Am 12. Mai 1820 ist Florence Nightingale, die als Begründerin der professionellen Krankenpflege gilt, geboren. In diesem Jahr jährt sich ihr Geburtstag zum 200. Mal und deshalb feiern wir am 12. Mai 2020 den internationalen Tag der Pflegenden. Darüber hinaus hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Jahr 2020 zum internationalen Jahr der professionell Pflegenden und Hebammen erklärt. Laut der WHO sind diese beiden Gesundheitsberufe „…unschätzbar wertvoll für die Gesundheit der Bevölkerung. Ohne sie werden wir die nachhaltigen Entwicklungsziele und eine universelle Gesundheitsversorgung nicht erreichen können. 2020 wird sich darauf fokussieren, die enormen Leistungen von Pflegefachpersonen und Hebammen hervorzuheben und sicherzustellen, dass wir den Mangel an diesen lebenswichtigen Berufen adressieren.“ (WHO, 2020, o.S.).
Anlässlich dieses bedeutenden Datums, des 12. Mai 2020, dem internationalen Tag der Pflegenden, möchten wir die Gelegenheit nutzen, um ein paar wichtige Punkte bezogen auf die professionelle Pflege darzustellen. Gerade erscheint es ja so, als hätte sowohl die Gesellschaft als auch die Politik endlich die Bedeutung der Pflege vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie erkannt. Es gibt Applaus für die Pflegenden, Pflege und Pflegende sind „systemrelevant“ und damit unverzichtbarer Teil der Gesellschaft, sogar über Bonuszahlungen für die Pflegenden wird verhandelt und voraussichtlich werden diese auch gezahlt. Insgesamt scheint es so, als würde sich (endlich) etwas in Bewegung setzen und endlich die von den Pflegenden lang ersehnte und erwartete gesellschaftliche und politische Anerkennung für ihren Beruf erfolgen. Allerdings stellt sich die Frage, ob sich Krisensituationen tatsächlich dazu eignen, jahrelange Entwicklungen aufzuweichen und die Weichen in eine neue Zukunft zu stellen oder ob nach der Krise nicht doch in das vertraute Fahrwasser zurückgekehrt wird. Böswillig betrachtet können die genannten Bonuszahlungen auch als eine moderne Form des „Ablasshandels“ gewertet werden, mit denen eine gesellschaftspolitische Absolution erkauft werden soll ohne die notwendigen Systemänderungen voranzutreiben.
Die Pflege und mit ihr die Pflegefachpersonen in Deutschland, dem Land mit der weltweit viertgrößten Volkswirtschaft, liegen mit ihrer Entwicklung mindestens 10 Jahre hinter der internationalen Entwicklung zurück. Dies resultiert vor allem aus einer nach wie vor unzureichenden und lückenhaften Akademisierung der Pflegenden. Dass eine akademische Ausbildung für die professionelle Pflege unabdingbar ist, wusste bereits Florence Nightingale. Sie wurde schon 1858 als erste Frau in die königliche Gesellschaft für Statistik aufgenommen (https://www.florencenightingale.co.uk/the-royal-statistical-society/) In Deutschland benötigt diese Erkenntnis etwas mehr Zeit. Bereits im Jahr 2012 hat der Wissenschaftsrat empfohlen, dass 10 bis 20% der Pflegefachpersonen akademisch ausgebildet sein sollten. Heute, fast 10 Jahre nach der Empfehlung, sind wir mit ca. 1% noch meilenweit von diesem Ziel entfernt. Und dies, obwohl im Sozialgesetzbuch (SGB) V die Ausrichtung der Behandlung an wissenschaftlichen Erkenntnissen gefordert wird und überhaupt unser gesamtes Gesundheitssystem an Evidenz ausgerichtet ist bzw. sein soll. Internationale Studien zeigen, wie wichtig und unbedingt notwendig akademisch qualifizierte Pflegende und Konzepte wie Advanced Nursing Practice (kurz ANP = erweiterte Pflegepraxis mit mehr Verantwortung für entsprechend qualifizierte Pflegefachpersonen) für eine verbesserte gesundheitliche Versorgung im Sinne der Patient*innen sein können. Insgesamt erscheinen hierzulande die Bemühungen um mehr Akademisierung und Professionalisierung der Pflege wenig fundiert, zu wenig koordiniert und vor allem ohne eine klare Zielsetzung.
