Die Einführung und Implementierung von „Community Nurses“ wird derzeit in Österreich intensiv diskutiert. Im Regierungsprogramm wird im Kapitel Pflege konkret das Projekt „Community Nurses in 500 Gemeinden“ genannt.
Die Aufgaben werden dort wie folgt beschrieben: Community Nurses sind zentrale Ansprechpersonen für die zu Pflegenden; Angehörige erhalten professionelle Unterstützung; mobile Pflege- und Betreuungsdienste, medizinische und soziale Leistungen sowie Therapien werden koordiniert. Community Nurses sollen eine zentrale Bedeutung im Präventionsbereich, also VOR Eintreten der Pflegebedürftigkeit (präventive Hausbesuche ab dem 75. Lebensjahr, Ernährung, Mobilität etc.) erlangen.
Was bedeutet dies für die Versorgungslandschaft in Österreich?
Es bedarf an dieser Stelle vorab einer kurzen Klärung der Begrifflichkeiten: International versteht man unter Community Nurses jene Pflegekräfte, welche die professionelle Pflege im Rahmen der häuslichen Pflege durchführen; in Österreich heißt diese Dienstleistung Hauskrankenpflege. In fast allen Regionen wird die Hauskrankenpflege in koordinierter Weise mit der Heimhilfe angeboten, und wir verwenden hierfür dann die Bezeichnung „mobile Pflege und Betreuung“. In der mobilen Pflege und Betreuung arbeiten rd. 22.000 Pflege- und Betreuungskräfte. Die Mitarbeiter*innen dieser Dienstleistungen sind bereits heute die Hauptansprechpartner für zu Hause lebende hilfe- und pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige.
Aus dem Regierungsprogramm lassen sich für die Community Nurse folgende drei Handlungsfelder ableiten:
- Beratung von zu pflegenden Personen und Angehörigen
- Koordination von verschiedenen Leistungen (Pflege- und Betreuungsdienste, Gesundheitsdienstleistungen, soziale Leistungen)
- Präventive Aufgaben und Gesundheitsförderung insbesondere für ältere Menschen
Im internationalen Sprachgebrauch werden solche Aufgaben von sogenannten Community Health Nurses, Family Health Nurses oder auch Public Health Nurses übernommen.
Diese Handlungsfelder sind in Österreich grundsätzlich bereits Bestandteil des Berufsbildes und Kompetenzbereiche des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege. Die Community Nurse soll allerdings nach den Plänen der Regierung eine erweiterte Funktion in der Versorgungslandschaft einnehmen.
Was könnten konkrete Aufgaben in den drei Handlungsfeldern sein?
Beratung von zu pflegenden Personen und Angehörigen
Bereits bisher werden in allen Settings (Krankenhaus, stationäre Langzeitpflege, häusliche Pflege, Tageseinrichtungen) die zu pflegenden Personen und deren Angehörige von Pflegefachkräften beraten. Bei der neuen Funktion der Community Nurse würde es aber nicht nur um die Beratung von Einzelpersonen bzgl. pflegerischer Tätigkeiten gehen, sondern auch darum, Familien- oder Gruppengespräche zu führen, bei denen die Pflegesituation der Familie besprochen und gemeinsam Ressourcen und Strategien zur Bewältigung dieser Situation erörtert werden.
Für die Betroffenen liegt die zentrale Bedeutung des häuslichen Pflegearrangements in der Sicherung eines Maximums an lebensweltlicher Normalität, an familiärer Solidarität und an Beziehungsqualität – auch unter den Bedingungen von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit und gerade dann. Aus pflegefachlicher Sicht stellen gelingende häusliche Pflegearrangements in einer erweiterten Perspektive aber auch Modelle für eine umfassende Pflegekultur dar. In solchen Arrangements kann die Verwirklichung einer Pflege stattfinden, die präventive wie rehabilitative Dimensionen umfasst und gleichermaßen auf die Unterstützung physischen wie psychischen und sozialen Wohlbefindens abzielt.
Die Führung von Gesprächen zur Gestaltung häuslicher Pflegearrangements, bei denen die Beteiligten sehr unterschiedliche Erwartungen haben können, ist sehr anspruchsvoll und benötigt entsprechende fachliche und soziale Kompetenzen. Diese Kompetenzen erwerben Mitarbeiter*innen der häuslichen Pflege in ihrer Ausbildung, durch die vielseitige und lebensnahe Berufserfahrung selbst sowie in zielgerichteten Fortbildungen. In besonders komplexen Situationen könnte die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit spezialisierten Kräften (Community Nurses!) sehr hilfreich sein.
