0,5 bis 0,7% der Weltbevölkerung erkranken im Laufe ihres Lebens an Schizophrenie. Neben sozialen und funktionellen Beeinträchtigungen kann die Lebensqualität der Betroffenen einerseits durch die Krankheit selbst, andererseits durch die teilweise starken Nebenwirkungen mancher Antipsychotika drastisch reduziert werden. Da die Erstmanifestation zumeist im jungen Erwachsenenalter auftritt und der Verlauf häufig chronisch wird, stellt diese schwere psychische Erkrankung eine enorme Belastung für Betroffene und Angehörige dar. Umso wichtiger seien daher eine rasche Diagnose und eine möglichst schnell wirkende, gut verträgliche und lang anhaltende Behandlung, so der Psychiater Prof. Dr. Christoph U. Correll von der Berliner Charité im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung Ende Juni im Krankenhaus Hietzing in Wien. Für ihn steht auf Grund der Datenlage fest: Depot-Präparate sind das Mittel der Wahl, da sie zahlreiche Vorteile bieten, die eine langfristige Therapieadhärenz und somit die bestmöglichen Outcomes in der Langzeit-Behandlung der Schizophrenie ermöglichen.
Je schneller, desto besser
Der Therapieerfolg ist maßgeblich von der Dauer der unbehandelten Psychose abhängig (DUP – Duration of Untreated Psychosis). „Wird so schnell wie möglich nach der Erstmanifestation der Psychose mit einer geeigneten Therapie begonnen, ist die Recovery-Rate deutlich besser[1]“, betonte Correll, der an der Berliner Charité die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie leitet. „Eine frühe Diagnose und rasche, suffiziente Behandlung ist nicht nur mit einem besseren klinischen Verlauf assoziiert – auch von pathophysiologischer Seite gibt es Hinweise dafür, dass eine frühzeitige Intervention zum Teil irreversible zerebrale Schäden verringern oder gar verhindern kann[2]“, sagte der auch in den USA forschende und lehrende Correll, der an der Donald and Barbara Zucker School of Medicine at Hofstra/Northwell New York eine Professur für Psychiatrie und Molekularmedizin inne hat.
Nicht Wirkungsunterschiede, Nebenwirkungsdifferenzen sind entscheidend
Zur Zeit gibt es einzig die Empfehlung, atypische Antipsychotika (Zweitgenerations-Antipsychotika) den älteren typischen Antipsychotika (Erstgenerations-Antipsychotika) vorzuziehen. Innerhalb der Zweitgenerations-Antipsychotika gibt es außer für Clozapin bei therapieresistenten Patienten keine ausreichende Evidenz für klinisch relevante Wirksamkeitsunterschiede[3] und daher auch keine differenzielle Empfehlung. „Der Punkt ist, dass sich diese Medikamente in ihrer Effektivität relativ wenig voneinander unterscheiden. Die Unterschiede bei den Nebenwirkungen sind jedoch relativ groß und besser vorhersehbar als die Unterschiede in der Wirksamkeit. Die Wahl des geeigneten Antipsychotikums sollte sich daher primär am Nebenwirkungsprofil des jeweiligen Medikamentes orientieren.“
Eine große Rolle spielt darüber hinaus die Langzeitverträglichkeit. Bereits bei der Akutbehandlung sollte der Wirkstoff in Hinblick auf eine spätere Erhaltungstherapie gewählt werden. „Um bei guter Verträglichkeit später eine unnötige und eventuell destabilisierende Umstellung zu vermeiden, sollte man einen Wirkstoff wählen, der in unterschiedlichen Darreichungsformen zu Verfügung steht, also oral, i.m. und als Depot“, betonte Correll.
