Berufsstolz entsteht durch eine hohe Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit und durch Anerkennung von verschiedenen Seiten – Eigenständigkeit scheint dabei auch wichtig. Berufsstolz hängt zusammen mit Wissen und Können, mit Selbstbewusstsein, mit Engagement, Mut und Sinnhaftigkeit. Stolz ist eine Grund-Haltung, eine Einstellung. Solche Dispositionen zeigen sich auf verschiedenen Ebenen, in gedanklichem Stolz (Kognition), in einer gefühlmässigen Begleitung (Emotion) und auch an Handlungen (Volition). Auch die körperliche Seite ist beteiligt, deswegen ist der Begriff „Haltung“ angebracht. Stolze Berufsangehörige haben den Wunsch mitzureden und zu gestalten, sie machen die Tätigkeit auch nach aussen attraktiv.
In den deutschsprachigen Ländern zeigen die Berufspflegenden keinen ausgeprägten Berufsstolz. Im Folgenden sollen Gedanken zum Thema Berufsstolz entwickelt werden, zunächst geht es um Pflegetypisches, dann um Gründe für den mangelnden Berufsstolz und letztlich um Möglichkeiten um Stolz zu kultivieren. Berufsstolz hängt auch vom Pflegeverständnis ab, dabei geht es auch darum, ob die eigenen Werte umgesetzt werden. In Mitteleuropa ist Berufsstolz in der Pflege kaum untersucht. Auch international gibt es keinen eindeutigen „Forschungsstrang“, dies mag auch daran liegen dass Studien unter zahlreichen ähnlichen Begriffen, etwa „professionelles Selbstverständnis“ unternommen werden.
Wesen der Pflege
Pflege ist ein guter und wichtiger Beruf, nicht ersetzbar, weltweit gesucht – allein dies könnte schon stolz machen. Im Zentrum steht unmittelbares Wohltun für einen anderen Menschen unter Berücksichtigung von Körper, Seele und Geist. Viele Kenntnisse sind erforderlich, eine anspruchsvolle Ausbildung oder ein Studium. Wissen aus Pflegebildung und -wissenschaft, Medizin, Pharmakologie, Recht, Ethik und Anderes – dieses Wissen und praktisches Können muss ständig erneuert und auch spezialisiert werden, auch in zahlreichen Fort-und Weiterbildungen. Pflegende übernehmen Verantwortung, sie handeln stellvertretend für diesen einen Menschen – dieses Handeln für einen Anderen ist das Hauptmerkmal von Professionen, ob Arzt, Apotheker, Jurist oder Pfarrer. Pflegende brauchen deshalb Einfühlungsvermögen. Kein anderer Beruf ist so nahe am Menschen wie Pflege – „intimer als intim“ hat Christine Sowinski einmal gesagt. Zu pflegen ist ein „Privileg“, auch dadurch, dass jeder Mensch einzigartig ist und Lebenserfahrungen mit sich herumträgt.
Tatsächlich gibt es keine „einfachen Tätigkeiten“ in der Pflege – gerade die eigene elementare Selbstversorgung möchte niemand aufgeben – es ist ein riesiger Verlust an Autonomie. Am Beispiel des „Essen eingebens“: ich kann einen Menschen seiner Würde berauben und ihn verzweifeln lassen, wenn die Mahlzeit hineingestopft wird. Noch schamverletzender sind die Hilfen bei der Körperpflege oder bei der Ausscheidung – normalerweise besorgt das jeder Mensch abgeschieden für sich. Deswegen ist für Patienten dies oft am Schlimmsten im Krankenhaus (obwohl nicht darüber geredet wird). Genau dies, was oft abfällig als „Hintern abputzen“ bezeichnet wird, muss professionell freundlich getätigt werden. Pflegende erleben Menschen in Grenzsituationen. Bürger ändern oft ihre Meinung zur Pflege, wenn sie selbst einmal abhängig waren.
Pflege braucht Beziehung. Wir Menschen sind alle sehr unterschiedlich, das macht den Beruf eigentlich spannend. Deswegen wird oft von „Pflegekunst“ gesprochen, schon Florence Nightingale wies darauf hin, dass jeweils ein einmaliges Arrangement entsteht – eben durch die Einstellung aufeinander. Übrigens: wenn Sie Darstellungen von Nightingale sehen, der „Lady with the lamp“ – sie strahlt Stolz aus ! In unserem mitteleuropäischen Wertekanon bedeutet es eine besondere Verantwortung und Ehre, schutzbedürftigen Menschen zu helfen – auch durch unsere christlichen Traditionen.
Viele Pflegende sagen über ihre Arbeit, dass sie „für das Leben“ lernen. Jeder Mensch kann pflegebedürftig werden, ob jung oder alt, arm oder reich, Menschen aller Nationen und Religionen – jeder kann auf Pflege angewiesen sein.
Unglaublich ist die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten, allein nur im Krankenhaus ! In der Inneren Medizin zu arbeiten ist anders als in der Chirurgie, in der Psychiatrie, bei Frühgeborenen, in der Geriatrie oder Neurologie – um nur wenige Fächer zu nennen. Hinzukommen zahlreiche Plätze in der Funktionspflege, Ambulanzen, Notaufnahme, Endoskopie oder im Operationstrakt. Es gibt kaum einen anderen Beruf mit einer ähnlich Vielfalt, dies kann stolz machen. In den letzten Jahrzehnten sind zig Einsatzfelder ausserhalb der Krankenhäuser dazu gekommen – Wechseln ist angezeigt. In unserem Buch sind viele Arbeitsporträts vorgestellt, erste Rückmeldungen zeigen, dass diese als besonders „stolzmachend“ empfunden werden. Auf meiner Homepage (AZ) habe ich unter Materialien Einsatzfelder für Fachpflegende aufgelistete, spielend sind über 50 Tätigkeiten zusammengekommen. Auch dies ein Grund für Stolz!
In allen Feldern gewinnen Fachpflegende Erfahrung und entwickeln ein spezifisches intuitives Wissen – insbesondere in der Beobachtung der Kranken. Neben messbaren Werten nehmen sie den Patienten umfassend wahr, oft sind sie die ersten, die Komplikationen erkennen und dadurch Leben retten. Benner (2004) beschrieb als erste die Stufen zur Pflegeexpertise, verglich die Kompetenzen der Pflegenden mit dem Bauchgefühl erfahrener Piloten. Leider wurde in den letzten 20 Jahren diese Expertise nicht mehr beachtet, Fachgebiete wurden aus ökonomischen Gründen zusammengelegt – die Facharztzuordnung blieb natürlich hingegen erhalten.
Stolz werden Pflegende auch durch dankbare Antworten der Patienten und Angehörigen. Hilfebedürftige Menschen erwarten ein sorgendes Verhalten, sie erwarten ein Ernstnehmen und Eingehen auf ihre Bedürfnisse. „Caring“ heisst dieses sich kümmern in allen sozialen Berufen, noch verstärkt durch „Comforting“ in der Pflege (Kolcaba 2014). Wir haben die Möglichkeit, auch körperlich Leiden zu lindern, durch Umlagern, durch Auf-oder Zudecken, einen Tee bringen, Fenster öffnen usw. Dieses Privileg hat kein anderer Beruf. Caringverhalten sieht man am Blickkontakt, Nicken, in Resonanz gehen, Worte aufgreifen, Berührung. In einem mehrtägigen Klinikfilm versagte ein paar Stunden die Kamera. Als das Tonprotokoll später angehört wurde, fiel eine bestimmte fürsorgliche Intonation auf – diese Sprechweise konnte eindeutig nur den Pflegenden zu geordnet werden. Kranke wünschen sich an erster Stelle Zuwendung, sie möchten als Person wahrgenommen werden und nicht alles aushandeln müssen. Kompetente Pflegende spüren „was der Patient braucht“. Die altbekannte Bedürfnispyramide nach Maslow zeigt eigentlich, dass ausgehend vom körperlichen Befinden erst später alles Andere wichtig wird: Seelisches, Soziales, Selbstwert. Ein Mensch der Schmerzen oder Luftnot hat, kümmert sich um nichts weiter – auch diese Hilfeleistung könnte Pflegende stolz machen.
