Zum Anlass des Hildegard Burjan Gesprächs 2019 fand am 5. Juni der Palliativ Demenz Tag der CS Caritas Socialis für CS Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für externe Gäste statt. In diesem jährlichen Fortbildungstag der Caritas Socialis wurde diesjährig der Schwerpunkt “Herausfordernde Verhaltensweisen“ für den Palliativ Demenz Tag gewählt. Die Begrüßung und Moderation durch den Tag erfolgte durch die Pflegedirektorin der Caritas Socialis, Christina Hallwirth-Spörk.
Zuerst sprach Martina Kern über die Angehörigenbegleitung und den Umgang mit der Wahrheit. Sie verwies darauf, dass es nicht nur eine, sondern viele Wahrheiten gibt und definierte sehr treffend den Terminus „Angehörige“. Angehörige würden, so Kern, nicht gefragt werden, ob sie pflegende Angehörige sein wollen oder nicht, sie seien es einfach. Auch pflegende Angehörige erlebten den Verlust der Selbstwirksamkeit und ihrer Selbstständigkeit/Autonomie wie Betroffene. Kern stellt es als Aufgabe der Pflege dar, pflegende Angehörige zu unterstützen, damit diese Selbstständigkeit erleben und ein Sicherheitsgefühl in ihrer Krisensituation entwickeln könnten. Um mögliche Spannungsfelder besser darzustellen, berichtete Kern über diverse Fälle, die im palliativen Setting immer wieder auftreten. Sie definierte folgende Spannungsfelder in der Kommunikation und besprach sie mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausführlich:
- Normverletzungen (denn Werte, Haltungen und Normen bestimmen die Perspektivensicht)
- Stimmungen und Handlungsmuster (das Ablegen bzw. Umlernen von Handlungsmuster)
- Autonomie vs Fürsorge (oftmals ein Dilemma)
- Transkulturelle Kompetenz (Kenntnis, Wissen und Reflexion macht Fremdes weniger bedrohlich – Ängstlichkeit führe oft zu Distanz und Vorurteil)
- Fehlende Erfahrung (es brauche Fort- und Weiterbildung)
- Nonverbale Kommunikation (denn nur 20% seien verbal, 80% nonverbal in der Kommunik.)
Prioritäten setzte Kern auf die Aspekte der Zeit – aktiv bewusst Zeit nehmen für die Kommunikation sei zentral, ebenso wie eine Form der behutsamen Kommunikation, dem Ansprechen von Gefühlen und der Empathie-Arbeit.
„Eigentlich ist Validation die reinste Form für Kommunikation in allen Situationen“, so Kern.
Pflege brauche Demut vor der Aufgabe und auch das Eingeständnis von Ohnmacht in gewissen Pflegesituationen, denn würde diese Ohnmacht geteilt mit Anderen, so wäre sie leichter zu (er)tragen, würde nicht verdrängt werden.
Im Interview mit Angela Pototschnigg, Selbstvertreterin (Betroffene) und Mitglied von Alzheimer Europe wurde beschrieben wie wichtig die Diagnosefindung sowie die Unterstützung sei und wie sehr Selbsthilfegruppen Sicherheit, Selbstbewusstsein sowie die eigene Autonomie fördere. Ihr Motto „Man hat nie Zeit auf die Sonne zu warten, man kann auch im Regen tanzen“ zeigte wie wichtig die Lebenseinstellung ist. Lebensspielräume müssten auch für Betroffene erhalten werden. Es sei wichtig, als Mensch mit Demenz selbst sagen zu können, was man brauche und was man nicht möchte, so Pototschnigg. Sie zitierte eine Aussage einer Freundin, „Sei wie Du jetzt bist, denn so bist Du auch gedacht“. Sie betonte, wie wichtig es sei Lebensfroh trotz Vergesslichkeit zu sein und Unterstützung zu bekommen um die eigenen Wünsche umsetzen zu können. Pototschnigg betonte, dass sie früher Entscheidungen nur mit dem Verstand getroffen habe und heute auch viel mehr aus ihrem Gefühl heraus, die Gefühlsebene sei sehr wesentlich und damit auch verstärkt anzuwenden. Sie plädierte für die Verfassung einer Lebensverfügung, stellte das Buch von Erich Schützendorf vor (Erich Schützendorf, Meine Lebensverfügung für ein gepflegtes Alter, ISBN 978-3-497-02711-8) und forderte die Beachtung der Autonomie und Unterstützung durch Pflegepersonen bis zum Lebensende.
