AT: Mythen über Schizophrenie

21. Mai 2020 | Diabetes, News Österreich | 0 Kommentare

Rund 1%der Weltbevölkerung erkrankt im Laufe ihres Lebens an Schizophrenie. Die Erkrankung tritt zumeist erstmals im jungen Erwachsenenalter auf. Für die Betroffenen verschwimmen Realität und Fiktion, das eigene Ich wird als fremd erlebt, die Wahrnehmung ist verzerrt und das Denken verändert sich. Alltägliches wird oft als Verschwörung und Bedrohung empfunden. Wahnideen, Verfolgungsängste, Halluzinationen und Angst zählen zu den typischen Symptomen. Dennoch: Jede Schizophrenie-Erkrankung verläuft anders; das Spektrum reicht von einer einmaligen psychotischen Episode bis hin zu schweren, chronischen Erkrankungen. Aber allen Schizophrenie-Betroffenen ist eines gemeinsam: Neben der Erkrankung selbst leiden sie – und zumeist auch ihre Angehörigen – unter Unwissenheit und falschen Vorstellungen über die Erkrankung. „Der Welt-Schizophrenie-Tag am 24. Mai ist ein guter Anlass, um die häufigsten Mythen über diese Erkrankung aufzuklären“, so Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata, Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie an der MedUni Wien.


Mythos 1: Bei Schizophrenie handelt es sich um eine Spaltung der Persönlichkeit.
Falsch! Fakt ist: Dieser Mythos von einer gespaltenen Persönlichkeit à la Dr. Jekyll und Mr. Hyde ist rein schriftstellerischer Phantasie und Hollywoodfilmen geschuldet, so der Wiener Sozialpsychiater Prof. Wancata: „An Schizophrenie Erkrankte leiden nicht an einer Aufspaltung in mehrere Persönlichkeiten, wie dies bei der äußerst seltenen multiplen Persönlichkeitsstörung der Fall ist. Aber sie können an einer Vielzahl von Symptomen leiden, die sie für ihr Umfeld plötzlich ganz fremd und unberechenbar erscheinen lassen.“

Übrigens geht es auch den Betroffenen ganz ähnlich: Früher Vertrautes kann durch die Erkrankung plötzlich unverständlich und als Bedrohung erlebt werden, sogar das eigene Ich.

Mythos 2: Einmal Psychose – immer schizophren.
Falsch! Fakt ist: Das einmalige Erleben einer Psychose mit Halluzinationen, Angstzuständen sowie Denk- und Wahrnehmungsstörungen bedeutet nicht, dass man sein Leben lang an Schizophrenie leidet. Wancata: „Bei 20 bis 30% der Menschen vergeht diese Phase und es bleibt bei einem singulären Ereignis. Bei 30 bis 40% kommt es im Lauf des Lebens immer wieder zu Rezidiven, also Rückfällen, in eine psychotische Phase. Und bei 20 bis 30% nimmt die Erkrankung einen chronischen Verlauf.“

Der Schweregrad der Symptome bei der Erst-Psychose lässt übrigens keine prognostischen Aussagen zu, sagt also nichts darüber aus, wie die Krankheit weiter verlaufen wird.

Mythos 3: Gegen Schizophrenie kann man nichts machen.
Falsch! Fakt ist: Schizophrenie ist heute sogar sehr gut behandelbar, wenn auch bei chronischen Verläufen noch nicht heilbar. Wancata: „An einer konsequenten, kontinuierlichen medikamentösen Behandlung führt kein Weg vorbei. Moderne Antipsychotika sind weitaus nebenwirkungsärmer als die Psychopharmaka der ersten Generation. Man kann sie auch in Form von Depot-Präparaten verabreichen, wodurch die tägliche Einnahme entfällt und eine kontinuierliche Wirkstoffabgabe über einen Zeitraum von Wochen garantiert ist.“

Die medikamentöse Behandlung muss aber mit einer individuell abgestimmten Kombination von Psychotherapie, Soziotherapie und anderen therapeutischen Verfahren wie Ergotherapie etc. kombiniert werden.

Mythos 4: Schizophrenie wird durch Erziehungsfehler verursacht.
Falsch! Fakt ist: Weder Eltern noch andere Familienmitglieder sind am Entstehen der Krankheit schuld. Wancata: „Es ist ein grober Irrtum, der Erziehung die Schuld zu geben. Das ist völliger Unsinn.“

Wichtig aber ist, dass Eltern und Angehörigen lernen, mit der Erkrankung umzugehen. Wancata vergleicht Schizophrenie mit einer körperlichen Erkrankung: „Wird bei einem Kind oder Jugendlichen zum Beispiel Diabetes festgestellt, muss in der Familie dann so gekocht werden, dass sowohl der Diabetiker als auch die anderen Familienmitglieder gut versorgt sind. Erkrankt ein Familienmitglied an Schizophrenie, müssen die anderen z.B. den für einen an Schizophrenie Erkrankten passenden Kommunikationsstil erlernen.“

Mythos 5: Schizophrenie-Patienten sind gefährlich und begehen Gewalttaten.
Falsch! Fakt ist: Der allergrößte Teil der Menschen mit Schizophrenie ist weder gefährlich noch gewalttätig. Nur ein sehr kleiner Anteil der Betroffenen neigt zu Gewalt. Dabei handelt es sich häufig um Menschen, die zusätzlich an anderen Erkrankungen wie Alkohol- oder Drogenabhängigkeit leiden. Weitaus öfter, als dass sie Täter sind, werden Menschen mit Schizophrenie aber selbst Opfer von Gewalttaten. Wancata: „Schizophrenie-Kranke werden leider immer wieder durch Ungeschicklichkeiten im Verhalten oder in ihrer Kommunikation Ziel von gewalttätigen Angriffen.“

Eine ausreichende, kontinuierliche medikamentöse Therapie, die psychotische Symptome wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Zerfahrenheit der Gedanken hemmt, kombiniert mit Psychotherapie und Soziotherapie, ist also auch hinsichtlich möglicher Gewaltausübung als auch Gewalterfahrung präventiv wirksam.

