Bereits zum vierten Mal hat die Herbal Medicinal Products Platform Austria (HMPPA) die Arzneipflanze des Jahres gekürt:
2020 fiel die Wahl auf die Gattung Lavendel (etwas weiter gegriffen als in Deutschland, wo eine eine Art des Lavendels, nämlich der echten Lavendel gewählt wurde).
„Lavendel zählt zu den seit jeher wohl bekanntesten Aroma-, Duft und Zierpflanzen und besitzt eine jahrhundertealte Tradition als Arzneidroge und Duftstoff“, erklärt em. o. Univ.-Prof. Dr. Chlodwig Franz, Vizepräsident der HMPPA, Abt. Funktionelle Pflanzenstoffe, Vetmeduni Wien. Die Gattung Lavandula umfasst etwa 40 Arten und gehört in die Pflanzenfamilie der Lippenblütler (Lamiaceae oder Labiatae). Die wichtigsten und bekannteren Vertreter daraus sind:
- echte Lavendel (Lavandula angustifolia)
- Speiklavendel (Lavandula latifolia)
- Hybridlavendel oder Lavandin (Lavandula x hybrida)
- Schopflavendel (Lavandula stoechas)
Univ.-Prof. Dr. Franz erläuterte eindrucksvoll das jeweilige Erscheinungsbild, die Inhaltsstoffe und die historische Bedeutung der wichtigsten Vertreter des Lavendels.
Schon seit der Antike wird der Lavendel, vorwiegend der Schopflavendel, sowohl medizinisch als auch als Duftstoff genutzt, wobei interessanterweise, der echte Lavendel erst seit Hildegard von Bingen (1098-1179) in Dokumenten aufscheint.
Der echte gegen Angst, der Speik gegen Schnupfen
„Die Wirksamkeit der Inhaltsstoffe von Lavendelöl ist durch zahlreiche Studien belegt“, erläutert Univ.-Prof. Dr.Dr.h.c. Brigitte Kopp, Vizepräsidentin der HMPPA, Department für Pharmakognosie, Universität Wien.
Über 160 Inhaltsstoffe beinhaltet das ätherische Öl, ein sogenanntes Vielstoffgemisch, vom Lavendel. Abhängig jedoch von der Art sind auch die Inhaltsstoffe und somit entsprechend die Wirkung unterschiedlich. Der typische und bekannte Lavendelgeruch wird durch das Linalylacetat geprägt.
Reines ätherisches Öl aus Echtem Lavendel zeigt in-vitro eine breite antimikrobielle Wirkung gegen eine Vielzahl an Keimen. Lavendelöl kann die Blut-Hirn-Schranke passieren und im zentralen Nervensystem funktionelle Veränderungen hervorrufen, die der angstlösenden klinischen Wirkung entsprechen. Dem darin enthaltenen Linalool (Monoterpenol) und Linalylacetat (Ester) wurde die Wirkung nachgewiesen.
Speiköl wirkt expektorierend, sekretolytisch, antibakteriell, krampflösend und entzündungshemmend. Unterstützt wird die expektorierende Wirkung durch antimikrobielle Effekte gegen diverse Bakterien und Pilze. Durch Speiköl kommt es zu einer Besserung der mukoziliären Clearance bei akuten und chronischen Erkrankungen der Atemwege. Das dafür verantwortliche 1,8 Cineol (Oxid) ist in diesem ätherischen Öl mit großem Anteil vertreten.
Es ist also Lavendel nicht gleich Lavendel. Denn sowohl in Aussehen und Duft unterschiedlich, unterscheidet sich die jeweilige Art auch in ihrer Wirkung.
Positive Effekte gegen Angststörungen & Co.
Angststörungen stellen in Westeuropa mit Abstand die am weitesten verbreiteten psychiatrischen Erkrankungen dar. „In der Europäischen Union erkranken innerhalb eines Jahres etwa 14 Prozent daran, gefolgt von Schlaflosigkeit und Depressionen mit jeweils rund sieben Prozent“, so em. o. Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. Dr.med. Siegfried Kasper, Emeritierter Vorstand der UKPP der Medizinischen Universität Wien, Zentrum für Hirnforschung. Unter Berücksichtigung sogenannter subsyndromaler Angststörungen, die einige, aber nicht alle Kriterien einer generalisierten Angststörung (GAS) erfüllen, übersteigt die Prävalenzrate pathologischer Angstsymptome vermutlich 20 Prozent.
