Schlaganfälle erreicht auch in Europa mit rund 600.000 Neuerkrankungen jährlich und stark steigender Tendenz epidemische Ausmaße. Der jüngste europäische Aktionsplan Schlagfall bis 2030, der in Abstimmung mit der EU vor allem von der Europäischen Schlaganfallorganisation, unter Mitwirkung österreichischer Experten, erarbeitet wurde, definiert deshalb ambitionierte Ziele: Zum Beispiel sollen 90 Prozent der Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten auf spezialisierten Schlaganfalleinheiten betreut werden. Dieses Ziel erreicht Österreich derzeit zwar noch nicht ganz, wir rangieren aber unter den besten Ländern. Zum Vergleich: In etlichen Ländern Europas werden nur wenige Prozent der Betroffenen in einer Stroke Unit versorgt.
Entwicklung von Behandlungspfaden
Ein weiteres Ziel ist die Entwicklung von Behandlungspfaden für Schlaganfallpatienten in allen Regionen: also ein integriertes Konzept, das klar vorgibt, wie Patienten versorgt werden müssen – noch vor der Behandlung im Krankenhaus, im Spital selbst, während der stationären und ambulanten Rehabilitationsphase. Dabei müssen alle Player eingebunden, geschult und vernetzt sein, auch die Rettungskräfte, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, und mobile Dienste. Österreich ist hier Vorreiter. In einigen Bundesländern wie Tirol, Oberösterreich, der Steiermark und Niederösterreich sind solche Behandlungspfade bereits etabliert. Österreich ist zudem einer der ersten EU-Staaten, die ausgehend vom Ministerium bundesweit einen Qualitätsstandard Schlaganfall eingeführt haben.
Gesamtanzahl der Schlaganfälle in Europa um zehn Prozent senken
Insgesamt will der Aktionsplan die Gesamtanzahl der Schlaganfälle in Europa um zehn Prozent senken. Dieses Hauptziel ist eine überaus ehrgeizige Vorgabe. Immerhin nehmen Schlaganfälle weltweit in absoluten Zahlen zu, weil die Bevölkerung insgesamt wächst und sich auch über eine steigende Lebenserwartung freuen kann. Doch je höher das Alter, desto höher das Schlaganfallsrisiko. Noch 1990 hat einer von sechs Menschen im Laufe seines Lebens einen Schlaganfall erlitten. Heuer ist es einer von vier. Das gilt auch für Österreich.
Um möglichst vielen Menschen dieses Schicksal zu ersparen – oder ihnen möglich viele Jahre ohne Krankheit und Behinderung zu ermöglichen – sind gezielte Präventionsmaßnahmen auf vielen verschiedenen Ebenen notwendig. Drei Dinge sind dabei von entscheidender Bedeutung:
90 Prozent aller Schlaganfälle im Zusammenhang mit lebensstilbezogenen Risikofaktoren
Erstens: Es ist erwiesen, dass etwa 90 Prozent aller Schlaganfälle im Zusammenhang mit vermeidbaren, lebensstilbezogenen Risikofaktoren stehen. Übergewicht, Bewegungsmangel und Diabetes nehmen jedoch tendenziell immer mehr zu, und es wird schwer sein, diesen Trend zu stoppen oder umzukehren. Rauchen ist ebenfalls ein bedeutsamer Risikofaktor für Schlaganfälle. In vielen europäischen Ländern konnte das Rauchen erfolgreich zurückgedrängt werden, hierzulande ist hingegen keine nachhaltig positive Entwicklung zu verzeichnen: Österreichs Jugend greift wieder vermehrt zur Zigarette.
