Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit

13. Februar 2020 | Politik | 0 Kommentare

Im Rahmen des Erwachsenenschutzrechts wurde die Selbstbestimmung von psychisch / kognitiv beeinträchtigten Personen gestärkt. Ein Schutz ist dann angezeigt, wenn eine Person aktuell nicht entscheidungsfähig ist.

Definition Entscheidungsfähigkeit

Nach den gesetzlichen Vorgaben ist entscheidungsfähig, wer

  • die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen,
  • seinen Willen danach bestimmen und
  • sich entsprechend verhalten kann.

Dies wird im Zweifel bei Volljährigen (= ab dem 18. Geburtstag) vermutet (§ 24 Abs. 2 ABGB).

Nach den parlamentarischen Erläuterungen zum Gesetz bedeutet dies im Detail:

  • Es ist die kognitive Fähigkeit erforderlich, Grund und Bedeutung der vorzunehmenden Rechtshandlung einzusehen. Im Fall einer medizinischen Behandlung bedeutet dies etwa, dass ein Patient versteht, was eine Lunge ist, worin der medizinische Eingriff an dieser besteht und was die Folgen seiner Vornahme bzw. Unterlassung sind.
  • Weiters spielen auch voluntative Elemente eine Rolle, und zwar in Gestalt der Fähigkeit, den Willen nach dieser Einsicht bestimmen zu können. Die Willensbestimmung orientiert sich zwar am zuvor gewonnenen Verständnis als Entscheidungsgrundlage („danach“), kann aber durchaus höchst subjektiv und muss nicht objektiv nachvollziehbar, insbesondere nicht zwingend „vernünftig“ sein.
  • Zuletzt muss die Fähigkeit vorhanden sein, sich „entsprechend“ zu verhalten. Diese Fähigkeit fehlt etwa, wenn übermächtige Ängste daran hindern, seiner Einsicht und Willensbestimmung gemäß zu handeln (Regierungsvorlage zum 2. ErwSchG).

Hilfe zur Erlangung der Entscheidungsfähigkeit

Ob jemand entscheidungsfähig ist oder nicht, ist oftmals auch eine Frage der Unterstützung, die er zur Überwindung „externer“ Barrieren (z.B. schwierige Sprache, wenig Zeit für Aufklärung) erhält. Daher hat in die Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit auch einzufließen, ob eine Person in ihren Fähigkeiten durch entsprechende Unterstützungsmaßnahmen „mobilisiert“ werden kann. Darüber hinaus ist einer Person die Entscheidungsfähigkeit nicht bereits dann abzusprechen, wenn sie nicht jeden Aspekt der Bedeutung und Folgen ihres Handelns versteht. Es geht vielmehr darum, dass die Person im Kern erfasst, dass sie ein rechtserhebliches Verhalten setzen oder es unterlassen kann, und welche Auswirkungen im Wesentlichen dieses Handeln für sie hat. Es führt deshalb in aller Regel nicht etwa Unerfahrenheit oder ein geringer Intelligenzgrad oder Ähnliches bereits zu einem Mangel der Entscheidungsfähigkeit, sondern nur eine psychische Krankheit oder eine vergleichbare Beeinträchtigung (jede Art einer intellektuellen / kognitiven Beeinträchtigung; etwa auch Koma und Bewusstlosigkeit; Regierungsvorlage zum 2. ErwSchG).

 

Wer schätzt die Entscheidungsfähigkeit ein?

Die Einschätzung, ob ein Patient/Bewohner/Klient entscheidungsfähig ist oder nicht, obliegt dem jeweiligen Gesundheitsberuf im Rahmen seiner berufsmäßigen Kompetenzen. Soll eine medizinische Heilbehandlung erfolgen, so ist der Arzt für die Beurteilung zuständig. Geht es z.B. um eine pflegerische Dienstleistung, so treffen die Angehörigen der Pflegeberufe die Einschätzung; im Rettungsdienst die Sanitäter.

Fragestellungen für die Praxis

Zudem sind zur Einschätzung der Entscheidungsfähigkeit folgende Fragestellungen in der Praxisarbeit hilfreich:

  • Hat der Patient eine Krankheits- / Verletzungseinsicht?
  • Zeigt der Patient Symptome einer psychischen Erkrankung?
  • Erkennt der Patient den Ernst der Lage oder bagatellisiert er, z.B. im Rahmen einer Realitätsverkennung?
  • Zeigt der Patient selbstschädigendes oder schonendes Verhalten in Bezug auf seine eigene Gesundheit?
  • Können vom Patienten Informationen aufgenommen / umgesetzt werden (z.B. Mitwirkung an der Behandlung, Ruhigstellung …)
  • Wird vom Patienten die Hilfeleistung am Einsatzort, in der Notambulanz etc. angenommen?
  • Ist das Gesamtverhalten des Patienten therapiefördernd?
  • Versteht der Patient, welche Maßnahmen als nächstes geplant sind und welche Bedeutung die Durchführung oder Ablehnung der Behandlung samt den damit verbundenen Risken hat?

Ist ein Patient/Bewohner/Klient entscheidungsfähig, so ist für jede medizinische/pflegerische Intervention seine Zustimmung einzuholen. Zwangsbehandlungen und Freiheitsbeschränkungen sind grundsätzlich untersagt.

Ist der Patient/Bewohner/Klient jedoch nicht entscheidungsfähig, so gelten Schutzvorschriften. In besonderen Situationen sind auch Maßnahmen ohne bzw. gegen den Willen des Patienten erlaubt.

Weitere Hinweise zur Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit, die Auswirkungen dazu sowie eine Übersicht über die diversen Vorsorge- und Vertretungsmodelle finden Sie im aktuellen Rechtshandbuch von M. Halmich, Erwachsenenschutzrecht für Gesundheitsberufe, 2. Auflage aus 2020.

Literaturhinweis:

Buch von M. Halmich, Erwachsenenschutzrecht für Gesundheitsberufe – Behandlungsentscheidungen – Vorsorge – Vertretung, 2. Überarbeitete Auflage, 2020, € 32, Link

 

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Autor:in

  • Michael Halmich

    Dr. Michael Halmich LL.M. ist Jurist im Arbeitsschwerpunkt Medizin- und Gesundheitsrecht. Seit Jänner 2020 betreibt er das FORUM Gesundheitsrecht. Zudem ist er Buchautor und Verlagsinhaber (Educa Verlag) sowie Univ.-/FH-Lektor für Recht und Ethik im Gesundheitswesen. www.gesundheitsrecht.at