Strukturierter Versorgungsplan fehlt – CED-Nurses kaum im Einsatz – mehr Unterstützung am Arbeitsmarkt notwendig
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen führen zu immer wiederkehrenden oder sogar dauerhaften Entzündungen und somit Beschwerden im Verdauungstrakt, die für die Betroffenen äußerst belastend sind
Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Alexander MOSCHEN, PhD, Medizinische Universität Innsbruck & Leiter Arbeitsgruppe CED der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH)Wirklich erschreckend ist aber, dass fast ein Fünftel, nämlich 18 %, sich trotz Therapie schwer belastet fühlt
Ing. Evelyn GROSS, Präsidentin Österreichische Morbus Crohn-Colitis ulcerosa Vereinigung (ÖMCCV)CED-Betroffene brauchen mehr als eine reine medizinische Behandlung.
DGKP Barbara KLAUSHOFER, Präsidentin CED-Nursing Austria – Fachgesellschaft für Pflegekompetenz bei CED
Eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED) bedeutet für die Betroffenen eine massive Einschränkung des täglichen Lebens. Und zwar auf eine Art, die man sich als gesunder Mensch kaum vorstellen kann. CED-Betroffene leiden unter schrecklichen Schmerzen, haben aber durch ihre Krankheit auch soziale und Partnerschaftsprobleme oder Schwierigkeiten, einen passenden Job zu finden und zu halten. Auch die medizinische Versorgung ist weit von optimal entfernt. Das gilt ganz besonders für jene Gruppe, die schwer an der Erkrankung leidet. Und das ist keine kleine Gruppe, sondern etwa ein Fünftel aller CED-Erkrankten. CED-Nurses könnten hier teilweise Abhilfe schaffen, werden in Österreich aber zu wenig eingesetzt. Ein definierter Versorgungspfad durch das medizinische System fehlt ebenso. Es bleibt also viel zu tun, wie von verschiedensten Experten beim virtuellen Pressegespräch am Donnerstag besprochen wurde.
Schwere Autoimmunerkrankung
Unter dem Begriff CED werden die beiden Erkrankungsbilder Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zusammengefasst. Genaue Zahlen zu den Betroffenen gibt es in Österreich nicht, Schätzungen gehen von 40.000 bis 80.000 Personen aus. „Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen führen zu immer wiederkehrenden oder sogar dauerhaften Entzündungen und somit Beschwerden im Verdauungstrakt, die für die Betroffenen äußerst belastend sind“
, erklärt Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Alexander Moschen, PhD von der Medizinischen Universität Innsbruck und Leiter der Arbeitsgruppe CED der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH). Schwere und Krankheitsverlauf können höchst unterschiedlich sein, oft verläuft die Erkrankung jedoch in Schüben. Bei beiden Krankheitsbildern kann es zu sehr schweren Komplikationen kommen. CED treten meist zwischen dem 25. und dem 39. Lebensjahr auf. „Wichtig ist, dass wir die Betroffenen rechtzeitig behandeln, um irreversible Schäden und Komplikationen zu verhindern“, betont Moschen.
Massive Beeinträchtigung der Lebensqualität
Oft ist aber schon der Weg zur Diagnose ein langer, wie aus einer kürzlich finalisierten PatientInnenbefragung, die mit Unterstützung der Österreichischen Morbus Crohn-Colitis ulcerosa Vereinigung (ÖMCCV) durchgeführt wurde, hervorgeht. Besonders auffallend ist auch, wie sehr die Betroffenen in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt sind. Fast die Hälfte der Befragten gab eine mittelschwere Beeinträchtigung quer über alle Lebensbereiche von Freizeit über Partnersuche und Familienplanung bis hin zu Beruf, finanzieller Situation und Toilettensuche in der Öffentlichkeit an.
„Wirklich erschreckend ist aber, dass fast ein Fünftel, nämlich 18 %, sich trotz Therapie schwer belastet fühlt“
, berichtet Ing. Evelyn Gross, Präsidentin der ÖMCCV. Laut Befragung leidet diese Gruppe auch psychisch mehr unter der Erkrankung, hat viele Schübe pro Jahr, ist von existenziellen Sorgen geplagt und schafft es oft nicht, berufliche oder private Termine einzuhalten. Sie muss auch ganz besonders viele Krankenstandstage in Anspruch nehmen, fühlt sich nicht ausreichend informiert und ist vergleichsweise oft unzufrieden mit der Therapie. „Das ist die Gruppe, für die dringend etwas getan werden muss“, betont Gross. „Diese Leute haben im Laufe der Zeit immer weniger soziale Kontakte, weil sie ständig Termine absagen müssen oder sich isolieren. Oft verlieren sie auch den Job und damit dann auch ihr Geld. Ein regelrechter Teufelskreis. Allein die psychische Belastung wegen des mitunter binnen Sekunden einsetzenden unkontrollierbaren Stuhldrangs ist enorm.“
PatientInnen mit vielfältigen Problemen
Das sind Sorgen, für die die Betroffenen auch adäquate Ansprechpartner benötigen, wie Barbara Klaushofer, Präsidentin CED-Nursing Austria, aus der Praxis weiß. „CED-Betroffene brauchen mehr als eine reine medizinische Behandlung.“
In vielen Ländern sind die sogenannten CED-Nurses deshalb bereits Alltag und in die Behandlungsteams rund um CED-Betroffene eingebunden. Sie kümmern sich um die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen, die weit über das rein Medizinische hinausgehen.