Krankenhäuser sind für viele Menschen „Angstmaschinen“ – niemand wird heute wegen Lappalien aufgenommen. Menschen sorgen sich wegen Lebensveränderungen, der Familie, den Arbeitsplatz – sie leiden unter Beschwerden in einer ungewohnten Umgebung, fühlen sich ausgeliefert. Die gesamte niederschwellige psychologische Begleitung läuft über die Pflege, Psychologen gibt es keine und die seelsorgerliche Betreuung durch die Kirchen ist auch immer mehr abgebaut worden.
Resümee: es gibt viele Aspekte, mit denen der Pflegeberuf punkten kann !
Gründe für den mangelnden Stolz
Die Bedeutung ihrer Arbeit ist vielen Pflegenden nicht gegenwärtig, manche empfinden die tägliche Versorgung als banal. Dabei ist ja gerade der „Alltag“ ein hohes individuelles Gut – auch aus diesem Grund ist die Hilfe bei täglichen Aktivitäten Basis mehrerer Pflegetheorien. Der Alltag wird oft erst bewusst, wenn er verschwunden ist – jetzt in der Pandemie wünschten sich alle Menschen „Normalität“, ihr gewohntes Dasein.
Ohne Hilfe können schwer Pflegebedürftige garnichts selbst machen, manchmal noch nicht einmal die Nase putzen. Das Leben mancher Pflegebedürftigen vollzieht sich quasi durch die Pflegenden – die Welt kommt zu Ihnen durch die Pflege. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, Pflegetätigkeiten immer mit Kommunikation zu verbinden. Für alle Menschen ist das Ausgeliefertsein, der Kontrollverlust unerträglich – auch deswegen wird Pflege oft verdrängt.
Tatsächlich gibt es durch den jahrelangen Pflegenotstand für manche Berufliche auch keinen Anlass mehr stolz zu sein, sie handeln gegen ihren eigenen Anspruch, gegen das in der Ausbildung Gelernte. Sie eilen durch die Gänge, haben ein schlechtes Gewissen und sind zunehmend verbittert, weil sie Patienten „vertrösten“ statt zu trösten („komme gleich!“).
In Seminaren fordere ich die TeilnehmerInnen manchmal auf, sich vorzustellen, morgens kommt niemand zur Schicht- „was wären die Folgen?“. Viele stammeln dann, das geht nicht, es gibt Tote..usw. Es wird klar, dass wir für unaufschiebbare Bedürfnisse der Menschen zuständig sind, immer auch für die „Seelenpflege“. Manchmal höre ich folgenden Satz: „ ..ich habe mich dann ein paar Minuten ans Bett gesetzt, danach begann die eigentliche Pflege“. Dies zeigt, dass die externen Spaltungen der Pflege schon in das Bewusstsein der Pflegenden gelangt sind, eine Reduktion auf körperliche Fliessbandversorgung. Manche haben ein schlechtes Gewissen, Gesprächszeit zu nutzen. Bekannt ist auch das Beispiel einer Kinderkrankenschwester, sie trug ein sterbendes Kind auf dem Arm und meinte „da ist dann die ganze Arbeit liegengeblieben“.
Leider haben wir all unsere professionellen Tätigkeiten bisher sprachlich nicht herausgestellt – die Ausbildungen waren eher medizinorientiert. Früher hiess es „Bettenmachen“, dabei lagen Schwerkranke in den Betten und immer schon handelte es sich um Pflegevisiten mit umfänglichen Interventionen. Einen Patienten „fertigmachen“ meint eigentlich eine Rund-Um-Versorgung, körperlich und seelisch. In einer Grossveranstaltung interviewte ich einen Altenpfleger und er sagte „morgens geh ich durch“ – damit war er praktisch fertig und ich musste zwei Stunden lang mühsam jede Beobachtung und Handlung nachfragen. Letztlich wurde deutlich, wie liebevoll und professionell er arbeitete. Es scheint, als ob die Pflegenden selbst die niedrige Meinung von Pflegearbeit aus der Bevölkerung widerspiegeln. Ich wünsche mir Forschungen über Erstmobilisationen von operierten Schwerkranken – um zu zeigen wie detailliert Wissen und Können der Pflegenden sein müssen.
Pflege ist teamorientiert, wenn über Stärken des Pflegeberufes gesprochen wird immer die Gruppe genannt, sie bietet Schutz und Solidarität. Aber die Teamorientierung kann Segen oder Fluch sein, manche verstecken sich im Team, die Gleichmacherei kann hemmen. So neigen stolze Pflegende etwa zum (unbeliebten) Widerspruch oder zeigen mehr Zivilcourage. Bei Skandalen ist immer wieder aufgefallen, dass Gruppenmitglieder sich nichts trauen, etwa bei einer Altenheimschliessung sagen: „Ja, wir haben uns auch gewundert, dass die Bewohner nur eine Windel in drei Tagen bekamen – aber weil alle Anderen geschwiegen haben….“. Im Falle des Todeskrankenpflegers Nils Högel war es eine Kollegin, die zuerst den Verdacht geäussert hat, gegen Widerstände. Zivilcourage und Whistleblowing müssen unbedingt gefördert werden – zu heikel ist das Feld der Pflege.
Öffentliche Wahrnehmung
Wir sollten mehr Wert darauf legen, unsere Professionalität zu verdeutlichen. Immer noch denken viele „pflegen kann jeder“, auch durch die Bezeichnung „ Pflegekraft“. Damit sind ja auch die osteuropäischen Putzhilfen gemeint, „Kraft“ ist herabwürdigend: viel Muskel, wenig Hirn, Vermassung statt persönliche Anerkennung. Niemand würde „Arztkraft“ sagen, auch die Bezeichnung „medizinische Hilfspersonal“ ist lange überholt. Leider sprechen Politiker und auch Berufsangehörige in diesen unpassenden Begriffen. In Talkshows zum Thema Pflege im deutschen TV wird alles durcheinandergeworfen, Ökonomen sprechen für die Pflege, Juristen, pflegende Angehörige und natürlich Mediziner. Pflegende spiegeln in ihrer Selbstwahrnehmung die schiefe Meinung der Gesellschaft: servieren, dem Arzt helfen, irgendwie ist die Arbeit schmutzig, eklig und schwer.
Mir geht es um das „Fachliche“ – immer wieder muss ich Bürgern erklären, dass Pflege überhaupt ein Beruf ist und eine Ausbildung braucht, in Veranstaltungen höre ich stets, meine Haushaltshilfe Ramona aus Bulgarien macht die Pflege gleich mit. Nettigkeit und Freundlichkeit gelten als führend. Es gibt viel zuviele unausgebildete Menschen in der Pflege, vor allem in der Altenpflege, all dies wird toleriert und die Grenzen verwischen. Seit Jahren ist eine Deprofessionalisierung im Gange, durchaus im Sinne der Kostenträger. Wer sich einigermassen geschickt anstellt, kann alles machen – dadurch ist der Pflege“beruf“ bedroht. Es ist kein Wunder, dass Lehrer oder Eltern vom Pflegeberuf abraten, wenn Flüchtlinge in den Medien berichten, sie hätten als Pflegekraft gearbeitet und andere „unbeliebte Tätigkeiten“ übernommen. Eine rumänische Arbeitsvermittlerin sagte mir einmal, sie fragt die Transferwilligen „Fleischfabrik oder Pflege?“.
Auch die Politik nimmt Pflege falsch wahr, trotz Bekundungen der Bedeutung. Sichtbar ist dies etwa an den Medienkampagnen der zuständigen Ministerien – in Deutschland sind ja das BMG und das BMFSJ für Pflege zuständig, wiederum ein Hinweis auf die Spaltung der Pflege. „Mehr Pflegekraft“ ist die Aktion des BMG, „Mach Karriere als Mensch“ die Kampagne des BMFSJ, die unerträglichen Filmchen „Ehrenpflega“ haben viele Gegenstimmen erhalten.
