50 bis 70% der Menschen, die an einer Depression leiden, leiden auch an sexuellen Dysfunktionen. Zugleich lässt sich beobachten, dass sexuelle Dysfunktionen das Risiko, an einer Depression zu erkranken, um 130-210% erhöht. Eine komplexe Thematik, da die bidirektionalen Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Depression und sexuellen Störungen sehr vielschichtig sind. Zusätzlich führt ein überwiegender Teil der Antidepressiva zu medikamenteninduzierten sexuellen Funktionsstörungen, die sich wiederum negativ auf die Compliance und damit auf den Krankheitsverlauf auswirken. Der Psychiater und Psychotherapeut Prof. Dr. Tillmann Krüger, Leiter des Abteilung für klinische Psychologie und Sexualmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover, erläuterte im Rahmen einer Veranstaltung in der Gesellschaft der Ärzte in Wien, warum ein Durchbrechen „des Teufelskreises“ Depression und sexuelle Funktionsstörungen so wichtig ist und wie dies realisierbar ist.
Henne oder Ei? – Sexuelle Probleme als Teil der Depression und zusätzlicher Stressor
Der bei Depression aus dem Gleichgewicht geratene Dopamin- und Noradrenalin-Stoffwechsel hat Auswirkungen auf das emotionale Erleben und somit auch auf das sexuelle Empfinden. Libidoverlust und sexuelle Funktionsstörungen können die Folge sein. Diese Störungen der Sexualität können wiederum als Stressoren die Erkrankung verschlimmern. Auch ein bestehendes sexuelles Problem, sei es ein körperliches oder ein partnerschaftliches, kann den Betroffenen so sehr belasten und sein Selbstwertgefühl so beeinträchtigen, dass dies, bei entsprechender Prädisposition, zum Entstehen einer Depression führt.
Die wechselseitigen Beeinflussungen von Depression und Sexualität sind äußerst komplex. Oft ist nicht klar, was die „Henne“ und was das „Ei“ ist. Die Veränderungen des Botenstoffwechsels im Gehirn, die Ursache für Depressionen sind, wirken sowohl auf das emotionale Erleben als auch auf den Hormonstoffwechsel, erläuterte Tillmann Krüger: „Beides spielt bei der Sexualität eine entscheidende Rolle. Und ein befriedigendes Sexualleben ist wiederum für den Krankheitsverlauf von entscheidender Bedeutung.“
Einerseits können sexuelle Motivations- und Funktionsstörungen auftreten; Libidoverlust, Lubrifikationsstörungen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie), erektile Dysfunktion, verminderter oder verzögerter Samenerguss, sowie verminderte Orgasmusfähigkeit sind oftmals sogar die ersten für den Betroffenen bemerkbaren Anzeichen einer Depression.
Andererseits wirken sich die typischen Symptome einer Depression – Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Freud- und Interesselosigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung – negativ auf die Libido aus. Und eine gestörte Libido mit all ihren Konsequenzen – nicht zuletzt auch für die Partnerschaft – kann wiederum die Depression verstärken.
Lustkiller Antidepressiva
Dazu kommt, dass die meisten Antidepressiva sexuelle Dysfunktionen[1] verursachen, was sich naturgemäß wiederum negativ auf die Compliance auswirkt. Ein Teufelskreis entsteht. Krüger: „Eine Meta-Analyse[2] zeigte, dass sexuelle Funktionsstörungen eine häufige, aber oft unterschätzte, Nebenwirkung von antidepressiven Medikamenten sind. Besonders häufig, nämlich bei bis zu 80% der Patienten, treten sie bei serotonerg wirksamen Antidepressiva auf, beispielsweise Paroxetin, Citalopram, Venlafaxin und Sertralin. Eine Erhöhung des serotogenen Tonus im synaptischen Spalt führt hier oftmals zu einer sexuellen Inhibition. Aber es gibt Alternativen!“
Multimodales Vortioxetin – deutlich weniger Nebenwirkungen auf die Sexualität
So unterschiedlich die Wirkweise der verschiedenen Substanzklassen – SSRI, SNRI, Trizyklische Antidepressiva etc. – ist, so unterschiedlich sind die Nebenwirkungsprofile, gerade auch im Hinblick auf Sexualstörungen. In diesem Bereich zeigt Vortioxetin (Brintellix®), das modernste und bislang einzige in Europa zugelassene multimodale Antidepressivum, ein Nebenwirkungsprofil, das im Bezug auf Sexualität mit Placebo vergleichbar ist[3]. Das Arzneimittel vereint zwei komplementäre pharmakologische Wirkweisen: Es kombiniert Wiederaufnahmehemmung und Rezeptoraktivität und führt so zur Modulierung der Neurotransmission in mehreren Systemen[4],[5]. Zu den beobachteten klinischen Effekten[6],[7],[8],[9],[10],[11],[12],[13] zählen neben Stimmungsverbesserung eine Verminderung der kognitiven Störungen, Angstlinderung, keine Insomnie bzw. Somnolenz sowie Gewichtsneutralität. Und vor allem steht es als Alternative bei nebenwirkungsbedingten Sexualstörungen bei Depressionen zur Verfügung.
