AT: Psychische Gesundheit in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels

27. März 2019 | News Österreich | 0 Kommentare

Einsamkeit ist so ungesund wie Arbeitsstress oder Rauchen. Insbesondere psychisch Kranke, ältere Menschen und Jugendliche sind zunehmend von Einsamkeit betroffen, warnt der Psychiater und Psychotherapeut Dr. Günter Klug, Präsident von pro mente Austria, bei einem Pressegespräch zur Fachtagung „Psychische Gesundheit in Zeiten gesellschaftlichen Wandels“ (28. 3. im Congress Graz). Den Eröffnungsvortrag hält Prof. DDr. Manfred Spitzer, Buchautor und Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, zum Thema „Gemeinschaft für Geist und Gesundheit. Warum Einsamkeit Körper und Geist schadet“.

Pro mente Austria stellt ihre Jahrestagung 2019 unter den Titel „Psychische Gesundheit in Zeiten des gesellschaflichen Wandels.“ Einem Phänomen gehört dabei besondere Aufmerksamkeit: Dem starken Ansteigen der Einsamkeit. Sie wurde in den letzten Jahren von der Wissenschaft als einer der Hauptfaktoren für die Gefährdung der psychischen und körperlichen Gesundheit erkannt. (Rico-Uribe et al. 2018). Eine Untersuchung in 78 Ländern über mehr als 50 Jahre zeigt, dass die Einsamkeit weltweit zunimmt und immer mehr Menschengruppen betrifft. In den EU-Ländern fühlen sich je nach gemessener Intensität zwischen acht und 55 Prozent der Bevölkerung einsam. (Leigh-Hunt et al. 2017; Henriksen et al. 2017, Rico-Uribe et al. 2018; Stickley et al. 2018; Richard et al. 2017).

Wie Einsamkeit auf die Dauer krankmacht

Dass Einsamkeit die Gesundheit massiv gefährdet, ist durch wissenschaftliche Studien eindeutig belegt. Das Gefühl der Einsamkeit ist an sich eine gesunde Stressreaktion: Es zeigt, dass es uns an den notwendigen sozialen Kontakten mangelt. Bei längerer Einsamkeit wird die Stressreaktion allerdings chronisch und der Körper reagiert mit der Ausschüttung eines Kortison-ähnlichen Stoffes. Dadurch werden die körpereigenen Abwehrkräfte geschwächt, die Anfälligkeit für Infektionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt. Auch Erkrankungen wie Alzheimer können früher auftreten. Soziale Desintegration stellt ein größeres Risiko für vorzeitigen Tod dar als Übergewicht. Sie entspricht etwa der Gesundheitsgefährdung durch Rauchen, Arbeitsstress und Angst.

Bereits der Glaube daran, in Zukunft sozial isoliert zu sein, reicht aus, um Menschen gesundheitlich zu beeinträchtigen. Sie werden übersensibel für soziale Bedrohungen und fokussieren Aufmerksamkeit und Denken verstärkt negativ auf die sozialen Kontakte. Das Verhalten und die Interaktion verändert sich. Traurigkeit kommt auf, das Wohlbefinden sinkt. Zusätzlich neigen Einsame vermehrt zu ungesundem Verhalten wie vermehrtem Nikotin-, Alkohol- oder Drogenkosum, ungesundem und übermäßigem Essen und zu wenig körperlicher Aktivität.

Noch weiter verschärft wird die Situation dadurch, dass das soziale Umfeld den Rückzug der von Einsamkeit Betroffenen bemerkt und als Abweisung interpretiert. Freunde und Bekannte suchen in der Folge von sich aus weniger Kontakt.  Fazit: Wer sozial isoliert ist, hat ein 2- bis 3mal so hohes Risiko in einem bestimmten Zeitraum zu sterben. Lang dauernde Einsamkeit ist ein Killer. (Spitzer 2018)

Psychisch Kranke, alte Menschen und Jugendliche besonders betroffen

Psychisch erkrankte Menschen sind besonders von Einsamkeit betroffen, da sie meist ohnehin schon kleinere soziale Netzwerke haben. Für psychische Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie, Sucht, Suizidideen oder einige Formen der Persönlichkeitsstörung ist Einsamkeit ein Leitsymptom.