Umso wichtiger ist es eigentlich, dass die Berufspflegenden selbst sich wehren und sich nicht auch noch gegenseitig in allen Settings bekämpfen. Die Werbeaktivitäten der Ministerien entstehen ohne Beratung aus der Pflege, sie zeichnen ein falsches Bild. Oft wird auch deutlich von Politikern ausgesagt, dass mehr Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge in der Pflege arbeiten sollten. Deutschland ist ein Technik-Standort, es wird viel Geld in Roboter-Entwicklung gesteckt, auch um dem Pflegenotstand zu begegnen. Das „Soziale“ gilt als Gedöns – obwohl dieser Bereich der „Frauenarbeit“ die Industrialisierung erst möglich macht. Digitalisierung kann sicher Einiges erleichtern, Pflege braucht viele Hilfen – Entlastungen, um die Begegnungsarbeit mehr zu ermöglichen. Aus diesem Grund ist es angezeigt, dass erfahrene Berufspflegende in Robotik-Projekte eingebunden sind. Aber es kann jetzt schon gesagt werden, dass künstliche Intelligenz (KI) in den nächsten hunderten Jahren nicht in der Lage ist, aktuell auf individuelle Befindlichkeiten angemessen und „menschlich“ zu reagieren. Das sollte uns stolz machen, im Arztberuf kann hingegen durch diagnostische Robotik oder Operationsmaschinen viel ersetzt werden.
Interessanterweise zeigen Umfragen zu verschiedenen Berufen immer wieder, dass Berufspflegende hohes Vertrauen geniessen, ähnlich wie Feuerwehrleute. Wird allerdings nach Kompetenz gefragt, rangieren Piloten oder Chirurgen ganz oben und Pflegende auf den hinteren Plätzen. Offenbar wird der Pflegeberuf nicht mit Wissen und Können assoziiert. Öffentlicher Fehlwahrnehmung unterliegt auch das Gerede von „Pflegereformen“ – Pflege ist natürlich ein riesiger gesellschaftlicher Bereich mit ganz unterschiedlichen Facetten. Meistens sind damit lediglich Verbesserungen in der Pflegeversicherung gemeint und das auch nur monetär. Die Bevölkerung denkt hingegen, dass ständig etwas zu guten Arbeitsbedingungen für a l l e Pflegenden getan wird.
Schwierige Arbeitsbedingungen
Mit Arbeitsbedingungen ist hier nicht der üblichen Rahmen gemeint, etwa der Schichtdienst. Pflegebedürftige sind 24 Stunden von Hilfe abhängig, diese Rund-um-die Uhr-Unterstützung ist auch exklusiv für Pflege. Sehr viele Berufe arbeiten heute im Schicht-und Wochenenddienst, manche freuen sich auch über freie Tage in der Woche. Durch Zulagen ist das Gehalt im Pflegeberuf durchaus vergleichbar mit anderen Berufen, dazu kommen viele Aufstiegsmöglichkeiten. Pflegearbeit kann hoch zufrieden machen und stolz.
Die Arbeitsbedingungen in allen Pflegesettings haben sich in den letzten 20 Jahren verschlechtert durch Zeitdruck, zuviele Kranke sind in kürzerer Zeit irgendwie zu versorgen. Überall wurden Pflegestellen abgebaut, die Ökonomisierung durch die DRGs in den Kliniken hat sich durchgesetzt (Simon 2016). Der Pflegenotstand verstärkt sich selbst durch Unattraktivität und Berufsflucht.
Im SGB XI-Bereich wurde Pflege („Verrichtungen“) total reduziert, vor Jahren wurde die Betreuung von der Pflege abgespalten und Hilfskräften überlassen. Viele AltenpflegerInnen sagen, damit wären Gespräche und die Beschäftigung mit der Person verschwunden – die Altenpflege wird damit entkernt. Seit die Betreuung im ambulanten Bereich extra finanziert wird haben sich allerorts „Betreuungsfirmen“ aufgemacht – Pflege weisen sie von sich.
Alle externen Einteilungen von Pflege haben den Beruf zerlegt, schon allein die Aufspaltung in Grund-und Behandlungspflege ist nicht gerechtfertigt, Pflege ist kaum teilbar. Auch wurde früher ein Gegensatz zwischen Pflege und Prävention herbeigeredet. Pflege schien nötig, „wenn nichts mehr geht“ – dabei hat Pflege viele rehabilitative Konzepte entwickelt und wirkt ständig auch erhaltend auf die gesunden Anteile.
Die berufliche Pflege hat sich gegen Fehlwahrnehmungen nicht gewehrt, hat überall den Abbau still hingenommen. Pflegende versuchen zu kompensieren, verzichten auf Pausen, springen ein, übernehmen Hilfstätigkeiten wie Reinigung und halten damit den Mangel aufrecht. „Geht doch“ hat mir ein Politiker einmal gesagt. Wir haben das Problem, bisher keine stabile professionelle und stolze Grundhaltung bei den Berufspflegenden erreicht zu haben – viele Länder sind uns da voraus. Bei uns ist alles beliebig, hängt vom aktuellen Arbeitsort ab. Es gibt durchaus brilliante KollegInnen, überaus kompetent und erfahren – ihr Wissenschatz ist individuell, wird nicht verbreitet und bricht mit ihrem Aufhören weg. Bei uns lesen Pflegend zuwenig, ja..es ist möglich, jahrzehntelang ohne Fortbildung zu arbeiten.
Es ist, als ob es nie Pflegetheorien in Deutschland gegeben hätte. Besonders wichtig für professionelles Handeln ist der Pflegeprozess, auch er ist in der Praxis nahezu verschwunden, bzw. wird nur rudimentär „ausgefüllt“, auch durch unzulängliche EDV-Systeme. Dabei ist eine geplante und nachvollziehbare individuelle Fallarbeit die Grundlage jeder Profession. Neben der Anamnese kommen der Zielorientierung und der Evaluation besondere Bedeutung zu – es kann stolz machen, die Erfolge der Pflege aufzuweisen. Vieles bei der Umsetzung des Pflegeprozesses vor 40 Jahren ist nicht gut gelaufen, zu theoretisch, ungeliebte Schreibarbeit und Ähnliches. Die grosse Bedeutung für die Positionierung von Pflege ist nicht klar geworden. Noch deutlicher ist die Kompetenz der Fachpflege zu sehen bei „Primary Nursing“- Konzepten. Gemeint ist die umfängliche Zuständigkeit für eine bestimmte Patientengruppe, einschliesslich Familienorientierung, Patientenedukation, Mitreden bei der Entlassung u.a.m. Primärpflegende sehen unmittelbar die Auswirkungen und Erfolge ihrer Arbeit – durch die Zersplitterung in den Teams ist das schwieriger. Abgesehen von einzelnen Arbeitsgruppen hat sich der „Primary Nursing“ Ansatz in Deutschland nicht durchsetzen können, Pflegenotstand und Qualifikationsmängel haben die Anstrengungen zum Erliegen gebracht.
Ein grundsätzliches Problem liegt darin, dass die Wertschöpfung und die Outcomes guter Pflege bis heute nicht festgelegt oder gar untersucht sind – es fehlen Parameter und auch eine Langzeitperspektive über die Kliniktür hinaus. Niemand weiss , was „gute Pflege“ eigentlich ausmacht (Zegelin 2015). Vermutlich hängt sie zusammen mit Fachlichkeit, Umsicht/Geborgenheit, Ermutigung, Ressourcenorientierung und Zeit für Information – die Heilswirkung müsste über einen längeren Zeitraum untersucht werden. Die üblichen Qualitätsindikatoren, etwa keinen Dekubitus zu entwickeln, sind dagegen armselig. „Leben retten“ ist wahrscheinlich die wichtigste Wertschöpfung durch Pflege. Erfahrene PraktikerInnen nehmen den Zustand der Patienten umfassend wahr, jenseits von messbaren Werten und spüren Komplikationen sehr früh.
Die getrennten Sozialgesetzbücher und Finanzierungsquellen in Deutschland sorgen für Unübersichtlichkeit. In den letzten Jahren wurden immer wieder Untersuchungen vorgelegt, welche negativen Auswirkungen eine dürftigen Pflege-Personalausstattung auf die Patientenergebnisse hat – etwa die RN4cast-Studie (www.RN4cast.eu).Die Daten der meisten Studien stammen überwiegend nicht aus Deutschland (u.a.Aiken 2019).
Situation in anderen Ländern
Ein anderer Grund für den mangelnden Berufsstolz mag auch sein, dass Pflegende in Mitteleuropa aus einer caritativen Orientierung hervorgegangen sind : still Gutes tun und Bescheidenheit waren die Vorgaben. Hinzukommt, dass Pflege überwiegend ein Frauenberuf ist – die Leisetreterei und Unsichtbarkeit ist ihnen schon „in die Wiege gelegt“.
