Ich möchte Ihnen gerne den inhaltlichen Schwerpunkt des 7. Österreichischen Interprofessionellen Palliativkongresses „Palliative Care – Wege in die Zukunft“ vom 28. bis 30. März 2019 in Innsbruck erläutern. Wir stellen heuer Kultur, Ethik und Praxis der Sorge ins Zentrum – Sorge nicht im Sinne von drängender „Angst“ oder „Unruhe“, sondern im Sinne des englischen Wortes „care“, also sich kümmern, jemanden umsorgen, aktives Engagement für das Wohlgehen von Menschen, die Unterstützung brauchen.
Die Sorge ist der Ursprung und das moralische Herzstück der Palliativbetreuung. In der letzten Lebensetappe und angesichts des Todes lautet die einzig wichtige Frage: Was braucht der betroffene Mensch nun am meisten und wie können wir es ihm ermöglichen? Braucht er Ruhe, muss dafür Raum geschaffen und alle Routineprozeduren auf ein Minimum reduziert werden. Braucht er Zuspruch und Trost, muss jemand Zeit für ihn haben. Hat er Übelkeit, braucht es die Linderung der Übelkeit. Braucht er klärende Gespräche in schwierigen Entscheidungssituationen oder in existenziellen Fragen, ist ein kompetentes Gegenüber gefragt.
Der Begriff Sorge ist umfassend und geht in alle Richtungen, er schließt auch die Sorge um die Betreuenden ein: Erst vor kurzem wollte eine schwer kranke Frau wissen, wie es mir denn gehe – nur wenige Stunden vor ihrem Tod. Palliativbetreuung ist zu verstehen als Sorgegemeinschaft von Menschen, die miteinander in Beziehung stehen. Sorge hat also alle Beteiligten im Blick, auch die Angehörigen, die sehr unterschiedliche Anliegen, Fragen und Ängste haben, und nicht zuletzt auch die Betreuenden. Wer schwer kranke, sterbende Menschen begleitet, egal ob aus freiwilligem Engagement oder professionell, baut eine Beziehung auf, wird mit seiner eigenen Endlichkeit konfrontiert, erlebt Ohnmacht oder kommt unter Umständen in Berührung mit Gefühlen, die mit einem selbst oder mit eigenen Verlusterfahrungen zu tun haben. Das kann natürlich sehr nahe gehen und belasten. Da braucht es unterstützende Rahmenbedingungen in Organisationen.
Eine Praxis der Sorge sieht für jede Palliativpatientin und jeden Palliativpatienten anders aus: Betroffenenorientierung, situative Kreativität, Ganzheitsverstehen und Behutsamkeit sind Elemente der Sorge – was zu tun ist, kann sehr unterschiedlich sein. Vieles, was zur Sorge gehört, lässt sich nicht ausreichend betriebswirtschaftlich darstellen. Somit hat die Sorge einen schweren Stand und Legitimationsprobleme angesichts von Sparzwängen, Rationalisierungstendenzen und Stellenplänen, die auf die Minute kalkuliert sind und bestimmte Zeitfenster pro Patienten und Handlung vorsehen. Einmal länger bei einem oder einer Sterbenden verweilen, weil sie oder er es braucht, ist in diesen Konzepten nicht vorgesehen.
Mit dem Kongress wollen wir in Erinnerung rufen, dass die wesentlichen Werte der Sorge zukunftweisend sind. Wir freuen uns deshalb sehr, dass wir den deutschen Arzt, Philosophen und Bioethiker Giovanni Maio als Eröffnungsredner gewinnen konnten. In einem Essay in der Zeitschrift für Palliativmedizin hat er die Meinung vertreten, dass Palliative Care einen wichtigen Impuls gegen die reduktionistischen Tendenzen in der Medizin geben kann.
Unter diesen Tendenzen leiden besonders Pflegeheime und Krankenhäuser, in denen nach wie vor und voraussichtlich auch in Zukunft mehrfach kranke, alte und einsame Menschen ihr Lebensende verbringen. Es ist ein Gebot der Stunde, Palliativbetreuung nicht nur in spezialisierten gut ausgestatteten Einrichtungen anzubieten, sondern sie in die Grundversorgung zu integrieren. Wie das geht, wird beim Kongress ein Schwerpunkt sein.
In den 13 Hauptsitzungen des Kongresses werden wir darüber hinaus konkrete Themen und Felder vertiefen, etwa die Orientierung an den Betroffenen, wie wir Menschen mit chronischen Krankheiten in einer palliativen Situation unterstützen können oder was Angehörige brauchen und wie wir das in Erfahrung bringen können. Außerdem werden wir die Herausforderungen in Pflegeheimen und den Umgang mit dem existenziellen Leiden diskutieren. Dabei werden Theorie und Praxis behandelt. Die Sitzungen sind folgendermaßen aufgebaut: ein Referat bietet einen allgemeinen Überblick, ein weiteres beschreibt ein Praxisprojekt und in einem dritten Referat wird über ein Forschungsergebnis berichtet. Wir haben dazu auch Vertreterinnen und Vertreter aus Deutschland und der Schweiz eingeladen, die unter anderem vorstellen, wie in ihren Ländern Advance Care Planning weiterentwickelt wird.
Einen wichtigen Programmpunkt bildet die Präsentation der „S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin entwickelt wurde. Teil 1 wurde im Frühjahr 2015 veröffentlicht, Teil 2 wird ganz aktuell auf unserem Kongress präsentiert. Empfehlungen der Leitlinie, die wir diskutieren werden, betreffen etwa Malignom-assoziierte Wunden, Umgang mit dem Todeswunsch, die Symptome Angst, Depression und Fatigue sowie gastrointestinale Symptome.
Außerdem stehen noch vier Industriesymposien auf dem Programm, bei denen wichtige Hilfsmittel wie der PleurX-Katheter oder das Dokumentationssystem PalliDoc sowie neue Medikamente vorgestellt werden.
Im Rahmen unseres Fachkongresses gibt es auch ein Angebot für die interessierte Öffentlichkeit: In einem öffentlichen Vortrag spricht der frühere OPG-Präsident Dr. Harald Retschitzegger über das „Lieben bis zuletzt“. Außerdem findet ein Symposium für ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter statt, und zwar zur Frage, wie sich die Zukunft des Ehrenamtes in der Hospizbetreuung gestalten wird.
Insgesamt ist das Interesse am Kongress groß: Wir freuen uns, dass fast 50 Abstracts eingereicht wurden. Fünf davon haben wir für Vorträge auswählt, die anderen sind als Poster zu sehen. Für den Hauptkongress sind rund 950 Personen angemeldet, für das Symposium für Ehrenamtliche 260 Personen.