Doppelte Hilfe durch CED-Nurses
CED-Nurses haben in anderen Ländern aber noch eine zweite wichtige Aufgabe. Sie steuern die PatientInnenströme. In Österreich passiert das nicht, die CED-Ambulanzen sind überfüllt. Das bedeutet, dass jede Patientin oder jeder Patient unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung von einer Spezialistin oder einem Spezialisten behandelt wird, obwohl dies gar nicht immer nötig wäre. In anderen Ländern werden die stabilen PatientInnen mit moderaten und leichteren Verläufen oft von erfahrenen CED-Nurses herausgefiltert. „Ungefähr ein Drittel aller PatientInnen in einer CED-Ambulanz könnte so abgefangen und von einer CED-Nurse langzeitbetreut werden“, erzählt Klaushofer. So würden für die schwer Betroffenen mehr Ressourcen bei den spezialisierten ÄrztInnen freigemacht. Nach den derzeitigen Bestimmungen ist eine Triage in Österreich durch die Pflege allerdings nur schwer möglich. Außerdem sind bisher nur einige wenige ausgebildete CED-Nurses an ausgewählten Versorgungsstandorten im Einsatz – trotz bester Ausbildung in Österreich. Um dies zu ändern, wäre eine Anpassung der Strukturen in den Krankenanstalten nötig, um den Einsatz von spezialisierten CED-Nurses in CED-Ambulanzen zu gewährleisten, so Klaushofer.
Versorgungspfad definieren – interdisziplinäre Behandlung ausweiten
CED-Nurses könnten also auch eine wichtige Rolle in einem CED-Versorgungspfad spielen. „Derzeit gibt es einen solchen aber noch nicht“, bedauert Moschen, „obwohl er dringend erforderlich wäre. Analog zur Onkologie müsste an jeder Stelle klar definiert sein, was mit CED-Betroffenen passieren soll und wie es weitergeht.“ Dazu bräuchte es außerdem mehr Möglichkeiten zur interdisziplinären Behandlung. „Diese haben wir derzeit noch kaum, sie wären aber gerade für die CED-PatientInnen ganz besonders wichtig“, ist der CED-Spezialist überzeugt. Die CED-Nurses wären seiner Meinung nach eine wichtige Schnittstelle in einem solchen Behandlungsteam, zu dem auch ChirurgInnen, RadiologInnen, AllgemeinmedizinerInnen, StomatherapeutInnen, PsychologInnen, DiätologInnen etc. gehören sollten. Auch das würde Zeit und Ressourcen für besonders schwer belastete PatientInnen in den CED-Ambulanzen freischaufeln. Alle anderen PatientInnen sollten jeweils dort betreut werden, wo es ihrer Krankheitssituation angemessen sei. „Das bedeutet, dass neben ausreichend vielen CED-Zentren auch Netzwerke mit extramuralen, niedergelassenen ÄrztInnen und TherapeutInnen zur Verfügung stehen müssen, die die Langzeitbetreuung von „stabilen“ CED-PatientInnen managen können“, erläutert Moschen.
Hindernisse aus dem Weg räumen
Um dies tun zu können, bräuchten sie allerdings auch die Mittel. „Dazu gehört ein einfacher diagnostischer Stuhl-Test (Anm.: Calprotectin), der sogar im niedergelassenen Bereich durchgeführt werden und den Betroffenen den Weg ins Spital ersparen könnte“, ergänzt Gross. „Dieser wird üblicherweise von den Kassen aber nicht bezahlt, obwohl er wichtig für die Kontrolle des Krankheitsverlaufs wäre. Manchmal gibt es zudem Probleme bei der Erstattung – speziell bei Hilfsmitteln wie Stoma-Produkten. Auch das müsste bei schwer betroffenen chronisch kranken Menschen nicht sein. Jede und jeder von uns wäre froh, wenn sie oder er diese Produkte nicht brauchen würde.“ Außerdem wünscht sie sich mehr Unterstützung für junge Betroffene, um zu vermeiden, dass diese aufgrund der Begleitumstände einen Job ergreifen müssten, der gar nicht wirklich passt oder in ihrer Karriereentwicklung zurückbleiben. Und auch für die älteren Erkrankten sei eine Unterstützung am Arbeitsmarkt notwendig. Zum Beispiel durch eine Anpassung des Wiedereingliederungsteilzeitgesetzes.
Es bleibt also viel zu tun, bis CED-Betroffene wirklich aufatmen können.