Behindertenberatungszentrum- BIZEPS: Interview mit Martin Ladstätter

30. Januar 2017 | Politik | 0 Kommentare

Martin Ladstätter ist Gründungsmitglied und Obmann von BIZEPS, dem ersten österreichischen Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Für den Nachrichtendienst (BIZEPS) zeichnet er redaktionell verantwortlich und ist Teil des Redaktionsteams von kobinet-nachrichten. Er ist seit 2008 Mitglied des Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie seit 2012 des Menschenrechtsbeirates der Volksanwaltschaft. Er hat den Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern im Jahr 2004 mitbegründet, war 11 Jahre Vorstandsmitglied und unterstützt ihn heute als Teil des Klagsausschusses.

Was ist BIZEPS?
Der Verein „Behindertenberatungszentrum-BIZEPS; Zentrum für Selbstbestimmtes Leben“ betreibt eine Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige in Wien, die nach den Kriterien der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung organisiert ist und nach deren Wertvorstellungen arbeitet.

Wo liegen die österreichischen Stärken im Inklusionsbereich im internationalen Vergleich?
Die Stärken und Schwächen Österreichs im Inklusionsbereich lassen sich am besten in Hinblick auf den Stand der Umsetzung der UN Konvention über die Recht von Menschen mit Behinderungen darstellen. Österreich hat sich 2008 verpflichtet die darin enthaltenen Verpflichtungen umzusetzen.

Dieser völkerrechtlich verbindende Vertrag hat sicher viel zur Bewusstseinsbildung beigetragen. Menschen mit Behinderungen können sich auf ihn berufen, um ihre Rechte einzufordern. Natürlich muss er erst in nationales Recht umgesetzt und damit mit Leben erfüllt werden. Nur so hat er konkrete Auswirkungen auf den Alltag von Menschen mit Behinderungen. Es besteht in diesem Bereich aber nach wie vordringender Handlungsbedarf. Dies hat auch der zuständige UN-Ausschuss im Rahmen der ersten Staatenprüfung Österreichs im September 2013 bestätigt.

Um eine Stärke Österreichs in diesem Zusammenhang herauszugreifen, ist hier die gerade in Ausarbeitung befindliche Erwachsenenvertretung zu erwähnen. Diese soll die Sachwalterschaft ablösen. Diese grundlegende Systemänderung ist auch dringend erforderlich, da in Österreich beinahe 60.000 Bürgerinnen und Bürger besachwaltet sind – die Hälfte davon in allen Lebensbereichen. Ihnen werden damit konventionswidrig ihre Rechte entzogen. Die Erwachsenenvertretung soll zukünftig sicherstellen, dass wirklich der Wille der Person ausschlaggebend für die jeweilige Entscheidung ist.

Auch im Bereich des Monitorings der Konvention sind Fortschritte zu verzeichnen. Diesbezüglich muss aber festgehalten werden, dass auch acht Jahre nach Ratifizierung der Konvention in diesem Bereich noch Überprüfungsdefizite bestehen.

Was sind die österreichischen Schwächen im Inklusionsbereich im internationalen Vergleich?
Große Schwächen gibt es leider gerade in zentralen Lebensbereichen. So steigt im klaren Widerspruch zur UN Konvention der Anteil der Kinder, die in Sonderschulen unterrichtet werden. Von einem gleichberechtigten Zugang zum Bildungssystem als zentrale Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, sind wir leider noch weit entfernt.

Inklusion muss laut Konvention vom Kindergarten bis zur Universität und dem lebenslangen Lernen sichergestellt werden. So gibt es bisher kaum Universitätsabsolventinnen und -absolventen mit Behinderungen. Die in Österreich angestrebte Errichtung von Modellregionen ist gerade im internationalen Vergleich unverständlich, da es genügend hervorragend bewährte Beispiele gelebter Inklusion im Bildungsbereich gibt.

Persönliche Assistenz (PA) ist als Voraussetzung für ein Selbstbestimmtes Leben vielleicht ein ganz zentraler Beratungsschwerpunkt. Menschen mit Behinderung dürfen nicht gezwungen sein, in speziellen Einrichtungen zu leben. Das schreibt die Konvention unmissverständlich fest. Bedauerlicherweise ist aber der Anteil von Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben müssen, in den letzten 20 Jahren gestiegen.

PA fällt so wie viele andere Leistungen für Menschen mit Behinderungen in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Es ist immer noch von der Art der Behinderung und vom Wohnort abhängig, ob die Leistung gewährt wird. Meistens besteht kein Rechtsanspruch.

Barrierefreiheit

Die allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung unabdingbare Voraussetzung der Barrierefreiheit fällt ebenfalls fast zur Gänze in den Verantwortungsbereich der Länder. Dadurch gibt es auch in diesem Bereich unterschiedliche Rahmenbedingungen. Trotz einiger positiver Entwicklungen, ist vor allem der ländliche Bereich bisher stark benachteiligt. Als einziges Rechtsmittel können Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden. Eine Beseitigung der Barriere kann auf rechtlichem Weg nicht erwirkt werden.

Wie zufrieden sind Sie mit dem derzeitigen Stand zum Thema Inklusion?
Wie ausführlich geschildert, hat sich einiges bewegt, es bleibt aber noch viel zu tun.

Wo liegen derzeit die wichtigsten Arbeitsfelder?
Wie geschildert im Bereich Barrierefreiheit, Gleichstellung, Persönliche Assistenz und Bildung. Aber Inklusion betrifft alle Lebensbereiche und ist daher ein umfassendes Arbeitsgebiet.

Erhalten Sie eine entsprechende Unterstützung der VertreterInnen? Wenn „Ja“ wie sieht diese aus, wenn „Nein“ warum nicht
BIZEPS ist gut vernetzt und als Ansprechpartner akzeptiert. Unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in vielen Arbeitsgruppen und Gremien vertreten. Wir setzen uns aktiv für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein. Allerdings sind wir noch von dem Zustand weit entfernt, dass wir von einer wirklichen Partizipation sprechen können.

Welche Erfahrungen haben Sie zum Thema „Gesundheitswesen und Inklusion“?
Auf diese Frage geht meine Kollegin, Magdalena Scharl, im Artikel „behindert und doch ungehindert …“ ausführlich ein.

Wie sehen Sie die derzeitige Zukunft des Inklusionsbereichs?
Ich bin ein Optimist. Wir haben durch die UN-Konvention starken Rückenwind für unsere Arbeit bekommen. Diese Chance gilt es intensiv zu nützen. Der Gegenwind in Österreich heißt aber auch hier: „Da könnt ja jeder kommen – das war ja immer schon so.“

Was würden Sie gerne den Berufsgruppen des Gesundheitswesens abschließend mit auf den Weg geben?
Menschen mit Behinderungen sind ExpertInnen für das Alltagsleben mit ihren Einschränkungen. Sie sind keine MedizinerInnen. Es ist sehr hilfreich, wenn Sie im Sinne der selbstbestimmten Entscheidungsfindung auf Verständlichkeit achten.

Autor

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)