Corona – eine Chance zur Professionalisierung der Altenpflege durch Digitalisierung

13. November 2020 | Bildung | 0 Kommentare

War das Selbstverständnis der Pflege bisher auf eine die Ärzte unterstützende Dienstleistung ausgerichtet, so wurde in den letzten Wochen durch die „Corona-Krise“ ein Aspekt besonders in den Vordergrund gestellt: Die Hygiene. Wie kann ein mehr an Hygiene in allen Bereichen der Pflege Eingang finden? – in einen Arbeitsbereich, in dem Hygiene nicht nur im Bereich der Wundversorgung ohnehin einen sehr hohen Stellenwert hat. Es gilt derzeit nicht nur die Tröpfcheninfektion zu vermeiden, sondern auch Berührungen tunlichst zu reduzieren. Eine aufwändige Schutzausrüstung vom Mundschutz bis zu den Handschuhen und bis hin zum Besuchsverbot in Alten- und Pflegeheimen sind die sichtbaren Merkmale dieser Wochen. Insgesamt bietet diese schwierige Lage der Branche eine große Chance zur Professionalisierung der Pflege und zu einem neuen Selbstverständnis neben der (Alten-)Pflege in einem Krankenhaus.

Prozessorganisation weist den Weg …

Mit der klassischen Arbeitsweise in der mobilen und stationären Altenbetreuung und -pflege wird es schwierig, trotz viel persönlichem und oft aufopferndem Einsatz des Pflegepersonals in Zeiten eines ansteckenden Virus ein Minimum an persönlichen Kontakten zu realisieren. Wenn dann auch noch ein humanistisches Menschenbild dahinter gestellt wird, wird die Herausforderung an die Dienstleistungsorganisation noch greifbarer. Es entsteht die Anforderung nach Minimierung des persönlichen, physischen Kontakts für das Pflegepersonal insbesondere bei „Hochrisiko“-PatientInnen (= HeimbewohnerInnen und KlientInnen der mobilen Altenbetreuung), gleichzeitig soll es auch die Möglichkeit des Kontakts mit Angehörigen bzw. guten Bekannten geben. Eine Aufgabe, die mit den vorhandenen organisatorischen Möglichkeiten nur schwer zu bewältigen ist – von ehrenamtlich tätigen Personen noch abgesehen. Wenn dann noch ein Mangel an Pflegekräften – möglicherweise ein Zeichen für wenig attraktive Arbeitsbedingungen – dazu kommt, so bietet sich als Ausweg eine Professionalisierung im Bereich der Ausstattung, gleichzeitig die Qualifizierung der MitarbeiterInnen sowie das Entwickeln von neuen Formen der Arbeitsorganisation an.

Die Möglichkeiten der Digitalisierung als Unterstützung nützen

Nachfolgend soll an fünf Beispielen dargestellt werden, wie technologische Entwicklungen für den Bereich der Altenbetreuung nutzbar gemacht werden und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen der MitarbeiterInnen sowie die Lebensbedingungen der HeimbewohnerInnen und die Lebenssituation der mobil versorgten KlientInnen wesentlich verbessern können. Gleichzeitig können die neuen Anforderungen im Zuge der Corona-Pandemie wesentlich besser erfüllt werden:

