AT: Forderungen für die Zukunft der Pflege – BAG Pressekonferenz zum Thema Gute Pflege und Betreuung

7. September 2019 | Demenz, News Österreich, Pflegende Angehörige | 0 Kommentare

Am 5.9.2019 fand die BAG Pressekonferenz zum Thema Gute Pflege und Betreuung für alle sichern und ausbauen statt. Die Sozial-Organisationen Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz und Volkhilfe präsentierten ihre Forderungen für die Zukunft der Pflege.

Roberta Rastl-Kircher, Medienarbeit Diakonie Österreich, begrüßte die Runde zum aus Ihrer Sicht wichtigsten Thema derzeit, dem Thema Pflege.

Maria Katharina Moser, Diakonie Österreich, eröffnete mit der Forderung, dass Pflege das Wahlkampfthema Nummer 1 werden müsste, da es so viele Menschen direkt betrifft. Ein Problembewusstsein seitens der einzelnen politischen Parteien sei schon erkennbar. Eine Diskussion zur Pflegefrage brauche aber neues Denken – einen Fokus zur Bedürfnisorientierung der betroffenen Menschen. Ihre Bitte an die Politik war, involviert zu werden, da die Vereine selbst sehr gut wissen wie es den KlientInnen und den Pflegenden geht. Sie betont, dass sie selbst auch ausbilden und daher auch in diesem Bereich gute Kenntnisse vorhanden seien. Wichtig wäre aber primär ein tragfähiges Pflegkonzept, welches über dem Finanzierungskonzept stehen müsse. Denn alte Menschen seien kein Kostenfaktor. Investitionen für die Pflege würden sich lohnen, da laut WIFO 70% der Investitionen ins System zurückfließen würden. Ebenso würden durch den Pflegesektor sehr viele Arbeitsplätze geschaffen. Auch zum Schwerpunkt-Thema Demenz meinte Moser, man bekäme den Eindruck, alle seien betroffen aber das Thema werde an den Rand gedrängt. Sie forderte dem Thema die Schwere und Angst zu nehmen. Es gäbe schon viele Therapien und Möglichkeiten um hier anzugreifen. Beispielhaft nennt Moser die Tageszentren, die Demenzberatung, die demenzgerechte Raum- und Umweltgestaltung sowie die Vielfalt an Wohn- und Pflegeformen. Sie erzählt über ihre Erfahrung im Tageszentrum, wo der Mensch und nicht die Demenz im Vordergrund stünden. 80% der Angehörigen fühlten sich durch die Möglichkeit eines Tageszentrums entlastet, wobei aber nur 8000 Menschen dieses in Anspruch nehmen würden. Sie fordert die verstärkte Umsetzung der 2015 implementierten Demenzstrategie Österreich. „Diese muss aus der Schublade genommen werden.“

Bernd Wachter, Caritas Österreich, sprach von der Wichtigkeit der „Erholungstage“, speziell für pflegende Angehörige. Er stellte als Beispiel die „Erholungstage“ in Windischgarsten vor. Der Abstand vom Alltag und der Austausch miteinander sei für pflegende Angehörige sehr wichtig. Allerdings stelle die Selbstorganisation von Urlaub und Austausch für pflegende Angehörige eine große Schwierigkeit dar. 10% der Bevölkerung kümmere bzw. pflege jemand. Der größte Pflegedienst Österreichs und das „Rückgrat“ des Pflegedienstes seien die pflegenden Angehörigen. Wachter stellte daher drei wichtige Forderungen: 1. Österreichweite, flächendeckende und passgenaue Angebote, welches auch den mobilen Dienst einschließe; 2. Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, sowie den daraus folgenden Rechtsanspruch auf Pflegekarenz und Teilzeit. 3. Gezielte Kursangebote um pflegende Angehörige bestmöglich zu Begleiten damit das Leben in Würde bis zuletzt gewährleistet ist.