Übrigens: Auf die Gesamtbevölkerung bezogen wird der weitaus größte Teil an Gewalttaten von Menschen begangen, die an keiner psychischen Erkrankung leiden.

Mythos 6: Schizophrenie-Betroffene sind weniger intelligent.
Falsch! Fakt ist: Menschen mit Schizophrenie sind genauso intelligent wie der Rest der Bevölkerung – manche mehr, manche weniger. Schizophrenie führt zu keiner Minderung der Intelligenz.
Ist es zu einer Chronifizierung der Erkrankung gekommen und erleiden die Betroffenen immer wieder psychotische Episoden, kann dies die kognitiven Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit oder Konzentration beeinträchtigen. Daher ist eine kontinuierliche Behandlung, die vor Rezidiven schützt, wichtig.

Mythos 7: Schizophrenie-Betroffene sind faul und wollen nicht arbeiten.
Falsch! Fakt ist: Wenn jemand schwer krank ist, ist es gleichgültig, ob es sich um eine körperliche oder psychische Erkrankung handelt. Es geht nicht um Faulheit oder Nichtwollen. Phasenweise erschwert oder verunmöglicht die Krankheit, dass der Betroffene seinen Alltag alleine meistert.

Wancata: „Wenn jemand körperlich akut schwer erkrankt ist, kann er eine Zeit lang nicht zur Arbeit gehen und wird sich zu Hause nicht selbst versorgen können. Oder ein Jugendlicher, der an einer chronischen körperlichen Erkrankung leidet, wird, je nach Schwergrad und Ausprägung der Erkrankung, sicher länger für den Abschluss seiner Ausbildung brauchen. So verhält es auch mit der Schizophrenie. Ein an Schizophrenie-Erkrankter kann nicht wie ein Gesunder agieren.“

Wird möglichst bald nach Erstmanifestation der Erkrankung mit einer geeigneten medikamentösen Behandlung begonnen und diese dann auch konsequent fortgesetzt, ist die Chance größer, dass an Schizophrenie-Erkrankte Alltagsaktivitäten verrichten, sich selbst versorgen und Freizeitaktivitäten nachgehen sowie, je nach Schwergrad und Ausprägung der Erkrankung, auch eine Ausbildung absolvieren bzw. einer Beschäftigung nachgehen können.

Mythos 8: Schizophrenie-Kranke gehören dauerhaft in eine psychiatrische Klinik.
Falsch! Fakt ist: Menschen mit Schizophrenie können heute mehr als 99% ihrer Lebenszeit im privaten Umfeld verbringen. Nur beim Auftreten einer schweren akuten Psychose müssen sie im Krankenhaus auf einer psychiatrischen Station aufgenommen werden, denn nur hier kann man ihnen in diesem Ausnahmezustand adäquat helfen. Wancata: „Eine kontinuierliche Langzeittherapie mit modernen Antipsychotika hilft, solche Krankenhausaufenthalte weitgehend zu vermeiden, da sie geeignet ist, Rückfälle in Psychosen zu reduzieren.“

Mythos 9: Psychopharmaka machen abhängig.
Falsch! Fakt ist: Psychopharmaka machen nicht abhängig; sie ermöglichen den Patienten, ihr Leben weitgehend im privaten Umfeld verbringen zu können und Spitalsaufenthalte auf ein Minimum zu reduzieren. Wancata: „In der Therapie der Schizophrenie führt kein Weg an ihnen vorbei. Die Psychotherapie kann keine Medikamente ersetzen und umgekehrt. Zu einer erfolgreichen Therapie braucht es beides – und zwar in Form einer regelmäßigen fachärztlichen Behandlung.“ Mit den modernen antipsychotischen Medikamenten, die auch bedeutend nebenwirkungsärmer als die älteren sind, kann die Krankheit heute weitaus besser beherrscht werden. Sie helfen, Rückfälle zu vermeiden – wenn sie kontinuierlich genommen werden. Sehr hilfreich sind hier Depot-Präparate, die nicht täglich eingenommen werden müssen, sondern im Abstand von mehreren Wochen gespritzt werden. Sie unterstützen eine kontinuierliche Langzeittherapie und können den Patienten Rückfälle in psychotische Zustände mit den damit verbundenen Krankenhausaufenthalten ersparen.

„Wichtig ist aber auch“, betont Wancata abschließend, „dass wir auch ausreichend Behandlungsangebote für diese Menschen haben in Tagesstätten, in sozialpsychiatrischen Ambulanzen, in Reha-Einrichtungen.“

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet. Alle Bezeichnungen gelten sowohl für Frauen als auch für Männer.

Autor:in

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)