Wien / Brunn am Gebirge, 15. Jänner 2020 – Im Rahmen des wissenschaftlichen Kongresses der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation (ÖGPMR) wurde der Stellenwert des neuropathischen Schmerzes in der Physikalischen Medizin und Rehabilitation diskutiert und fächerübergreifend betrachtet. Denn klar ist: Die Behandlung von Patienten mit neuropathischen Schmerzen ist täglich‘ Brot sowohl für Schmerz- als auch für Physikalische Mediziner. Die Experten beider Fächer waren sich einig: Neuropathien sind eine diagnostische und therapeutische Herausforderung im klinischen Alltag. Es stehen jedoch gute Optionen in der Erkennung sowie Behandlung zur Verfügung. Damit darf neuropathischer Schmerz kein Schicksal sein!
Neuropathischer Schmerz ist die Folge einer Schädigung neuronaler Strukturen. In der Physikalischen Medizin sind dies überwiegend posttraumatische Neuropathien nach Unfällen, wie etwa ein Plexusausriss, oder Engpass-Syndrome wie das Karpaltunnelsyndrom. Aber auch post-operative oder Narbenschmerzen und Post Zoster-Neuralgien sind häufig gesehene Schmerzbilder. „Die Prävalenz ist relativ hoch. In der Literatur wird sie zwischen 3,3-8,2 Prozent angegeben“, informierte Univ.-Prof. Dr. Tatjana Paternostro-Sluga, Vorständin des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation am Donauspital – SMZ Ost und des Krankenhauses Floridsdorf in Wien, im Rahmen eines Symposiums bei der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation (ÖGPMR) in Wien. „In unserem Fach sind wir tagtäglich mit diesen Beschwerden konfrontiert und damit Spezialisten auf diesem Gebiet.“ Physikalische Mediziner sind daher häufig Teil des Teams in den österreichischen Schmerzambulanzen. „Interdisziplinarität ist etwas ganz Wichtiges“, bekräftigte Univ.-Prof. Dr. Burkhard Gustorff, Vorstand der Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin mit Ambulanz am Wilhelminenspital Wien. Ganz besonders bei so komplexen Beschwerdebildern wie dem neuropathischen Schmerz ist die Zusammenarbeit mehrerer Fächer entscheidend für ein zufriedenstellendes Therapieergebnis.
Eine Domäne der Anamnese
In der Diagnostik des neuropathischen Schmerzes ist die Anamnese der erste und entscheidende Faktor. „Prinzipiell gilt: Neuropathischer Schmerz ist immer ein Schmerz im Bereich von Nerven. Das klingt banal, ist aber ganz entscheidend“, betonte Gustorff. Liegt eine Läsion oder Dysfunktion vor, kann bereits im Gespräch der Schmerz nervenanatomisch zugeordnet werden. Beide Experten empfehlen Fragebögen wie den Pain Detect oder den DN4 als gute unterstützende Hilfsmittel bei der Schmerzerfassung. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung werden sensorische Defizite geklärt. Sollte dann die Diagnose noch nicht ganz klar sein, können zusätzliche Untersuchungen wie eine quantitative sensorische Testung (QST) oder eine Hautbiopsie letzte Gewissheit bringen. Gustorff: „Eine absolute Novität ist die nicht-invasive konfokale korneale Mikroskopie, die die Hautbiopsie ersetzen kann. Leider ist sie noch nicht überall verfügbar und zudem teuer.“
In der Therapie geht es nicht allein um die Schmerzreduktion. Das Ziel ist auch, Sekundärfolgen zu vermeiden, die Funktionsfähigkeit, Aktivität sowie Partizipation zu erhalten und die Lebensqualität zu verbessern. Laut Leitlinien sind Gabapentin, Pregabalin, trizyklische Antidepressiva und Duloxetin die Therapien der ersten Wahl. Second Line werden die Wirkstoffe Tramadol und Carbamazepin, topische Anwendungen, wie das Capsaicin- und das Lidocainpflaster, sowie Elektrotherapie empfohlen. Zusätzlich haben auch stark wirksame Opioidanalgetika, Botulinumtoxin für bestimmte Fragestellungen und natürlich die multimodale Schmerztherapie ihren Platz.
Topische Therapien: wirksam und verträglich
Der überwiegende Teil des neuropathischen Schmerzes ist lokalisiert. „Deshalb ist es sehr wichtig, dass topische Therapieoptionen ins Behandlungskonzept integriert werden“, so Paternostro-Sluga. „Diese Therapien haben kaum systemische Nebenwirkungen und somit ein extrem gutes Nutzen/Risiko-Verhältnis.“ Betrachtet man die demografische Entwicklung, die Multimorbidität älterer Menschen und die damit verbundene Multimedikation, so sei eine gute Verträglichkeit ein ganz wesentliches Kriterium für die Therapieentscheidung.
