AT: Grüne: Pflegende Angehörige und falsche Fährten im Doskozil-Pflegeplan

30. Juni 2019 | News Österreich, Pflegende Angehörige | 0 Kommentare

Quelle: www.CCM-TV.at

REGINA WILL’S WISSEN – Petriks Praktikum im Pflegeheim

 „Alle reden über Pflege, einige arbeiten am Schreibtisch Konzepte aus. Ich wollte mir die Praxis im Pflegeheim anschauen, um herauszufinden, was die Menschen, die dort leben und arbeiten, wirklich brauchen“, begründet Regina Petrik, Landessprecherin der GRÜNEN, die Fortsetzung ihres Projekts „Regina will’s wissen“. Im Juni arbeitete sie in mehreren 12-Stunden-Diensten in einem kleinen Pflegeheim in Steinbrunn im Nordburgenland. Als sie im Zukunftsplan Pflege las, dass Landeshauptmann Doskozil in Zukunft aus wirtschaftlichen Gründen neue Einrichtungen nur dann unter Vertrag nehmen will, wenn sie mehr als 60 Betten haben, hat sie beschlossen selbst nachzuforschen, ob ein kleines Heim wirklich weniger Leistung erbringt als eine große Einrichtung. Ihre Erfahrung: „Ganz im Gegenteil. Ein kleines, wohnortnahes Pflegeheim hat Qualitäten für die Bewohnerinnen und deren Angehörige, mit denen große zentrale Häuser nicht mithalten können. Der Doskozil-Pflegeplan muss noch einmal überarbeitet werden, um nicht auf falsche Fährten zu führen.“ In ihrem Praktikum widmete sich Petrik dem Bereich der Landzeitpflege im Alter und warnt gleichzeitig: „Pflege betrifft nicht nur alte Menschen. Auch junge Menschen, Kinder oder Jugendlichen können pflegedürftig sein. Sowohl die Debatte um stationäre Einrichtungen als auch das Thema pflegende Angehörige muss auch die jungen Pflegebedürftigen und die Eltern schwer behinderter Kinder im Blick haben.“ 

Ein gutes Pflegeheim ist wohltuend für Pflegebedürftige und Angehörige

Was für Regina Petrik bereits am ersten Tag ihres Praktikums deutlich wurde: Ob sich ein Mensch ganz und liebevoll wahrgenommen fühlt, hängt nicht davon ab, ob er in den eigenen vier Wänden oder in einem Pflegeheim lebt, sondern davon, wie ihm in jeder einzelnen Handlung begegnet wird. Daher fordert sie, dass Pflegeheime die Möglichkeit haben müssen, der guten Zusammenarbeit im Team einen hohen Stellenwert zu geben. Es braucht Zeit des Austauschs, des Miteinanders und der gegenseitigen Unterstützung. „Bei Tagsatzberechnungen müssen die Stunden für Teamarbeit und Supervision unbedingt eingerechnet werden. Es darf nicht nur um Minutenvorgaben für Pflegeleistungen gehen, der ganze Menschen mit seinen körperlichen und seelischen Bedürfnissen muss im Mittelpunkt eines Pflegekonzepts stehen“, unterstreicht Petrik.

Wohnortnahe Pflegeheime sind Mittel gegen Isolation in der Landzeitpflege

Das Praktikum hat Petrik in ihrer Vermutung bestätigt, dass auch ein kleines Pflegeheim wirtschaftlich gut arbeiten kann. Hier kann gezielter auf die Bewohnerinnen eingegangen und daher sparsamer eingekauft werden. Je mehr selbst gekocht oder mit der Küche Kontakt gehalten wird, desto weniger Abfall gibt es. „Ich sehe nicht ein, warum Vertragspartner des Landes nicht alle den gleichen Tagsatz je Pflegestufe erhalten sollen, wenn sie nachweisen können, dass sie nach den vorgegebenen Qualitätsstandards arbeiten“, meint Petrik und kritisiert dabei den Plan des Landes, in Zukunft nur mehr große Heime unter Vertrag nehmen zu wollen. Sie sieht noch andere Vorteile für die Bewohnerinnen und deren Angehörige. Besonders wichtig ist ihr dabei, dass die Heime möglichst nahe am früheren Lebensmittelpunkt der zu Pflegenden sind. Das ermöglicht eine rege Besuchstätigkeit von Freundinnen und Verwandten ohne lange Anfahrtswege zu verschiedenen Tageszeiten und wirkt damit drohender Isolation entgegen. Kleine Einheiten und eine wertschätzende Einstellung des Personals ermöglichen auch einen hohen Grad an Selbstbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner, unabhängig von deren Pflegestufe.

