Einnässen bei Kindern ist häufig. Ob tagsüber die Hose oder nachts das Bett nass ist – beides bringt eine enorme Belastung für die Kinder und ihre Eltern mit sich. Ab wann man medizinische Hilfe suchen sollte, wo es die gibt und wie sie aussieht, erklären Experten im Rahmen der Welt-Kontinenz-Woche anhand eines virtuellen Vortrages und praktischen Beckenbodenübungen.
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Online-Vortrag am Donnerstag, 18. Juni 2020, 18.00 Uhr
„Kindliche Inkontinenz: Was tun, wenn die Kinder nicht trocken werden“
Medizinischer Vortrag: Dr. Anne Catherine Piskernik
Fachärztin für Urologie mit Ordination in Wien und Konsiliarärztin am Evangelischen Krankenhaus in Wien
Tipps der Physiotherapeutin: Elisabeth Tutschek
Physiotherapeutin mit eigener Praxis in Maria Enzersdorf/NÖ
Link für die Teilnahme an der „YouTube-Premiere“: www.youtube.com/kontinenz
Fragen können während der Vorträge per Chat gestellt oder an info@kontinenzgesellschaft.at geschickt werden.
Das Video bleibt nach der YouTube-Premiere im YouTube-Kanal der MKÖ.
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Die Kontinenz ist ein höchst komplexes Zusammenspiel von mehreren Organen und Mechanismen. Nicht nur die Blase, auch das Rückenmark, das Gehirn und sogar der Darm spielen eine Rolle. Wenn also ein Kind trocken werden soll, sollte eine normale Blasenfunktion, das bedeutet, die Speicher- und Entleerungsfunktion der Blase, gewährleistet sein. Außerdem muss das Kind den Harndrang erkennen können und kognitiv in der Lage sein, die Toilette aufzusuchen und/oder das jemanden mitzuteilen. „Viele Eltern sind verunsichert, wenn ihre Kinder mit zunehmendem Alter nicht trocken werden. Vor dem fünften Lebensjahr muss man sich aber noch keine Sorgen machen“, gibt die Urologin
Dr. Anne-Catherine Piskernik Entwarnung. „Außer das Kind war schon einmal über längere Zeit hindurch trocken und beginnt plötzlich wieder einzunässen.“
Nass ist nicht gleich nass
Wie bei Erwachsenen gibt es auch bei Kindern verschiedene Formen der Inkontinenz. „Es gibt organisch bedingte Formen aufgrund einer Anomalie oder einer neurologischen Erkrankung und nicht organisch bedingte Formen der kindlichen Inkontinenz“, erklärt die Urologin. Bei nicht organisch bedingten Formen gibt es eine ganze Bandbreite an Gründen, warum ein Kind einnässt. Am häufigsten ist das nächtliche Bettnässen (med. Fachausdruck Enuresis). Es gibt aber auch viele Kinder, die aufgrund einer überaktiven Blase tagsüber Harn verlieren. Diese Kinder haben in der Regel eine noch sehr kleine Blasenkapazität, die Blase reagiert schnell und der Drang ist relativ stark. Zum Harnverlust kann es auch kommen, wenn der Blasen- und der Beckenbodenmuskel im Zusammenspiel nicht funktionieren oder wenn das Kind die Miktion aufschieben will. Eine Sonderform der Harninkontinenz bei Kindern ist die sogenannte Lachinkontinenz (Giggle-Inkontinenz), wenn sich die Blase beim Lachen ungewollt vollständig entleert. Die genauen Ursachen sind noch unklar, wobei vermutet wird, dass die Steuerung der Blasenkontrolle und die Koordination des Beckenbodens noch nicht ausgereift sind.
Am häufigsten: nächtliches Einnässen
Enuresis – auch bekannt unter dem Begriff Bettnässen – bedeutet ungewollter Harnverlust an mindestens zwei Nächten im Monat, der laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ab dem fünften Lebensjahr als behandlungsbedürftig gilt. Enuresis ist häufiger als man annimmt, da kaum jemand darüber spricht: Jedes fünfte bis sechste Kind im Vorschulalter ist betroffen. 10 bis 15 Prozent aller Sechs- bis Zehnjährigen und immerhin noch zwei Prozent aller 15-Jährigen wachen nachts regelmäßig in einem nassen Bett auf.
Die Ursachen für das Einnässen sind eine kleine Blasenkapazität, große Nachtharnmengen und eine schwere Weckbarkeit, wodurch die Kinder den Harndrang während des Schlafes nicht spüren. Auch falsche Trinkgewohnheiten, wenn vorwiegend am Abend getrunken wird, können nachts die Blase zum Überlaufen bringen. Früher hat man das Einnässen meist der Psyche zugeschrieben. Piskernik klärt auf: „Hier gab es glücklicherweise einen Paradigmenwechsel. Psychische Faktoren sind selten der Auslöser für das Einnässen, sondern oft eher die Folge von unbehandeltem Bettnässen.“ Sehr häufig haben genetische Faktoren Einfluss auf ein nasses Bett. „Wenn bereits die Eltern ein Problem mit dem Trockenwerden hatten, so ist die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, dass auch die Kinder nachts einnässen“, so Piskernik. Auch der Darm spielt eine Rolle – nämlich dann, wenn eine Verstopfung vorliegt.