In vielen Ländern habe ich das ganz anders erlebt, etwa in Grossbritannien (und allen Ländern des Commonwealth), oder in ganz Skandinavien – die KollegInnen tragen Stolz vor sich her. Offenbar ist auch die Akademisierung ein Schrittmacher von Stolz, in den meisten Ländern ist der Pflegeberuf seit jeher mit einem Studium verbunden. Auch die asiatischen KollegInnen zeigen mehr Selbstbewusstsein, in all diesen Ländern ist Pflege ein sehr anerkannter Beruf, entsprechend stolz sind die Krankenschwestern/-pfleger. Sie nennen ihre Ausbildungshochschule, tragen bewusst ihre „Broschen“ und Uniformen, auch gibt es zum Abschluss aufwändige Zeremonien und später Ehemaligenclubs. Ich habe mich gerne von der „Schwesternhaube“ verabschiedet, ein überflüssiges Relikt – und trotzdem habe ich den Eindruck, dass damit auch ein „Stück Stolz“ verlorengegangen ist.
Etwa in Schweden geben Pflegende den Patienten ihre Visitenkarte, sie weisen auf ihre Expertise hin, arbeiten mit den Ärzten auf Augenhöhe – möglicherweise sind die Pflegenden in Deutschland auch unterdrückt, weil die Medizin hierzulande besonders stark ist und Pflegeentwicklungen verhindert. Sichtbar etwa an der Heilkunde-Verordnungsrichtlinie, seit 10 Jahren blockiert. In Schweden kann man in jedem Heimatmuseum die „örtliche Distrikt-Pflegende“ als Puppe neben dem Lehrer und Bürgermeister stehen sehen – sogar auf Grabsteinen sieht man die Berufsbezeichnung. Bei einem Schwedenaufenthalt an einer Hochschule bin ich einmal einer Gruppe jordanischer Pflegender begegnet, die platzten fast vor Stolz. Besonders die Länder unter britischem Einfluss haben Respekt vor dem Pflegeberuf entwickelt, möglicherweise liegt das auch an einer militärischen Tradition, Uniformen werden mit Selbstbewusstsein getragen. In vielen Ländern ist genau geregelt, wer mit welchen Abschluss welche Tätigkeiten durchführen „darf“. In Deutschland wird alles vermischt, jeder der einigermassen zu gebrauchen ist, wird in der Schicht zugeteilt – dadurch wird Fachlichkeit untergraben. Fachkraftquoten oder Personaluntergrenzen werden ohnehin beliebig behandelt.
In vielen Ländern mit starker und stolzer Pflege repräsentiert eine Organisation gleichzeitig Berufsverband, Gewerkschaft und Kammer – als Beispiel soll hier das „Royal College of Nursing“ in Grossbritannien gelten.
In Skandinavien habe ich zweimal einen kompletten Pflegestreik miterlebt, es konnten dort alle Forderungen durchgesetzt werden. In vielen Ländern sind die Pflegenden gut organisiert, sie zahlen Mitgliedsbeiträge für mehrere Verbände, Gewerkschaften, Kammern, Fachgesellschaften – es lohnt sich ! Die Gehälter sind vielfach höher als in Deutschland. Die Profession wird gesichert durch Mitsprache, alle sind registriert und bei Streiks gesichert, sie müssen sich regelmässig fortbilden. Diese Pflicht gibt es hier nicht. Im Berufsstolz-Buch schildert Christel Bienstein die Teilnahme an einem ICN-Kongress, das scheint eine Infusion an Selbstbewusstsein zu sein, die Pflegenden marschieren in nationalen Gruppen ein, ähnlich wie bei einer Olympiade. Dort kann man etwa beobachten, dass die Gruppe nigerianischer Nurses viel grösser ist als die winzige deutsche Vertretung. Insgesamt ist der ICN eine wichtige Adresse um Berufsstolz hochzuhalten, etwa durch die Beschäftigung mi den Ethik-Regeln. Ich möchte jedem Team raten, zu diskutieren, was dies für die eigene Arbeit bedeutet.
Oft werden die Pflegenden auf Schildern im Eingangsbereich nicht genannt, in Kliniken dominieren die ärztlichen Leiter, evtl. wird noch kurz die Pflegedirektion erwähnt. Achten Sie darauf, dass auch die Pflegeberufe wert- geschätzt werden – sie sind die grösste Berufsgruppe, ohne Pflege geht nichts !
Überhaupt „pflegen“ Berufsangehörige anderer Länder berühmte Vertreterinnen als Vorbild. Räume, Preise, Tagungen, Archive, Bibliotheken und Institute werden nach ihnen benannt. In den Rocky Mountains gibt es den Berg „Edith Cavell“, zur Erinnerung an eine mutige Krankenpflegerin, in London den „Nightingale-Pub“. Diese Traditionen sind bei uns unbekannt. In vielen Ländern arbeiten Berufspflegende sehr viel selbständiger, etwa in Primary Health Care Centern sichten sie die Patienten und nehmen die Arzt-oder Klinikeinweisung vor. In den anglo-amerikanischen Ländern arbeiten professionell Pflegende als niedergelassene „Nurse-Practioner“. Die Verordnung von Medikamenten und Hilfsmitteln ist dort ein „alter Hut“, bei uns hingegen muss bei jedem Rezept der Arzt gefragt werden, obwohl er wahrscheinlich keine Ahnung von Wundauflagen oder Kontinenzhilfen hat. In vielen Ländern arbeiten Berufspflegende ähnlich wie Mediziner, einfach auch wegen Arztmangel und anderem Krankheitsspektrum. Die Ausbildung dort ist völlig anders, dies führt dann zu langen Einarbeitungszeiten und Enttäuschung hier, wenn Arbeitsmigranten aus ärmeren Ländern geholt werden. Für viele sind die og. Aspekte des Pflegens eher minderwertig, in ihrer Heimat kümmern sich die Angehörigen um die tägliche Versorgung. Ich denke, wir haben inzwischen auch hierzulande einen Mangelzustand erreicht, der eine stärkere Einbeziehung der Angehörigen fordert, um Schaden abzuwenden. Ich denke an besonders elementare Dinge wie Mobilität, Wäschewechsel, Gespräche, Körperpflege und teilweise auch Ernährung, evtl. mit Absprachen/Anleitung. Wenn ich dies in den letzten Jahren öffentlich gefordert habe gab es stets deutlichen Protest, dies käme ja einem „Armutszeugnis“ gleich.
In Ländervergleichen zur Nurses-Patient-Ratio bildet Deutschland regelmässig das Schlusslicht, woanders stehen viel mehr Fachpflegende den Patienten zu Verfügung. Dadurch werden die MitarbeiterInnen zufriedener und auch stolzer.
An der europäischen NEXT-Studie zur Berufszufriedenheit von Fachpflegenden im Vergleich, war auch meine Heimat- Uni in Witten/Herdecke, beteiligt. Es bestätigte sich der Verdacht, dass die deutschen KollegInnen besonders deutlich an einen Ausstieg aus dem Pflegeberuf dachten. Die Studie ist über 15 Jahre alt, aber es finden sich bei Recherchen noch zahlreiche Materialien.
2019 entstand ein französischer Dokumentarfilm über die Pflegeausbildung „ Zu jeder Zeit“. Er zeigt, wie anspruchsvoll und spannend Pflege ist. Der Regisseur war zuvor Patient und hat dann diesen tollen Film gemacht, er ist erhältlich über die Firma „mindjazz“.
Pflegeberufe in den deutschsprachigen Ländern sind kaum organisiert
Die schlechte Organisation wird für mich immer mehr zur Ursache des fehlenden Stolzes: Pflegende fühlen sich als Opfer, sie jammern und hoffen auf Mitleid. Die sozialen Medien werden zur Klagemauer, kurzfristig bringt das vielleicht intern Erleichterung und Solidarität (Zegelin 2017). Aber es ändert sich nichts. Politik reagiert nur als Ausgleich organisierter Interessen, wer sich nicht in einem mächtigen Verband zusammenschliesst, kann dauerhaft keine Verbesserungen erreichen. Dieser Zusammenhang ist Pflegenden nicht klar – obwohl die Ärzte uns dies vormachen: der Marburger Bund etwa ist gleichzeitig Berufsverband und Gewerkschaft. Bei einer starken Mitgliedschaft ist dies möglich. Meine wichtigste Bitte ist: treten Sie in einen Verband ein, nehmen Sie dort aktive Positionen ein – jede Organisation lässt sich ändern durch starke Mitglieder.