„Hier ist der Aufenthaltsraum wie ein Dorfplatz. Das geht nur in einer Einrichtung, die nahe dem Wohnort der Angehörigen ist“, ist Petrik begeistert von der regen Anteilnahme der Besucher am Leben der Heimbewohnerinnen. „Pflegekonzepte, die die Angehörigen einbeziehen und auf das Miteinander in der Pflegeinstitution Wert legen, sind auch für jene Heimbewohnerinnen von Vorteil, die selbst weniger Besuch erhalten“, ist Petrik aufgrund ihrer Erfahrungen im Pflegepraktikum fest.

PFLEGENDE ANGEHÖRIGE – Was sie wirklich brauchen

Birgit Meinhard-Schiebel vertritt als Präsidentin der Interessensgemeinschaft pflegender Angehöriger die Anliegen derjenigen, die kurz- oder langfristig ein Familienmitglied zu Hause pflegen. Ihr Ziel ist die Verbesserung der Lebenssituation pflegender Angehöriger. Dazu gehört die öffentliche Bewusstseinsbildung über die Belastungen und Herausforderungen in der Pflege von Angehörigen ebenso wie eine höhere Wertschätzung und Anerkennung der Pflege- und Betreuungsleistungen von Angehörigen.

„Pflegende Angehörige sind der größte Pflegedienst Österreichs. Fast 1 Million Menschen übernehmen diese oft langjährige Aufgabe und brauchen vor allem Unterstützung, die ihren Bedürfnissen entspricht und über die sie selbst entscheiden können. Dazu braucht es Beratung und Begleitung, ohne sich im bürokratischen Dschungel zu verirren“, weist Meinhard-Schiebel hin. Die Interessensgemeinschaft pflegender Angehöriger vertritt damit die Anliegen der „Pflegenden im Verborgenen“.

Zur Wertschätzung gehört auch die Valorisierung des Pflegegeldes

Viel wird auch in der Politik davon gesprochen, dass pflegenden Angehörigen mehr Wertschätzung entgegengebracht werden sollte. Das darf sich aber nicht in schönen Bildern auf Plakaten und öffentlichen Danksagungen erschöpfen. „Es ist auch ein Zeichen der Wertschätzung, wenn das Pflegegeld regelmäßig valorisiert wird, denn es ist eine Unterstützung, die pflegenden Angehörigen im Pflegeprozess hilft – als Leistung, die den finanziellen Druck der Pflege verringert“, meint Meinhard-Schiebel. Lange musste man darum gekämpft, nun konnte sich der Nationalrat durchringen, das auch zu beschließen. Das Wissen darum, dass man bei entsprechender Einstufung Rechtsanspruch auf Pflegegeld hat, ist noch nicht bei allen Menschen angekommen. „Immer noch schämen sich Menschen, überhaupt einen Pflegegeldantrag für ihre Pflegebedürftigen zu stellen. Auch Wissen und ganz niederschwellige Informationen sind Teil der Wertschätzung. Wir müssen pflegende Angehörige davor bewahren, selbst krank und durch Pflege arm zu werden“, weiß Meinhard-Schiebel aus ihrer Praxis.

Die Tücken der Anstellung von pflegenden Angehörigen

Unangenehme Nebenwirkungen befürchtet Birgit Meinhard-Schiebel bei dem im Doskozil-Plan skizzierten Vorhaben, pflegende Angehörige für ihre Tätigkeit bei einer Gesellschaft des Landes anzustellen. Die markantesten Kritikpunkte sind, dass das familiäre Verhältnis zwischen Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen massiv gestört werden kann und dass pflegende Angehörige, auch wenn sie eine Heimhilfeausbildung haben, keine professionelle Pflege verrichten können und dürfen. Meinhard-Schiebel warnt: „Es kann keine kollektivvertraglich geregelte Entlohnung für nicht professionelle Tätigkeiten von Angehörigen geben. Pflegende Angehörige pflegen und betreuen ja auch außerhalb ihrer offiziellen Arbeitszeiten.“ Auch in einer Stellungnahme zum novellierten Sozialhilfegesetz hält die Interessendgemeinschaft pflegender Angehöriger fest: „Die versteckte Funktion eines Auftraggebers durch die/den Pflegebedürftigen bringt in das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Pflegebedürftigen und pflegende Angehörige eine extrem konflikthafte Situation ein. So kann es neben möglichen Pflegefehlern zu einer extremen psychischen Belastung der Personen im System selbst kommen. Dazu kommt, dass viele Pflegebedürftige gar nicht in der Lage sind, sich selbst an das Pflegeservice Burgenland GmbH zu wenden.“

Die Lösung liege in der Kombination der Betreuung durch Angehörige mit professioneller Pflege durch dafür ausgebildete Personen.

Autor

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)