Destruktive Sexualität – Therapie und Risk-Assessment in der Forensischen Psychiatrie

25. Januar 2019 | Rezensionen | 0 Kommentare

Wenn es in der forensischen Psychiatrie um Sexualität geht, dann kann es emotional werden. Auch in der psychiatrischen Versorgung ziehen viele Menschen erst einmal sprichwörtlich die Samthandschuhe an, wenn es um Sexualstraftäter geht. In der „Eickelborner Schriftenreihe zur Forensischen Psychiatrie“ haben die Psychiaterin Nahlah Saimeh sowie viele andere Autorinnen und Autoren eine Gratwanderung gewagt.

So berichten die Pflegende Andrea Trost und die Psychiatrie-Erfahrene Claudia Franck über die „konstruktive Beziehungsgestaltung zwischen Untergebrachten und Mitarbeitenden im Maßregelvollzug“. Für die Ex-In-Begleiterin Franck und die Pflegende Trost ist es eine Frage der Haltung. Im Einsatz von Genesungsbegleiterinnen und Genesungsbegleitern komme die Haltung zum Ausdruck. Ex-In-Mitarbeiterinnen und Ex-In-Mitarbeiter fungierten als Übersetzer, „indem sie Dinge erklärbar machen, für die Patienten möglicherweise gerade keine Worte haben und Zusammenhänge erkennen, die mit dem Leben mit psychischer Erkrankung oder Sucht einhergehen und Nichtbetroffenen zum Teil gar nicht vorstellbar erscheinen“ (S. 217). Genesungsbegleiterinnen und Genesungsbegleiter könnten Patienten ermutigen „sich auf Prozesse einzulassen, auch weil sie als Hoffnungsträger und Vorbild vor Ort sind und damit zeigen, dass es einen individuellen Weg zur Genesung und Verbesserung der eigenen Situation gibt“ (S. 217).

Mit den Themen im Band blicken die forensischen Praktikerinnen und Praktiker nach vorne. Dies tun sie nicht nur mit der je eigenen Fachlichkeit. Vor allem die Betroffenen haben gute Aussichten, das offen und ehrlich mit ihnen gearbeitet wird. So tauchen Begriffe wie Anti-Gewalt-Training, gewaltfreie Kommunikation und Resilienzstärkung an prominenter Stelle auf. Dies zeigt, dass gerade im Maßregelvollzug der Perspektivwechsel von der Defizitorientierung weg auf jeden Fall begonnen hat.

Der Pflegewissenschaftler Michael Löhr fragt in einem Beitrag, ob „Psychotherapie durch Pflegende?“ auch ein Weg für die forensische Psychiatrie in Deutschland sei. Löhr folgert, dass Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung eine Straftat begangen hätten, Anspruch auf psychotherapeutische Leistungen hätten. Sie fänden häufig keine Versorgungsangebote. In Europa und der Welt zeige sich, dass es möglich sei, Pflegefachpersonen zu Psychotherapeuten auszubilden. Es müsse darauf geachtet werden, dass am Ende die schwierigsten Patienten nicht nur durch Pflegefachpersonen behandelt würden. Löhr ermuntert: „Es braucht einen transdisziplinären Ansatz“ (S. 146).

Die Beiträge des Buchs setzen sich mit Themen auseinander, an denen man sich auch leicht die Finger verbrennen kann. So schreibt Gisela Konrad über die „Antihormonelle Therapie bei Sexualstraftätern“ sowie deren „Chancen und Grenzen“. Valenka M. Dorsch schreibt über den Neonatizid, wägt die psychische Dynamik und die Schuldfähigkeitsbeurteilung ab. Martin Rettenberger macht ein Up-Date „zur Einschätzung des Rückfallrisikos bei Sexualstraftaten“.

Die Gefahr, dass die Herausgeberin sowie die Autorinnen und Autoren des Buchs beim Gang über den Grat ausrutschen. Ihre Expertise und reflektierte Praxis bewahren sie davor. Für die Praktikerin und den Praktiker im Maßregelvollzug braucht es mehr solcher differenzierter Themenschauen.

Nahlah Saimeh (Hrsg.): Destruktive Sexualität – Therapie und Risk-Assessment in der Forensischen Psychiatrie, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2019, ISBN 978-3-95466-413-9, 229 Seiten, 34.95 Euro.

Autor

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)