Stolze Pflegende „stehen auf“, verweigern sich, bei schlechter Pflege mitzumachen und schützen damit die Pflegebedürftigen.
Stattdessen fangen viele Pflegende die Mängel auf, springen ein – viele sind teamorientiert und wollen helfen. Manchmal denke ich, dass der Pflegenotstand in den letzten Jahren auch dazu führt, dass der Nachwuchs überhaupt nicht mehr die Breite und Tiefe von Pflege kennenlernt, vielerorts ist Pflege ja zu einer eiligen funktionalen Notversorgung verkommen. Dann gibt es tatsächlich keinen Grund mehr, zufrieden nach Hause zu gehen – Pflegende nehmen sich Auszeiten, verlassen den Beruf stumm. Rationierung von Pflege ist normal geworden, es gab mehrere Aktionen dazu. Im Auftrag der Adenauer Stiftung wurde eine Tagung zur Rationierung und menschenwürdige Pflege durchgeführt, die Publikation ist noch erhältlich (Segmüller u.a.2012), eine weitere Bearbeitung war vorgesehen, blieb dann aber aus. Letztlich entscheidet jede Pflegende täglich vor Ort, welche Massnahmen aus Zeitnot entfallen müssen. Es ist eigentlich interessant zu wissen, was passiert, wenn drei Betten eingeschoben werden, eine Fachperson plötzlich in der Früh-Schicht fehlt, oder eine Nachtdienstkollegin für 36 Schwerkranke zuständig ist. In eine ähnliche Richtung ging ein Konzept von der Pflegewissenschaftlerin Silvia Käppeli am Unispital Zürich zur Priorisierung von Pflege. Nach Recherchen und sorgfältigen Überlegungen schlug sie ein abgestuftes Dringlichkeitskonzept vor – abgestimmt mit der Pflegeleitung, um die persönliche Verantwortung auf den Stationen zu entlasten. All dies ist rasch in der Schublade verschwunden – auch die Berufsverbände trauten sich nicht an diese heiklen Themen. Wir brauchen dringend Priorisierungskonzepte, um den Pflegemangel zu verdeutlichen (Zegelin, de Jong 2015).
Stattdessen sammeln sich Pflegende in kleinen, örtlichen Grüppchen, legen sich auf den Boden oder führen Happenings auf – grundsätzlich ist dieses berufliche Engagement begrüssenwert. Es wird aber nichts nutzen, wenn sich nicht alle zusammenschliessen in einer grossen machtvollen Organisation mit Präsenz und Lobbyarbeit in der Hauptstadt. In der Politik sind kaum Pflegende vertreten – wünschenswert ist eine politische Beteiligung von Pflegenden vom Bezirksbürgermeisteramt über die Landesparlamente bis hin zur Bundespolitik. In den Gesundheitsausschüssen kommt Pflege nicht vor, auch in Parteien sieht man keine Pflegeprofis. Es ist geboten, dass Pflegende sich politisch beteiligen, Kontakte zu den zuständigen Stellen suchen und dies nicht nur vor Wahlen – dann wird nämlich alles Mögliche versprochen. Tanja Segmüller (2012) interviewte Abgeordnete mit einer Pflegevergangenheit aus verschiedenen Parlamenten. Alle betrachteten Pflege als Durchlaufbereich, niemand interessierte sich oder setzte sich gar ein – alle waren in anderen thematischen Ausschüssen engagiert.
Es könnte ganz anders sein ! Pflege ist ein riesiges gesellschaftliches Feld, Jobmotor, Wirtschaftskraft – durch mehr Ältere in unserer Gesellschaft nimmt die Bedeutung zu. Für mich ist vorstellbar, dass es ganze Abteilungen zur Pflegeentwicklung gibt, in den Ministerien, Verwaltungen und Einrichtungen – gut wäre auch eine Gesundheitsministerin aus der Pflege – in Island hat dies einen enormen Schub gegeben. Warum gibt es kein eigenes Pflegeministerium – die eine (neugeschaffene) Stelle für einen Pflegebeauftragten ist nicht mehr als ein Feigenblatt, zumal mit einer gleichzeitigen Zuständigkeit für pflegende Angehörige.
Wenn man mit den örtlichen Bedingungen nicht einverstanden ist, sollte man den Arbeitgeber wechseln. Auch hier sind Pflegende zu vorsichtig, oft haben sie individuelle Zeiten vereinbart, sind doppelt oder dreifach belastet durch Kinderaufsicht oder zu pflegende Eltern. Dabei werden Fachpflegende überall gesucht. Richtig ist, dass viele Stellenanzeigen noch wie vor 50 Jahren sind, lediglich übliche Konditionen anbieten. Es ist aber heute auch normal, nach besonderen Vergünstigungen zu fragen.
Es gibt viele „offene Stellen“ – dies verstehe ich doppeldeutig, auch im Sinne von Wunden und unerledigten Aufgaben von uns selbst. Dringend brauchen wir einen starken Berufsverband, der DBfK als grösste Vertretung hat nur 20.000 Mitglieder – das ist ein Witz bei 1,2 Millionen Pflegenden. Um gleichzeitig Gewerkschaft zu sein müsste ein Verband ein paar hunderttausend Mitglieder haben, ähnlich wie der Marburger Bund bei den Medizinern. Überhaupt sind die Ärzte vorbildlich in der Organisation – dadurch stellen sie Pfründe sicher: Verbünde, Vereinigungen, Fachgesellschaften und natürlich Kammern. Jeder Arzt ist vielfach Mitglied. Die deutsche Entwicklung hin zu Pflegekammern lässt noch auf sich warten, die Abwicklung in Niedersachsen ist ein Trauerspiel. Offenbar wurden anfangs von den Organisatoren Fehler gemacht, vor allem aber war die Kammer von der niedersächsischen Politik nicht erwünscht. Berufliche Pflege braucht eine Selbstverwaltung, eine Registrierung und auch Aufsicht über die Berufspflegenden – letztlich sicher auch zum Schutz der Bevölkerung. Wir haben kaum Daten über das Wirken und den Verbleib von Pflegenden. Jahrzehnte haben die Ärzte und die Gesundheitsämter eine Fachaufsicht inne gehabt, zu einer Profession passt das nicht. Kammern sind für Pflege ausserordentlich wichtig, in der Diskussion werden die Kammern stets als „überholte Machtkonzentration“ niedergemacht, etwa im Hinblick auf die Ärztekammern. Pflege ist davon weit entfernt – für uns ist jegliche Organisation wichtig, vielleicht können die Handwerkskammern ein Vorbild sein.
Kaum Kenntnisse über Mechanismen im Gesundheitswesen
Pflegende haben keine Ahnung von Gremien und Entscheidungen im Gesundheitswesen, dies wird kaum unterrichtet. Über viele Jahre erschöpften sich die Darstellungen in Berufskunde historisch etwa in Henri Dunant oder Theodor Fliedner, daneben wurde Gesetzeskunde in braver Form unterrichtet und auch das vorgeschrieben Paket an „Staatsbürgerkunde“. Seit Jahren plädiere ich für einen emanzipativen Unterricht für alle Pflegenden in Ausbildung oder Studium über das Funktionieren des jeweiligen Gesundheitssystems– eigene Module oder Masterstudiengänge wären dazu nötig. Pflegende wissen erschreckend wenig über die Zusammensetzung und Aufgaben der Einrichtungen, ob es sich um den GKV-Spitzenverband, den GBA, die INEK, DKG oder Qualitätsausschüsse handelt – um nur einige zu nennen. Zu fragen ist etwa, inwieweit dort Pflegeinteressen vertreten sind. Sogar die Finanzierung der eigenen Arbeitsstelle ist ihnen nicht bekannt, selbst die Pflegeleitungen wissen oft nicht, wohin die Gelder fliessen. Gerade unter DRG-Bedingungen sind diese Kenntnisse wichtig. Auch wissen Pflegende zuwenig über die Kosten der Produkte mit denen sie täglich umgehen. Andererseits klagen sie über „Bestimmungen von oben“ und erleichtern sich solidarisch durch Jammern (Zegelin 2016).