Hirn lernt durch Wiederholung nicht nur Schifahren
Ein wichtiger Prädiktor für ein schlechtes Outcome ist das Rezidiv. Je mehr Rückfälle, also psychotische Phasen, der Patient erleidet, desto schneller entwickelt er eine weitere psychotische Episode und desto schwerer kommt er wieder daraus heraus. Und: Die Zeit bis zur erneuten Remission wird länger. „Das Gehirn lernt eben nicht nur Schi zu fahren oder eine neue Sprache zu sprechen, es ‚lernt‘ auch eine Psychose“, erläuterte Correll. „Rückfälle produzieren mehr Symptome und die Symptome produzieren wiederum mehr Rückfälle.“ Rezidive wirken sich auch auf das therapeutische Ansprechen aus. Während Ersterkrankte meist zu den „Super-Respondern“ zählen, verschlechtern Rückfälle das Ansprechen auf Medikamente enorm. Mit der Anzahl der Rezidive steigt nicht nur das Risiko für eine sekundäre Therapieresistenz, sondern auch für eine fortschreitende Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten, wodurch sich auch Funktionalität[4] und Lebensqualität verschlechtern. All dies bedeutet mehr Leiden für Patienten und Familie und höhere Kosten für das Gesundheitssystem. Die stärkste ‚Nebenwirkung‘ aber ist der Tod. Denn mit der Anzahl der Rezidive steigt auch die Wahrscheinlichkeit von Suizidversuchen.[5],[6],[7],[8]
Rezidivprophylaxe und Langzeittherapie
Es muss also alles daran gesetzt werden, Rezidive zu verhindern. Auch wenn vor allem von Patientenseite immer wieder die Frage kommt, ob nach einer gewissen symptomfreien Zeit ein Absetzen der Antipsychotika nicht sinnvoll wäre, warnt Correll davor. Am besten gelingt eine Rückfallprophylaxe durch eine Langzeittherapie. Diverse Daten belegen: Unter fortdauerender Behandlung zeigten sich weniger Rückfälle als bei intermittierender Therapie.[9],[10] Ähnlich verhält es sich mit der Mortalität: Eine finnische Datenbankstudie[11] aus über 20 Jahren zeigte genauso wie eine an rund 30.000 Patienten durchgeführte schwedische Datenbankstudie[12], dass sich eine kontinuierliche Therapie gegenüber Patienten, die keine Therapie erhielten oder die Therapie frühzeitig absetzten, positiv auf die Mortalität auswirkt. Correll: „Die geringste Gesamtmortalität hatten jene Patienten, die Antipsychotika der zweiten Generation als Depot-Formulierung erhielten. Es zeigte sich im Vergleich zu oralen Formulierungen derselben Wirkstoffe eine um 33% geringere Mortalität.[13]“
Depotpräparate – Mittel der Wahl
„Wir sollten nach oraler Anbehandlung von Beginn an Depot-Antipsychotika verschreiben“, ist Correll überzeugt. Denn verschiedene Studien zeigen, dass schon in der frühen Erkrankungsphase eine Therapie mit Depot-Antipsychotika im Vergleich zu oralen Antipsychotika-Gabe erheblich zu einem langfristigeren Therapieerfolg beitragen kann.[14],[15],[16] Das Risiko für einen Therapieabbruch oder eine stationäre Aufnahme beispielsweise war unter Depot-Behandlung weitaus geringer als bei oraler Behandlung. „Einerseits kann der Patient nun keine Einnahme ‚vergessen‘, andererseits weiß der behandelnde Arzt bei einem Depot-Präparat natürlich genau, wann und in welcher Dosierung der Patient sein Medikament erhalten hat oder wann genau das Medikament abgesetzt wurde, und kann somit viel besser und genauer reagieren.“ Zudem sind bei oraler Therapie Patienten täglich gefordert, sich aktiv für eine medikamentöse Therapie zu entscheiden, und sind durch das Auslassen von Dosen dem Risiko ausgesetzt, falsche Schlüsse über Nutzen und Risiken von ihrer Medikation zu ziehen. Correll bringt ein Beispiel aus der Praxis: „Wenn ein Patient z.B. sein orales Präparat für ein oder zwei Tage absetzt, fühlt er sich besser, da er weniger Nebenwirkungen verspürt. Gleichzeitig führt das Absetzen nicht sofort zu einem Rückfall. Schnell zieht er den Schluss ‚Ich bin ja gar nicht krank, der Arzt mit seinen Medikamenten macht mich krank‘ und setzt das Präparat überhaupt ab. Das kann bei einer Depot-Formulierung nicht passieren.“
Gerade bei jungen Patienten können Lebensqualität und Funktionalität mit Depot-Formulierungen verbessert werden. Die Qualify-Studie[17] belegt dies vor allem für Aripiprazol. Auch eine rezente Mirror Image Studie[18] zeigte, dass besonders jüngere Patienten (≤35) mit Aripiprazol-Depot eine klinisch bedeutsame Besserung von 54,1 auf 40,3 Punkten auf der BPRS (Brief Psychiatric Rating Scale) nach 24 Wochen erreichten.
Ein wesentlicher prädiktiver Faktor für Rückfälle ist mangelnde Therapieadhärenz[19] und um diese zu verbessern, ist es wichtig, den Patienten die Therapie so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Dies kann durch die Depot-Formulierung bewerkstelligt werden. Auch wenn, wie Correll meinte, Psychiater häufig davon ausgehen, dass die Injektionstherapie bei Patienten auf nur geringe Akzeptanz stoße, würden Umfragen dies widerlegen: Patienten seien deutlich offener für diese Therapieform als von den Ärzten vermutet, die insgesamt deutlich größere Vorbehalte gegenüber Depot-Präparaten haben.[20] Obendrein seien Depot-Präparate der 2. Generation alle wasserlöslich und verursachen daher im Vergleich zu den öligen 1. Generation-Depot-Präparaten weniger Schmerzen und Nebenwirkungen an der Injektionsstelle.
