Hubert Kolling (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte. „Who was who in nursing history“, Band 10. Verlag hpsmedia. Hungen 2022, 328 Seiten, broschiert, 34,80 €, ISBN 978-3-947665-04-4
Wenngleich bereits im letzten Jahrhundert von verschiedener Seite darauf hingewiesen wurde, dass die Kenntnis der Pflegegeschichte für alle Pflegenden im Hinblick auf die eigene Berufsidentität „notwendig, ja unerläßlich“ ist, so etwa von dem Geheimen Regierungs- und Medizinalrat Dr. med. Wilhelm Alter (1875-1943) im Vorwort seiner 1936 vorgelegten deutschen Übersetzung „Geschichte der Krankenpflege“ des pflegehistorisch bedeutenden Buches der englischen Krankenschwester und Historikerin Lucy Ridgeley Seymer (1893-1971) „A general History of nursing“ (London 1932), spielt die Geschichte der Krankenpflege sowohl in der Ausbildung als auch im Studium gegenwärtig kaum eine Rolle. Dabei stehen für das in der Pflege zunehmend ethisch und historisch reflektierte Handeln zu den verschiedensten Themen eine Reihe neuerer Forschungsarbeiten zur Verfügung. Zu den entsprechenden Veröffentlichungen, die zumeist jedoch – abgesehen von einem kleinen akademischen Zirkel – nur von einem verschwindend geringen Teil der Pflegefachpersonen überhaupt zur Kenntnis genommen werden, gehört seit mehr als zwei Jahrzehnten auch das „Biographische Lexikon zur Pflegegeschichte. Who was who in nursing history“, von dem nun – 25 Jahre nach Herausgabe des ersten Bandes – der zehnte Band erschien.
1997 von dem Krankenpfleger und Medizinpädagogen Dr. paed. Horst-Peter Wolff (1934-2017) begründet beziehungsweise herausgegeben, liegt die Verantwortung für das Werk seit Band 4 (2008) in Händen des Krankenpflegers und Pflegehistorikers Dr. phil. Hubert Kolling, der schon maßgeblich am zweiten (2001) und dritten Band (2004) mitwirkte und nach wie vor einer der Hauptbeiträger ist.
Zur Mitarbeit am vorliegenden „Jubiläumsband“ konnte der Herausgeber, der einem größeren Publikum vor allem durch seine regelmäßigen Beiträge in der von ihm mit initiierten, mittlerweile im elften Jahrgang online und im Druck zweimal jährlich erscheinenden Fachzeitschrift „Geschichte der Pflege“ (jetzt: „Geschichte der Gesundheitsberufe“) bekannt sein dürfte, rund 20 Mitwirkende aus dem In- und Ausland gewinnen. Ergänzend zur großen Mehrheit der gut 60 vorgestellten biographisch-bibliographischen Porträts, die aus dem deutschsprachigen Raum stammen, werden auch einige pflegehistorisch bedeutende Persönlichkeiten aus Belgien, Brasilien, Chile, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, Kroatien, Polen, Saudi-Arabien, Slowenien, USA und Tschechien ins rechte Bild gesetzt.
Von einem weit gefassten Pflegebegriff ausgehend, gehören so zum Spektrum der aktuell vorgestellten Personen neben Medizinern wie Fritz Beske (1922-2020) und Friedhelm Dietze (1932-2020), Oberinnen wie Ella Goez (1876-1947) und Marie Schönholzer (1875-1960), Pflegedirektorinnen wie Elke Freyenhagen (1945-2011), Schriftleiterinnen wie Ilse Witte (1921-1992), Lehrbuchautorinnen wie Lilienne Haaf (1924-2010) und Theologen wie Wilhelm Siegert (1893-1949) auch Pädagogen wie Walter Schär (1927-2020) und Alfred Vogel (1926-2017), Pflegehistoriker wie Eduard Seidler (1929-2020) und Manfred Stürzbecher (1928-2020), Pflegepädagog:innen wie Jutta Beier (1945-2018) und Karl-Heinz Fichtner (1945-2016) sowie jüngst verstorbene Hochschullehrer:innen wie Theo Dassen (1953-2020), Margret Flieder (1957-2019) und Wilfried Schnepp (1957-2020). Gewidmet hat Hubert Kolling den vorliegenden Band, der durch zahlreiche Querverweise mit den übrigen Bänden verknüpft ist, der jüngst verstorbenen Doyenne der professionellen Pflege, der Schweizer Krankenschwester und Ordensfrau Schwester Liliane Juchli (1933-2020).
Der Umfang der einzelnen Beiträge geht über die ansonsten in Lexika übliche Reduktion weit hinaus, da die Darstellungen der Autor:innen sich nicht nur auf Lebensdaten und Werke begrenzen, sondern – zumindest in den allermeisten Fällen – auch die sozialgeschichtlichen Rahmenbedingungen mitberücksichtigen. Wer sich mit einer betreffenden Person weitergehend beschäftigen möchte, findet hierzu am Ende von jedem Beitrag jeweils umfangreiche Quellen- und Literaturangaben. Zur Orientierung dient das am Ende des Buches platzierte Gesamtverzeichnis aller gut 1400 in der Reihe bisher vorgestellten Personen, wobei die Biographien des aktuellen Bandes fettgedruckt sind.
Wie die gesamte Reihe sollte auch der Jubiläumsband als unentbehrliches Nachschlagewerk und spannendes „Lesebuch“ zur Pflegegeschichte in keiner Bibliothek des Gesundheitswesens fehlen. Da sich viele der heutigen Strukturen sowie Konfliktfelder innerhalb und zwischen den verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen historisch erklären lassen, wäre es wünschenswert, wenn das Lexikon neben Lehre und Forschung auch von möglichst vielen der in der professionellen Pflege tätigen Menschen, den Verantwortlichen der entsprechenden Berufsverbände sowie den politischen Entscheidungsträger:innen im Gesundheitswesen zur Hand genommen würde.
Vor dem Hintergrund des geringen Stellenwerts, den die Geschichte der Krankenpflege in Ausbildung und Studium hierzulande hat, ist es unterdessen mehr als erstaunlich, dass es das „Biographische Lexikon zur Pflegegeschichte“ – und davon nun schon bereits zehn Bände – überhaupt gibt! Die Lexikonreihe ist dabei umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass es in Deutschland noch immer keine Institutionalisierung der Pflegegeschichte gibt. Das dem Gesamtwerk zugrundeliegende Projekt beruht so auf einer außerhalb der Hochschulen angesiedelten Privatinitiative, bei der sowohl der Herausgeber als auch alle daran Beteiligten ehrenamtlich mitarbeiten und selbst die damit verbunden Unkosten tragen (müssen). Fast schon selbstredend, dass es für die mit der Veröffentlichung seit 25 Jahren verbundenen Arbeiten bisher weder Honorare noch eine akademische Würdigung oder gar Anerkennung seitens der Berufsverbände und der Politik gab. Alles in allem ein trauriges Bild, bei dem man, in Anlehnung an den bekannten Werbeslogan eines großen Baumarktes, sagen möchte: „Respekt, wer`s dennoch macht!“. Bleibt zu hoffen, dass Hubert Kolling auch weiterhin einen langen Atem hat, um das für die historische Pflegewissenschaft bedeutende Werk weiterzuführen.
Michael König
Anschrift des Verfassers
Dr. phil. Michael König
An der Hummerei 8a
D-96215 Lichtenfels