AT: MKÖ-Jahrestagung: Das Becken – Generationen und Sensationen

7. November 2018 | News Österreich | 0 Kommentare

Linz / Wien, 7. November 2018 – Mitte Oktober tagten Vertreterinnen und Vertreter von Ärzteschaft, Pflege und Physiotherapie bei sonnig-herbstlichem Wetter in den Räumen des LFI in Linz. Unter dem Titel „Das Becken – Generationen und Sensationen“ wurden in diesem Jahr vor allem die Kontinenz bei Kindern und Jugendlichen, die Sexualität im Lebenszyklus sowie aktuelle Themen aus der Praxis mit deren wissenschaftlichen Hintergrund behandelt. Anlässlich des diesjährigen Kongresses gab es auch eine Neuerung an der Spitze der MKÖ: Das bisherige Präsidium (Prof. Lothar Fuith und Prof. Max Wunderlich) hat ihre Aufgaben in die bewährten Hände der nächsten Generation gelegt. Die Chirurgin OÄ Dr. Michaela Lechner übernahm den Vorsitz der Gesellschaft. Neuer Vizepräsident ist der Urologe OA Dr. Michael Rutkowski.

Die Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) ist traditioneller Fixpunkt im Fortbildungskalender all jener Fachgruppen, die sich mit Inkontinenz und Blasenentleerungsstörungen beschäftigen. So folgten auch heuer wieder rund 360 dieser Fachleute der Einladung der beiden Kongresspräsidenten, Univ.-Prof. Dr. Karl Tamussino von der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Graz, und die Physiotherapeutin Barbara Gödl-Purrer, MSc, CIFK, Senior Lecturer an der FH JOANNEUM, Graz. „Diese Tagung hat sich als interprofessionelle Veranstaltung etabliert. Wir freuen uns, dass es uns auch dieses Mal gelungen ist, den Dialog und die Diskussion unter den verschiedenen Berufsgruppen mit unterschiedlichstem Erfahrungshintergrund zu fördern. Damit leistet die MKÖ einen wesentlichen Beitrag, die Qualität des medizinischen Angebots in Prävention, Diagnostik und Therapie stetig zu verbessern.“

Zum Auftakt der Tagung konnten die Teilnehmer ihr Fachwissen zu den Themen „Transanale Irrigation“, „Funktionelle Sonographie beim männlichen Beckenboden“ sowie „Sexualität im Alter“ austauschen und vertiefen.

Kindliche Kontinenz im Fokus

Der erste Vormittag stand im Zeichen der Kinder. Es wurde die normale Entwicklung der kindlichen Kontinenz erklärt und in diesem Zusammenhang über den Einfluss der Erziehung auf den Zeitpunkt der Trockenheit diskutiert, denn „Kontinenz ist ein Meilenstein der Entwicklung“. Weitere Themen waren die Formen der funktionellen Harninkontinenz sowie urogenitale Fehlbildungen wie die offene Blase, insuffiziente Blasenekstrophie, Spina bifida und persistierender Sinus urogenitalis – allesamt Krankheitsbilder, die Inkontinenz als Folge haben. Den Abschluss des ersten Themenblocks machten die kindliche Obstipation, die eine der häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindesalter darstellt, und die Aufgaben und Ziele der Urotherapie im interdisziplinären Team.

Sexualität im Lebenszyklus

Wie schon im letzten Jahr wurde dem Thema Sexualität viel Raum gegeben. „Wir haben uns mit unterschiedlichen Fragestellungen rund um die Sexual- und Kontinenzfunktion bei Mann und Frau in verschiedenen Lebenssituationen auseinandergesetzt, denn gynäkologische und urologische Erkrankungen können zu Veränderungen der sexuellen Gesundheit führen“, beschreibt Gynäkologe Tamussino. Themen waren zum einen Physiotherapie bei der männlichen Sexualfunktionsstörung und zum anderen die Beeinträchtigung der Sexualität bei gynäkologischen Karzinomen, die im klinischen Kontext als genitale Schmerzsyndrome und Störungen von sexueller Erregung und Orgasmus definiert werden. Weiters wurde die veränderte Sexualität nach Brustkrebs besprochen, denn die Wahrnehmung der eigenen Attraktivität durch eine Krebserkrankung kann eine Frau nachhaltig erschüttern, was neben den Nebenwirkungen von therapeutischen Interventionen tiefe seelische Verletzungen und entsprechende Störungen der Sexualität nach sich ziehen kann.

Auch das kontrovers diskutierte „Viagra bei der Frau“ fand Einzug ins wissenschaftliche Programm. Gleicherweise kontrovers ist die Diskussion um die Transgender-Thematik. Laut ICD10 wird die Genderdysphorie als Unbehagen oder Missempfindung durch Diskrepanz zwischen Genderidentität und Geburtsgeschlecht definiert. Tamussino: „Die Behandlung von Transmännern, also die Veränderung von Frau zu Mann, ist eine Spezialisierung an unserer Klinik. In Zusammenhang mit Entleerungsstörungen ist dies durchaus ein Thema, denn Operationen können – selten aber doch – auch Kontinenzprobleme zur Folge haben.“

Grundlagenforschung im Bereich des Beckens

Am zweiten Kongresstag wurden grundsätzliche wissenschaftliche Aspekte der normalen Entwicklung und Erkenntnisse zur propriozeptiv-sensorischen Funktion des uro-prokto-genitalen Körperbereiches beleuchtet. Thema waren die lokalen und zentralen Steuerungsmechanismen der Miktion und Defäkation. Ferner wurden Ursachen, Diagnose und Therapie der Drangsymptomatik erörtert. „Mir war wichtig, auch die Faszien- und Bindegewebeforschung in das Programm aufzunehmen und für einen erweiterten Zugang zum Thema Kontinenz zu diskutieren“, so Physiotherapeutin Gödl-Purrer. Weiters wurde die Körperwahrnehmung in der Behandlung von schmerzhaften Beckenboden-Dysfunktionen behandelt – wichtig, denn „für die Betroffenen ist es von Bedeutung zu erlernen, die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper zu lenken. Je besser dies gelingt, umso wirkungsvoller ist die Physiotherapie im Bereich des Beckenbodens.“ Aktuelles aus der Literatur aus Sicht der Proktologie, Gynäkologie und Urologie rundeten das Programm ab.

Faszination Mikrobiom

Im Festvortrag referierte Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Umek, Leiter der Urogynäkologischen Ambulanz an der Univ.-Klinik für Frauenheilkunde in Wien, zu aktuellen Forschungsergebnissen eines Themas, das gegenwärtig in aller Munde ist: das menschliche Mikrobiom. Durch das Wissen um die gesunde Mischung an Bakterien im Darm wurden bereits bemerkenswerte Erfolge erzielt. Bei Darmentzündung mit Clostridien zeigen Einläufe mit präpariertem Stuhl bemerkenswerte Wirkung. Auch bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ist die Stuhltransplantation eine vielversprechende neue Therapieoption. Seit Längerem ist auch bekannt, dass durch die Behandlung von Scheideninfektionen bei Schwangeren Frühgeburten vermieden werden können. Dennoch bleiben zahlreiche Fragen offen. So weiß man zum Beispiel, dass auch der Harn gesunder Menschen nicht steril ist, sondern Bakterien enthält. Dennoch ist unklar, welche Arten von Bakterien und in welcher Anzahl sie notwendig sind. So bleibt dieses Kapitel ein „weites Betätigungsfeld für Wissenschaft und Forschung“.

Salons: Diskussion in Kleingruppen

Im Rahmen dieser Gesprächsgruppen konnten sich die Teilnehmer nach kurzer Einführung in das Thema durch die Vortragenden und die Moderatoren mit Diskussion und Argumentation einbringen. Während dieser durchaus lebhaften Sitzungen von einer Stunde konnte man die ganze Zeit anwesend sein oder sich zwischen den Salons bewegen. In diesem Format wurden jeweils die Themen „Sensation Geburt aus physiotherapeutischer, Hebammen- und ärztlicher Sicht“, „Sex Toys – the good, the bad and the ugly“, „Gutes LeBeN. Nachsorgekonzept für Kinder mit Harn- und Stuhlinkontinenz“, „Ernährung nach Darmoperationen – was soll rein, was kommt raus?“, „Faszinierende Faszien – das Becken aus der Sicht der Faszienforschung“, „Harnbelastungsinkontinenz – konservative Therapiealternativen“ behandelt. Diese „Salons“ vermitteln verschiedenste Perspektiven dank der spontanen Beiträge aus dem Auditorium und sind Anregung für fortgesetzte fachliche Gespräche auch über die folgende Pause hinaus.