Resümee – Wie würden Sie Ihren Verwandten behandeln?
Correll fasste zusammen: „Für Ärzte bedeutet eine Depot-Therapie einen höheren Aufklärungsbedarf den Patienten gegenüber als das Verschreiben oraler Medikamente. Aber ich frage immer: Was würden Sie Ihrem Verwandten verschreiben? Wir haben Daten über Daten, dass Depot-Präparate in der Schizophrenie-Therapie den symptomatischen Outcome verbessern und auch die funktionelle Unabhängigkeit der Patienten und ihre Lebensqualität verbessern können. Unsere vordringliche Aufgabe ist es, Ersterkrankten ein Präparat zu geben, das sowohl therapeutisch wirksam als auch gut verträglich ist, um die Patienten so adhärent, stabil und langfristig rückfallfrei wie möglich zu halten. Daher sollten Depot-Antipsychotika bereits frühzeitig angeboten und eingesetzt werden, um die Patienten vor den möglichen negativen Konsequenzen multipler Rückfälle zu schützen.[21] Und letztendlich sind die Daten bezüglich einer verringerten Mortalität unter Depot-Antipsychotika gegenüber oralen Präparaten in die Therapieentscheidung miteinzubeziehen. Dafür sind der erhöhte Aufklärungs- und Motivationsbedarf zweifellos gerechtfertigt.“
[1] Recovery: zumindest zwei Jahre anhaltende symptomatische Remission, begleitet von einem ausreichenden Funktionsniveau in drei Bereichen: Selbstfürsorge (Unterkunft, Essen, Hygiene), soziale Interaktion (mind. ein Kontakt pro Woche außerhalb der Familie) und sinnvolle Aktivitäten (mindestens zwei Trage/Woche entweder im Ausbildungs- oder Arbeitszusammenhang, bezahlt oder unbezahlt)
2 Marin, NatMed. 2016; doi:10.1038/nm.4225
3 Leucht S, Cipriani A, Spineli L, Mavridis D, Orey D, Richter F, Samara M, Barbui C, Engel RR, Geddes JR, Kissling W, Stapf MP, Lässig B, Salanti G, Davis JM. Comparative efficacy and tolerability of 15 antipsychotic drugs in schizophrenia: a multiple-treatments meta-analysis. Lancet. 2013 Sep 14;382(9896):951-62.
4 Funktionalität („Functional Capacity“) ist die „Fähigkeit eines Individuums, normale Alltagsaktivitäten zu verrichten, die notwendig sind um Grundbedürfnisse zu erfüllen, Selbstversorgung, Ausbildung, Arbeit und Freizeitaktivitäten zu gewährleisten sowie Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten.
5 Correll et al.,World Psychiatry 2018; 17(2):149-160. doi:10.1002/wps.20516;
6 Herings et Erkens, Pharmacoepidemiol Drug Saf 2003; doi:10.1002/pds.837;
7 Andreasen et al. Am J Psychiatry 2013; doi:10.1176/appi.ajp.2013.12050674;
8 Kane, J Clin Psychiatry 2007; 68(Suppl 14): 27–30;
9 Sampson S et al. Cochrane Database Syst Rev 2013; doi:10.1002/14651858.CD006196.pub2;
10 DiBonaventura et al., BMC Psychiatry 2012; doi:10.1186/1471-244X-12-20;
11 Tiihonen J. et al. Am J Psychiatry 2018; doi:10.1176/appi.ajp.2018.17091001;
12 Taipale et al., Schizophrenia Research 2018; doi.org/10.1016/j.schres.2017.12.010
13 Tiihonen et al., JAMA Psychiatry 2017; doi:10.1001/jamapsychiatry.2017.1322;
14 Emsley et al., Early Interv Psychiatry 2013; doi:10.1111/eip.12027;
15 Subotnik et al., JAMA Psychiatry 2015; doi:10.1001/jamapsychiatry.2015.0270;
16 Tiihonen et al., JAMA Psychiatry 2017; doi:10.1001/jamapsychiatry.2017.1322;
17 Naber et al., Schizophr Res 2015; doi:10.1016/j.schres.2015.07.007;
18 Schöttle et al., BMC Psychiatry 2018; doi:10.1186/s12888-018-1946-x;
19 Kane et al., World Psychiatry 2013; doi:10.1002/wps.20060;
20 Cahlinget al., BJPsych Bull 2017; doi:10.1192/pb.bp.116.0554839;
21 Correll et al., J Clin Psychiatry 2016; doi:10.4088/JCP.15032su1;