Eigentlich müssten Pflegebelange auf jeder politischen Ebene vertreten werden. Vielleicht haben sie sich schonmal gefragt, warum es in Ihrer Stadt kein Pflegeamt gibt? Die Kommunen haben die Zuständigkeit für Pflege an die Versicherer und den Markt abgegeben, sie nehmen keinen Einfluss auf die Infrastruktur. Zugtausende Patienten und pflegende Angehörige müssen sehen wie sie zurechtkommen, es gibt viel Bürokratie, Doppelungen und Lücken (Zegelin 2020).
Miriam Hirschfeld, frühere Pflegewissenschaftlerin bei der WHO hat in ihrer Grafik die Beteiligungsebenen von Pflege dargestellt.
Pflegende beschäftigen sich überwiegend auf der unteren Ebene, in der Dualität zwischen ihnen und dem Patienten. Schon eine Familienorientierung ist schwierig, bis heute haben sich die Ansätze einer „Family health nurse“ nicht durchsetzen können, Ähnliches ist zu befürchten bei den „Community health nurses“. Dabei müssten auf allen Ebenen berufserfahrene Pflegende mitsprechen, denn die Bedingungen für die nachgeordneten Ebenen werden „oben“ geschaffen. Auch in der Planung von Versorgung, auch in der Spezialisierung von Kliniken müssten Pflegende beteiligt werden, davon sind wir sehr weit entfernt. Die Bedarfe zeigen, dass Menschen oft zur Klinikentlassung noch Hilfe brauchen, eine Art rehabilitativen Übergang – nicht jedoch im SGB XI- Bereich mit Pflegegrad oder Kurzzeitpflege. Wünschenswert wären hier Finanzierungsmöglichkeiten, Umwidmungen – evtl. auch der Aufbau von pflegegeleiteten Einheiten mit Belegarzt-Besetzung. In vielen Ländern ist Pflege viel selbstständiger, auch früher wurden Krankenhäuser oft von Pflegenden geleitet – nämlich von christlichen Orden. Mediziner waren dort nur zu Gast, viele regten sich Ende des 19. Jahrhunderts über die „Macht der Schwestern“ auf. Heutzutage ist dies unvorstellbar und man fragt sich, wie es den Ärzten gelang, die Hoheit über die Pflegeberufe zu erlangen. Als Beispiel- Kliniken können das bekannte Rudolfinerhaus in Wien oder die Royal Infirmary in Edinburgh dienen. Inzwischen wird immer häufiger eine Neuordnung der Patientenversorgung gefordert, auch aus der Gesundheitsökonomie, mit einer stärkeren Rolle der Pflege etwa in Gesundheitszentren (Busse 2020). Überhaupt liegen seit 20 Jahren viele Gutachten und Stellungnahmen zur Beteiligung der Pflege vor, seien es von der WHO, der Weltbank, der OECD, des Sachverständigenrates, der Gesundheitsministerkonferenz, von vielen Unternehmensberatungen usw. Insbesondere die Robert-Bosch-Stiftung und der Wissenschaftsrat mahnen eine Quote von 10-20% Studierten in der Pflege an, damit überhaupt ein wissenschaftlicher Fortschritt eingetragen werden kann. Bisher hat sich kaum etwas geändert: zu schwach ist die Pflege und zu stark sind die Lobbyisten aus anderen Bereichen. Dabei gibt es viele Wege, mehr Einfluss zu nehmen (Sullivan 2016).
Unsichtbarkeit der Pflege
Der Pflege eine Stimme geben: diese Aktivität mit gleichnamigem Buchtitel (Buresh/Gordon 2006) war für mich in 50 Berufsjahren die wichtigste Einsicht. Mitte der 90 Jahre habe ich dieses Buch in New York entdeckt und bei Huber übersetzen lassen, Bernice Buresh, eine Washington Post-Journalistin, konnte ich dann an unsere Universität Witten/Herdecke einladen. Die Hauptbotschaften waren:
Pflege rettet Leben
Pflege sorgt für Lebensqualität
Pflege spart Geld und spendet Trost
Es wurde klar, dass die Berufspflegenden selbst öffentlich nur als Skandal-oder Kostentreiber vorkamen. Beide Journalistinnen werteten weltweit Medien aus und stellten fest, dass fast alle guten Gesundheitsnachrichten aus der Medizin kamen. Buresh machte jede Menge Vorschläge um Pflege positiv in das öffentliche Bewusstsein zu bringen, Pflegende sollten lernen, sich zu artikulieren. Sie rief dazu auf, sich kleine Beschreibungen (Storytelling) von komplexen Pflegeinterventionen zurechtzulegen, in einer spannenden und verständlichen Form – unterlegt mit Kosten oder Gefahren. Dies habe ich gleich für mich gemacht und mir Beispiele überlegt. Im nächsten Urlaub war es dann soweit, am Strand fragte jemand „und was machen sie beruflich?“. Als ich sagte, Pflegewissenschaftlerin erntete ich Erstaunen, „Pflege sei doch ein Handwerk – wozu da Wissenschaft?“. Nun, eigentlich braucht jedes Feld Wissenschaft zur Weiterentwicklung: Architektur, Mobilität, Unterhaltung, Textilien usw., Friseure setzen neue Dinge um, Handwerker arbeiten mit neuen Materialien und Techniken. Nach berichteten Beispielen kam stets die Frage, „machen das denn nicht die Mediziner?“. Ich musste erklären, dass die Medizin nicht Alltagsfragen beforscht sondern Organe/Krankheiten. Nach weiteren Erklärungen kam die Frage, ob dies denn nicht die Psychologen beforschen – es herrscht einfach Unkenntnis über Belange der Pflege! Wenn ich aber umgekehrt fragte, ob die Gegenüber auch Erfahrungen mit Pflege in ihrem Umfeld haben, dann kam immer eine lange Litanei von Problemen und Klagen. Letztlich wunderten sich die Gesprächspartner, dass die Pflegewissenschaft erst Anfang der 90er Jahre entstand und wünschten rasche Fortschritte. Tatsächlich habe ich Anfang der 90er Jahre ein britisches Buch über „Pflegerituale“ herausgegeben (Walsh/Ford ), es ist inzwischen antiquarisch. Es zeigte mir, wie traditionell und rückwärtsgewandt die Pflege über hundert Jahre war, vom nächtlichen Blumen aus dem Krankenzimmer stellen, über den Franzbranntweinguss bis hin zum routinehaften Fiebermessen aus der Zeit um 1880.
Buresh und Gordon empfehlen Pflegenden, sich öffentlich positiv zu äussern und gute Kontakte zu den Medien zu pflegen – auch zu den örtlichen Zeitungen. Sie schlagen vor sich zu melden, wenn Medien den Pflegeberuf falsch darstellen, etwa als Roboterfeld oder als Schnellqualifizierung für Flüchtlinge – jeweils mit der Bezeichnung Krankenpflegerin oder Pflegefachmann. Gerne auch in Leserbriefen oder Mails an die Sender. Jede gute Entwicklung sollte mitgeteilt werden – von jedem Einzelnen. Wichtig ist es, die Öffentlichkeitsabteilung, etwa der Klinik, immer wieder mit Nachrichten zu versorgen. Pflege bleibt dabei meistens stumm.
In den letzten Jahren gab es viele internationale Kampagnen, um Pflege sichtbarer zu machen, besonders auch zum“ Jahr der Pflege“ 2020, zur Erinnerung an Florence Nightingales 200. Geburtstag. Informieren Sie sich über „Nurses do it better“ oder „Nursing Now“ oder „Proud to be an Nurse“
Abschliessend einige Bemerkungen zur Corona-Pandemie: Pflege ist deutlicher gesehen worden, vor allem aber wieder als Mangelzustand – weniger mit Fachkompetenz. Es wurde klar, dass es nicht nur um Betten oder Beatmungsgeräte geht, sondern dass hochqualifizierte Pflegende sich kümmern müssen, mit einem hohen Risiko, selbst zu erkranken. Wieder einmal sah die Bevölkerung, dass die Besetzung in Altenheimen nicht reicht, auch schon lange vor Corona. Es gab Applaus – für uns ist künftig wichtig, die Diskussion um Stellenbesetzung und Qualifikationen aufrechtzuerhalten. Das Gerangel um Zulagen oder Prämien ist unwürdig, Pflegende kommen sich dabei vor wie Würmer im Staub – an einer deutlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen muss gearbeitet werden. Während der Pandemie haben sich Pflegende teilweise in 12-Stunden-Schichten wiedergefunden, besonders anstrengend wegen der Hygienevorschriften. Insgesamt äusserten sich Pflegende kaum öffentlich, Virologen und Mediziner bestritten die Nachrichten, immerhin aber wurden täglich auch der Lehrerverband oder die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gehört. Für die Pflegeberufe gab es fast keine Stimme. Immerhin hat unsere Gesellschaft gelernt, dass alle „systemrelevanten“Berufe nicht im Home-Office arbeiten können.