Bei der Enuresis wird zwischen der primären (das Kind war noch nie trocken) und der sekundären (das Einnässen beginnt nach einer mehr als sechsmonatigen trockenen Phase erneut) Form unterschieden. Weiters kann die Enuresis monosymptomatisch auftreten. Das bedeutet, dass Einnässen in der Nacht ist das einzige Symptom. Bei der non-monosymptomatischen Enuresis kann es auch zu anderen Symptomen, wie zum Einnässen während des Tages, kommen. „Da es verschiedene Formen gibt, braucht es auch unterschiedliche Ansätze in der Therapie“, so die Urologin.
Behandlung je nach Ursache
Um der Ursache des Einnässens auf den Grund zu gehen, wird der Kinderarzt oder der Urologe mit einer ausführlichen Befragung von Eltern und Kindern über Häufigkeit, Menge und Zeitpunkt des Einnässens bis hin zur Familiengeschichte beginnen. Danach erfolgt eine körperliche Untersuchung inklusive Ultraschall von Niere und Harnblase sowie eine Harnanalyse, um vor allem Harnwegsinfekte als Ursache auszuschließen. Das wichtigste Diagnosemittel ist das sogenannte Miktionsprotokoll. Dieses Blasentagebuch wird über mindestens 48 Stunden geführt. Es enthält Menge, Zeitpunkt und Art der Flüssigkeit, die zugeführt wird, sowie wann und wie viel Harn ausgeschieden wird. Auch der Stuhlgang muss besprochen werden.
Entsprechend der natürlichen Entwicklung – zuerst die Darmkontrolle, dann Trockenwerden tagsüber und zum Schluss ist der Weg in die nächtliche Kontinenz gegeben – wird meist auch in der Behandlung vorgegangen. Piskernik: „In der Therapie wird zuerst die Darmfunktion sichergestellt und beispielsweise eine Verstopfung oder Stuhlschmieren behandelt. Danach konzentriert man sich auf die Inkontinenz.“
Die Therapie läuft nach einem Stufenschema ab. Meist ist eine Kombinationstherapie aus Veränderung des Trinkregimes und der Lebensgewohnheiten, einer Verhaltenstherapie sowie Medikamenten notwendig, um das Bettnässen langfristig einzustellen. „Ganz wichtig ist mir, dass die Tagestrinkmenge nicht eingeschränkt wird. Es sollte aber darauf geachtet werden, die Trinkmenge über den Tag so zu verteilen, dass die abendliche Flüssigkeitszufuhr geringer ist“, appelliert die Kinderurologin.
Physiotherapie hilft Kindern
Auf Grundlage physiotherapeutischer Anamnese mit Befund kann man mit Physiotherapie bei kindlicher Blasenschwäche Erfolge erzielen. „Beispielsweise durch spielerische Förderung der Körperwahrnehmung, durch zielgerichtetes Üben und unter Einsatz spezifischer Behandlungstechniken“, so die langjährig erfahrene Physiotherapeutin Elisabeth Tutschek. Wenn das Kind auch tagsüber – aufgrund von Überlastung beim Husten, Niesen, Lachen oder Heben eines schweren Gegenstandes – Harn verliert, stellt die Physiotherapie einen wichtigen Faktor in der Behandlung dar. Ebenso wenn bei allzu schwungvollem Hüpfen und Springen auf dem Trampolin die Blase undicht wird. Bei Enuresis, dem nächtlichen Einnässen, stellt beratende Physiotherapie eine Hilfe für das Kind und Entlastung für die Eltern dar. Auch wenn zu geringe Blasenkapazität zu häufigem Drang führt, manchmal auch „nervöse Blase“ genannt, kann Physiotherapie helfen. Hilfreich kann auch Biofeedback sein: „Damit lernen die Kinder sehr gut, die Spannung ihres Beckenbodens zu kontrollieren“, so die Physiotherapeutin.
Viel zu häufig setzt man die Kinder unter Druck. Sie werden oft unbegründet auf die Toilette geschickt. Oder aber es werden Anzeichen einer vollen Blase übersehen. „Grundsätzlich ist es wichtig, dass Kinder ausreichend Zeit für die Entleerung ihrer Blase haben und dass sie dann die Toilette aufsuchen können, wenn der für sie entsprechende Zeitpunkt da ist. Zur Entwicklungsförderung und zur Stärkung der Blase sollten die Eltern auf die Bewegungsbedürfnisse ihrer Kinder achten und diese unterstützen. Im Übrigen wird der Beckenboden auch durch Singen und Pfeifen gestärkt“, empfiehlt Tutschek.
Über die MKÖ
Begonnen hat die systematische Inkontinenzhilfe 1990 in Linz, als sich ein kleiner Kreis von Ärzten, diplomierten Gesundheits- und Krankenschwestern und Physiotherapeuten zusammenschloss. Seit Bestehen ist es das Ziel der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ), Maßnahmen zur Prävention, Diagnostik und Behandlung der Inkontinenz sowie Forschung, Lehre und Praxis zu fördern. Dazu gehören die spezielle Schulung des medizinischen Fachpersonals ebenso wie die gezielte Öffentlichkeitsarbeit zur Information und Beratung von Betroffenen und ihren Angehörigen. Die wissenschaftliche Fachgesellschaft ist zentrale Anlaufstelle auch für Patienten und bietet mit Serviceeinrichtungen wie einer Telefon-Hotline, einer Homepage und Beratungsstellen in den Bundesländern diskrete und anonyme Information. Heute ist die MKÖ maßgeblich an der Vernetzung von Fachärzten, Ambulanzen, Allgemeinmedizinern, Physiotherapeuten, Pflegeberufen und der Öffentlichkeit beteiligt. Mehr unter www.kontinenzgesellschaft.at