Sabine Walzer und Barbara Schwarzmann stellten das Projekt Leuchtturm der Caritas Socialis zur Unterstützung von Menschen mit Demenz mit psychiatrischen Erkrankungen in besonders herausfordernden Situationen vor. Das Projekt startete im September 2018 und der Fokus war heraus zu finden welche Situationen aus der Perspektive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als besonders herausfordernd identifiziert wurden sowie auch das Erfassen und Einschätzen der Belastungssituationen auch aus Sicht der Führungsebenen.
Identifizierte herausfordernde Situationen sind z.B.:
- Grenzüberschreitungen
- Ablehnendes Verhalten
- Agitaion
- Desorientierung
- Kommunikation
- Selbst- vs Fremdeinschätzung
Als Ergebnis des Projektes wurde die Erhöhung der Psychologinnen- und Psychologen-Stunden sowie eine interne Fortbildung zur Thematik und ein Konsiliardienst identifiziert um den herausfordernden Situationen besser begegnen zu können.
Unter dem Motto Selbstbestimmtes Leben mit Demenz – Kunst als Initiator für urbane Veränderung stellte Cornelia Bast ihre Kunstinstallationen vor. Die Selbsterfahrung als künstlerische Intervention solle Empathie fördern und Interessierten die Möglichkeit geben sich in Perspektiven von Menschen mit Demenz hinein zu fühlen – unter anderem stellt sie mit einer Kunstinstallation dar, wie man sich fühlt, wenn die eigene Orientierung sich verändert. Ebenso sollten auf diesem Weg Ressourcen für sich und andere sichtbar gemacht werden. Der Workshop „mitteilen“ und das „Vorlieben“-Set wurden von Bast entwickelt um über die Kunst einen Zugang zu Menschen mit Demenz auf sinnstiftende Weise zu ermöglichen.
„Es ist wichtig, die Augen und das Herz offen zu haben“, so Bast.
Isabella Spörk, Dipl. psych. Pflegerin der Caritas Sozialis referierte zu dem Thema „Dafür bin I ned Schwester wordn…“ mit dem wunderbaren Begleitsatz, „die männlichen Pfleger sollen sich inkludiert fühlen“ über die Motivation zum Beruf und Pflegeimage. Sie plädierte für ein suchendes Reagieren mit Situationsorientierung, der Wichtigkeit sich Vertrauen zu erarbeiten sowie der prägnanten Importanz „Zeit zu verlieren um Zeit zu gewinnen“, sich im Rahmen der Beziehungspflege mit Menschen mit Demenz ausreichend Zeit zu nehmen. Ihre wundervollen und bewegenden Fallbeispiele machten den Vortrag zu einem bewegenden Erlebnis auch mit ihrem Hinweis, dass Pflege transparent zu machen auch Marketing sei, welches dringend notwendig gebraucht werde.
Klaus Kraushofer, ein Geriater sprach über die Thematik des Delirs auf der Palliativstation. Er betonte die Wichtigkeit der multiprofessionellen Zusammenarbeit und des Teilens aller Beobachtungen. Plädierte für die Gemeinsamkeit von Somatologie und Psyche, „es gibt keinen Körper ohne Seele“ und stellt die Situation von Menschen mit Demenz und deren Risiko ein Delir zu erleiden sehr plastisch gut vorstellbar dar: „Das Eis auf dem Menschen mit Demenz gehen ist viel dünner als unseres, es fehlt nicht viel, dass es bricht!“
Ein perfekt gelungener Fortbildungstag!