Was ist zu tun?
Zunächst scheint es wichtig, sich über den Wert von Berufsstolz klar zu werden, Selbstwert zu kultivieren. Denken Sie über Ihre eigenen Stärken und Wünsche nach, welche Motive treiben Sie an?
Auf den vorigen Seiten sind schon viele Hinweise: sich organisieren, Mitsprache erlangen und „über den Tellerrand“ gucken, sich um Preise bewerben. Auf Leitungen kommt eine besondere Verantwortung zu: sie sind Vorbild ! Letztlich sind Sie verantwortlich für die direkte Pflegequalität und auch das Funktionieren eines Teams. Von Ihnen hängt es ab, ob Neue gut eingearbeitet werden, ob erfahrene Mitarbeiter bleiben. Aus meinen 20 Jahren als Lehrerin in einer Krankenpflegeschule weiss ich, es gibt beliebte und unbeliebte Praxiseinsätze. Die Beliebtheit war verbunden mit gutem Teamgeist, Humor, Anerkennung, persönlichen Wachstumschancen. Auf diese Einheiten wollten alle hin, kein Wunder, dass sich dort engagierte (und stolze) Pflegende sammelten. Stationen mit grosser Fluktuation, hohem Krankenstand und ständigem Ärger wurden gemieden.
Ich denke, dass Leitungen viel besser ausgebildet werden müssten als dies oft der Fall ist. Sie sind die eigentlichen Garanten für eine gute Patientenversorgung – entwickeln Sie einen „Berufsstolz- Plan“ für ihr Team.
Bei den folgenden Hinweisen finden sich auch Tipps, die sie nicht allein aus Sicht der Stationsleitung umsetzen können – obwohl manche Stationen durchaus autonom sind. Wichtig erscheint, dass Sie die Pflegedienstleitung „mitnehmen“ – suchen Sie sich Verbündete unter den Stationsleitungen und bringen Sie die Anliegen zur Sprache. Kündigen Sie Unterstützung an – viele Pflegedienstleitungen stehen auch unter Druck.
Fördern und fordern
Jeder Mensch handelt aus bestimmten Beweggründen heraus. Nehmen Sie Ihre MitarbeiterInnen einzeln wahr, überlegen Sie zusammen, wohin sich jedeR entwickeln möchte. Fortschrittliche Unternehmen bieten eine Karriereplanung an, raten zu Fort-und Weiterbildungen. Eigentlich ist dies eine übergeordnete Aufgabe, im „Kleinen“ ist dies aber auch in Stationsteams möglich. Zu einer Förderkultur gehört auch, immer wieder auf gute Momente aufmerksam zu machen. Loben ist wichtig, allerdings muss dies auch passend sein. Menschen wachsen mit ihren Aufgaben, dadurch werden sie selbst stolz. Eine besondere Beachtung braucht der Nachwuchs, integrieren Sie die Auszubildenden/Studierenden, weisen Sie ihnen Paten zu. In einem Ruhrgebiets-Krankenhaus habe ich ein Trainee-Programm implementiert, es begleitet die Jungen noch ein Jahr durch regelmässige Treffen. Normalerweise kennt man dies eher vom Aufbau der StudienabsolventInnen – aber ich denke, auch traditionell Ausgebildete brauchen zunächst Festigung um eine professionelle Haltung zu entwickeln. In vielen Berufen gibt es eine „Gesellenzeit“, eine Zeit sich aufzubauen. In der Pflege werden die ganz jungen Leute „an die Front geworfen“, oft ohne Schonraum. Früher wurde gesagt, „sie haben ausgelernt“, seltsamerweise hält sich immer noch der Jargon „frisch examiniert“ – eine Bezeichnung, die um 1920 entstand, als überhaupt eine erste Ausbildung von Ärzten geprüft wurde. Bei manchen Nachwuchspflegenden kommt es zur Berufsflucht oder zum raschen Abstumpfen – dabei möchte eigentlich jeder Mensch stolz auf seine Arbeit sein. Ganz ungünstig ist es, junge Pflegende als „Springer“ auszuleihen (Zegelin 2016), damit verbunden ist die Botschaft „du bist verzichtbar“ – also das Gegenteil von Stolz-Erreichung. Aber auch PraktikantInnen sollte Lust auf den Pflegeberuf gemacht werden und Konzepte zur Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen sollten inzwischen überall normal sein. Eine andere Idee konnte ich auch in einer Klinik realisieren, ein fachliches Austauschprogramm zwischen Krankenhäusern. Dazu gehen etwa Stationsleitungen für 4 Wochen im gleichen Fachgebiet zur Hospitation woanders hin – die Arbeitgeber regeln die Bedingungen. Meiner Erfahrung nach ist dies als „Bildungsmassnahme“ sehr wirksam. Personalentwicklungsaktivitäten steigern den Berufsstolz. Kennengelernt habe ich dies u.a. in Magnetspitälern, etwa im Beth-Israel-Hospital in Boston vor einem Vierteljahrhundert, dort existiert ein ausgefeiltes Pflege-Fortschrittsprogramm.
Pflege darstellen
Dazu gibt es vielfältige Wege, von einem Tag der offenen Tür bis hin zu Medienkontakten oder Arbeitszeugnissen. Bei letzterem ist darauf zu achten, dass tatsächlich Inhalte und Kompetenzen aufgeschrieben werden, immer noch sind viele Mitteilungen in der Pflege nichtssagend („war eine beliebte Mitarbeiterin“). Auch die Darstellung der Pflege in Ihrer Klinik ist wichtig: sind besondere Pflege-Qualifikationen auf der Homepage erwähnt? Gibt es einen Newsletter in dem Pflege vorkommt? Pflegen Sie gute Kontakte zur Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit/Unternehmenskommunikation, bitten Sie die Pflegedienstleitung diese Bereiche „zu füttern“. Mitteilungen über Wundexperten oder Schlaganfall-Expertinnen aus der Pflege gehören in die örtlichen Medien, bewerben Sie sich mit Ihrem Team um Preise. Etliche Innovationen auf Klinikstationen sind auf der Homepage des BMG unter „Modellprojekte Pflegepraxis“ einzusehen. Sehen Sie sich mit Ihrem Team die Stellenausschreibungen Ihrer Klinik an, oft gibt es dafür antiquierte Vorgaben. Auch sehr positive Rückmeldungen von Patienten sollten Sie sammeln, auf der Station aushängen und mit Einverständnis der Beteiligten auch an Medien weitergeben.
Sehen Sie sich die Darstellung der Pflegeberufe auf den Tafeln im Eingangsbereich Ihrer Klinik an – oft sind da nur die ärztlichen Direktoren erwähnt, manchmal auch (eher klein) die Pflegedirektion. Das passt nicht zur grössten Berufsgruppe im Krankenhaus. Zumindest in einigen Zeilen sollte mit Stolz die Pflege erwähnt werden – in einem Fall konnte ich die Hinweistafel dahingehend verändern.
Lohnend ist auch eine kurze Info-Veranstaltung für neue Mediziner auf der Station zum Thema „was macht Pflege?“. Bereiten Sie dies gut vor. Ich war erstaunt, dass die Ärzte oft nicht wissen, worum es in der Pflege geht – ein Lehrstuhlinhaber an der Uni hat mich mal gebeten, ihm den Unterschied zwischen Arzthelferinnen (MFAs) in der Praxis und Krankenschwestern zu erklären. Er wusste das nicht, obwohl er lange als Oberarzt im Krankenhaus tätig war. Viele Ärzte erwarten auch Zuarbeit und sprechen Zeiten nicht ab. Neulich sagte mir ein junger Assistenzarzt, „welche Aufgaben haben Sie denn noch, abgesehen von der Hilfe für die Ärzte?“. Eine gute Zusammenarbeit mit den Ärzten und gegenseitige Anerkennung scheint ein Faktor für Berufsstolz zu sein – damit gemeint ist allerdings eine Begegnung auf Augenhöhe und kein Unterordnungsverhältnis.
