Mit aktivierenden Konzepten gegen chronische Schmerzen: Die neue „Gesundheitsvorsorge Aktiv“ verhindert Spätfolgen von Beschwerden am Bewegungs- und Stützapparat. Mit multimodaler Behandlung lässt sich die Arbeitsfähigkeit von Menschen mit schweren Kreuzschmerzen zu fast 80 Prozent wiederherstellen.
Wien/Moorheilbad Harbach, 6. Februar 2020 – Beschwerden am Bewegungs- und Stützapparat sind langwierig und sehr verbreitet: „2018 waren Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes mit über 602.000 Fällen und knapp 9,3 Millionen Krankenstandtagen die dritthäufigste Krankenstandsursache in Österreich. Präventions- und Rehabilitationsprogramme werden in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen müssen – denn sie sind für Betroffene und die öffentliche Hand die beste Lösung“, erklärt OÄ Dr. Waltraud Stromer, Vize-Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), anlässlich der 19. Österreichischen Schmerzwochen der ÖSG. Die Fachgesellschaft legt bei ihrer jährlichen Informationskampagne heuer den Fokus auf die Schmerzvorbeugung. Wer unter Problemen am Muskel-Skelett-System und Bindegewebe leidet, ist meist länger außer Gefecht: Während es alle Beschäftigten in Österreich im Durchschnitt auf 9,6 Krankenstandstage pro Jahr bringen, dauert ein Krankenstand aufgrund von Problemen des Bewegungs- und Stützapparats im Schnitt über 15 Tage – und selbst danach leiden die Betroffenen in der Regel an Schmerzen und unter Einschränkungen im Alltag.
Gesundheitsvorsorge Aktiv verhindert Schlimmeres
Die ÖSG sieht es als Fortschritt, dass die Pensionsversicherungsanstalt nach dreijähriger Pilotphase flächendeckend aktive Gesundheitsvorsorge anbietet. „Mit dem Programm der ‚Gesundheitsvorsorge Aktiv‘ (GVA) – dem Nachfolgemodell der traditionellen österreichischen Kur – können wir Menschen mit leichteren bis mittelschweren Symptomen am Stütz- und Bewegungsapparates helfen und vor potenziellen Spätschäden schützen“, erklärt Prim. Dr. Johannes Püspök, Ärztlicher Leiter des Moorheilbads Harbach. Die niederösterreichische Einrichtung war bei der Einführung der Gesundheitsvorsorge Aktiv Vorreiterin. „Der Fokus dieses Konzepts liegt vor allem auf Bewegung, mentaler Gesundheit und gesunder Ernährung. Aktivtherapien und Sport bilden die medizinische Basis, um die Eigenverantwortung zu stärken und die erlernten Übungen dauerhaft in den Alltag zu integrieren“, berichtet Dr. Püspök. Bereits in der der Pilotphase hat sich gezeigt, dass die Effekte der intensivierten Schulung länger anhalten als Moorpackungen und Massagen.
Orthopädische Rehabilitation hilft wieder auf die Beine
In Harbach werden auch Rehabilitation, multimodale, interdisziplinäre Therapie bei schweren chronischen Schmerzsymptomen im Rahmen der Orthopädischen Rehabilitation nach Operationen geboten. Eine intensivierte, multimodale Orthopädische Rehabilitation wirkt sich nachhaltig positiv aus: „Der subjektive Gesundheitszustand der Patienten ist besser. Die Intensität ihrer Schmerzen lässt nach“, berichtet Dr. Püspök. Bei degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule, Verletzungsfolgen oder nach operativen Eingriffen kann eine dreiwöchige stationäre Orthopädische Rehabilitation zur Wiederherstellung der Gesundheit und Reintegration in das soziale und berufliche Umfeld in Anspruch genommen werden. Eine aktuelle Studie belegt, dass 74 Prozent der Patienten unmittelbar von einer stationären orthopädischen Rehabilitation des Bewegungs- und Stützapparates profitieren.
Angst vor Schmerzen nehmen
Chronische Schmerzen in der Lendenwirbelsäule sind eine besonders teure Erkrankung – insbesondere wenn sie zu Langzeitkrankenständen von mehr als sechs Monaten führen. Schmerzpatientinnen und -patienten nehmen häufig eine Schonhaltung ein und vermeiden Bewegung aus Angst vor weiteren Schmerzen. Wie Studien zeigen, ist die Überwindung dieser Angst einer der entscheidendsten Faktoren, ob Patienten wieder arbeitsfähig werden. Eine aktuelle Schweizer Studie hat insgesamt zwei Gruppen von insgesamt 970 Patienten mit chronischen Lumbalschmerzen zwölf Monate lang begleitet, die ein multidisziplinäres Programm durchliefen. Dieses basierte auf kognitiver Verhaltenstherapie und enthielt neben körperlichem Training auch berufliche Aufgaben. Bei der zweiten Gruppe wurde zusätzlich die Arbeitsbelastung kontinuierlich gesteigert. Bei der ersten Gruppe konnte die Arbeitsfähigkeit fast verdoppelt werden: Sie verbesserte sich von 40 auf 79 Prozent. In der zweiten Gruppe stieg die Arbeitsfähigkeit sogar auf 86 Prozent. Dafür war in der ersten Gruppe das subjektive Gefühl, körperlich wieder belastbarer zu sein, besser als in der Vergleichsgruppe. Die Patienten zeigten weniger Angst vor Schmerzen, das Vermeidungsverhalten war zurückgegangen. „Ein multidisziplinärer Therapie-Ansatz kann die Arbeitsfähigkeit eines Menschen mit chronischen Beschwerden im Lendenwirbelbereich in einem hohen Ausmaß wiederherstellen. Die Therapieerfolge lassen sich weiter verbessern, wenn den Betroffenen gezielt die Angst vor Bewegung genommen wird und die Belastungen im Laufe der Therapie langsam ansteigen“, resümiert Dr. Püspök.
Quellen:
Hauptverband der österr. Sozialversicherungsträger, Statistisches Handbuch der österreichischen Sozialversicherung 2019. https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.555191
Grote V. et al, Medizinische Ergebnisqualität: Unspezifische Outcome-Parameter einer stationären Rehabilitation des Stütz- und Bewegungsapparates in Österreich. Monozentrische klinische Referenzwerte eines deskriptiven Evaluationsmodells für Routine-Outcome-Measurements in Orthopädischer Rehabilitation und Gesundheitsvorsorge Aktiv, Phys Med Rehab Kuror 2019; 29(02): 104-117, DOI: 10.1055/a-0835-6481
Abstractband Deutscher Wirbelsäulenkongress, European Spine Journal (2019): 28:2660-2758, p. 2719, Abstract P50, M. I. Norberg et al, A change of rehabilitation model increases work capacity at 12 months in low back pain.