Als medikamentöse Therapie von Angststörungen stehen Benzodiapezine, Antidepressiva (v.a. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSRIs), Buspiron, Proranolol, Hydrozine und Pregabalin zur Auswahl. Sie können jedoch – je nach Substanz – mehr oder weniger gravierende Nebenwirkungen verursachen. Dies ist ein Mitgrund dafür, warum Angststörungen nach wie vor häufig nicht adäquat behandelt werden.
„Ein gut verträgliches, anxiolytisch wirksames Arzneimittel könnte hier Vorbehalte zerstreuen und so die Bedingungen für eine bessere Behandlungsakzeptanz und Compliance schaffen“, meint der Prof. Kasper im Hinblick auf die positiven Studiendaten für das orale Lavendelölpräparat Silexan. Dieses erwies sich bei Patienten mit subsyndromalen Angststörungen oder syndromaler GAS gegenüber Placebo überlegen und ebenso wirksam wie das Benzodiazepin Lorazepam in der Anfangsdosis oder der SSRI Paroxetin.
Wirksam und verträglich bei Atemwegsinfekten
„Positive Effekte zeigt ein in Österreich aus Speik-Lavendel hergestelltes Präparat auch bei Atemwegsinfekten, insbesondere bei viral bedingter Sinusitis oder Bronchitis“, berichtet Dr. Daniel Dejaco, Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Medizinische Universität Innsbruck.
Eine 2019 publizierte klinische Studie bei 288 Erwachsenen mit typischen Schnupfensymptomen (Sinusitis) legt nahe, dass Tavipec® im Vergleich zu Placebo zu einer signifikanten besseren Symptomreduktion und einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität führt, sicher in der Anwendung und gut verträglich ist (Dejaco. Tavipec in acute rhinosinusitis: a multi-centre, doubleblind, randomized, placebo-controlled, clinical trial. Rhinology. 2019). „Basierend auf diesen Daten kann Tavipec® als ergänzende Therapie zu Nasenduschen, Grippemitteln und abschwellenden Nasentropfen bei akuter Sinusitis erwogen werden“, resümiert Dr. Dejaco.
HMPPA: Interdisziplinäres Kompetenzzentrum für Arzneipflanzen
Die HMPPA ist ein einzigartiges Netzwerk, das seit seiner Gründung im Jahre 2006 mit höchster Kompetenz daran arbeitet, Naturstoffe und pflanzliche Arzneistoffe zu entwickeln. „Ziel ist es letztendlich, diese Erkenntnisse gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft zum Wohle der Patienten nach modernsten wissenschaftlichen Standards umzusetzen“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Hermann Stuppner, Präsident der HMPPA, Institut für Pharmazie/Pharmakognosie, Universität Innsbruck.
Tätigkeitsfelder der HMPPA sind die Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung sowie deren Umsetzung in der pharmazeutischen Industrie sowie die Aus- und Weiterbildung im Bereich pflanzlicher Arzneimittel. Zudem bestehen Kooperationen mit weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen, Registrierungsbehörden, Organisationen und Partnern aus der Wirtschaft in Österreich und dem europäischen Umfeld.
Kriterien für Auswahl
Die Arzneipflanze des Jahres 2020 wurde erneut unter Berücksichtigung folgender Kriterien gewählt:
- Bezug zu Österreich
- wissenschaftlich aktuell interessant: neue Studien, Forschungsthema eines Instituts, Stimulation von Forschung, Würdigung von vorliegenden Ergebnissen
- Bedeutung in der Medizin und Pharmazie
- wirtschaftliche Bedeutung
- neue Indikationsgebiete
- aktuelles zu Qualität- oder Anbau
- Univ.-Prof. Dr. Hermann Stuppner
- em. o. Univ.-Prof. Dr. Chlodwig Franz
- Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Brigitte Kopp
- em. o. Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. Dr.med. Siegfried Kasper
- Dr. Daniel Dejaco