Auch bayerische Pflegende benötigen eine echte Interessenvertretung

18. Oktober 2016 | News Deutschland, Pflegende Angehörige | 0 Kommentare

Der bayerische Landespflegerat hatte am Dienstag, 11. Oktober 2016 zu einer Demonstration in der Münchener Innenstadt mit einer Abschlusskundgebung vor der Staatskanzlei aufgerufen. Etwa 2.500 Personen sind diesem Aufruf gefolgt und haben sich lautstark für Veränderungen in der Pflege ausgesprochen. Die beruflich Pflegenden brauchen endlich angemessene Rahmenbedingungen, um die Versorgung pflegebedürftiger Menschen zu sichern. Die zügige Umsetzung der geplanten Reform des Pflegeberufsgesetzes ist ein entscheidender Schritt auf diesem Weg. Darüber hinaus war die zentrale Forderung der Demonstrierenden, auch in Bayern eine Pflegekammer zu errichten. Dies hatte der ehemalige Gesundheitsminister, Markus Söder (CSU), den Pflegenden schon im Jahre 2011  zugesagt.

„Auch die bayerischen Kolleginnen und Kollegen verdienen eine institutionalisierte Interessenvertretung, die von politischen Entscheidungsträgern gehört wird und mit den anderen Akteuren des Gesundheitswesens auf Augenhöhe über Rahmenbedingungen verhandeln kann“, fordert die Vizepräsidentin der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz,  Sandra Postel, die bei der Demonstration zugegen war und als Rednerin fungierte. „Die von der Staatsregierung auf den Weg gebrachte „Vereinigung der bayerischen Pflege“ wird diesem Anspruch aber nicht im Ansatz gerecht“, bemängelt Postel. Die bayerische Landesregierung sei aufgefordert, sich mit Amtskolleginnen und –kollegen auszutauschen, die Erfahrung mit dem Aufbau von Pflegekammern machen würden. Davon könne der politische Entscheidungsprozess zu Gunsten der bayerischen Pflegenden nur profitieren.

Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen schränken insbesondere die an sich durch eine Kammergründung beabsichtigte Autonomie, Eigenverantwortung und Selbstverwaltung der Berufsgruppe ein.

Der Gesetzentwurf schränkt die Zuständigkeit der Pflegeberufsangehörigen in der  Selbstverwaltung sogar erheblich ein. Er reduziert maßgeblich die Teilhabe- und Mitwirkungsrechte der Pflegenden, insbesondere im Hinblick auf die ihnen zustehenden demokratischen Partizipationsrechte an Entscheidungen im Gesundheitswesen, die Auswirkungen auf die Pflege in Deutschland haben. Die Mitwirkung an der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens durch beruflich Pflegende wird auf diese Weise behindert. Die Berufsangehörigen in der Pflege verlieren so die demokratische Rechtfertigung für wichtige Ordnungsfunktionen und werden als Mitgestalter im weitgehend verkammerten Gesundheitswesen in Deutschland geschwächt.

Das Konstrukt einer „Vereinigung der bayerischen Pflege“  widerspricht  der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Pflegeberufe – anders als in Rheinland-Pfalz, wo der Gesetzgeber genau das Gegenteil auf den Weg gebracht hat. Mit der rechtlichen Verankerung der Landespflegekammer in das rheinland-pfälzische Heilberufsgesetz ist die Pflege, politisch wie juristisch, deutlich sichtbar als Heilberuf gesetzt und im Gesundheitswesen gleichberechtigt neben anderen Akteuren.

„Schon die unklare Frage nach der Mitgliedschaft von Verbänden schwächt die Pflegenden, die so vehement nach einer funktionierenden Interessenvertretung  rufen. Neben den Berufsverbänden können auch Gewerkschaften und solche Verbände, die „die beruflichen Interessen der Angehörigen der Pflegeberufe in Bayern vertreten“, Mitglieder mit vollumfänglichen Rechten werden. Zu befürchten ist, dass bei einer derart schwammigen Formulierung auch Verbände, die in erster Linie die Interessen der Arbeitgeber vertreten, Zugang in die“ Vereinigung der bayerischen Pflege“ finden. Damit würde die Interessenwahrung der Berufsangehörigen verwässert“, betont Postel.

