behindert, und doch ungehindert …?

30. Januar 2017 | Erleben | 0 Kommentare

Die gesetzlich garantierte freie Arztwahl ist in der Praxis nicht für jede Wienerin und jeden Wiener selbstverständlich. Ein großer Teil der Einrichtungen des Gesundheitswesens war für Menschen mit Behinderungen nicht ungehindert zugänglich. Um das zu ändern, startete BIZEPS-Zentrum für Selbstbestimmtes Leben bereits 2001 ein erstes Projekt. Seitdem arbeiten wir intensiv an Verbesserungen in diesem wichtigen Lebensbereich. Es gibt laufend Verbesserungen.

Menschen mit Behinderungen sind im Alltag immer noch mit zahlreichen Barrieren konfrontiert. Arztbesuche sind zum Beispiel für Menschen im Rollstuhl allein schon angesichts der vielen Altbauten mit ihren Stufen vor Aufzügen eine besonders große Herausforderung, ganz abgesehen davon, dass diese oft zu knapp bemessen sind. In den Ordinationen sind nicht immer barrierefreie Toiletten vorhanden und auch Türen nicht immer breit genug.

Nicht alle Hindernisse sind sofort erkennbar.

Beim Arztbesuch ist das Vertrauen besonders wichtig und dafür die Kommunikation. Gehörlose Menschen kommunizieren in Österreichischer Gebärdensprache. Diese wird in Gesundheitseinrichtungen kaum gesprochen. Leicht verständliche Erklärungen vom Fachpersonal wären für alle hilfreich. Medizinische Fachbegriffe und die Stresssituation, unter der Patientinnen und Patienten oft stehen, erschweren die Verständlichkeit. Verständlichkeit trägt aber maßgeblich zum Wohlbefinden und Vertrauen bei.

Nicht alle Verbesserungen kosten Geld.

Nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten treffen oft auf Unsicherheit bei ihrem Gesprächspartner oder ihrer Gesprächspartnerin, der oder die dann lieber mit der Begleitperson spricht. Menschen, die einen Rollstuhl benützen, schätzen es sehr, wenn sich ihre Gesprächspartnerin oder ihr Gesprächspartner hinsetzt. Für blinde Menschen ist die Aufforderung „der Nächste bitte“ unzureichend. Die persönliche Anrede schafft Abhilfe. Gehörlose Menschen können Termine nicht telefonisch vereinbaren. In Zeiten des Internets gibt es genug Alternativen.

Behinderungsübergreifender Erfahrungsaustausch bildete unsere Arbeitsgrundlage.

In einer Arbeitsgruppe waren Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen vertreten. Wir tauschten Erfahrungen aus und formulierten Mindeststandards und einen Forderungskatalog. Auf diese Weise konnten wir viel von einander lernen. Denn grundsätzlich geht jede und jeder von seinen eigenen Erfahrungen und Bedürfnissen aus.

Auf Grundlage dieser Arbeit haben wir Schulungen für Ärztinnen und Ärzte und medizinisches Personal angeboten. Diese wurden sehr gerne angenommen und haben viel zur Sensibilisierung beigetragen. Vor allem war es unserer Erfahrung nach die persönliche Begegnung, durch den viele Unsicherheiten abgebaut werden konnten. So konnten wir Barrieren und Wünsche verständlich vermitteln.

Ein weiterer wichtiger Teil unserer Arbeit sind Vermessungen von Einrichtungen des Gesundheitswesens. Anhand der erhobenen Daten können Menschen mit Behinderungen sich ein genaues Bild der Gegebenheiten vor Ort machen. Das erweitert die Möglichkeit der selbstbestimmten Arztwahl. Diese detaillierten Daten werden laufend aktualisiert und sind sowohl auf unserer Homepage als auch über den Praxisplan der Ärztekammer für Wien abrufbar.

Ein dritter wichtiger Bereich unserer Projektarbeit sind kostenlose Bauberatungen zur barrierefreien Adaptierungen zu Gesundheitseinrichtungen. Diese werden von den Ärztinnen und Ärzten sehr gern angenommen, auch um den Anforderungen des Bundes-Behinderungsgleichstellungsgesetzes gerecht werden zu können.

Fragen, mit denen wir zu Beginn unserer Projektarbeit konfrontiert waren, wie:

Was ist ein barrierefreies WC?

Was ist Brailleschrift?

Was ist barrierefrei?

…scheinen langsam der Vergangenheit anzugehören. Diese Begriffe sind mittlerweile allgemein bekannter. Auch Barrieren scheinen bewusster zu werden. Nach 15 Jahren ist der Weg zum inklusiven Gesundheitssystem in Wien zwar kürzer, aber immer noch lang. Es bleibt noch viel zu tun, aber es lohnt sich, denn auch Eltern mit kleinen Kindern, Menschen mit nicht deutscher Muttersprache und ältere Menschen profitieren von den Verbesserungen. Vielleicht nehmen dann auch mehr Menschen, die jetzt zögern, medizinische Vorsorge in Anspruch.

Autor

  • Magdalena Scharl

    Magdalena Scharl ist seit 2001 Peer-Beraterin von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben in Wien und Teil der österreichischen Selbstbestimmt Leben Bewegung. Sie ist BIZEPS-Sprecherin für den Bereich EZA und Mitglied der Arbeitsgruppe „Behinderung und Entwicklung“ der Globalen Verantwortung sowie des Arbeitskreises „Menschen mit Behinderung in der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit“ der Austrian Development Agency. Sie führt unter anderem Sensibilisierungsschulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitsbereich durch. Magdalena Scharl benützt einen Elektrorollstuhl und lebt mit Persönlicher Assistenz.