Ein weiterer Aspekt kommt hier noch hinzu: Eine lang andauernde, oft schwierige Pflege kann die Gesundheit der pflegenden Angehörigen beeinträchtigen. Belastungen und Überforderung von pflegenden Angehörigen können zu Konflikten und Gewaltsituationen innerhalb der Familie führen. Hier bedarf es wiederum spezifischer Kompetenzen, um solche Situationen zu erkennen und pflegende Angehörige bei der Bewältigung der Herausforderungen zu unterstützen. Auch hier könnten speziell ausgebildete Community Nurses von den Mitarbeiter*innen der Hauskrankenpflege als Expert*innen unter anderem für Gewaltprävention in Pflegebeziehungen hinzugezogen werden.
Koordination verschiedener Leistungen
Die Leistungsansprüche von hilfe- und pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen sind sehr vielfältig. Es geht hier um finanzielle Zuwendungen, rechtliche Fragestellungen wie Erwachsenenvertretung oder Inanspruchnahme von Pflegekarenz etc. und um die große Vielfalt an sozialen, pflegerischen und medizinischen Dienstleistungen.
Das Gesundheits- und Pflegewesen ist durch Fragmentierung und Diskontinuität gekennzeichnet. Insbesondere in der häuslichen Pflege treffen mehrere Schnittstellen aufeinander. So ist für die häusliche Pflege je nach Pflegebedarf mehr oder weniger das Gesundheitswesen oder aber das Pflegewesen, welches dem Sozialbereich zugeordnet ist, zuständig und verantwortlich. Hinter diesen Bereichen stehen jeweils andere Kostenträger mit unterschiedlichen Finanzierungslogiken und Steuerungselementen. Des Weiteren kommt sowohl im Gesundheitswesen als auch in der Langzeitpflege die Schnittstelle stationär und ambulant in besonderem Maße zum Tragen.
Die Beratung durch Mitarbeiter*innen der häuslichen Pflege im Zuge der regulären (und finanzierten!) Pflege- und Betreuungsdienstleistungen stößt hier an fachliche wie auch zeitliche Kapazitätsgrenzen. Eine Aufgabe der Community Nurse könnte hier ein Beitrag zur Sicherung der Betreuungskontinuität zwischen den Versorgungseinrichtungen ein.
Typischerweise sprechen wir hier von Case Management, welches einem bestimmten Konzept und einer bestimmten Methodik verpflichtet ist. Mit Hilfe von Case Management Methoden kann die Community Nurse eine optimale Gestaltung der Versorgung für den Einzelfall koordinieren. Zur Realisierung von Klient*innen-/Patient*innenorientierung und Klient*innen-/Patient*innenpartizipation im komplexen und hochgradig arbeitsteiligen Sozial- und Gesundheitssystem braucht es für die Anwendung des Case Management Prozesses jedoch ganz besondere Qualifikationen und Standards. Es werden auch zusätzliche Fachkenntnisse zur Koordination und kompetenten Unterstützung bei der Beantragung diverser sozialer und finanzieller Ansprüche und Leistungen benötigt. Eine entsprechend ausgebildete Community Nurse wäre hier optimal.
Die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitssektor ist dabei ein wichtiger und auf politischer Ebene noch im Detail zu klärender Punkt. Insbesondere die Aufgabenverteilung und Zusammenarbeit mit den zukünftigen Primärversorgungszentren muss konkretisiert und ausverhandelt werden. Die Kooperation mit Ärzt*innen und anderen Gesundheits- und Sozialberufen ist ein zentraler Punkt im Community Nursing.
Damit im Zusammenhang steht auch die Finanzierung von Leistungen:
Für welche Zielgruppe (kranke Menschen, pflegebedürftige Menschen, gesunde Menschen, Angehörige) sind welche Kostenträger zuständig?
Präventive Aufgaben und Gesundheitsförderung insbesondere für ältere Menschen
Internationale Studien belegen, dass die regelmäßige Durchführung von präventiven Hausbesuchen den Verlust der Selbständigkeit reduziert. So haben etwa Langzeitstudien in der Schweiz gezeigt, dass mit einfachen präventiven Hausbesuchen, die viermal jährlich durchgeführt werden, die Einweisungen in Pflegeheime um 35 Prozent reduziert werden konnten. Der Verlust der Selbstständigkeit ist um 24 Prozent zurückgegangen.