Als Deutsche Fachgesellschaft für Psychiatrische Pflege (DFPP) möchten wir den Blick besonders auf die Situation der psychiatrischen Pflege in sämtlichen Versorgungsbereichen, von ambulant bis stationär, und über alle Gesetzbücher, von SGB V bis SGB XII, richten. Dies erscheint uns vor allem auch vor dem Hintergrund notwendig, dass die Themen psychische Gesundheit und psychiatrische Erkrankung gesellschaftlich in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben und trotzdem nach wie vor erhebliche Versorgungslücken für die Betroffenen und deren Angehörige vorhanden sind. Die Bedeutung der Psychiatrischen Pflege kann für das 21. Jahrhundert nicht hoch genug eingeschätzt werden. Abgesehen von dem Umstand, dass Gesundheit ohne psychische Gesundheit nicht denkbar ist („no health without mental health“ – WHO), sind es mittlerweile die psychischen Erkrankungen, die den größten Anteil an den „gelebten Jahren mit Behinderung bzw. verlorenen Jahren“ (disability adjusted lifeyears) ausmachen. Psychiatrisch Pflegende bieten ein großartiges Potenzial für eine Verbesserung der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen auf allen Ebenen der Versorgung und in sämtlichen Bereichen des Gesundheitswesens. Dieses Potenzial gilt es zu nutzen, z. B. dadurch, dass Pflegefachpersonen über eine entsprechende notwendige Handlungsautonomie verfügen und beispielsweise den Pflegebedarf in der ambulanten Versorgung verantwortlich festlegen oder entsprechende Hilfeangebote und Hilfsmittel eigenständig verordnen. Daneben ist aber auch die Weiterentwicklung der Pflege und der Pflegefachpersonen von entscheidender Bedeutung. Hierzu zählen sowohl Fort- und Weiterbildung als auch die hochschulische Bildung, um wissenschaftliches Wissen in der psychiatrischen Pflege verfügbar und anwendbar zu machen. Neben der Wissenschaftlichkeit bedarf es einer Stärkung der gesellschaftlichen und politischen Position durch die Förderung von Berufsorganisationen wie z. B. durch eine Verkammerung der Pflegenden mit der dazugehörigen Bestimmung und Festlegung der Berufsordnung und der verbindlichen Regelung von Fort- und Weiterbildungserfordernissen. Weiterhin liegen Möglichkeiten der (Weiter-)Entwicklung im Aufbau und in der Förderung von gestuften Versorgungsmodellen, in denen Pflegefachpersonen ebenfalls eine zentrale Verantwortung übernehmen. Darüber hinaus braucht es dringend eine Verbesserung der Ausstattung der wissenschaftlichen Möglichkeiten der Pflegenden an den (Fach-)Hochschulen und Universitäten. Wobei die Akademisierung der Pflege in Deutschland nach wie vor sowohl von den Pflegenden selbst als auch von der Gesellschaft kritisch bzw. zumindest uneinheitlich bewertet wird. Pflegende müssen sich als professionelle Gesundheitsdienstleister (Health Professionals) pro-aktiv in die Entwicklung von Leitlinien einbringen und ihren Beitrag für die Verbesserung der psychiatrischen Versorgung in Deutschland leisten. Hierfür sind entsprechende Rahmenbedingungen, Strukturen und Ressourcen, die von allen Akteuren im Rahmen der Gesundheitsversorgung mitgetragen werden, unabdingbar. Pflegefachpersonen müssen zudem auf allen Ebenen in Entscheidungen zur Versorgungsplanung und zur Gesundheitspolitik einbezogen werden. Diese Schritte würden die Gesundheitsversorgung besser und sicherer machen und gleichzeitig den Beruf attraktiver machen und so dem wachsenden Fachkräftemangel entgegenwirken.
Wir verweisen auf den im Verbändedialog der psychiatrischen Pflegeorganisationen gemeinsam zum 12. Mai 2020 erstellten Aufruf „Kompetente psychiatrische Pflege fördert Wohlbefinden und Genesung“ (u.a. auf www.dfpp.de zu finden).
Die Deutsche Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege wünscht allen Pflegenden und im Speziellen den Psychiatrisch Pflegenden alles Gute zum internationalen Tag der Pflege
Dorothea Sauter | Uwe Genge | Michael Mayer | |
Präsidentin | Stellv. Präsident | Stellv. Präsident |
Text erstellt von:
Prof. Dr. Brigitte Anderl-Doliwa
Uwe Genge
Volker Haßlinger Prof. Dr. Michael Loehr
Prof. Dr. André Nienaber Michael Mayer
Dorothea Sauter
Hilde Schädle-Deininger
Dr. Stefan Scheydt
Dr. Susanne Schoppmann
Prof. Dr. Michael Schulz