AT: Round Table „Wundinfektionen nach Operationen: Welche Maßnahmen-Bündel sind wirksam?“

8. Dezember 2019 | News Österreich | 0 Kommentare

Für die Prävention operationsbezogener Wundinfektionen („surgical site infections“, SSI) hat es sich als effektiv erwiesen, besonders wichtige Maßnahmen zu einem Maßnahmen-Bündel zusammenzufassen („Bündelstrategie“), dieses zu implementieren und dessen Einhaltung zu überwachen. Bei dem Round-Table, der gemeinsam mit der „Plattform Patientensicherheit“ organisiert wurde, diskutieren Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen und Professionen, welche Maßnahmen der SSI-Prävention sich als besonders wirksam erwiesen haben und welche Schritte für eine weitere Verbesserung erforderlich sind.

Wien, Donnerstag 5. Dezember 2019 – „Nach den Angaben des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) zählen operationsbezogenen Wundinfektionen (surgical site infections, SSI) zu den häufigsten nosokomialen Infektionen. Der SSI-Anteil pro 100 chirurgischen Eingriffe variiert je nach Art des Eingriffs und der Prädisposition der Patienten zwischen 0,6 und 9,6 Prozent“, berichtete ÄDir. ao. Univ.-Prof. Dr. Ojan Assadian (Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene). „Das ECDC geht bezüglich aller nosokomialer Infektionen davon aus, dass 20 bis 30 Prozent solcher Infektionen durch entsprechend gezielte Hygiene- und Kontrollprogramme vermieden werden können.“

Dem Thema SSI widmete sich gestern, Mittwochabend, der Round Table „Wundinfektionen nach Operationen: Welche Maßnahmen-Bündel sind wirksam?“ in der Alte Kapelle des AKH Wien, der von der „Initiative Sicherheit im OP“ (SIOP) und der „Plattform Patientensicherheit“ veranstaltet wurde.

Hygieniker Prof. Assadian: Bündelstrategien in der modernen Hygiene

Eine Reihe von Faktoren erhöhen das Risiko einer postoperativen Infektion, wobei einige Faktoren durch Patienten oder das medizinische Personal beeinflusst werden können, andere derzeit allerdings (noch) nicht, führte Prof. Assadian aus. „Da Infektionen oft nicht nur eine Ursache haben, sind Einzelmaßnahmen zur Vermeidung nicht ausreichend. Aus diesem Grund werden heute in der Hygiene ‚Bündelstrategien‘ eingesetzt, bei denen klinisch besser untersuchte Einzelmaßnahmen zu sinnvollen Kombinationen zusammengefasst werden“, sagte Prof. Assadian. „Diese Bündel beinhalten Maßnahmen, die bereits vor der Operation, während der Operation und nach der Operation vom Behandlerteam oder dem Patienten selbst eingehalten werden sollen. Eine entsprechende Aufklärung und Schulung des Patienten vor einer geplanten Operation ist daher ein wesentliches Element zur Steigerung der Patientensicherheit.“

Sektionschefin Dr.in Türk: Transparenz und belastbare Zahlen statt Schätzungen

„Die Kontrolle von nosokomialen Infektionen steht auf der Prioritätenliste des Gesundheitsministeriums ganz oben“, sagteSektionschefin Dr.in Silvia Türk (BM für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz) beim Round Table. „Ein erfolgreiches Vorgehen gegen solche Infektionen ist eine medizinische Notwendigkeit, erspart viel menschliches Leid und reduziert Folgekosten für das Gesundheitssystem.“

Eine Voraussetzung für wirksame Maßnahmen gegen nosokomiale Infektionen seien Transparenz und belastbare Zahlen, „bisher agieren wir auf der Basis von Schätzungen“, so Dr.in Türk. Voraussetzungen dafür seien bereits geschaffen worden: „Wir haben Anfang 2019 mit ersten Auswertungen von Krankenhäusern begonnen, sind jedoch mit der Qualität mancher Antworten noch nicht zufrieden, haben jedem Krankenhaus diesbezüglich ein Feedback gegeben und arbeiten derzeit an Verbesserungen.“

Im März 2020 soll der erste Bericht vorliegen. „Auf dieser Grundlage können dann Bund und Länder konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation setzen“, sagte Dr.in Türk. „Dazu werden auch Konsequenzen zählen, zum Beispiel wenn es in Krankenhäusern, die schlecht abgeschnitten haben, zu keinen Verbesserungen kommt.“

