Darmstadt – Wenn Gehirngewebe durch einen Schlaganfall geschädigt wurde, beginnt für viele Patienten ein langwieriger Heilungsprozess: Die betroffenen Gehirnfunktionen erholen sich oft nur langsam, rund jeder zweite Patient gelangt nicht wieder zu vollständiger Symptomfreiheit. Um das regenerative Potenzial des Gehirns zu unterstützen, setzen Neurologen der Universität Tübingen das Verfahren der so genannten Transkraniellen Magnetstimulation (TMS) ein. Über aktuelle Erfolge und geplante Weiterentwicklungen dieser Behandlungsmethode werden die Tübinger Mediziner auf der Online-Pressekonferenz zur 64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN), die morgen, Mittwoch, 11. November stattfindet, berichten. Medienvertreter können sich bereits jetzt unter: https://attendee.gotowebinar.com/register/3047893921125537040 anmelden. Weitere Themen der Pressekonferenz sind ein Sprachcomputer, der Hirnsignale in Sprache übersetzt, Kanalerkrankungen und die Hirntod-Diagnostik.
Das Gehirn ist ein Organ, das ständig unter Strom steht: Der Informationsaustausch zwischen den Nervenzellen sowie die Entstehung und Weiterleitung von Signalen, die an andere Organe des Körpers gerichtet sind, funktionieren weitgehend elektrisch. „Auch Lernprozesse hängen von der elektrischen Aktivität der beteiligten Zellverbände ab“, sagt Dr. med. Christoph Zrenner, Neurologe am Hertie-Zentrum für klinische Hirnforschung in Tübingen. Als Laborleiter in der Arbeitsgruppe von Professor Dr. med. Ulf Ziemann, Tübingen, setzt er bereits seit Jahren elektromagnetische Felder ein, um Lern- und Regenerationsprozesse im Gehirn, wie sie etwa für die Erholung nach einem Schlaganfall notwendig sind, zu beeinflussen und zu unterstützen.
Bei der Transkraniellen Magnetstimulation werden Magnetspulen von außen in unmittelbare Nähe der Kopfhaut gebracht. Sobald Strom durch die Spulen fließt, entstehen elektromagnetische Felder, die das Gehirn durch die Schädeldecke hindurch stimulieren. Während der Behandlung wird zudem die Hirnstromkurve (EEG) des Patienten aufgezeichnet und in Echtzeit analysiert. „Über eine komplexe Steuersoftware wird die Magnetstimulation dann genau auf die aktuelle Gehirnaktivität des Patienten abgestimmt“, erläutert Zrenner – jeder Patient erhalte damit sein individuelles Stimulationsprotokoll. In Studien an Schlaganfallpatienten, die unter einer halbseitigen Muskelschwäche oder Lähmung leiden, untersuchen die Tübinger Mediziner nun, wie sich diese zeitlich optimierte Stimulation auf die Regeneration auswirkt. Mithilfe der neuen Spulen soll in Zukunft auch der individuell beste Ort für die Stimulation bestimmt werden.
„Als nicht-invasives, völlig schmerzfreies und nebenwirkungsarmes Verfahren eröffnet die personalisierte TMS neue Chancen, den Heilungsprozess nach einem Schlaganfall zu unterstützen“, so Zrenner. Die Betonung liege dabei auf dem Wort „unterstützen“ – denn Dreh- und Angelpunkt der Therapie bleibe das aktive körperliche Üben. Jede der üblicherweise 18 TMS-Sitzungen, die über sechs Wochen verteilt sind, findet daher nicht isoliert statt, sondern wird von einer Physiotherapie-Einheit begleitet. Im Idealfall treffen die durch die körperlichen Übungen gesetzten Impulse dann auf motorische Zentren im Gehirn, die durch die vorangegangene TMS in gesteigerte Lernbereitschaft versetzt wurden.