen. Alle arbeiten weit über dem Limit. Doch hier scheint das kein Thema zu sein. Hier geht es um ganz andere Werte, um politische Freiheit, alle Recht dem Volk und das ohne Grenzen und Regeln, egal welche Grenzen man übertritt. Mit rationellem Denken und einem normalen Maß an Freiheit haben diese Veranstaltung überhaupt nichts zu tun. Man will sich Luft verschaffen, egal wie, die Machtlosigkeit gegen den Virus auf anderes projizieren und dies manipuliert von anderen, denn Ansprachen von AfD Politikern und dem Kärntner Organisator klingen sexy und „Durchhalteparolen“ der Regierung will keiner mehr hören.

Meine innere Wut würde gerne sagen:“ Dann verreckt doch alle, ich stelle eure Autonomie nicht in Frage, sich mit dem Virus anzustecken, wenn ihr das unbedingt wollt. Ich bin geimpft und bald sind es in meiner Umgebung alle.“ aber der Berufsethos in meinem Kopf überwiegt und der besagt „Rette und helfe jedem, auch die mit der einfachsten zerebralen Struktur.“ Außerdem ist es nicht ganz so simpel, denn diese Menschen stecken Unschuldige an und gefährden andere. Dies sind die selben Leute, die um 2 Uhr in der Früh wegen eines Zeckenbiss in die Notaufnahme gehen und sich dann beschweren, warum sie warten müssen, weil sie ja ein Recht auf Versorgung haben. Doch es sind nicht nur die einfach Gestrickten, die in diesen Zeiten schreiend umherlaufen. Es gibt auch welche, die diese Zeiten politisch ausnutzen, Gewinne mit Büchern und TV Auftritten machen und sich auf Kosten aller in Szene setzen wollen. Diese Menschen sind gefährlich.

Und wieder vergisst man auf die Menschen die versuchen, die Pandemie mit so vielen Menschen wie möglich zu überleben und die dafür weit über deren Grenzen gehen: Menschen aus dem Gesundheitswesen. 

Der Fotograf Günter Valda porträtiert derzeit Person aus dem Gesundheitswesen und versucht diesen Bildband mit Crowdfunding ins Leben zu rufen. Über Menschen, die an vorderster Front stehen und jeden Tag um das Leben und die Gesundheit von Patienten kämpfen. „HOUSE OF FATE“ zeigt den schmalen Grad, auf dem sich Patienten und Personal bewegen, ohne zu wissen, welchen Weg das Schicksal einschlagen wird. Wenn Sie dies unterstützen wollen:  Zum Crowdfunding

Autor

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)