Zertifiziert…

Patienten mit Problemen des Beckenbodens und der dort gelegenen Organe (Mastdarm, Analkanal, Harnblase und Harnröhre, Scheide, Gebärmutter, Prostata) bedürfen kompetenter Anlaufstellen. Um diese zu fördern und österreichweit einheitliche Qualitätsstandards in der Diagnostik, Therapie und Versorgung zu sichern, bietet die MKÖ als unabhängiges und interdisziplinäres Expertengremium an, derartige Zentren zu zertifizieren. Im Rahmen der Jahrestagung 2018 wurde das MKÖ-Zertifikat dem Kontinenz- und Beckenbodenzentrum am LKH Graz unter der Leitung von Univ.-Doz. Dr. Günter Primus verliehen.

… und ernannt: Neue MKÖ-Präsidenten

Im Zuge des Kongresses gab es einen geplanten Wechsel an der Spitze der Gesellschaft. Dr. Michaela Lechner, Chirurgin mit Spezialisierung auf die Proktologie, ist die neue Präsidentin der MKÖ. „Es ist mir ein großes Anliegen, das Bewusstsein für die Problematik Inkontinenz in allen medizinischen Fachrichtungen zu schärfen. Gerade in der inneren Medizin/Geriatrie und Neurologie sollte dem Thema Kontinenz mehr Beachtung geschenkt werden. Auch die Bereiche Aufklärung in der Bevölkerung und Enttabuisierung sind mir sehr wichtig“, beschreibt die Oberärztin am Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien die Ziele ihrer Präsidentschaft. Ihr zur Seite steht ab nun Dr. Michael Rutkowski, Oberarzt an der Urologischen Abteilung am Landesklinikum Korneuburg mit Beckenbodenzentrum. „Die Stärke der MKÖ ist die interdisziplinäre Zusammensetzung aus unterschiedlichen Berufsgruppen und medizinischen Fächern. Dieses Konzept ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je und ich hoffe darauf, durch meine Tätigkeit diese Zusammenarbeit noch weiter ausbauen zu können“, so Rutkowski.

Das Resümee der beiden Kongresspräsidenten Gödl-Purrer und Tamussino zur Jahrestagung 2018: „Tolles Publikum, tolle Vortragende mit tollen Themen, wir freuen uns auf nächstes Jahr!“

Save the date: Die 29. Jahrestagung der MKÖ findet am 18. und 19. Oktober 2019 wieder im LFI Linz auf der Gugl statt.

MKÖ: Engagement seit 28 Jahren

Blasen- und Darmschwäche sind ein häufiges Problem, welches zumindest 10 Prozent der österreichischen Bevölkerung betrifft. Begonnen hat die systematische Inkontinenzhilfe 1990 in Linz, als sich ein kleiner Kreis von Ärzten, diplomierten Gesundheits- und Krankenschwestern und Physiotherapeuten zusammenschloss. Seit Bestehen ist es das Ziel der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ), Maßnahmen zur Prävention, Diagnostik und Behandlung der Inkontinenz sowie Forschung, Lehre und Praxis zu fördern. Dazu gehört die spezielle Schulung des medizinischen Fachpersonals ebenso wie die gezielte Öffentlichkeitsarbeit zur Information und Beratung von Betroffenen und ihren Angehörigen. Heute ist die MKÖ maßgeblich an der Vernetzung von Fachärzten, Ambulanzen, Allgemeinmedizinern, Physiotherapeuten, Pflegeberufen und der Öffentlichkeit beteiligt. Einen wesentlichen Beitrag dazu liefern auch die seit 1991 jährlich abgehaltenen Jahrestagungen sowie die Kontinenz-Stammtische in Oberösterreich und Wien sowie das Kontinenzmeeting in Kärnten.

Kontinenz ist MKÖ!

www.kontinenzgesellschaft.at

Autor

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)