Eigentlich brauchen die „Klein-Unternehmen“ Klinikstation auch Zielsetzungen für ein (halbes) jahr und ein kurzes schriftliches Berichtswesen. Was hat uns beschäftigt, über welche Erfolge sind wir stolz? Was konnten wir nicht erreichen? Es wäre gut, wenn künftig Klinikstationen sich so etwas vornehmen könnten – auch um Stolz zu fördern.
Auftreten und Körpersprache
Achten Sie auf korrekte Vorstellung, auch bei allen MitarbeiterInnen: Namen nennen, Funktion usw., hilfreich ist, wenn die Organisation die verschiedenen Gruppen „uniformiert“. Die kleinen Namensschilder können oft von Patienten nicht gelesen und unterschieden werden. Eine kompetente und empathische Vorstellung führt bei PatientInnen zu Sicherheit und Vertrauen, etwa mit den Worten „ich bin hier zuständig für sie“. Es ist unglaublich, wie sensibel Patienten sind, sie beobachten sehr fein Mimik Gestik. Durchaus können auch beiläufig weitere Qualifikationen genannt werden, etwa „Bewegungsspezialisten“ durch Kinästhetik. Ich erinnere mich an eine Riesen-Fragebogenaktion eines zweijährigen Kurses für Stomatherapie, verteilt an über 1000 Patienten in Deutschland. Man wollte über Wirken und Wahrnehmung dieser aufwändig weitergebildeten Experten etwas wissen. Eigentlich kam nichts Richtiges dabei heraus: „ich bin der Fritz und versorge jetzt ihr Stoma“ hiess es oft – viele dieser KollegInnen hatten nur an einer eintägigen Firmen-Schulung teilgenommen. Grosse Enttäuschung entstand in dem Lehrgang und wir übten dann, sich professionell vorzustellen. Dies empfehle ich bis heute in allen Teams. In den vielen Jahren meiner Pflegeberuflichkeit habe ich immer wieder feststellen müssen, dass die KollegInnen oft „ihr Licht unter den Scheffel stellen“. Früher stellten sich Pflegende oft nur mit Vornamen vor, möglicherweise auch um eine falsche Intimität oder Solidarität zu erzeugen, besonders männliche Kollegen leider auch oft mit einem „Du“. Diese Verbrüderung untergräbt Stolz.
Tatsächlich zeigt sich Stolz auch körperlich, in einer aufrechten Haltung. German Quernheim, mein Mitautor ist mir aufgefallen durch seinen Film bei Youtube zum Elevator Pitch. Dabei geht es um zwei unterschiedliche Gesprächssequenzen von Pflegenden im Lift – Elevator Pitch ist ein bekanntes Konzept zur Vorstellung während einer kurzen Aufzugsfahrt (Material im Netz). In unserem Buch gibt German viele Tipps zum Auftreten. Pflegende wirken oft „verhuscht“und sind gehetzt – manchmal helfen wenige Sekunden kurzen Durchatmens, um sich auf eine neue Begegnung einzustellen, etwa vor dem Türöffnen. Immer noch ist der erste Eindruck für uns Menschen massgeblich, die Körperhaltung, ein Lächeln, Augenkontakt, Kleidung oder auch der Geruch. Die Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen steigert das Selbstwertgefühl. Manche Personen wirken charismatisch, sie drücken Präsenz aus – vielleicht gibt es auch in Ihrem Team Vorbilder? Allerdings sollte das Auftreten zur Person passen und nicht gestelzt wirken. In unserem Buch finden sich Übungen um im Stehen oder Sitzen Stolz auszudrücken. Besonders anregend war für uns das Buch „Embodiment“ von Storch u.a. (2017), es wird dabei klar, wie eng Psyche und Körper zusammenhängen. Überhaupt sind die Bücher vom Maja Storch (2016) uns wichtig geworden, mit ihren tiefen Einsichten über unsere Verhaltenssteuerung durch den „Strudelwurm“ zwischen Emotionen und Verstand. Das Bauchgefühl sollte immer mit „ins Boot geholt“ werden ist eine ihrer Hauptaussagen. Hilfreich ist das „Züricher Ressourcenmodell“ mit vielen Ideen auf der Homepage (www.zrm.ch).
Im Gespräch bleiben
In einer so komplexen und oft schwierigen Arbeitssituation wie in der Pflege sollte eine gute Besprechungskultur herrschen, regelmässig mindestens einmal im Monat, dies trägt zum Berufsstolz bei. Protokolle sind wichtig für die Nicht-Anwesenden. Immer noch werden Besprechungen unterschätzt, fallen aus oder dienen nur der Weitergabe von Anweisungen „oberer Etagen“.
Nehmen Sie sich Zeit, zunächst geht es um das Befinden der Einzelnen, was war gut, was war nicht gut? Rückblick auf das letzte Protokoll, konnten Probleme gelöst werden? Besprechungen sind das Forum um besonders gelungene Dinge herauszustellen (STOLZ !) – auch Rückmeldungen von Patienten oder Angehörigen. Immer muss etwas Raum gelassen werden für Jammern der Beteiligten – aber kürzen Sie allzu langes Klagen ab mit der Frage: was können wir tun?
In vielen Teams habe ich einen kurzen Leseclub einführen können: wer hat einen fachlichen Input zu geben? Die wichtigsten Fachzeitschriften waren immer in den Gruppen verteilt. In fünf Minuten wurden eine Zusammenfassung gemacht und Kopien verteilt.
Sehr gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, dass zweimal im Jahr die wichtigsten Werte im Team nochmal angesehen werden. Pflegewerte die auch ausserhalb wohlfeiler und „toter“ Leitbilder lagen, Werte auf die sich die Gruppe gemeinsam verständigt hat, ständig bedrohte Orientierungen.
In vielen Sozialberufen sind regelmässige Veranstaltungen zum Austausch normal: Supervisionen oder Kollegiale Beratung sind etabliert. Auch ein Einzel-Coaching, etwa für Leitungen, kommt oft vor. Seltsam, dass dies im hochbelasteten Pflegeberuf „exotisch“ klingt.
Abschliessend: Entnehmen Sie aus meinem Text die für Sie wichtigsten Impulse. Achtung: klein anfangen. Es gibt viele Wege, Teams aus einer Opferrolle herauszuführen, sie „powerful“ zu machen. Als Stationsleitung sind Sie in einer Vorbildrolle mit vielen Möglichkeiten.
Literatur
Abt-Zegelin, A., de Jong,A. (2015): Brauchen wir Priorisierung? DSDP 54(4) 74-77
Aiken, L. H.u.a. (2012): Patient safety, satisfaction and quality of hospital care. BMJ 344,e1717
Benner, P. (2017) Stufen zur Pflegekompetenz. Hogrefe, Bern
Buresh,B., Gordon,S. (2006): Der Pflege eine Stimme geben, Huber, Bern
Busse, R. (2020): Wir haben nicht zu wenig Pflegepersonal. DSDP 59 (12) 56-59
Kolcaba, K. (2014): Pflegekonzept Comfort. Huber, Bern
Quernheim,G., Zegelin,A. (2020): Berufsstolz in der Pflege. Hogrefe, Bern
Segmüller, T. u.a. (2012): Menschen würdig pflegen. Konrad Adenauer Stiftung. Handreichung zur politischen Bildung. Band 10
Segmüller, T. (2012): Pflegende als politische Akteure. Akademiker Verlag. Saarbrücken
Simon, M. (2016): Dürftige Finanzspritze. DSDP 55(1)74
Sullivan, E. (2016): Einfluss nehmen. Hogrefe, Bern
Storch, M. u.a. (2017): Embodiment. Huber, Bern
Zegelin, A. (2016): Wenn Pflegende zu Springern werden. DSDP 555 (9) 8-13
Zegelin, A. (2017) : Raus aus dem Jammertal.DSDP 56(5) 40-41
Zegelin, A. (2020): Pflege breiter aufstellen. DSDP 59 (5) 52-55
Zegelin, A. (2020): Warum Berufsstolz so wichtig ist. Die Schwester/Der Pfleger 59(8) 4-7