Qutenza®: Lokale Therapie bei Nervenschmerz
Ein Beispiel für eine medikamentöse topische Therapie ist das Schmerzpflaster Qutenza®. Es enthält den Wirkstoff der Chilischote (Capsaicin) in synthetischer Form und hoher Dosierung (179 mg) und ist für die lokale Behandlung aller Arten peripherer neuropathischer Schmerzen bei Erwachsenen zugelassen.1 Capsaicin ist ein Agonist des TRPV1-Rezeptors und wirkt auf die Kalziumkanäle, was zu einer reversiblen Hemmung der nozizeptiven Nervenendigungen in der Haut führt. „Das Besondere an der Behandlung mit hochkonzentriertem Capsaicin ist, dass sensorische Funktionen im Regelfall unbeeinflusst bleiben. Das bedeutet, die Patienten haben eine signifikante Schmerzreduktion, spüren jedoch nach wie vor Berührung und haben eine Vibrationsempfindlichkeit“, zeigte sich Physikalische Medizinerin überzeugt und erklärte den Wirkmechanismus: „Bei einer Nervenfasernläsion reduziert sich die Dichte der Nervenfasern in der Haut. Reaktiv erhöht sich die Anzahl der Ionenkanäle und der Vanilloidrezeptoren. Das ganze System wird instabil und feuert vor sich hin – der Patient hat Schmerzen. Wird hochkonzentriertes Capsaicin auf die Haut appliziert, dringt es ein und bindet an die Vanilloidrezeptoren. Die Kalziumkanäle machen auf, was einen erhöhten Kalziumeinstrom in die Zelle bedingt. Dadurch verlieren die Nozizeptoren vorübergehend – für circa drei Monate – ihre Funktion. Das bedeutet, dass dort auch keine Schmerzen entstehen können – denn wo nichts mehr da ist, wird auch nichts weitergeleitet.“
Gustorff kann auf inzwischen neun Jahre praktischer Erfahrung mit Qutenza® zurückblicken, denn das Wilhelminenspital war europaweit eines der ersten Krankenhäuser, das das Capsaicin-Pflaster einsetzte. Gleich zu Beginn wurden gemeinsam mit dem Klinikum Klagenfurt 57 ambulant versorgte Patienten, die vielfach bereits jahrelang unter Neuropathien und Schmerzen litten, im Rahmen einer prospektiven, nicht placebokontrollierten Beobachtungsstudie begleitet.2 Das Ergebnis: Nach einem Monat Behandlung waren rund 40 Prozent der Patienten Responder (die Schmerzreduktion war mit 30% definiert). Bei 20 Prozent war das Schmerzpflaster besonders gut wirksam. Gustorff: „Was wir schon damals interessant fanden war, dass 21 Prozent der Patienten eine Schmerzreduktion von mehr als 50 Prozent zum Ausgangswert erreichten. Und das bereits nach vier Wochen.“ Diese guten Resultate werden bis heute erzielt und treffen auch für Kreuzschmerzpatienten zu, denn etwa ein Drittel dieser Schmerzen hat eine neuropathische Ursache. Laut Gustorff gilt für die Responderrate ein einfacher und wissenschaftlich belegter Grundsatz: Wer einmal auf Qutenza® anspricht, spricht immer an. „Im Schnitt wird alle drei bis fünf Monate ein neues Pflaster für 30-60 Minuten geklebt. Dies kann über Jahre hinweg mit gleichbleibender Wirkung erfolgen.“
Aktuelle Diskussion: Relevanz von Nebenwirkungen
Schmerzmediziner Gustorff: „Zurzeit erleben wir eine rege Diskussion, ob auf Basis der guten wissenschaftlichen Daten die topische Behandlung mit dem Lidocain- und Capsaicin-Pflaster nicht auch in die erste Wahl kommen sollte.“ In der Bewertung von Therapien gehe es um die Wirksamkeit (number needed to treat, NNT) und um die Verträglichkeit (number needed to harm, NNH). Bei der Verträglichkeit kommen zunehmend weitere Gesichtspunkte hinzu, nämlich: „Wie ist es um die Morbidität des Patienten bestellt? Gibt es ein erhöhtes Risiko für zentralsystemische Nebenwirkungen und wie relevant ist dieses Risiko, sollte es eintreten?“, beschrieb Gustorff und schloss mit der Erkenntnis: „Ich bin davon überzeugt, dass es ganz wichtig ist, in der Auswahl von Medikamenten künftig auch über die Relevanz von möglichen Nebenwirkungen zu sprechen.“
Quelle: Symposium der Fa. Grünenthal „Neuropathischer Schmerz – Eine interdisziplinäre Betrachtung“ am 8. November 2019
Über Grünenthal
Grünenthal ist ein weltweit führendes Unternehmen in der Behandlung von Schmerz und verwandter Erkrankungen. Als forschendes Pharmaunternehmen in Familienbesitz verfügen wir über eine langjährige Erfahrung in innovativer Schmerztherapie und der Entwicklung modernster Technologien für Patienten weltweit. Mit Innovationen wollen wir das Leben von Patienten verbessern. Wir setzen uns mit aller Kraft dafür ein, unsere Vision von einer Welt ohne Schmerzen zu verwirklichen. Grünenthal hat seine Konzernzentrale in Aachen und ist mit rund 30 Gesellschaften in Europa, Lateinamerika und den Vereinigten Staaten vertreten. Unsere Produkte sind in mehr als 100 Ländern erhältlich. Im Jahr 2018 beschäftigte Grünenthal rund 5.200 Mitarbeiter und erzielte einen Umsatz von 1,3 Milliarden Euro. Weitere Informationen finden Sie unter www.grunenthal.at