Patientenanwältin Dr.in Pilz: Aufklärung, Schulung, Transparenz und Konsequenzen

„Wir brauchen für einen erfolgreichen Kampf gegen nosokomiale Infektionen ein Umdenken und ein konsequentes Vorgehen. Wir müssen raus aus der Haltung, dass hier gutes Zureden schon irgendwie wirken wird, hin zu Aufklärung, Schulung, Transparenz und dem Ziehen von Konsequenzen“, forderte die Wiener Patientenanwältin Dr.in Sigrid Pilz. Es bedürfe der klaren Definition von Abläufen und Regeln, begleitet durch klare Dokumentation. Am Beispiel der Händedesinfektion: Man habe heute für so vieles eine digitale Kontrolle, warum nicht auch in diesem Zusammenhang? Man sollte mit Hilfe von Chips überprüfen, wer sich in einem Krankenhaus die Hände desinfiziert und wer nicht. Wer es nicht tut, müsse mit Disziplinarmaßnahmen rechnen.

„Die Spitäler müssen veröffentlichen, welche Infektionen wie oft wo aufgetreten sind, und diese Informationen müssen für Patienten zugänglich sein“, so Dr.in Pilz. „Und wir müssen sehr deutlich über Konsequenzen sprechen. Den achselzuckenden Hinweis, dass der Patient eben die Keime mitgebracht habe, dürfte es nicht mehr geben. Bei geplanten Operationen könne im Vorfeld ein Nasen- bzw. Rachenabstrich Klarheit bringen, ob ein Patient infiziert ist, und man könne die Infektion bekämpfen.

Ist systematische Hygiene nicht gewährleistet, müsse die Verbandsverantwortung gelten. Es müsse für Patienten einfacher werden, zivilrechtlich zu klagen und eine Entschädigung zu bekommen, so Dr.in Pilz: „Derzeit landen viel zu viele Fälle von nosokomialen Infektionen im Patientenentschädigungsfonds der Patientenanwälte, der jedoch für Komplikationen gedacht ist und nicht für vorwerfbares Fehlverhalten.“

ÄDir.in Ettl: Hygiene im Krankenhaus muss Chefsache sein

„Hygiene im Krankenhaus muss Chefinnen- bzw. Chefsache sein, quantitativ und qualitativ gut ausgestattete Hygieneteams müssen der kollegialen Führung unterstehen“, sagte ÄDir.in Dr.in Brigitte Ettl (KH Hietzing; Präsidentin der Plattform Patientensicherheit). „Da muss man als Führungsperson selbst dahinter sein, diese Verantwortung ist nicht delegierbar. Hier geht es um Führungsverantwortung und um Vorbildwirkung.“ Dass die vorgegebenen Hygienemaßnahmen für alle Mitarbeiter gelten, müsse deutlich kommuniziert werden. Verstößt ein Mitarbeiter dagegen, müsse es zu einem Vieraugengespräch und im Wiederholungsfall zu disziplinären Maßnahmen kommen.

„Als Direktorin muss ich die Situation in jeder Abteilung kennen. Ein Benchmarking-System muss abteilungsweise Vergleiche ermöglichen, und wenn eine Abteilung schlecht abschneidet, müssen wir intervenieren, um das Ergebnis künftig zu verbessern“, sagte ÄDir.in Ettl. Man dürfe auch nicht davor zurückschrecken, im Falle eines Infektionsausbruchs eine Station zu sperren.

Nicht zu unterschätzen seien im Zusammenhang mit der Krankenhaushygiene die Beiträge von Patienten. „Sie müssen dazu empowert werden, bei beobachteten Verstößen gegen die Hygiene, zum Beispiel bei einer Visite, Stopp zu sagen und solche Vorfälle gegebenenfalls zu melden“, meinte ÄDir.in Ettl. „Wir müssen forcieren, dass Patienten sich das trauen, und dafür braucht es Informationen und das deutliche Sichtbarmachen des Themas Hygiene. Diese Aufklärung muss sich auch auf Angehörige von Patienten erstrecken.“

Orthopäde Prof. Windhager: Alle Maßnahmen ergreifen, die eine Infektion verhindern können

