AT: Forscherin: „Vom Gedankenlesen noch sehr weit weg“

24. August 2019 | News Österreich | 0 Kommentare

Alpbach (APA) – Bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) haben mit ihren präzisen Darstellungen des Gehirns und dessen Funktionen die Neurowissenschaften revolutioniert. Auch für Veronika Schöpf hat Neuroimaging aufschlussreiche Erkenntnisse über den menschlichen Geruchssinn ermöglicht. Davon, Gedanken lesen zu können, ist die Hirnforschung aber noch weit entfernt, betont die Expertin.

„Mein Forschungsfeld war Neuroplastizität im Bereich Geruchsverlust, also alles, was mit Bildgebung des olfaktorischen Systems des Menschen zu tun hat“, erklärte Schöpf, die bei den Alpbacher Technologiegesprächen ein Podiumsgespräch zum Thema „If you could read my mind“ leitet, im Gespräch mit der APA. Dabei wollte sie herausfinden, ob man basierend auf der Gehirnaktivität vorhersagen kann, wie gut die Therapie bei Patienten wirken wird und wie sich das Gehirn umorganisiert, wenn der Geruchssinn verloren geht.

Die technische Mathematikerin war bis Ende Mai Professorin für Neuroimaging an der Universität Graz, ist kürzlich als Gastprofessorin an ihre „Heimatinstitution“ Medizinische Universität Wien zurückgekehrt und nun im Hauptberuf bei einer Unternehmensberatung für Gesundheitsfragen zuständig. In ihrer Karriere als Forscherin konnte sie die rasante Entwicklung ihrer Disziplin auch in technologischer Hinsicht mitverfolgen. Multimodale MRT-Verfahren haben vor allem seit den 1990er-Jahren ungeahnte Blicke in das Gehirn ermöglicht. Beschränkte sich das anfänglich oft darauf, zu zeigen, welcher Bereich im Hirn was tut, gehe es heute darum, dieses Wissen in existierende klinische Parameter von Patienten zu integrieren und Vorhersagemodelle zu entwickeln. Jetzt sei man langsam an dem Punkt, wo man komplexere Prognosen wagen könne, etwa über das Entstehen von Kreativität im Gehirn.

Integration und Verständnis der Interaktion von verschiedenen Systemen

Es sei vergleichbar mit einer Autofahrt von vor gut 20 Jahren, als man noch mit dem Finger auf der Karte nach Lignano navigierte und es genügte, wenn man wohlbehalten dort ankam. „Heute will ich zusätzlich die Echtzeitinformation: Wo ist eine Autobahnraststätte mit einem Kinderspielplatz, wo ist ein Stau?“ Und sie will für ihr Fach „Google Maps für das Gehirn“. Reichte früher das Wissen um die Funktion eines spezifischen Gehirnbereichs, sei man nun an der Integration und am Verständnis der Interaktion von verschiedenen Systemen interessiert: „Und das ist tatsächlich erst heute möglich“, so die Expertin.

Trotz aller Fortschritte in den Neurowissenschaften, die oft auf bildgebenden Verfahren basieren, müsse man realistisch bleiben. „Vom Gedankenlesen ist man noch sehr weit weg. Weil das für das Individuum weder aus wissenschaftlicher noch aus ökonomischer Sicht spannend ist“, erteilt Schöpf entsprechenden Visionen eine Abfuhr. Wären Geheimdienste und Militärs nicht an solchen Möglichkeiten interessiert? „Funktionelle Bildgebung wird sich als Lügendetektortest nicht durchsetzen. Jeder, der das behauptet, hat sich noch nie mit den Daten beschäftigt.“

Mehr Zugänglichkeit

Näher an der Realität sei man mit der bevorstehenden Kommerzialisierung von tragbaren Neuroimaging-Geräten, wie sie US-Unternehmen wie Openwater oder Neuralink versprechen. Idee dahinter sei, dass man im Gesundheitswesen nicht mehr einen Großgeräteplan brauche und wochenlang auf einen MRT-Termin warten müsse. „Sondern, dass ich beim Onlinehändler ein BCI-Kapperl (BCI=Brain Computer Interface; Anm.) kaufe, mir das aufsetze und meinem Radiologen das Bild schicke. Es geht mehr in Richtung Zugänglichkeit als in Richtung Gedankenlesen.“

Bei allen Verheißungen bildgebender Verfahren gibt es wissenschaftlich gesehen auch nicht zu leugnende Probleme. „Der Imagingbereich befindet sich schon länger in einer Reproduktionskrise“, sagt Schöpf. Ältere Studien, auf denen zum Teil neuere aufbauen, seien aus heutiger Sicht oft mangelhaft durchgeführt oder interpretiert worden. Damit sei nicht unbedingt Datenmanipulation mit böser Absicht gemeint, aber die eine oder andere Unsauberkeit, die dann auch künftige Rückschlüsse verzerrt. „Ich sehe auf uns zukommen, dass viele psychologische Standardwerke, die auf Neuroimaging-Studien basieren, in den nächsten zehn Jahren redundant werden und gezeigt wird, dass das eigentlich nicht so ist.“

Bei wissenschaftlichen Journalen habe aber bereits ein Umdenken eingesetzt. Diese würden nun mitunter auch „Nullergebnisse“ zur Publikation zulassen – also dass von Wissenschaftern aufgestellte Hypothesen nicht bestätigt werden können oder auch, dass Ergebnisse anderer reproduziert werden. Der ständige Druck, immer etwas ganz Neues zu produzieren, habe dazu geführt, dass oft „nicht passende“ Daten herausgestrichen und nicht die ganze Wahrheit erzählt wurde. Auch das habe zu Konsequenzen geführt, so Schöpf: „Viele Journale lassen einen nur noch publizieren, wenn man die Rohdaten auf einen Server hochlädt.“

„Atemberaubende Visionen“

Das menschliche Gehirn ist zwar einer der komplexesten „Computer“ des bekannten Universums, das hält aber viele Vordenker nicht von atemberaubenden Visionen ab. Überlegungen von sogenannten Transhumanisten wie dem US-Wissenschafter Ray Kurzweil, den menschlichen Geist wie Daten auf eine Festplatte hochzuladen, steht Schöpf skeptisch gegenüber. „Das Gehirn ist ein System und nicht nur einzelne Teile, die miteinander arbeiten. Es ist ein großes Netzwerk und das macht halt gerade, was es macht. Manchmal wissen wir auch gar nicht, warum.“

Diese wissenschafts-inhärente Skepsis überträgt sich in philosophischem Sinne auch auf die Hirnforschung an sich: „Wir müssen uns klar sein, wir erforschen einen Gegenstand mit dem Gegenstand selbst“, so Schöpf. Spinnt man solch abstrakte Gedanken weiter, und die Welt, wie wir sie mit diesem „Gegenstand“ wahrnehmen, ist gar nur eine Simulation, wie es der schwedische Philosoph Nick Bostrom in den Raum stellt? „Dann würde ich gerne einen Brief an den Webadministrator schreiben und sagen, dass mir gewisse Dinge nicht passen.“

Autor

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)