In Rheinland-Pfalz seien die Pflegenden froh und dankbar, dass derartige Zugeständnisse an die Arbeitgeber, wie in München offenbar beabsichtigt, nicht zur Debatte standen. Vielmehr kann eine wirkliche Interessenvertretung für die Berufsangehörigen aufgebaut werden, um die berechtigten Forderungen der Pflegenden anzugehen.

Finanzierung und Zusammensetzung der Gremien  fragwürdig

Auch die Finanzierung der „Vereinigung der bayerischen Pflege“ wirft Fragen auf. Die Finanzstruktur der Vereinigung ist nach Kassenlage des Landes  Bayern ausgestattet und damit einer relativ willkürlichen Finanzplanung ausgesetzt. Da die Interessenvertretung der beruflich Pflegenden auch gegenüber politischen Entscheidungsträgern und staatlichen Stellen gewährleistet sein muss, kann eine Finanzierung der Arbeit der Vereinigung der bayerischen Pflege über den bayerischen Landeshaushalt nicht zielführend sein. Gerade vor dem Hintergrund der einzuhaltenden Schuldenbremse ist damit eine effektive finanzielle Ausstattung nicht sichergestellt.

Ab einer Mitgliedergröße von 1.000 natürlichen Personen ist für die „Vereinigung der bayerischen Pflege“ die Etablierung einer Delegiertenversammlung  vorgesehen. Die Zusammensetzung der Mitglieder aus ¾ geheim gewählter  Mitgliedern in Verbindung mit der Entsendung zu ¼ aus Berufsfachverbänden und Gewerkschaften ist eine bis dato unbekannte Konstruktion. Demokratietheoretisch fragwürdig und berufspolitisch nicht zielführend, erscheint dieses Konstrukt in keiner Weise durchdacht. „Gerade als Mitglied unserer Vertreterversammlung, die von den Kammermitgliedern durch demokratische Wahl legitimiert ist, betrachte ich die Zusammensetzung dieser Delegiertenversammlung mehr als kritisch“, so Postel.

Postels Fazit in Bezug auf das Vorhaben der bayerischen Regierung fällt daher entsprechend aus:

„Die Vereinigung der bayerischen Pflege ist nicht nur ein zahnloser Tiger; sie startet vielmehr schon als Bettvorleger. Die CSU ist klug beraten, wenn sie sich an das Versprechen von Markus Söder erinnert, der eine Landespflegekammer in Bayern errichten wollte. Wir werden die Pflegenden weiterhin auf ihrem Weg unterstützen, der eine echte Interessenvertretung von Pflegenden für Pflegende zum Ziel hat“, resümiert Postel.

Hintergrund: Mit der einstimmigen Verabschiedung des Heilberufsgesetzes durch den rheinland-pfälzischen Landtag im Dezember 2014 ist die Landespflegekammer errichtet worden. Seit dem 01. Januar 2016 haben die Pflegenden im Land damit eine kraftvolle Interessenvertretung erhalten. Die Landespflegekammer mit ihren gewählten Vertreterinnen und Vertretern nimmt die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der Mitglieder wahr.

Die Vertreterversammlung hat in der Sitzung vom 02. März 2016 den Vorstand der Landespflegekammer gewählt. Präsident der Kammer ist Dr. Markus Mai. Zur Vizepräsidentin wurde Frau Sandra Postel gewählt. Die weiteren Mitglieder des Vorstandes sind Andrea Bergsträßer, Hans-Josef Börsch, Angelika Broda, Karim Elkhawaga, Esther Ehrenstein, Renate Herzer und Christa Wollstädter.

Autor

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)