Am 2. Oktober 2019 fand das Symposium „The Journey to Age Equality“ zum United Nations International Day of Older Persons (IDOP) im Haus der Europäischen Union statt.
Jacqueline Stark (NGO Committee on Ageing, International Federation on Ageing) eröffnete mit einer kurzen Begrüßung das gut besuchte Symposium.
Die Eröffnungsrede von Monika Vana (Member of the European Parliament) befasste sich mit der Notwendigkeit der Beachtung der immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe der älteren Menschen und dem wichtigen Fokus auf die Förderung der Gesundheit und der Sicherung und Verbesserung der Lebensqualität.
Ulrike Neufang (Federal Ministry of Labour, Social Affairs, Health and Consumer Protection, Austria) hielt eine Rede zum Thema ältere Menschen in der Arbeitswelt und der Notwendigkeit der Eröffnung von neuen Möglichkeiten.
In ihrer Keynote sprach Susanne Herbek (Seniorenbeauftragte des Seniorenbüro Wien, Fonds Soziales Wien) über aktives Altern und warum das Leben in jeder Phase lebenswert ist. Wenn in der Politik über ältere Menschen gesprochen wird, ist die gesellschaftliche Assoziation meist die Notwendigkeit von Pflege und Unterstützung, so Herbek. Diese Bilder entsprechen aber nicht den Tatsachen. Eine Differenzierung der Generationen sei auch für die Lebensphase 60 Plus für die Referentin erforderlich. Herbek beschrieb die älteren Menschen in Wien als unternehmungslustig und aktiv, mobil, und gesundheitsbewusst. Wiener Seniorinnen und Senioren hätten Interesse an der Umwelt und an der Politik. Aus ihrer Sicht sei es eine Aufgabe der öffentlichen Hand, Diversität der Zielgruppe der älteren Menschen bewusst zu machen, sie entsprechend differenziert anzusprechen und in ihren Lebenslagen und Interessen zu erreichen.
Clemens Wasner (Gründer und CEO von EnliteAI GmbH) sprach über Künstliche Intelligenz (KI) als Begleiter durch unser Leben, sowie die Potentiale und ethische Fragen. KI hat für Wasner das Potential menschliche Fähigkeiten quer über alle Gesellschaftsschichten und Altersgruppen auf ein ähnlich hohes Niveau zu heben: vom perfekten Gedächtnis bis hin zu übermenschlichem Sehen und Hören. In seinem Vortrag zeigte er wo und wie KI Menschen bereits heute unterstützt und welche gesellschaftliche Fragen sich daraus ergeben. Er ging auch auf die Veränderungen in der Arbeitswelt durch die Existenz von KI ein und beschrieb in welchen Bereichen KI den Menschen ersetzen werde, wo eine Koexistenz die Arbeit optimiere und welche Funktionen keinesfalls von einer KI übernommen werden könnten.
Martin Morandell (Smart in Life e.U.) befasste sich mit der Fragen warum wir smarte und assistierende Technologie benötigen würden um die Würde von Menschen im Alter sicherzustellen. Der Wunsch nach Selbstbestimmung und Selbstständigkeit nehme bis in hohe Alter nimmt stetig zu, so Morandell. Dazu zähle auch der Wunsch im Wohnumfeld der Wahl möglichst bis ans Lebensende in guter Qualität wohnen zu können und bei Bedarf entsprechende Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Um nicht abhängig von anderen Personen zu werden, könne Ambient Assisted Living (AAL) zur Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit beitragen. Gerade der persönliche Kontakt werde aber als besonders wichtig gesehen. Video-Telefonie, Apps zur Organisation der pflegenden Angehörigen, sowie Wellbeing-Monitoring-Lösungen schaffen neue Möglichkeiten, den persönlichen Kontakt sicherzustellen. Smarte und assistierende Technologien könnten zu einem wichtigen Bestandteil des Lebens werden. Morandell stellte eine Android-Smartphone-Funktion vor, welche während dem Sprechen den Text am Display des Smartphones visualisiert und so eine einfache Kommunikationsmöglichkeit von Menschen mit Sprachbeeinträchtigungen bzw. Hörbeeinträchtigungen gewährleistet. Für sehbehinderte Menschen könnten sie Texte vorlesen und mittels künstlicher Intelligenz Objekte und Personen identifizieren. Menschen mit Demenz könnten smarte Technologien verwenden um die räumliche und zeitliche Orientierung zu unterstützen.Um diese Vorteile und die mögliche Verbesserung der Lebensqualität nutzen zu können sei es wichtig, so Morandell, dass Menschen im Alter einen möglichst niederschwelligen Zugang zu smarter & assistierender Technologie bekämen.