Wermutstropfen ist allerdings, dass Vortioxetin in Österreich von der Krankenkasse nur nach chefärztlicher Bewilligung mit aufwändiger medizinischer Begründung erstattet wird. Die Alternative ist, das Medikament selbst zu bezahlen (Privatverkaufspreis 72,- €/Monat*). Eine Alternative, die für viele Patienten** durchaus überlegenswert ist, da eine befriedigende Sexualität auch für eine glückliche Partnerschaft wichtig ist. Krüger: „Es erscheint durchaus sinnvoll, den Patienten über diese Alternative zu informieren und ihm somit die Möglichkeit zur Wahl zu geben: Er muss zumindest darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass es Wirkstoffe gibt, die sich nicht oder deutlicher seltener auf seine Sexualität negativ auswirken. Dann kann er selbst entscheiden, ob er die Kosten zu tragen bereit ist.“
Keine Lust an der Lust? – Warum die Behandlung sexueller Dysfunktionen so wichtig ist
Krüger: „Sexualität hat salutogenes Potenzial. Es gibt eine starke Beziehung zwischen sexueller Gesundheit und Lebensqualität. Ist das sexuelle Erleben jedoch beeinträchtigt, stellt dies für viele Betroffene eine enorme Belastung dar, die ihr Selbstwertgefühl und ihre Lebensqualität massiv mindern kann. Dies kann einerseits zu Partnerschaftsproblemen, emotionalem und sozialem Rückzug führen und andererseits steigt die Gefahr mangelnder Compliance bis hin zum Therapieabbruch. Die Verträglichkeit von Antidepressiva auch hinsichtlich der sexuellen Funktionsfähigkeit ist also ein wichtiger Parameter für die mittel- und langfristige Behandlung von Depressionen!“
Abschließend fasste Krüger zusammen: „Wir müssen die Patienten darüber aufklären, welche Nebenwirkungen die Medikamente auf ihre Sexualität haben können. Wir müssen ihnen eindrücklich erläutern, welche Folgen aber ein frühzeitiger, eigenmächtiger Therapieabbruch für sie haben kann. Wir müssen das Thema Sexualität aktiv ansprechen und die Patienten dazu ermuntern, uns über das Auftreten auch von Nebenwirkungen, die ihre Sexualität betreffen, zu informieren. Und wir müssen sie darüber informieren, dass es moderne Alternativen gibt, auch wenn die Kosten dafür zur Zeit in Österreich nicht immer erstattet werden.“
* Brintellix 10mg/28 Stk.
[1] Z.B. stark eingeschränkte Libido, erektiler Dysfunktion, Lubrifikationsstörungen, Dyspareunie, verminderte Empfindlichkeit im Genitalbereich, verzögerten Samenerguss, Orgasmusstörungen bis hin zur Anorgasmie.
[2]Serretti A. et al. J Clin Psychopharmacol 2009; 29: 259-266
[3] Bei Dosierungen von 5mg, 10mg und 15mg täglich, Fachinformation Brintellix®
[4] Bang-Anderson 2011
[5] Mørk 2012
[6] H. Lundbeck A/S
[7] Alvarez 2012
[8] Katona 2012
[9] Baldwin 2012
[10] Henigsberg 2012
[11] Boulenger 2012
[12] Vortioxetine SPC
[13] Bidzan 2012
** Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet. Alle Bezeichnungen gelten sowohl für Frauen als auch für Männer.
Informationen für Patienten und Angehörige:
Im Web: www.depression.at
Broschüre: „Leben mit Depression“, zu bestellen unter: https://www.lundbeck.com/at/service/patientenbroschueren/bestellformular
Kontakt
Prof. Dr. Tillmann Krüger
Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie und Leiter der Abteilung für klinische Psychologie und Sexualmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover
Tel.: +49-(0)511-532-2407
E-Mail: Krueger.Tillmann@mh-hannover.de