Die Versorgung mit Endoprothesen der Hüfte und der Knie hatte in der orthopädischen Chirurgie in den vergangenen Jahrzehnten eine weite Verbreitung. Ursache dafür waren die rasanten technischen Fortschritte, die demographische Entwicklung mit immer mehr älteren und alten Menschen, und die hohen Erfolgsraten. „Bei endoprothetischen Versorgungen sind Infektionen eine der gravierendsten Komplikationen, sie sind in der Regel schwer und langfristig über Wochen und Monate zu behandeln, und können mit Reoperationen verbunden sein. In einzelnen Fällen können Infektionen auch zum Extremitätenverlust oder einem tödlichen Ausgang führen“, berichtete o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager (Leiter der Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, MedUni Wien). „Bei Hüft- und Kniegelenkseingriffen werden Infektionsraten zwischen 0,5 bis 1,5 Prozent berichtet. Eine Infektion stellt für den einzelnen Betroffenen und für das behandelnde Team eine enorme Herausforderung dar, die auch das Gesundheitssystem belastet.“

Prof. Windhager hat gemeinsam mit andere Experten zu diesem Thema das interdisziplinäre Expertisen-Papier „Hüft- und Knie-Endoprothetik: Empfehlungen zur Infektions-Prophylaxe“ erarbeitet. Es ermöglicht eine praxisorientierte Information und Orientierung „auf einen Blick“: „Zu einem effizienten Schutz vor Infektionen tragen ein Bündel von Hygienemaßnahmen bei, auf die wir in unserem Papier eingehen. Sie dienen bei invasiven Eingriffen neben dem Schutz von Patienten auch dem Schutz von Krankenhaus-Mitarbeitern.“ Vor dem individuellen, medizinischen und sozioökonomischen Hintergrund von SSI seien alle Maßnahmen zu ergreifen, die eine Infektion verhindern können, bekräftigte Prof. Windhager.

Infektiologe Prof. Burgmann: Antibiotika-Stewardship und State of the art-Vorgehen in der Prävention

„Ein sehr wesentlicher Punkt in der Prävention von SSI ist ein rationales Antibiotikamanagement, das wir heute als Antibiotika-Stewardship bezeichnen. In der Antibiotika-Prophylaxe bei Operationen wird oft nicht State of the art vorgegangen, Antibiotika werden häufig zu früh, in zu hohen Dosierungen und viel zu lang verabreicht“, sagte Univ.-Prof. Dr. Heinz Burgmann (Leiter der Klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin, MedUni Wien). „Eine aktuelle deutsche Studie zeigt, dass 13 bis 15 Prozent aller eingesetzten Antibiotika im Spital verabreicht werden, wir sprechen also von einer beträchtlichen Mengendimension.“ Allerdings schade jede unnötige Antibiotikagabe dem Patienten, steigere den Antibiotikaverbrauch unnötiger Weise und erhöhe die Gefahr einer Resistenzentstehung.

„In diesem Bereich sollte restriktiver vorgegangen werden“, so Prof. Burgmann. Bei Operationen mit einer Dauer bis zu drei Stunden genüge eine einmalige Antibiotika-Gabe („Single Shot“) 60 bis 120 Minuten – je nach Pharmakokinetik des Antibiotikums – vor dem chirurgischen Einschnitt in die Haut. Es solle gesichert werden, dass von diesem Zeitpunkt bis zum Wundverschluss eine ausreichende Wirkstoff-Konzentration im Gewebe des Operationsortes vorhanden ist. Bei einer Operationsdauer von mehr als drei Stunden sei eine zusätzliche Prophylaxegabe zu verabreichen. Prof. Burgmann: „Eine Antibiotika-Gabe nach Wundverschluss hat jedoch keinen weiteren Einfluss auf die Infektionsrate. Sie bringt keinen zusätzlichen Nutzen und wäre eine Therapie, und erhöht zudem das Risiko von Resistenzentwicklungen und Nebenwirkungen.“

Krankenhäuser sollten in einem interdisziplinären Team festlegen, wie die Antibiotikaprophylaxe generell durchgeführt werden muss und Standards definieren, Ausnahmen müssen begründet werden.