Karin Eder (Wiener Rotes Kreuz, Bereich Gerontologie und AVO Validation) befasste sich in ihrem Vortrag mit dem Thema Altern, Würde und dem digitalen Wandel. Der Fokus müsse weg von den technologischen und hin auf die menschlichen Aspekte verlagert werden, um die Ko-Konstruktion des sozialen Phänomens des Alterns und die damit verbundene Rolle der Technologie zu verstehen. Es stelle sich die Frage, wie sich eine Technologie in das soziale Umfeld einfüge, so Eder. Viele Experten seien davon überzeugt, dass einige der Herausforderungen, die durch den demografischen Wandel entstehen, mit dem Einsatz technischer Geräte bewältigt werden könnten. Die technologische Entwicklung orientiere sich jedoch häufig mehr an Innovationen als an Nutzeranforderungen. Wenn wir über Altern, Würde und digitalen Wandel sprechen, müssten wir bestimmte Aspekte wie digitale Kompetenz und Alter, soziale Eingliederung sowie den kompetenten Umgang mit intelligenten Werkzeugen berücksichtigen. Unsere Welt habe sich in den letzten 10 Jahren stark verändert und verändere sich derzeit weiterhin sehr schnell. Der Zugang zu Informationen über das Internet und Lernmöglichkeiten seien allgegenwärtig. Ein reduzierter Internetzugang sowie zu Online-Medien könne in vielerlei Hinsicht zu geringeren Lebensmöglichkeiten führen. Darüber hinaus könnte dies leicht zu einer neuen Art der sozialen Isolation, falschen Überzeugungen („fake news“) und einer eingeschränkten Lebensqualität führen. Basierend auf den geschätzten Statistiken und in Verbindung mit den Entwicklungen bei digitalen Spielen wurde die Hypothese aufgestellt, dass Spieltechnologien das unabhängige Leben, das Engagement der Benutzer, das Wohlbefinden und die Rehabilitation erleichtern und so die Lebensqualität verbessern könnten. Daher bestünde hier ein dringender Bedarf, unsere digitale Umgebung in eine proaktive Umgebung zu verwandeln, die ältere Menschen einbeziehe, anstatt sie aus dem digitalen Leben und den digitalen Diensten auszuschließen. Natürlich gäbe es viele positive Aspekte, um Menschen mit Demenz mithilfe von Ambient Assisted Living (AAL) Smart Tools als Smartwatches und Smart Home-Systeme zu stärken und ihre Lebensqualität zu optimieren, beispielsweise über die VR-Technologie und andere intelligente Werkzeuge, so Eder. In Bezug auf diese schutzbedürftige Gruppe sei es aber dringend erforderlich, die ethischen Aspekte des Einsatzes digitaler und intelligenter Werkzeuge zu berücksichtigen. Die Referentin verortet auch das große Problem des Ausschlusses von Veranstaltungen und Informationen, da viele Daten zu Veranstaltungen, Informationen oder Selbsthilfegruppen nur über das Internet veröffentlicht würden. Daher hätten viele ältere Menschen keinen Zugriff auf diese Informationen. Eder betonte, wir müssten uns darauf konzentrieren, wie wir die Zukunft im Sinne von Vertrauen, Inklusivität, Offenheit und Sicherheit so gestalten können, dass digitale Technologien und Netzwerke es den Menschen ermöglichen, ein bewusstes, freies, verantwortungsbewusstes und selbstbestimmtes Leben zu führen. Bürger, Politik, Verwaltung, Interessengruppen, NGOs, Wissenschaft, Medien und Wirtschaft müssen ihre Rollen in dieser Hinsicht gestalten.
Stefania Ilinca (European Centre for Social Welfare Policy and Research, Vienna; Global Brain Health Institute Dublin, Ireland) referierte über die geschlechtsspezifische und sozioökonomische Ungleichheit in der Gesundheit sowie Zugang zu Pflege in hohen Alter. Der steigende Anteil an älteren Menschen in Europa, insbesondere von Personen mit funktionellen und kognitiven Beeinträchtigungen, und die beträchtlichen Kosten der Langzeitbetreuung hatten viel Aufmerksamkeit im akademischen Bereichen und bei den politischen Entscheidungsträgern im letzten Jahrzehnt, so Ilinca. Obwohl der Diskurs über Würde bei der Pflege vorankomme, seien Überlegungen über distributive Fairness und Ungleichheiten beim Zugang zur Pflege weiterhin noch nicht vorhanden. Die Referentin beschrieb sehr plastisch die Tatsache, dass Frauen im großen Nachteil im Vergleich zu Männern sind. Dies betreffe sowohl das Übergewicht an Abhängigkeit im hohen Alter als auch die Bürde der Pflege mit der Frauen vermehrt konfrontiert seien. Als Beispiel nannte Ilinca die Zunahme der Personen mit einer dementiellen Erkrankung in Europa. In Europa leben mehr Frauen als Männer mit einer kognitiven Beeinträchtigung und es bestünden große Geschlechtsunterschiede, welche viele sozioökonomischen Risikofaktoren betreffen würden. Aufgrund der Tatsache, dass die globalen Kosten für Demenz bis 2030 sich verdoppeln werden (auf über 2 Billionen Dollar), sah die Rednerin die Hauptlast bei Familien und informellen Pflege und Betreuungspersonen. Allerdings hauptsächlich bei Frauen. Die geschlechtsspezifischen Aspekte des Alterns und ihre Rolle bei der Förderung von Würde und Gleichheit im Alter diskutierte die Referentin in ihrer Präsentation und auch im Anschluss in der Podiumsdiskussion ausführlich.