Naheliegend ist es, Einsamkeit als ein Problem älterer Menschen anzusehen, da sie nicht mehr so mobil sein können, durch verschiedene Beschwerden in ihren sozialen Kontakten eingeschränkt werden und mit zunehmendem Alter mehr und mehr den Verlust von Partnerin oder Partner, Familienmitgliedern und Freunden hinnehmen müssen.

Untersuchungen zeigten jedoch auch, dass Kinder und Jugendliche sich an doppelt so vielen Tagen einsam und isoliert fühlen wie Erwachsene. (Spitzer 2018)

Urbanisierung und Mediatisierung machen einsam

Die wichtigsten Gründe für das Zunehmen der Einsamkeit liegen in der fortschreitenden Urbanisierung und Mediatisierung der Gesellschaft. Das Leben in Großstädten ist mit Anonymität und Vereinzelung verbunden. Verstärkt werden diese Effekte durch den Trend zur späteren Eheschließung, späterer Geburt der Kinder, der Berufstätigkeit beider Elternteile, geringer Geburtenrate und der daraus entstehenden höheren Zahl der Einzelhaushalte.

Dass immer mehr Zeit mit dem Gebrauch digitaler neuer Medien verbracht wird, ist der zweite große Faktor, der Unzufriedenheit, Depression und Einsamkeit verstärkt und sich von der Jugend her auf alle Altersgruppen ausbreitet. Es entsteht eine Art Teufelskreis dadurch, dass einsame Menschen immer häufiger soziale Medien nutzen und dadurch noch weniger Zeit für reale Kontakte haben.

Der Einfluss sozialer Medien

Die Einsamkeit der jungen Menschen geht zu einem großen Teil auf das Konto der sozialen Medien. Acht- bis Zwölfjährige haben heute täglich zwei Stunden reale Sozialkontakte und sind rund sieben Stunden vor einem Bildschirmmedium. Dadurch wird das Erlernen von Mitgefühl beeinträchtigt, es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Empathie, aber auch zwischen Medienkonsum und Depression.

Es kommt zu einem Auseinanderklaffen zwischen der Zahl der tatsächlichen Freunde und realen sozialen Kontakte und dem, was digital dargestellt wird. Jugendliche sehen in den sozialen Medien die idealisierten Darstellungen der anderen und ziehen sich sozial zurück, weil sie sich im Vergleich weniger attraktiv und beliebt empfinden.

Ab der Generation Y (geboren 1985-2000) ist die Omnipräsenz der digitalen Technik so stark, dass sie Aufmerksamkeit, Kommunikation, Werte, Haltungen und das normale Handeln im Alltag verändert hat. Die Generation M (geboren ab 2000) wird als „look at me“ Generation bezeichnet. Sie ist stärker zuversichtlich, selbstbewusst und in sich verliebt. Aufgrund von geringer Bildung, ausgeprägter Oberflächlichkeit und geringer emotionaler Reife gibt es dafür leider keinen Grund. Das sind nicht persönliche Wahrnehmungen, sondern durch mehrere Studien belegte Fakten.

Soziale Medien verursachen nicht nur Einsamkeit, Angst und Depression. Einsame Menschen nutzen sie auch stärker, haben dadurch weniger Zeit für reale Kontakte, beneiden die anderen um ihre vielen „Freunde“ im Netz und um ihr Leben, zumindest um das, was im Netz behauptet wird. Es entsteht ein starker Drang sich damit zu vergleichen – ein Vergleich der nicht zu gewinnen ist. (Primack et al. 2017)

Das bedeutet eine Orientierung nach oben, die unsicher und krank macht (Wang 2017; Yang 2018). Zusätzlich ist das alles begleitet von ungesundem Gesundheitsverhalten wie: Vermehrt Rauchen, Alkohol, Drogen, mehr und ungesunderes Essen, wenig körperliche Aktivität, höheres Risikoverhalten wie ungeschützte Sexualkontakte, etc. (Stickley et al. 2018; Leigh-Hunt et al. 2017; Henriksen et al. 2017; Rico-Uribe 2018; Richard et al. 2017; Yang 2018; Spitzer 2018).

