Die Beschäftigung mit Achtsamkeit und Spiritualität erscheint gegenwärtig en vogue. Dabei kommen zeitgenössische Menschen nicht nur in der praktischen Umsetzung an persönliche Grenzen. Manchmal ist das Einarbeiten in die Inhalte schwierig. Wenn die Menschen dem mittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart begegnen, dann ist ein Moment gekommen, in dem Unterstützung nötig ist. Glücklicherweise gibt es den Religionswissenschaftler Harald-Alexander Korp. Korp schafft Horizonte des Verstehens für die Interessierte und den Interessierten. Ihm gelingt es auch, die Relevanz der Ideen Meister Eckharts ins Hier und Heute zu übersetzen.
Sprachlich sucht Korp die Worte der Gegenwart. Methodisch gibt Korp den Menschen, die sich in Achtsamkeit und Spiritualität einfühlen wollen, jede Gelegenheit, den eigenen Weg zu finden. Denn in separierten Kästen können die Interessierten die eigene Motivation checken, Übungen ausprobieren oder Gedankenexperimente machen. So pendeln die Leserinnen und Lesern ständig zwischen den verständlichen Einführungen Korps in das Gedankengut Meister Eckharts und dem persönlichen Ausprobieren.
Meister Eckhart ist in der mittelalterlichen katholischen Kirche nicht unumstritten gewesen. Obwohl er Mitglied des Dominikanerordens gewesen ist, musste er sich in den verkrusteten Strukturen der römischen Kirche behaupten. Bis in die Gegenwart hält sich der Vorwurf der Häresie gegen Teile von Eckharts Werk, wie Korp differenziert darstellt. Wenn Korp die religiöse Mystik als das „Sich-Lösen von Drachen und Hexenmeistern, sprich Bildern und Konzepten“ definiert, dann ahnt die Leserin und der Leser, weshalb es sich Papst und Kardinäle schwer mit ihm machten. Schließlich betonen sie bis in die Gegenwart die Bindung an die eigenen Dogmen.
„Mystik kann sich also als ein Weg definieren, die gegebene Einheit von Mensch, Welt und einer letztgültigen Wirklichkeit wiederzuentdecken. Die Mystik schöpft aus der tiefen Wahrnehmung und Einsicht, dass Gott und die Welt nicht getrennt, sondern eine Einheit sind“, schreibt Korp. Was Korp immer wieder an Meister Eckhart begeistert, ist die Verbindung von Vernunft und Erfahrung. Eckhart empfehle, erst einmal innezuhalten und nachzudenken, um dann den Urgrund des Seins, das Unbeschreibbare, erfahren zu können. So warnt Eckhart nach Korp seine Zeitgenossinnen und Zeitgenossen vor religiöser Hysterie, spirituellen Krisen und sentimentalem Wohlgefühl und mahne zur Gelassenheit.
Auf diese Weise unterstreicht Korp, dass die Menschen in der jeweiligen Zeit mit beiden Füßen auf dem Boden stehen sollen. Er betont, dass es beim Sich-auf-den-Weg-Machen mit Meister Eckhart nicht um Weltflucht, sondern vielmehr um eine Verortung des Mystischen im Alltag und in der subjektiven Lebenserfahrung geht. Diese Sicht durchzieht das ganze Buch. Als es um den Begriff der Liebe geht, stellt Korp fest: „Eckhart empfiehlt, erst einmal sich selbst zu lieben. Dazu ist es notwendig, eine mitfühlende Beziehung zu sich, zu den eigenen Überzeugungen, Emotionen und Taten aufzubauen. Lieben bedeutet, sich anzunehmen, wie man ist. Dann gelingt es auch, diejenigen Gefühle zu betrachten und zuzulassen, die man an sich nicht mag und deshalb verdrängt … Spürt man seinen Gefühlen nach, wird man erkennen, welche Konzepte und Vorstellungen in einem bewusst oder unbewusst aktiv sind“.
Lassen Sie sich mit Korps Buch „Dem Geist ist alles möglich“ auf den Weg zu sich selbst einladen. Es lohnt sich.
Harald-Alexander Korp: Dem ruhigen Geist ist alles möglich – Mit Meister Eckhart lernen, im Hier und Jetzt zu sein, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019, ISBN 978-3-579-01461-6, 238 Seiten, 20 Euro.