In einigen Regionen Österreichs (z.B. im Tennengau in Salzburg) sind solche Hausbesuche bei älteren Menschen bereits umgesetzt, sie zeigen gute Erfolge und werden von der Bevölkerung gerne in Anspruch genommen.
Neben diesen im Regierungsprogramm erwähnten präventiven Hausbesuchen sollten aber auch andere Gesundheitsförderungsaktivitäten und Präventionsaufgaben von Community Nurses übernommen werden.
Solche Angebote und Programme zur Gesundheitsförderung sollten bestenfalls auf spezifische Settings bezogen und nach regionalen Bedarfen angeboten und durchgeführt werden. Beispiele wären Workshops zur Sturzprävention, Bewegungsaktivitäten, Ernährungsworkshops, die individuelle Beratung zu Lebensstilfragen von älteren Menschen, die Förderung von Health Literacy (Gesundheitskompetenz) und Selbstmanagementfähigkeiten sowie Unterstützungen bei barrierearmen Adaptierungen des Wohnraums.
Ein besonderer Fokus könnte auf die Entwicklung von Angeboten und Unterstützung bei der Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen (Verhältnisprävention) insbesondere für Familien mit speziellen Bedürfnissen bzw. in bestimmten Lebenslagen und generell Menschen in schwierigen Lebenssituationen gelegt werden. Wichtig ist eine Unterstützung und Begleitung z.B. häufig bei Einzelpersonen und Familien, die sich in „Übergängen“ befinden und damit eine höhere Anfälligkeit für Erkrankungen aufweisen. Solche „Übergänge“ sind z.B. die Pensionierung, die Übernahme von Hilfe- und Betreuungstätigkeiten von Angehörigen, die Migration in ein fremdes Land etc. Hier könnte durch eine vorausschauende „Familienpflege“ seitens einer Community Nurse Unterstützung und Beratung zur Situationsbewältigung angeboten werden.
Community Nurses sollen aufgrund ihrer Verankerung in der Gemeinde in der Lage sein, gesundheitliche Chancenungleichheiten und lokale Gesundheitsbedürfnisse zu erkennen. Somit können sie Einfluss auf Determinanten der Gesundheit nehmen und die Gesundheit der Einwohner*innen gezielt fördern. Die umfassende Kenntnis lokaler Gegebenheiten, die für Koordinierung und Umsetzung von Gesundheitsförderung essentiell ist, ist bereits jetzt bei den Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger*innen in der häuslichen Pflege und Betreuung vorhanden und sollte genutzt werden.
In den letzten Jahren hat die Zahl einsamer Menschen stark zugenommen. Insbesondere ältere Menschen sind aufgrund von Veränderungen des sozialen Umfeldes und/oder körperlichen Beeinträchtigungen stark betroffen. Die gesundheitsgefährdende Wirkung von Einsamkeit ist durch viele Studien belegt, so wäre dies ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld von Community Nurses. Es ginge hier sowohl um die Identifizierung dieser oft sehr zurückgezogenen lebenden Menschen als auch dann um die Initiierung von sozialen Kontakten.
In diesem Zusammenhang ist auch ein weiteres bis jetzt kaum angeführtes Aufgabengebiet der Community Nurse zu nennen: die Stärkung der Selbsthilfe sowie die enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. Die Community Nurse könnte je nach Bedarf in der Region in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft und ehrenamtlich Tätigen themenspezifische Angehörigengruppen, aber auch andere Aktivitäten zur Stärkung der Selbsthilfe und Selbstwirksamkeit initiieren.
Organisatorische Anbindung der Community Nurse
Die Dienstleister der mobilen Pflege und Betreuung verfügen über dezentrale und wohnortnahe Sozialstationen/Stützpunkte, von denen aus die häusliche Pflege und Betreuung organisiert und koordiniert wird. Auch besteht in den Organisationen bereits ein großes Knowhow und Erfahrung in vielen dem Konzept der Community Nurse sehr verwandten bzw. zuordenbaren Betätigungsfeldern.
Angesichts der profunden Expertise von Pflegekräften in der Hauskrankenpflege eignen sich die bereits vorhandenen Strukturen sehr gut, um Beratung und Unterstützung für pflegende Angehörige und andere interessierte Personen (unabhängig von der Inanspruchnahme mobiler Pflege und Betreuung) als zusätzliche Leistung anzubieten. Darüber hinaus können auch präventive Hausbesuche, andere bevölkerungsbezogene präventive Tätigkeiten wie Workshops zur Sturzprophylaxe oder andere aufsuchende Aktivitäten durchgeführt werden.