Einsamkeit mehr beachten

In Großbritannien gibt es seit 2017 ein eigenes Ministerium für Einsamkeit, das millionenschwere Programme durchführt – dann man hat festgestellt, dass der Kampf gegen Einsamkeit billiger kommt als die Behandlung von Gesundheitsproblemen infolge fehlender Sozialkontakte. In Österreich werden die gesundheitlichen Auswirkungen der Einsamkeit allerdings noch zu wenig wahrgenommen.  Wir hoffen, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit durch unsere Fachtagung erhält. Einsamkeit ist ein Problem, das sich weiterhin verstärkt negativ auf unser Gesundheitssystem sowie die gesamte Gesellschaft auswirken wird.

Jeder Mensch sollte auf mögliche Einsamkeit achten, so wie man Hunger oder Durst beachtet. Wenn sich jemand einsam fühlt, sollte er direkten Kontakt zu anderen Menschen suchen, das ist das Wesentliche. Direkte Kontakte sind über soziale Medien nicht möglich.

Quellen:

  • Jo Cox Comission. jocoxloneliness.org
  • Rico-Uribe LA, Cabarello FF, Martin-Maria N, Cabello M, Ayuso-Mateos JL, Miret M. (2018) Association of loneliness with all-cause mortality: A meta-analysis. PLOS One, 13 (1): e0190033. https;//doi.org/10.1371/journal pone.0190033
  • Leigh-Hunt N, Bagguley D, Bash K, Turner V, Turnbull S, Valtorta N, Caan W. (2017) An overview of systematic reviews on the public health consequences of social isolation and loneliness. Public Health, 153, 157-171DOI: https://doi.org/10.1016/j.puhe.2017.07.035
  • Henriksen J, Larsen ER, Mattisson C, Andersson NW. 2017. Lonelines, health and mortality. Epidemiology and Psychiatric Sciences, p 1-6. Doi:10.1017/S2045796017000580
  • Stickley A, Koyanagi A. (2018). Physical multimorbidity and loneliness: A population-based study. PLOS One, 13 (1): e0191651.https://doi.org/10.1371/journal.pone.0191651
  • Richard A, Rohrmann S., Vandeleur CL, Schmid M, Barth J, Eichholzer M. (2017). Loneliness is adversely associated with physical and mental health and lifestyle factors: Results from a Swiss national survey. PLoS One 12 (7): e0181442. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0181442
  • Manfred Spitzer. Einsamkeit die unerkannte Krankheit. Droemer Verlag München, 2018
  • Santos 1HC, Varnum MEW, Grossmann I. (2017) Global increases of individualism. Psychological Science. 28(9): 1228 –1239
  • Primack BA, Shensa A, Sidani JE, Whaite EO, Lin LY, Rosen D, Colditz JB, Radovic A, Miller E. Social Media Use and Perceived Social Isolation Among Young Adults in the U.S. Am J Prev Med. 2017 Jul;53(1):1-8. doi: 10.1016/j.amepre.2017.01.010. Epub 2017 Mar 6.
  • Wang J, Lloyd-Evans B, Giacco D, Forsyth R, Nebo C, Mann F, Johnson S. Social isolation in mental health: a conceptuak and mrthodologican review. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol (2017) 52: 1451-1461 DOI 10.1007/s00127-017-1446-1
  • Yang K. Causal conditions for loneliness: a set theoretic analysis on an adult sample UK. Qual Quant. 2018 52 (2) 685-701 doi: 10.1007/s11135-017-0482-y
  • Child ST, Lawton L. (2017) Loneliness and social isolation among young and late middle-age adults: Associations with personal networks and social participation. Aging and Mental Health, DOI 10.1080/13607863.2017.1399345

Autor

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)