Pflegenotstand und alte Vorurteile – hat der Pflegeberuf ein Imageproblem? Für Katja Tausch ist er immer noch unübertroffen. Weil der Patient im Mittelpunkt steht. Weil er nichts kann für die Probleme der Branche. Weil Pflege unterm Strich ein Dienst am Menschen bleibt. Und der macht Freude, der macht Sinn.
Nürnberg. Als „fränkisch zugewandt“ beschreiben sie hier im nördlichen Bayern einen Schlag Mensch, rustikal, deutlich in der Sprache, mit etwas Geduld besehen: herzlich. Ohne Sinn für die feinen Unterschiede ließe der sich leicht als unwirsch missverstehen. Die alte Dame zum Beispiel, die sie einst frei heraus anherrschte, „schick dich, Mädchen“, weil ein menschliches Bedürfnis keinen Aufschub duldete. Da hatte Katja Tausch ihre Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger gerade angetreten. Erste Station: Geriatrie. „Anfangs hatte ich Berührungsängste. Aber die verflogen schnell, von da an war es einfach wunderbar“, sagt die 33-Jährige. Inzwischen leitet sie die Station 16 III der Klinik für Dermatologie am Universitätsklinikum Nürnberg.
Die alte Dame ist ihr in guter Erinnerung geblieben, wie viele Menschen, mit denen der Beruf sie Tag für Tag, Jahr für Jahr zusammenbringt. Die fränkisch Zugewandten, die Freundlichen, die Schrägen. Menschen mit verrückten Geschichten, mit schlimmen Schicksalen. Menschen mit nichts als einem heruntergekommenen Koffer und einer bösen Wunde, die auf der Straße erst recht keine Chance auf Heilung hat. Katja Tausch kann einfach mit Menschen. An einen anderen Beruf hat sie nie gedacht. Nach der Schule ein Praktikum in der Nephrologie am Uniklinikum im thüringischen Jena, wo sie aufwuchs, bestärkte sie in ihrem Weg. Der führte die damals 17-Jährige also nach Nürnberg, weil 2004 von Pflegenotstand keine Rede – und am Jenaer Klinikum noch das Abitur von angehenden Fachkräften verlangt war.
Die Zeiten haben sich geändert. Den meisten Krankenhäusern überall in Deutschland fällt es zunehmend schwer, selbst offene Stellen mit Fachkräften zu besetzen. Betten werden „geschlossen“, Prämien gezahlt für Mitarbeiter, die neue Pflegekräfte anwerben. Headhunter gehen gezielt auf die Suche im In- und Ausland. Allein an bayerischen Kliniken sind laut Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aktuell etwa 12.000 Stellen für Pflegekräfte unbesetzt. Wo die Not besonders groß, treibt es die, die da sind, an den Rand der Selbstausbeutung oder darüber hinaus. Nachwuchsgewinnung ist ein harter Kampf. Jede(r) dritte Pflege-Azubi bricht die Ausbildung in der Probezeit ab. Dem Image des Pflegeberufs dürften die Probleme der Branche noch weniger zuträglich sein als die alten Vorurteile, man sei die meiste Zeit beschäftigt, Patienten zu waschen und Ausscheidungen zu beseitigen, genieße ein entsprechendes soziales Ansehen und habe dazu kaum Möglichkeiten, sich beruflich weiterzuentwickeln.
Kein Tag wie der andere, kein Mensch wie der andere
Für Katja Tausch, die nach zuletzt zehn Jahren Berufserfahrung in der Onkologie und einer berufsbegleitenden Fortbildung zur Stationsleitung schließlich 2017 in die Hautklinik wechselte, ist ihr Beruf immer noch unübertroffen. Weil sie hier prinzipiell jeden Handgriff gern tut, ob Grundpflege, die zeitintensiven Verbandswechsel, Patienten lagern, Patienten zur Toilette begleiten. Patienten zuhören. Weil sie so unterschiedliche Menschen trifft, weil kein Tag wie der andere ist. Weil es immer noch an erster Stelle darum geht, zu helfen, wo Hilfe benötigt wird. Auch wenn da oft „eine große Lücke“ zwischen Theorie und Praxis klafft.
In der Ausbildung lernt man viel, auf das es ankommt, in der Praxis die Diskrepanzen kennen, sagt Katja Tausch. „Man muss einen Weg finden, sich selbst und den Patienten gerecht zu werden.“ Irgendwo Abstriche machen. „Man muss es schaffen, abends heim zu gehen und zu sagen: So hat es gepasst.“ Ein bisschen Helfersyndrom, ein kleines bisschen „Verrücktsein“ und das gute Gespür für die feinen Unterschiede – so „gestrickt“ kann es was werden. So ist Katja Tauschs Rezeptur. Für sie ist Pflege Berufung und Erfüllung. Auch, wenn heute die Leitungsfunktion mit organisatorischen Anforderungen, Personalführung, Beschwerdemanagement und immer neuen Vorgaben „von oben“ sie häufiger am Stationsstützpunkt bindet als zum Patienten lässt. Man muss immer einen Weg finden.
45 Betten und dabei einen Durchlauf von 30 bis 40 geplanten Patienten pro Woche hat die Station unter Katja Tauschs Leitung, nur eine von dreien unter dem Dach der Universitätshautklinik, zu deren Versorgungsschwerpunkten u.a. bösartige Hauttumore gehören, entzündliche Hauterkrankungen sowie chronische Wunden, die den üblichen Verfahren einer konservativen Wundbehandlung hartnäckig trotzen. Seit 2016 ist das Klinikum als interdisziplinäres Wundzentrum der ICW (Initiative Chronische Wunden e.V.) zertifiziert. Fünf Fachbereiche kooperieren bei der Herausforderung, schlecht heilende Beingeschwüre oder Diabetische Fußulcera zum Abheilen zu bewegen.
Jenseits der regulären Sprechzeit der Notfallambulanz betreuen sie auf Station 16 III außerdem die Notfälle mit. Wundrosen nach Insektenstichen sieht man da vermehrt in den Sommermonaten, aber auch Patienten, die sich nach Zeckenbissen vor FSME fürchten. Immer wieder suchen Obdachlose Hilfe in der Notfallambulanz, mit madenbefallenen Wunden in der warmen Jahreszeit, mit Erfrierungen in der kalten. Manchmal stehen sie in Winternächten da mit ihrem ganzen wenigen Hab und Gut in der Hoffnung, auf der Station der Kälte zu entkommen, erzählt Katja Tausch. Eine ärztliche Begutachtung, ein Verband und ein heißer Tee, mehr geht nicht. Manchmal ist Menschlichkeit mit dem System wenig vereinbar. Dann, sagt Katja Tausch, fällt es schon auch ihr manchmal schwer, zu funktionieren.
Alle, vor allem die personellen „Katastrophen“ des Alltags im Stationsdienst allerdings in der Überzeugung anzupacken, dass die Patienten am allerwenigsten dafürkönnen, ist wohl die felsenfeste Grundlage ihres schier ansteckenden Optimismus. Der hilft ungemein, im Getriebe zwischen Vorstand und Pflegedienstleitung, Patienten und Ärzten, aber auch zwischen unerfahrenen und altgedienten ihr unterstellten Kollegen und Kolleginnen gut zu fahren. Im Mittelpunkt stehen für Katja Tausch immer die, die hier versorgt werden. Ob medizinisch wie menschlich „pflegeleicht“, ob leidgeprüft, ob auf intensive Zuwendung angewiesen. Ob in der Ausnahmesituation, die Krankheit oft bedeutet, auch mal unbeherrscht. Katja Tausch kann einfach mit Menschen.