Ingeborg Geyer (Präsidentin der Organisation: Zonta International) stellte die Projektidee von Dirk Jarré (President of the European Federation of Older Persons) zur Nutzung von weit entwickelten AAL-Lösungen und Künstlicher Intelligenz zur persönlichen Unterstützung und Pflege für alte Menschen in deren Eigenheim vor. Menschen würden es bevorzugen zuhause alt zu werden, allerdings sei mobile Pflege und Betreuung immer schwieriger leistbar und die Anzahl an Pflegepersonen in diesem Bereich würde sinken. Es bräuchte daher auch neue Strategien um hier Unterstützung zu bieten. Ein sicheres, smartes und komfortables sowie individualisiertes Leben im Alter mit der Verbesserung der Lebensqualität durch die Verwendung von Sturzdetektoren, Sensorik und assistiven Anwendungen müsse ermöglicht werden. Telemedizin und Tele-Care Methoden müssten vermehrt angeboten werden. Roboter mit KI und echtem Unterstützungspotential im Bereich Pflege müssten implementiert werden. Ein nutzeradressierter Fokus und Anwenderfreundlichkeit müssten zentral sein. Die Anwenderinnen und Anwender sollten selbst beim Design dieser Lösungen als Co-Entwickler hinzugezogen werden und Künstliche Intelligenz Lösungen sollten intelligent eingesetzt werden.
Abschließend sprach Jacqueline Stark (International Federation on Ageing NGO Committee on Ageing) über Lebenslanges Lernen – für das Leben lernen, dem Lernen über die gesamte Lebensspanne. Ihre wichtigste Kernaussage war, dass ein permanentes Verbessern und Üben der Kommunikationsfähigkeiten in der gesamten Lebensspanne von größter Notwendigkeit sei. Erwachsenenbildung sollte immer drei zentralen Prinzipien folgen, einem systemischen Zugang, der Lernmotivation fördert, einem Prinzip der Gleichheit im Zugang und pro aktive Strategien um Barrieren abzubauen sowie abschließend einem interkulturellen Zugang für die Beachtung der Diversität in der Gesellschaft. Neue Technologien könnten hier stark unterstützend wirken und sollten Anwendung finden. Sie bezieht sich in ihrem Vortrag auf konstruktivistische Lerntheorien und postuliert, dass die Zugänge zu neuen Lerntechnologien auch für ältere Menschen niederschwelliger gestaltet werden müssten. Wobei die zentrale Rolle der Kommunikation beim Lernen nicht ins Abseits geraten darf sondern auch mit den neuen Technologien in Kombination immer forciert werden müsse. Neuroplastizität, die Möglichkeit des Gehirns immer wieder neu zu lernen, ende nie und eröffne viele Möglichkeiten bei kranken (Menschen mit Aphasie oder Demenz z.B.) und auch bei gesunden, alten wie jungen Menschen.
Stark stellte die Prinzipien der erfahrungsabhängigen Neuroplastizität nach Kleim und Jones (2008) vor:
- Verwenden Sie es oder verlieren Sie es („use it or loose it“)
- Benutze es und verbessere es
- Spezifität
- Wiederholen funktioniert (Denken Sie daran, zu wiederholen)
- Intensität ist wichtig
- Zeit ist wichtig
- Betontheit / Hervorgehobenheit/ Wichtigkeit (Salience matters)
- Alter ist wichtig (aber kein Ausschlussprinzip)
- Übertragung
- Interferenz
Sie stellte ihr neues Projekt, die ELA Sprachmodule vor, ein Computerprogramm welches Menschen zum Beispiel mit Aphasie beim Wiedererlernen von Sprachfähigkeiten unterstützen soll. Gegen den rückläufigen Sprachgebrauch bei Aktivitäten des täglichen Lebens in Interaktion mit Partnern oder Betreuern sollte vorgegangen werden, so die Referentin. Das ELA Sprachmodul bietet sprachlich strukturierte Aufgaben zur Verbesserung und Erleichterung der Sprachproduktion und des Sprachverständnisses, die speziell auf die Bedürfnisse der Nutzer zugeschnitten sind, um sie systematisch und intensiv im Alltag zum Üben einzusetzen. Eine zentrale Aufgabe in Zukunft müsse die Verbesserung des Zugangs zu KI und assistiven Technologien sein, sowie die Bereitstellung von Informationen, damit die Menschen die verfügbaren Technologien für sich nutzen können. Das würde das Leben in jeder Phase lebenswert machen, so Stark.
Abgeschlossen wurde das Symposium noch mit einer Podiumsdiskussion wo die Referentinnen und Referenten ihre zukünftigen Projekte und Visionen für die Zukunft kurz umrissen. Im Anschluss gab es die Möglichkeit zum direkten Austausch im Rahmen eines geselligen Beisammenseins.