Dabei würden vier einfache Maßnahmen ausreichen, um einen Großteil der Schlaganfälle zu verhindern:
- Nikotinkarenz
- kein oder wenig Alkohol
- regelmäßige Bewegung: 5 x pro Woche zumindest 30 Minuten
- gesunde Ernährung (Vermeidung von Übergewicht durch Bewegung und Ernährung)
Wissen um die eigenen Risikofaktoren und ggf. gegensteuern
Ein zweiter wichtiger Punkt in Sachen Prävention: Die Menschen müssen ihre persönlichen Risikofaktoren kennen, damit sie gegensteuern können. Ist der Blutdruck in Ordnung? Wie schauen die Cholesterin- oder Blutzuckerwerte aus? Hat jemand womöglich Diabetes und weiß es nicht? Obwohl Erwachsene in Österreich die Möglichkeit zu einer kostenlosen Vorsorgeuntersuchung haben, wird dieses Angebot nicht von allen genutzt. So bleiben häufig leicht beherrschbare Risikofaktoren lange unentdeckt und unbehandelt. Regelmäßiges Blutdruckmessen – und bei Bedarf Blutdruckregulieren – zum Beispiel ist eine einfache Präventionsmaßnahme, die jeder selbst durchführen kann. Oder: Einfache Apps, die den Puls messen, könnten Hinweise liefen, ob ein Vorhofflimmern vorliegt. Menschen, die unter dieser Form der Herzrhythmusstörung leiden, haben ein bis zu 5-fach erhöhtes Schlaganfallrisiko und sollten daher gerinnungshemmende Medikamente nehmen. Denn das Vorhofflimmern fördert die Bildung von Blutgerinnsel, die Gehirngefäße verstopfen und einen Schlaganfall bewirken können.
Politik muss gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen schaffen
Der dritte wichtige Punkt hinsichtlich Prävention betrifft die Politik. Sie muss gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen schaffen und vermeidbare Risikofaktoren eindämmen. Das Rauchverbot in Lokalen ist beispielsweise ein überfälliger, wichtiger Schritt. Zehn bis 15 Prozent aller Schlaganfälle sind auf Luftverschmutzung zurückzuführen, die durch Hausbrand oder Verkehr entstehen. Eine kluge Energie- und Mobilitätspolitik tun also nicht nur dem Klima gut, sondern auch der kardiovaskulären Gesundheit. Wichtig wäre auch eine Steuerpolitik, die gesunde Lebensmittel verbilligt und weniger gesunde verteuert. Gut belegt ist etwa, dass das übermäßige Trinken von stark zuckerhaltigen Getränken – insbesondere bei Jugendlichen – das Schlaganfallrisiko erhöht. In Mexiko hat man daher entschieden, diese Getränke hoch zu besteuern. Der Konsum ging dadurch deutlich zurück und in der Folge auch die Schlaganfallshäufigkeit bei jungen Menschen.
Hoher Stellenwert der Sekundärprävention
Auch die Sekundärprävention hat einen hohen Stellenwert im Aktionsplan Schlagfall. In Österreich ist jeder fünfte Schlaganfall ein wiederholter Schlaganfall. Würde man die Patienten richtlinienkonform nach einem Schlaganfall behandeln, könnten 90 Prozent dieser Rezidive verhindert werden. Das passiert aber leider nicht oder nur im Ansatz, weil eine strukturierte Nachbetreuung von Schlaganfallpatienten in Österreich noch nicht flächendeckend umgesetzt ist. Die Patienten brauchen jemanden, der sie in regelmäßigen Abständen untersucht und medikamentös so einstellt, dass sie die nötigen Zielwerte erreichen. Oder jemanden, der immer wieder dazu motiviert, gewisse Lebensstilmodifikationen durchzuführen. Kürzlich wurden zwei große Studien zu diesem Themenkomplex abgeschlossen und wir erwarten mit Spannung, welche Ergebnisse und Schlussfolgerungen sie liefern werden.
Quellen:
Norrving, B., Barrick, J., Davalos, A., Dichgans, M., Cordonnier, C., Guekht, A., Caso, V. (2018). Action Plan for Stroke in Europe 2018–2030. European Stroke Journal, 3(4), 309–336. https://doi.org/10.1177/2396987318808719
Global, Regional, and Country-Specific Lifetime Risks of Stroke, 1990 and 2016, N Engl J Med 2018;379:2429-37. DOI: 10.1056/NEJMoa1804492 https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1804492