Das Gefühl kennt bald jeder und jede. Die Gegenwart wird als so komplex erlebt, dass es dem Einzelnen schwerfällt, sich in der Unverfügbarkeit und Nicht-Durchschaubarkeit vieler Phänomene und Geschehnisse zu verlieren. So kommt es folglich zu einer Sehnsucht nach der Einfachheit, der Übersichtlichkeit und nach dem Verstehen-Wollen. Es wundert nicht, dass sich die Salzburger Hochschulwochen 2019 diesen Erfahrungen und diesem Thema gewidmet haben. Dass der Zugang vor allem theologisch, philosophisch und pädagogisch probiert wurde, ist sicher der Tatsache geschuldet, dass diese Wissenschaftszweige in besonderer Weise mit der Komplexität zu kämpfen haben.
Das Buch bietet sich an, dass es in Zeiten der Corona-Pandemie gelesen werden kann. Die Literatur-und Kulturwissenschaftlerin Eva Horn setzt sich mit dem Katastrophen-Begriff auseinander. Während der zeitgenössische Mensch eine weltweite Katastrophe erlebt, liest man: „Imaginierte, vorweggenommene, herbeigesehnte oder gefürchtete Katastrophen sind deshalb so populär, weil sich in ihnen ein heimlicher Wunsch verbirgt: ein Wunsch nach Einfachheit, Reinheit, Abkopplung von einer diversen, heterogenen und komplizierten Gesellschaft – und nicht zuletzt ein Wunsch zu einer Rückkehr zur, oder vielleicht besser: Rückkehr der Natur“ (S. 40). Horn nimmt bei ihrem Zugang der Zeitgenossin und dem Zeitgenossen eine Illusion: „Das Erdsystem ist „einfach“ nicht zu denken, auf keine Einfachheit zurückzuführen und wird auch nicht einfacher, wenn es in einen neuen Systemzustand übergeht. Die Herausforderung eines der Gegenwart angemessenen Nachdenkens über Katastrophen kann daher nicht in einem heimlichen oder ausdrücklichen Wunsch nach Erneuerung durch Zerstörung liegen. Sie liegt vielmehr darin, sich … zu verorten“ (S. 48).
Die Positionierung Horns trägt nicht dazu bei, die Gemüter zu beruhigen. Sie fordert den zeitgenössischen Menschen. Die Journalistin und Medien-Professorin Claudia Nothelle blickt darauf, in welcher Weise die Komplexität auf die Gesetze der Medien trifft. In der Komplexitätsreduktion sieht sie eine bedeutende journalistische Aufgabe. Dies stimmt natürlich. Mit einer Protagonistin oder einem Protagonisten gebe Journalismus einem komplexen Thema ein verständliches und menschliches Gesicht. Wörtlich schreibt Nothelle: „Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten ist es, hinzuschauen, zu schildern, zu erläutern. Die Welt – so komplex wie sie ist – nachvollziehbar zu machen. Aber nicht unbedingt einfacher“ (S. 90).
Die Auseinandersetzung mit der Komplexität der Welt und der Sehnsucht nach Einfachheit braucht hilfreiche Startpunkte. Dürnbergers Buch ist ein guter Startblock für einen Marathon, der sicher die eine oder andere Steigung als Überraschung vorhält. Nutzen Sie einfach die Gelegenheit, sich warmzulaufen. In der Corona-Pandemie wird es Orientierung geben.
Martin Dürnberger: Die Komplexität der Welt und die Sehnsucht nach Einfachheit, Tyrolia Verlag, Innsbruck 2019, ISBN 978-3-7022-3817-9, 183 Seiten, 21 Euro.