„Wir brauchen dringend eine umfassende Überprüfung und rasche Korrektur der Pflegegrade im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Pflegeversorgung. Ansonsten ist eine Fehlversorgung in der Pflege vorprogrammiert“, warnt Dr. Markus Mai, Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz. Mai bezieht sich damit auf die Ergebnisse des beendeten Projektes „Pflege in Baden-Württemberg. Entwicklung struktur- und prozessorientierter Qualitätsindikatoren in der Langzeit-Pflege in Baden-Württemberg“ (PiBaWü). „Da Pflegegrade für die Einstufung der Personalausstattung von Altenpflegeeinrichtungen relevant sind, muss der Erklärungsgehalt des Pflegegrades an der Pflege- und Betreuungszeit deutlich höher sein“, so Mai weiter.
Unter der Leitung von Prof. Dr. Albert Brühl, Lehrstuhl an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar, haben Wissenschaftler in Baden-Württemberg mit 58 stationären Pflegeeinrichtungen und 54 Pflegeschulen zusammengearbeitet. Ziel der Studie war es, den Zusammenhang zwischen Pflegebedürftigkeit, Pflegequalität und Personalausstattung zu messen. Das Fazit nach zwei Jahren: Nur ein Anteil von zehn Prozent der Zeitunterschiede in Pflege- und Betreuungszeit lassen sich nach dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff auf die Pflegegrade zurückführen.
Eine Bemessung nach dem Neuen Begutachtungsassessment (NBA) kann so etwa dazu führen, dass ein Bewohner des Pflegegrades IV weniger Pflege- und Betreuungszeit erhält als ein Bewohner des Pflegegrades I. Zudem kommt es durch das NBA aufgrund der Dokumentation und Einstufung der Pflegebedürftigen zu einem Mehraufwand der Pflegepraktiker vor Ort.
„Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das NBA, auf dem die Einstufung der Pflegebedürftigen in einen bestimmten Pflegegrad beruht, den pflegerischen Aufwand nicht richtig erfassen kann. Folglich kann und darf auf einem solchen Instrument auch keine Personalbemessung in der Pflege aufbauen. Schon im Vorfeld der Einführung der Pflegegrade haben Wissenschaftler aus Vallendar, der einzigen deutschen pflegewissenschaftlichen Fakultät, auf die schlechte Messgenauigkeit der Pflegegrade hingewiesen. Von den politisch Verantwortlichen wurde dieser Hinweis leider ignoriert. Derartige komplexe Instrumente dürfen zukünftig nicht mehr nur von einer wissenschaftlichen Denkrichtung entwickelt werden, sondern nur noch im Rahmen umfassender diversifizierter Forschungsverbünde. Ansonsten droht der professionellen Pflege und den Pflegebedürftigen hier eine erneute Benachteiligung durch die Hintertür“, erklärt Mai.
Hintergrund: Mit der einstimmigen Verabschiedung des Heilberufsgesetzes durch den rheinland-pfälzischen Landtag im Dezember 2014 ist die Landespflegekammer errichtet worden. Seit dem 01. Januar 2016 haben die Pflegenden im Land damit eine kraftvolle Interessenvertretung erhalten. Die Landespflegekammer mit ihren gewählten Vertreterinnen und Vertretern nimmt die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der Mitglieder wahr.
Die Vertreterversammlung hat in der Sitzung vom 2. März 2016 erstmals den Vorstand der Landespflegekammer gewählt. Präsident der Kammer ist Dr. Markus Mai. Zur Vizepräsidentin wurde Sandra Postel gewählt. Die weiteren Mitglieder des Vorstandes sind aktuell Prof. Dr. Anderl-Doliwa, Andrea Bergsträßer, Hans-Josef Börsch, Esther Ehrenstein, Renate Herzer, Oliver Weidig und Nina Benz.