Anästhesist Prof. Klein: Möglichst minimalinvasiver Katheter-Einsatz – neue digitale Sicherheitssysteme

„Der Anästhesist ist der ärztliche Manager im OP, und entsprechend breit ist unser Aufgabenbereich“, führte Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Klaus Ulrich Klein (Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie, MedUni Wien) aus. „Viele Routine-Maßnahmen in unserer täglichen Praxis haben einen Einfluss: zum Beispiel die adäquate und zeitgerechte Anwendung von Antibiotika, die Einhaltung der Händehygiene nach WHO-Standard, das Tragen von Handschuhen insbesondere bei der Intubation und beim Aufziehen von Medikamenten, oder die Desinfektion von Arbeitsplatz und Arbeitsumgebung.“

Ein wesentlicher Punkt sei die Anlage von Gefäßkathetern, da über diese Katheter Keime direkt in die Blutbahn eingebracht werden können. „Hier sollte möglichst steril und minimalinvasiv gearbeitet werden“, erklärte Prof. Klein. „Insbesondere Dreiwegehähne wurden als wesentliche Infektionsquelle (Stopcock-Infektion) identifiziert.“ Diese Medizinprodukte werden in der Infusionstherapie eingesetzt, der Konnektor hat drei Anschlüsse, deshalb der Namen. Studien zeigen, dass bis zu 20 Prozent der Dreiweghähne während des Gebrauchs mikrobiell besiedelt werden. Es wird deshalb vor jeder Manipulation eine Sprüh- oder Wischdesinfektion und der Einsatz neuer Verschlussstopfen empfohlen.

Ein wichtiger Trend sei die Digitalisierung: „Datenvernetzung und Systeme mit Künstlicher Intelligenz bieten heute Hilfe in der Entscheidungsfindung und beim Identifizieren von Fehlern.“ So konnte gezeigt werden, dass ein Abfall der Körperkerntemperatur oder ein Entgleisen des Blutzuckerwertes mit vermehrten Infektionen vergesellschaftet ist. „Mithilfe von digitalen Systemen kann unmittelbar eine Warnung und ein Therapievorschlag erfolgen“, so Prof. Klein: „Hier sind wir auf dem Weg zu echten Sicherheitswerkzeugen im OP-Alltag.“

OP-Schwester Klement: Risikofaktor Zeitmangel – Einweg- und Mehrwegprodukte evaluieren

„Die Tätigkeit einer OP-Pflegekraft ist komplex und verantwortungsvoll, und sie erfordert ausreichend viel Zeit“, sagte Marlene Klement, OP-Schwester im Orthopädiebereich. „Das kann in der Realität sehr oft nicht korrekt gelebt werden.“ Das habe eine Reihe von Ursachen: Die generelle Personalknappheit in der Pflege und die damit verbundene hohe Arbeitsdichte können dazu beitragen, dass Reinigungs- und Hygienemaßnahmen in Anbetracht des Zeitmangels in der Praxis des OP-Alltags zu kurz kommen. Dass Einsparungen beim Personal ein Sicherheitsrisiko sind, belegen mehrere internationale Studien.

„Gespart werden darf auch nicht bei für die Sicherheit wichtigen Produkten, schon gar nicht wenn der damit erforderliche zusätzliche Arbeitsaufwand den Pflegekräften aufgebürdet wird“, so Klement. „Damit senkt man Kosten beim Einkauf, dafür steigen die Folgekosten etwa durch Infektionen.“

Ein oft übersehenes Thema seien die jeweiligen Vor- und Nachteile von Einweg- bzw. Mehrweg-OP-Abdeckungen und -Mänteln. Diese Produkte sind ein wesentliches Element bei der Vorbeugung von SSI, es stehen Einweg- und wiederaufbereitete Mehrweg-Produkte zur Verfügung. Klement: „Hier sollte sehr sorgfältig abgewogen werden, welches Wäschesystem das jeweils am besten geeignete ist. Dabei spielt zum Beispiel eine bedeutsame Rolle, ob die einzelnen Komponenten so abgepackt sind, dass sie individuell schnell und zeitsparend zusammengestellt werden können.“

„In der Praxis beobachten wir, dass bei der Aufbereitung von Mehrwegprodukten, die zum Teil kontaminiert sind, in den dafür vorgesehenen Tonnen auch irrtümlicherweise Spitzmüll gelandet ist, der beim Sortieren eine erhöhte Verletzungs- und Infektionsgefahr für das Personal mit sich bringt“, so Klement. „Beim Entsorgen von Einwegprodukten besteht dieses Risiko nicht.“

Auch sei zu berücksichtigen, dass Einweg-OP-Abdeckungen und -Mäntel bei ihrem Einsatz immer neu sind. Klement: „Damit ist eine stets gleichbleibende Qualität bezüglich Barrierewirkung und Partikelarmut gegeben. Bei Mehrweg-Produkten kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Qualität mit zunehmender Einsatzhäufigkeit abnimmt.“

Autor:in

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)