  1. Digitale Datenübertragung: Beginnen wir bei der Anmeldung von neuen KlientInnen. Die digitale Anmeldung macht es möglich, dass alle Unterlagen für das erste Gespräch bereits hochgeladen und ein Antrag digital gestellt wurde. Die Medikation kann ebenso Online in die Apotheke und das Blisterzentrum übertragen werden. Dauermedikation konnte telefonisch beim Arzt angefordert und in der Apotheke abgeholt werden. Auch Vitalwerte können von Sportlern von der Armbanduhr auf den PC oder Laptop übertragen werden, so müsste dies auch für die Pflegedokumentation gelten. Auch eine neue Form von Alarmsystemen wird dadurch möglich und entlastet damit die ohnehin raren Pflegekräfte. Im Sinne des Prozessmanagements wird schließlich eine Überweisung in ein Krankenhaus digital unterstützt werden.
  2. Online-Kommunikation: In Corona-Zeiten waren Video-Konferenzen in der Arbeitswelt ganz schnell möglich, findige IT-Firmen boten den Ärzten an, mit ihren PatientInnen online zu kommunizieren, ebenso stellten Schulen auf Online-Unterricht um. Dies sollte auch für die stationäre und mobile Altenbetreuung möglich sein.
  3. Pflegedokumentation: In der BRD laufen bereits große Projekte zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation – bereits in der Software eingearbeitet. Zudem wird mobile IT wird zunehmend auch von Pflegediensten eingesetzt – auch um Vitaldaten tunlichst elektronisch zu sammeln und so das Pflegepersonal zu entlasten. Auch über eine Weiterentwicklung der Pflegedokumentation über virtuell reality darf bereits nachgedacht werden.
  4. Unterstützungprozesse in der stationären Altenbetreuung wie etwa die Essens- und Wäscheversorgung können logistisch optimiert und digital unterstützt werden – mit wenig Personenkontakt. Dies gilt auch für alle anderen Dienstleister von der Versorgung mit Inkontinenzmaterial bis hin zu Pflegeprodukten. In der mobilen Altenbetreuung wird auf Grund der abnehmenden Mobilität die Anforderung stetig höher, dass die Dienstleistung vermehrt zum Kunden kommt – vom täglichen Einkauf bis zum Friseur.
  5. Kommunikation der BewohnerInnen/KlientInnen: Durch die (dann) vorhandene IT-Infrastruktur können die Angehörigen und Bekannte leichter mit den HeimbewohnerInnen oder mobil versorgten KlientInnen in Kontakt treten. Möglichkeiten zur Verminderung der zunehmenden Einsamkeit der älteren, zunehmend immobilen Personen sind auch außerhalb der Kranken-/Altenpflege und -betreuung regional im Umfeld der KlientInnen zu entwickeln.

Mit den oben dargestellten Möglichkeiten der digitalen Unterstützung der stationären und mobilen Altenbetreuung rückt nicht nur eine gesetzesmäßig schon definierte Professionalisierung der Pflege in greifbare Nähe, sondern auch eine Attraktivierung der Pflegeberufe – verbunden mit einer Entlastung des Pflegepersonals von nicht wertschöpfenden Arbeiten. Gleichzeitig können damit auch die hygienischen Anforderungen im Zuge von Corona wesentlich besser erfüllt werden – begleitet im Sinne des Risikomanagements vom Einbau der Anforderungen einer Pandemie in die jeweiligen Ausbildungen.

Ausblick

Wenn nun das Argument kommt, dass dafür keine finanziellen Mittel vorhanden sind, so kann zunächst damit argumentiert werden, dass in den letzten Jahren im Pflegebereich Sparmaßnahmen an der Tagesordnung waren und Neuerungen nur in sehr geringem Ausmaß flächendeckend eingeführt wurden/werden konnten. Trotzdem gilt es die zukünftigen Anforderungen an die sozialen Dienstleister zu identifizieren und lösungsorientiert zu bearbeiten – ein Investitionsprogramm für die Sozialwirtschaft bietet sich an. An die nähere Zukunft gedacht lässt sich zudem sagen, dass die stationäre Altenbetreuung zunehmend den Charakter einer Spezialkrankenanstalt (Stichwort: kontinuierlich steigende Pflegestufen) annehmen wird, wobei schon jetzt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer von neuen HeimbewohnerInnen im Durchschnitt unter 12 Monate sinkt. Die mobile Altenbetreuung wird damit über die derzeitige Form der mobilen Betreuung hinausgehen müssen, in dem sie auch Dienstleistungen des täglichen Bedarfs zu den KlientInnen bringen wird (müssen). Eine Weiterentwicklung der mobilen Altenbetreuung etwa in Richtung von „Community Nurses“ zeigt dabei einen interessanten Weg auf. Dies sollte auch eine Chance für die Entwicklung der regionalen Wirtschaft über elektronische Plattformen (analoge und regionale Präsenz) sein können.

Autor:in

  • Paul Brandl

    FH-Prof. Dr. Paul Brandl lehrt an der FH Oberösterreich Campus Linz, Department Gesundheits-, Sozial- und Public Management in den Bereichen Organisation und Qualitätsmanagement sowie an der Evangelischen Hochschule Nürnberg; Seine Forschungsinteressen gelten dem benchmark- und prozessbasierten Prozessmanagement sowie moderner Dienstleistungsentwicklung wie etwa dem Service Design und dem prozessbasierten Qualitätsmanagement.