Aufgrund der derzeitigen Regelungen und Rahmenbedingungen wird die Pflege und Betreuung aktuell jedoch nur als direkte Leistung beim Klienten/bei der Klientin vor Ort finanziert. Aufgrund dieser strukturellen Vorgaben können in den Sozialstationen / Stützpunkten kaum bis keine Sprechstunden für Angehörige von hilfe- und pflegebedürftigen Personen angeboten oder präventive Aufgaben übernommen werden.
Es bietet sich jedoch aus Qualitäts- wie auch Synergie- und damit letztlich auch Versorgungssicherheitsaspekten dringend an, die Funktionen der Community Nurse an die vorhandenen Strukturen anzudocken. Für die Bevölkerung ist von Vorteil, dass man sich an bekannte und etablierte Anlaufstellen/Organisationen wenden kann. Und durch die Anbindung an eine größere Struktur können auch Urlaube, Fehlzeiten etc. durch ein unterstützendes Team gut abgedeckt werden.
Community Nurses sollten daher, ausgestattet mit einem eigenen Kompetenz- und Aufgabenkatalog, direkt bei den Dienstleistern der mobilen Pflege und Betreuung angesiedelt werden und nicht losgelöst von bekannten Strukturen allein vor Ort von einem „Büro“ oder einer „eigenen kleinen Beratungsstelle“ aus agieren müssen.
Die Etablierung einer Community Nurse zur Beratung von Angehörigen und pflegebedürftigen Personen losgelöst von etablierten Strukturen der Pflege und Betreuung wäre wenig effizient und wenig effektiv, da es zwangsläufig zu Doppelgleisigkeiten käme und die Komplexität der Pflegelandschaft noch vergrößert würde. Dies bedeutete noch größere Unsicherheit bei Angehörigen und pflegebedürftigen Personen. Nur durch eine gute Abstimmung zwischen mobiler Pflege und Betreuung, insbesondere der Hauskrankenpflege, und den Community Nurses kann dieses neue Angebot seine Wirkungskraft erzielen.
Und darüber hinaus:
Für die erweiterte Funktion der Community Nurse braucht es aus fachlicher Sicht eine Zusatzqualifikation, in der u.a. folgende Inhalte vermittelt werden sollten: Beratungsmethoden, die Familie als Zielgruppe der Pflege, Arbeiten mit Gemeinschaften und spezifischen Bevölkerungsgruppen, Public Health Konzepte, Case Management, Gesundheitsförderung und Gesundheitskompetenz.
Neben der Ansiedlung von Community Nurses bei den Dienstleistern der mobilen Pflege und Betreuung ist auch eine gute Abstimmung mit dem Gesundheitssektor essentiell. Es ist zu klären, welche Aufgaben die Community Nurse übernimmt und welche Aufgaben zukünftig von den Primärversorgungszentren übernommen werden. Ein Beispiel wäre die Begleitung von chronisch kranken Menschen, wie Menschen mit Diabetes oder COPD, ein weiteres die Umsetzung/Anbindung neuer telemedizinischer Anwendungen.
Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass „Community Nurses“ im ursprünglichen Wortsinn in Österreich bereits unter der Bezeichnung „Mobile Pflege und Betreuung“ etabliert sind.
Das im Regierungsprogramm skizzierte Aufgabenfeld entspricht im internationalen Sprachgebrauch eher dem von “Community Health Nurses“ oder “Family Health Nurses“ und bedeutet somit eine substanzielle Erweiterung des bisherigen Aufgabengebietes von Community Nursing, respektive der bisherigen Hauskrankenpflege.
Der neue Ansatz bietet die Chance, das „neue“ Berufsbild des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege, welches in der Novelle des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes von 2016 festgelegt wurde, in die Praxis umzusetzen und für hilfe- und pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige wichtige und dringend benötigte Leistungen zu erbringen. Darüber hinaus kann ein Schwerpunkt auf die bis heute vernachlässigte Prävention von Pflegebedürftigkeit und auf Gesundheitsförderung gelegt werden.
Wichtig ist bei der Implementierung dieses neuen Handlungsfeldes, die gegebenen Effizienz- und Effektivitätspotentiale zu nutzen und keine neuen administrativen Strukturen zu schaffen.