Michael Opriesnig, Österreichisches Rotes Kreuz, beschrieb Pflege als eines der zentralen gesellschaftlichen Themen welches die Politik mit Sicherheit die nächsten 10-20 Jahre beschäftigen würde, wobei die Grundproblematik sei, dass eine Legislaturperiode für solche Themen mit Sicherheit zu kurz sei. Er sähe allerdings viele von der BAG Freie Wohlfahrt eingebrachten Vorschläge als aufgegriffen und sei optimistisch, dass das Themenfeld mit Hilfe eines neuen Gesamtkonzeptes Beachtung finden wird. Für Opriesnig waren 2-3 Handlungsfelder primär hervorzuheben: 1. Die pflegenden Angehörigen, denn 85% der Pflege fände zuhause statt wobei 2. die MitarbeiterInnen der mobilen Pflege und auch der 24h Betreuung leiden würden, sowie Stichwort „Stoppuhrpflege“ eine ganzheitliche Betreuung kaum mehr möglich wäre. Pflegepersonen seien derzeit nur mehr zum Abarbeiten einzelner Tätigkeiten degradiert, dies gehöre geändert. 3. Gäbe es keinerlei strukturierte Maßnahmen zur Prävention. Würden die Menschen selbst durch Gesundheitsprävention länger fit bleiben so könnten sie auch länger zuhause selbstbestimmt leben. Zur Unterstützung brauche es hier auch fixe Stundensätze im Sinne der Mobilen Alltags Betreuung als Entlastung der pflegenden Angehörigen. Zur Prävention brauche es umfassende Maßnahmen, hier sieht Opriesnig viel Potential auch Geld einzusparen. Österreich sei hier bisher „blind“, wobei auch die Gesundheitsprävention langfristiger zu denken sei als eine Legislaturperiode. Zur Prävention brauche es erstens Aktivierende Maßnahmen, zweites Gedächtnistraining und ähnliches aber auf jeden Fall drittens Soziale Teilhabe. Dies stärke die Selbsthilfekapazität. Es wäre sein Wunsch, dass Österreich jenes Land in Europa werde, welches dafür sorgt, dass Menschen in Würde altern können.

Elisabeth Anselm, Hilfswerk Österreich, betont, dass ein Schritt schon gelungen sei, nämlich die Valorisierung des Pflegegeldes in allen Pflegegeldstufen. „Es ist nicht fair, Menschen mit ihren Sorgen da hängen zu lassen.“ Wobei die Pflegegeldeinstufung ein altes System sei, welches rein auf Grundlage körperlicher Veränderungen einstufe und die Demenz werde im Pflegegeld nicht optimal abgebildet. Sie beschreibt den Vergleich zwischen den Einstufungen in Deutschland und dem österreichischen Pflegegeld und hebt den Vorteil des neuen Einstufungssystems in Deutschland, das Modul der sozialen Teilhabe. Eine solche Form der Betrachtung des Selbsthilfepotentials fehle in der Österreichischen Pflegegeldeinstufung. In Österreich erfolge eine Beurteilung nach körperlichen Einschränkungen und in Deutschland auch hinsichtlich Sozialkompetenz und kognitiven Einschränkungen. Sie forderte eine faire und gerechte Einstufung.

Erich Fenninger, Volkshilfe Österreich, betont, dass es über 450 tausend Pflegegeldbezieher und mehr als doppelt so viele pflegende Angehörige in Österreich gibt. Die Politik muss jetzt handeln und dazu brauche er als gewichtigen Faktor die Medien. Es sei sehr abstrakt für die Öffentlichkeit mit dem Begriff Pflegekräftemangel etwas zu verbinden. Aber wenn man darstelle, dass es 4-6 Wochen dauere, bis Betroffene mobile Dienste bekämen, so werde dies gut verdeutlicht. Der Pflegekräftemangel stelle eine enorme Belastung für die MitarbeiterInnen in der Pflege dar. 58% der Organisationen in Österreich hätten einen Mangel an MitarbeiterInnen, die Herausforderungen diesbezüglich werden steigen, so Fenninger. Hochaltrigkeit nehme zu. Man rechne mit etwa 750-tausend PflegegeldbezieherInnen 2050, daher bräuchte es viel mehr Menschen in der Pflege. Mehr Ausbildungsplätze müssten geschaffen werden. Motivation für den Pflegeberuf müsse durch unterschiedliche Ausbildungssysteme, vergleichbar mit Ausbildungen in Höheren Technischen Lehranstalten konzipiert werden. BerufsumsteigerInnen sollten in Zukunft besser unterstützt werden auch hinsichtlich der Finanzierung des Umstieges. Aber auch Pflegepersonal sollte besser unterstützt werden hinsichtlich Angebote wie Supervision und Coaching. Österreich leide jetzt bereits an einem Pflegekräftemangel, wenn dieses Problem nicht jetzt angegangen werde, so würden die Auswirkungen verheerend sein.

Im Anschluss wurden noch kurz Fragen beantwortet hinsichtlich Einbindung in Entscheidungen der Politik: Die Pflege sollte immer eingebunden werden. Auch zu den finanziellen Entscheidungen sollten Pflegeexperten hinzugezogen werden. Pflegepersonen müssten immer an den Besprechungstisch geholte werden, so Anselm. Fenninger verlangt nachdringlich zu schauen, was die Menschen wirklich möchten und vor allem brauchen um auch einen Rechtsanspruch zu verankern. Eine Steuerfinanzierung muss primär vor einem Versicherungssystem stehen. Moser betont: Leistungen müssten immer solidarisch, leistbar und zugänglich sein.

Autor

  • Karin Eder

    Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Advanced Practice Nurse, akademische Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege, Demenzberaterin, Direktorin im Haus Hetzendorf, Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser