AT: Projekt „Acute Community Nurse“: Fachgesellschaft fordert breiten Diskurs statt fragmentarischer Einzelprojekte

2. Juni 2020 | News Österreich | 0 Kommentare

Wien, 2. Juni 2020 – Aus Sicht der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) brauche es in der Organisation der extramuralen (notfall)-medizinischen Versorgung von Patientinnen und Patienten mehr als ein „Flickwerk“ einzelner öffentlichkeitswirksamer Projekte, betonte in Reaktion auf die Präsentation des Projekts „Acute Community Nurse“ (ACN) durch Notruf 144 Niederösterreich Prim. PD Dr. Helmut Trimmel MSc, Vorsitzender der Sektion Notfallmedizin in der ÖGARI. „Was wir benötigen ist eine gesamtheitliche Sicht und einen breiten Diskurs notwendiger Veränderungen in diesem Bereich, um die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten adäquat abdecken zu können“, so der Leiter der Abteilung für Anästhesie, Notfall- und Allgemeine Intensivmedizin am LK Wiener Neustadt.

Die Präsentation des Projekts „Acute Community Nurse“ (ACN) durch die Leitstellenorganisation „Notruf 144 Niederösterreich“ hat unterschiedliche und zum Teil auch sehr kritische Reaktionen seitens der Ärztekammer hervorgerufen. Im Rahmen des Projektes sollen im Bezirk Bruck/Leitha diplomierte Pflegepersonen, die auch eine Notfallsanitäter-Ausbildung haben, in der Akutversorgung im Rahmen des Rettungsdienstes und in der extramuralen Versorgung zum Beispiel chronisch kranker Menschen eingesetzt werden.

Aus Sicht der ÖGARI, der anerkannten notfallmedizinischen Fachgesellschaft Österreichs, müsse dieser Ansatz differenziert betrachtet werden, so ÖGARI-Präsident Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller, Leiter der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie, MedUni Wien/AKH Wien. „Es sind in vielen Fällen nichtärztliche Gesundheitsberufe in die ambulante Betreuung von Patientinnen und Patienten eingebunden, und dies aus gutem Grund“, so Prof. Markstaller. Im Zusammenhang mit begrenzten Ressourcen werde allerdings immer wieder auch die Delegation von Tätigkeiten, die laut Ärztegesetz Ärztinnen und Ärzten vorbehalten sind, an nichtärztliche Gesundheitsberufe diskutiert. „Die ÖGARI bekennt sich dazu, zweckmäßige Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen im System zu nutzen, zum Beispiel durch eine Verbesserung von Organisationen oder Strukturen im Behandlungsalltag, um Ressourcen frei zu machen und an anderer Stelle zweckmäßiger einzusetzen“, so der ÖGARI-Präsident. „Hier können zur Delegation aber nur medizinisch sinnvolle Maßnahmen mit Patientennutzen in Betracht kommen, und nicht ärztliche Kernaufgaben wie etwa der Einsatz von Medikamenten, die viel Erfahrung und Wissen erfordern.“

Umfassende Reform braucht breite Diskussion

Wenn im Rahmen des aktuellen Projekts in Niederösterreich das Rote Kreuz Pflegepersonen mit Notfallsanitäter-Ausbildung im Rahmen der qualifizierten Hauskrankenpflege einsetze, und Notruf 144 zudem gemäß einem adäquaten „Indikationskatalog“ zu entsprechenden Leistungen der Akutversorgungen wie zum Beispiel Katheterwechsel, Kanülenpflege oder einfachen Gesundheitsstörungen entsendet, so spricht auch aus notfallmedizinischer Sicht wenig gegen ein solches Konzept, sagt Prim. Trimmel. „Fakt ist, dass es tatsächlich in vielen Regionen einen Mangel an hausärztlicher Verfügbarkeit gibt. Tatsache ist auch, dass aktuell der notärztliche Dienst, sei es mittels Notarzteinsatzfahrzeugen oder auch Hubschraubern, nicht selten zu Versorgungsleistungen ausrücken muss, die mit einem Notfall oder gar Lebensbedrohung wenig bis gar nichts zu tun haben – offenbar auch, weil adäquate extramurale Versorgungseinrichtungen fehlen.“

Laut ÖGARI können Einzelprojekte aber kein Ersatz sein für eine grundlegende Reform der notfallmedizinischen und extramuralen Versorgungslandschaft, die auf breiter Basis, unter Einbeziehung aller relevanten Akteurinnen und Akteure, diskutiert werden muss. Dabei sind insbesondere folgende Punkte wesentlich:

  • Neudefinition der politisch gewünschten und auch finanzierbaren Strukturen der extramuralen Akut- und Notfallversorgung, unter Einbeziehung der Rettungsorganisationen, insbesondere deren Ärztlicher Leiter im Rettungs- bzw. Notarztdienst, der Notfallreferate der Ärztekammern, der Leitstellen sowie der Organisationen, die in den Bundesländern für Hauskrankenpflege und Palliativversorgung verantwortlich sind.
  • Umfassende Ausbildungsreform für das Sanitätspersonal mit erweiterten klinischen Praktika und daran anschließend auch eine allenfalls erforderliche Erweiterung der Kompetenzen nichtärztlicher Gesundheitsberufe – jedoch nicht umgekehrt!
  • Entwicklung klar strukturierter, integrierter ärztlicher Versorgungsmodelle für den ambulanten Bereich, welche den allgemeinmedizinischen und fachärztlichen Bereich umfassen: hier sind bereits bestehende PHC, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, aber auch Kliniken in den Dialog einzubeziehen.

Autor:in

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)