Die Hebammen von Mossul

21. September 2019 | Gastkommentare | 0 Kommentare

Mossul/Wien, am 21.9.2019. Der Kampf um Mossul ist offiziell seit zwei Jahren beendet, der Wiederaufbau des Gesundheitswesens kommt jedoch nur langsam voran. Selbst der Bedarf an medizinischer Grundversorgung kann manchmal nicht gedeckt werden. Besonders problematisch ist diese Situation für Schwangere. Viele sind gezwungen, zuhause zu gebären ohne fachliche Unterstützung. In zwei Einrichtungen in West-Mossul helfen die überwiegend weiblichen Fachkräfte von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) den werdenden Müttern, ihre Babys zur Welt zu bringen – in diesem Jahr sind es bereits über 5.000.
„Hebamme zu sein ist etwas Schönes, denn wir begleiten Frauen durch ihr Leben. Sie erzählen uns ihre Geschichten und teilen ihre traurigen und glücklichen Momente mit uns“, erzählt Intissar. Sie ist Hebamme und arbeitet in Al Rafadain in der kleineren von zwei Geburtskliniken im Westen Mossuls, die von Ärzte ohne Grenzen geleitet werden. Sie gehört zu einem Team, bestehend aus Hebammen und Gynäkologinnen, die Frauen bei regulären vaginalen Entbindungen begleiten. Fälle mit Komplikationen oder Kaiserschnitte werden an die nur zehn Minuten entfernt liegende Nablus-Geburtsklinik überwiesen.

„Auch während des letzten Konflikts habe ich Frauen dabei geholfen, zuhause zu gebären. Manchmal haben mich Verwandte von Frauen aufgesucht und mich gebeten, mich um ihre Ehefrauen, Schwestern und Töchter zu kümmern“, erinnert sich Intissar an die Zeit, bevor es die beiden Kliniken gab. „Obwohl ich selber schwanger war, habe ich damals lange Strecken zu Fuß zurückgelegt, weil ich wusste, dass ich die einzige Hebamme in der Umgebung bin. Die Menschen erfuhren durch Mundpropaganda von mir. Sie ist eine gute Hebamme, die dir helfen kann, haben sie gesagt.“

Babys warten nicht auf das Gesundheitswesen

Mehr als zwei Jahre, nachdem das Ende der Schlacht um Mossul verkündet wurde, ist in den Straßen der Stadt wieder Alltag eingekehrt. Das Gesundheitssystem aber erholt sich nur langsam. Viele hochangesehene Ärztinnen und Ärzte sowie medizinische Fachkräfte sind während der Kämpfe geflohen. Für Mütter und ihre Babys ist es deshalb bis heute schwierig, Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung zu erhalten.

Immer noch sind viele gezwungen, zuhause zu gebären und dabei Hilfe von traditionellen Hebammen in Anspruch zu nehmen, die keine fachliche Qualifikation haben. Sogar Frauen, die bei früheren Geburten Kaiserschnitte hatten und somit einem größeren Risiko für Komplikationen ausgesetzt sind, gebären zuhause. Eine Entbindung begleitet von Fachpersonal kommt für viele nicht infrage. Entweder sind die Kosten zu hoch, der Andrang zu groß oder es gibt keine entsprechende Einrichtung in der Nähe. Aber Babys warten nicht, bis das Gesundheitswesen bereit ist.

5.176 Geburten in acht Monaten

Um die Schwierigkeiten bei der Versorgung Schwangerer und ihrer Babys zu verbessern, hat Ärzte ohne Grenzen im Juli dieses Jahres die Einrichtung in Al Rafadain, in der Intissar arbeitet, eröffnet. Bereits seit 2017 betreibt Ärzte ohne Grenzen darüber hinaus eine Geburtsstation in der Nablus-Klinik, ebenfalls im Westen von Mossul. In beiden Einrichtungen wird eine sichere, qualitativ hochwertige und kostenlose Geburtshilfe sowie Nachsorge angeboten.

Dieses Angebot wird von der örtlichen Bevölkerung gut angenommen. Die Teams aus überwiegend weiblichen Fachkräften helfen pro Woche rund 170 Babys auf die Welt. Zudem versorgen sie erkrankte Neugeborene und frühgeborene Kinder, unterbreiten Angebote zur Familienplanung und führen gynäkologische Routineuntersuchungen durch.

Schwangerschaftsverlauf unbekannt

Dennoch bleibt der Bedarf an einer umfassenden medizinischen Versorgung hoch. „Fast keine Frau, die zu uns kommt, hat während der Schwangerschaft eine angemessene Betreuung erhalten. Somit haben wir keine Ahnung vom Verlauf ihrer Schwangerschaften, wenn sie bei uns erscheinen“, erzählt Emily Wambugu. Auch sie ist Hebamme mit über zwanzig Jahren Berufserfahrung aus Einsätzen auf der ganzen Welt.
Die Frauen nehmen, wenn sie es sich leisten können, oft teure Ultraschalluntersuchungen in Privatkliniken in Anspruch. „Trotzdem bekommen sie keine ordentliche Schwangerschaftsversorgung, nicht einmal notwendige Impfungen oder Vitamine“, erklärt Emily Wambugu. „Die Leistung, die sie in Anspruch nehmen, geht meist nicht über die Bestimmung des Geschlechts des Babys hinaus.“

Autor:in

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)